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Highlights der Brückenbaukunst


Der Deutsche Brückenbaupreis wird seit 2006 in zwei Kategorien vergeben: Gekürt werden Straßen- und Eisenbahnbrücken sowie Fuß- und Radwegbrücken. Das Verfahren 2020 endete am 8. März 2021 mit einer Preisverleihung, die als fragwürdige online-Veranstaltung übertragen wurde.

oben: preisgekrönt in der Kategorie Straßen- und Eisenbahnbrücken: die Rethebrücke in Hamburg (Bild: Ingenieurbüro Grassl)

Alle reden von der Verkehrswende – also von einer Neuausrichtung eines ganzen Infrastrukturbereichs. Meldungen, dass beispielsweise ein Großteil der Bahnbrücken in Deutschland sanierungsbedürftig ist, belegen jedoch, wie falsch in Deutschland jahrzehntelang infrastrukturell investiert wurde und wie anspruchsvoll und aufwändig es wird, dem entgegenzusteuern. Davon zeugt der Deutsche Brückenbaupreis, der zum einen die Leistungen von Bauingenieuren anerkennt. Zum zweiten soll der Preis die Ingenieurbaukunst in der Öffentlichkeit bekannt machen. Doch während die ausgezeichneten Brücken höchste Anerkennung verdienen, bleibt bei der Botschaft Richtung Öffentlichkeit noch immens viel Luft nach oben – dazu später.

Die geschlossene Rethebrücke.

Die geschlossene Rethebrücke (Bild: HPA). Ingenieure: Ingenieurbüro Grassl, Michael Borowski, Hamburg | grassl-ing.de; Architeken: Winking + Froh, Hamburg | winking-froh.de

Klappt!

Ausgezeichnet wurde zum einen die zweiflügelige Retheklappbrücke für Bahn- und Straßenverkehr in Hamburg, „weil sie mit einer innovativen Konstruktion eine höchst anspruchsvolle Aufgabe löst und mit ihrem Schließmechanismus europaweit einzigartig ist.“ Maschinenbau und Ingenieurbau wirken in dieser Stahlbrücke über den Elbarm Rethe zusammen, weswegen übliche Toleranzen am Bau genau nicht tolerierbar gewesen sind.

Vorgängerin war die 1934 gebaute Rethehubbrücke mit einer Durchfahrtshöhe von 42 m, die bei einer Grundinstandsetzung auf 53 m hochgesetzt werden konnte. Straßen- und Bahnbrücke sind getrennt, es handelt sich also um eine Doppelklappbrücke mit einer sehr großen Spannweite von 104,2 m. Neuartig ist bei dieser Brücke, dass beim Schließvorgang „Finger“ ineinandergreifen und sich eine übliche, durchaus aufwändige mechanische Verriegelung erübrigt. Durch das formschlüssige Ineinandergreifen der Finger können Querkräfte und Momente übertragen werden. Schön anzuschauen ist die Doppelbrücke auch. Die an den Klappenspitzen vollwandigen Kastenträger sind zum Widerlager hin zu elegant geformten Fachwerkträgern aufgeweitet.1) Eine Klappe wiegt übrigens 1.400 Tonnen.
Nominiert waren außerdem die Autobahnbrücke nahe Schwaig als Teil der A3 bei Nürnberg (Entwurf: Manuela Theis, LAP) und die Sanierung der Stampfbetonbrücke über die Schwarze Elster bei Neudeck im südlichen Brandenburg (Entwurf: Carsten Richter, IB Prokon, Bauplanung. Vorgeschlagener Preisträger: Manfred Ragotzky, Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg).

1845_NL_Ditzingen

Preisträger in der Kategorie Fußgänger- und Radwegebrücken: Brücke auf dem Trumpf-Firmengelände in Ditzingen | Mike Schlaich, schlaich bergermann partner sbp (Bild: Wilfried Dechau)

Vom Feinsten

Der Trumpf-Steg in Ditzingen überzeugte als konsequente Umsetzung einer außergewöhnlichen Tragwerksidee, wobei hochentwickelte Materialien und Technologien zur Geltung kamen – über diese Brücke berichteten wir bereits, siehe Seitenspalte.
Nominiert waren auch die Massivholzbrücke an der Birkelspitze in Weinstadt (Thorsten Helbig, Knippers Helbig mit Cheret Bozic Architekten) und die unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes umgebaute König-Ludwig-Brücke in Kempten (Rainer Böhme, Jörg Schänzlin, Konstruktionsgruppe Bauen AG)

Alle Nominierten sind auf der >>> Website des Brückenbaupreises dokumentiert.

