„Gefühlt“ ist es so, dass die ganze Welt nur noch aus „Herausforderungen“ besteht. Würde man den Begriff „Herausforderungen“ aus den öffentlichen Verlautbarungen von Politikern, Verbands- und Kammerpräsidentinnen, Gremienmitgliedern, aus den Juryprotokollen und Architekturberichten verbannen, entfiele – recht grob geschätzt und erfreulicherweise – etwa ein Drittel der Textmengen.
In einem „Streiflicht“ der Süddeutschen Zeitung griff ein|e – wie immer im Streiflicht anonym gehaltene|r – AutorIn die Weihnachtsansprache 2024 des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier auf. Der habe gesagt, es gebe „viele Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen“. Spekulationen darüber, was der Bundespräsident meinen könnte, sind weitreichend: Gelingt die Weihnachtsgans? Kommt wieder ein Teil der buckligen Verwandtschaft zu Silvester, der befriedet werden muss? Was tun, wenn der Nachbar seine Garage aufstockt?
Herausforderungen können von schlimmer Banalität sein, aber genauso ließe sich beispielsweise die Verhinderung des Weltuntergangs als „Herausforderung“ begreifen. Man müsse, so ging es im Streiflicht weiter, nicht Ludwig Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“ verstanden haben, um zu wissen, dass eigentlich jeder, der in einer Rede von „Herausforderungen“ spreche, zwei Euro ins „Phrasenschweinderl“ zahlen sollte.
ArchitektInnen reden
In ArchitektInnenkreisen ist fast nur noch von „Herausforderungen“ die Rede: der Klimawandel, die öden Innenstädte, die Wohnungsnöte, die Energiepreise, die HOAI, die Bodenfrage, die Frauen in der Architektur, die Immobilienfinanzierung, die Baubürokratie und, und, und … Der Begriff bewirkt in diesen Kontexten eine erbärmliche Verharmlosung happiger Probleme, schiebt alles und jedes auf eine neutralisierende, unverbindliche Plauderebene. Auf diese Ebene kann man, um in Diskursen weiterzukommen, verzichten.
Anders wirkend adelt der Begriff „Herausforderung“ ganz normale Aufgaben und Tätigkeiten. In „Kitchen Stories“ wird zum Beispiel Kochen nach Rezept zur „Herausforderung“, weswegen man sich Rat im Internet suchen möge. Eine Leuchte an der Decke zu montieren ist eine „Herausforderung“, die einschlägige Handwerker-Websites mit lehrreichen Videos auf den Plan gerufen hat. Der Wortteil „Fordern“ wird dabei hemmungslos entwertet. Bereits im 8. Jahrhundert bekannt, lässt sich zum Beispiel die Bedeutung des „zum Kampf“ Forderns nachweisen. Und die Präfigierung „heraus“ – steigert schließlich das Außergewöhnliche solchen Forderns. Inzwischen führt der inflationär verschleißende Gebrauch dazu, dass eine banale Selbstverständlichkeit bereits wie eine „Herausforderung“ gemeistert werden muss.
Und jetzt?
Redaktionell streiche ich in der Regel alle Sätze mit „Herausforderungen“ aus Texten raus, weil sie in ihrer Erkenntnisträchtigkeit und Aussagekraft einfach überflüssig sind.
Die oben begonnene Auflistung konkreter „Herausforderungen“ im Arbeitsgebiet von Architekten ließe sich elend lang fortsetzen, so dass Planer und Architekten nur noch erschöpft – sinnbildlich ausgedrückt – den Bleistift fallen lassen müssten.
Was also tun? Man kann, wenn es nicht um Zitate und Textbezüge ging, ohne den Begriff „Herausforderung“ ausgekommen – auch in den Fachbereichen Planen und Bauen, in denen die nötigen Tätigkeiten hinreichend bekannt, beschrieben und auszuführen sind. In der ökonomisierten Welt überzeugt die im „Streiflicht“ erwähnte, lustige Idee mit dem Phrasenschweinderl durchaus, zwei Euro sind allerdings etwas wenig, zumal für einen Bundespräsidenten oder eine Verbandsvorsteherin. Nur mal als Vorschlag: Wenn ArchitektInnen bei einer Erläuterung anheben mit der Phrase „Die Herausforderung bestand für uns darin, dass … „, könnte man ein paar pflichtgemäß gesammelte Fortbildungspunkte in den Kammerregistern streichen. Denn was hier als „Herausforderung“ angekündigt wird, dürfte in der Regel selbstverständliche Arbeit sein.
Im Ernst: Die an Plaudereien banalster Art gewöhnte Instagram-, Tiktok- und Talkshow-Gesellschaft ist zumindest in ihren jeweiligen Fachkreisen gut beraten, was ansteht präzise zu benennen und sich nicht in unverbindlichen Rechtfertigungserklärungen oder Absichtsbekundungen zu verlieren.
Man probiere einfach mal aus, was es für Konsequenzen hat, wenn man Begriffe wie „Herausforderungen“ oder „Maßnahmen“ vermeidet. Im Schneiderhandwerk ist die Maßnahme mit einem weichen Maßband am Körper zu erledigen, im Baufach empfiehlt sich ein Laser-Entfernungsmesser. „Maßnahmen“ tauchen im Politgeschwafel sogar potenziert auf, als „Maßnahmenbündel“ oder „Maßnahmenpaket“. Klingt nach emsiger Arbeit, sagt aber gar nichts aus – außer, dass die emsige Arbeit derer zur Sprache kommt, die irgendetwas machen wollen oder sollten. „Herausforderung“ sagt auch nichts mehr aus, wenn sie lediglich Redezeit füllend und Zeilen schindend im Ungefähren bleibt.