 

Fräulein, zum Gespräch bitte

Screenshot der Online-Preisverleihung

Screenshot der Online-Preisverleihung, die in langatmigem Talkshow-Szenario begonnen wurde.

Doch nun zur Preisverleihung. Auslober des Brückenbaupreises sind Berufsorganisationen der Bauingenieure, gefördert und mit einer Schirmherrschaft unterstützt wird der Preis vom zuständigen Ministerium. Offiziell heißt es: „Idee und Anliegen: Brücken vernetzen Menschen und Märkte. Sie sind Ausdruck der Kreativität und Innovationskraft von Bauingenieuren. Das ist in der Fachwelt kein Geheimnis, aber die breite Öffentlichkeit weiß kaum etwas über den Beitrag der Ingenieure zur Baukultur. Das will der Wettbewerb um den Deutschen Brückenbaupreis ändern.“ 2)

Das Schöne an den Brückenbaupreis-Verleihungen ist natürlich normalerweise, dass man feiern kann und viele mit vielen ins Gespräch kommen. Online-Preisverleihungen in Corona-Zeiten sind im Vergleich dazu doch armselig, niemandem kann man’s verdenken. So saßen auch bei der Deutschen Brückenbaupreis-Verleihung virenfrei getestete Personen in einer Art Talkshow-Szenario. Drei teils ergraute, gediegene Herren rahmten eine konstant lächelnde Journalistin mit Moderatorinnen-Rolle: Als Politikwissenschaftlerin löchert Tanja Samrotzki normalerweise unterhaltsam und kompetent VIP-Runden mit Polit- und Medienprofis wie Norbert Röttgen, Armin Laschet und Friedrich Merz. Wieso aber wurde sie jetzt zu dieser Veranstaltung gerufen? Als Quotenfrau?

Weder sind die medienerfahrenen CDU-Alphatierchen mit den soignierten, etwas steif in den Sesseln verharrenden Repräsentanten des Bauingenieur-Berufsstandes zu vergleichen. Noch darf man von Tanja Samrotzki, die Politikwissenschaften, Deutsche Sprache und Literatur studiert hat und langjährige Moderationserfahrung mitbringt, ausreichende Kompetenz im Metier der Bauingenieure verlangen. Sie kann kaum anders als vorformuliert und etwas naiv fragen und nachfragen. Peinlicher geht’s immer, aber hier: nimmer.

Just do it

Statt die drei Herren in die eckigen Sessel zu setzen und Banalitäten austauschen zu lassen, hätten Mike Schlaich und Michael Borowski alles aufbieten können, was die Erklärung des Besonderen betrifft. Denn sie können es! Kurzfilme zu den ausgezeichneten Brücken manifestieren zwar ein aufrichtiges Bemühen der Veranstalter, Jedermann verständlich zu machen, was Sache ist. Aber sie begeistern keineswegs wie die freie Rede derjenigen, die ihre Brücken in- und auswendig kennen, gut erklären und lebhaft vom Abenteuer Brückenbau erzählen können. Bauingenieure und die Öffentlichkeit: Hier liegt wie eh und je vieles im Argen.

Die Berufsverbände der Bauingenieure täten gut daran, die Darstellung von Ingenieurbaukunst und die Fähigkeit, verständlich über Themen des Ingenieurbaus zu debattieren, als Pflichtfach in den Lehrprogrammen der Bauingenieurfakultäten zu fordern.

Die Preisverleihung:    https://www.youtube.com/watch?v=CZ-UownqDLM

Der Brückenbaupreis: https://www.brueckenbaupreis.de/


1) Eine ausführlicher Erläuterungsbericht der Ingenieure: https://bauforumstahl.de/bauprojekte/rethebruecke-hamburg

2) https://www.brueckenbaupreis.de/