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Die Last des Erbes


Wenn die Internationale Bauausstellung der Region Stuttgart 2027 die Ergebnisse ihrer zehnjährigen Tätigkeit vorstellen wird, wird die Weißenhofsiedlung im Mittelpunkt stehen. Noch ist offen, ob man auch hier auf Stuttgarts Höhen dann auch wirklich etwas darüber erfährt, wie man die Herausforderungen der Zukunft bewältigen könnte. Ein reichlich spät ausgelobter Ideewettbewerb lässt zumindest noch Hoffnung.

2027 wird die Weißenhofsiedlung ihr 100-jähriges Jubiläum feiern, und dieses Jubiläum wiederum hatte den Ehrgeiz geweckt, dass sich die Stadt wieder mit zukunftsweisenden Ideen auf dem Gebiet der Architektur präsentieren möge. Die 2016 beschlossene IBA27 hat inzwischen einiges im Köcher, um diesen Anspruch dann auch einzulösen. Im Januar 2022 nun war ein offener städtebaulicher Ideenwettbewerb ausgelobt worden, gemeinsam von der Stadt Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg in Kooperation mit der IBA27, um auch die Weißenhofsiedlung als einen Ort zu präsentieren, der Wege in die Zukunft öffnet. Dass es solange gedauert hat, obwohl von Anfang an klar war, dass der Weißenhof ein Zentrum der IBA sein würde, lässt eine schwierige Abstimmung über Auslobung und Verfahren vermuten; und dies wiederum, dass die Bedeutung der Werkbundsiedlung, deren beide Le Corbusier-Wohnhäuser inzwischen zum Weltkulturerbe „architektonisches Werk Le Corbusiers“  gehören, so hoch bewertet wird, dass die Angst, es könnte hier etwas falsch gemacht werden, ziemlich früh mit im Boot saß. Zu lange zögern kann allerdings auch ein Fehler sein.

Luftbild der Weissenhofsiedlung in Stuttgart (Bild: Max Leitner / Film Commission Region Stuttgart)

Luftbild der Weissenhofsiedlung in Stuttgart (Bild: Max Leitner / Film Commission Region Stuttgart)


Worum es ging – und worum nicht


Aufgabe im Wettbewerb war es, Vorschläge für ein Besucher- und Informationszentrum zu machen – man rechnet 2027 mit mindestens einer Millionen Besucher. Genutzt werden soll das Gebäude mit etwa 1250 Quadratmetern Nutzfläche auch von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, dem Verein der Freunde der Weißenhofsiedlung, eventuell auch der Architekturgalerie am Weißenhof, das sind auch die Institutionen, die über 2027 hinaus das Gebäude nutzen werden. Dann waren 12.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche für Ateliers und Werkstätten der Kunstakademie, die in unmittelbarer Nachbarschaft zur Weißenhofsiedlung liegt, in einem oder mehreren weiteren Gebäuden unterzubringen. Diese Neubauten sollen teilweise veraltete Gebäude ersetzen, und zudem die auf andere Standorte verteilten Akademiebereiche wieder am Hauptstandort zusammenführen. Und schließlich ging es darum, dies alles in einen übergeordneten städtebaulichen Kontext zusammenzubinden, der den bestehenden wie den neuen Teilen dieses Konglomerats gerecht wird, gesamtheitlich, innovativ, nachhaltig und umweltverträglich, wie es die Auslobung formuliert. Neben Akademie und Weißenhofsiedlung mit im Boot war die im Süden angrenzende Brenzkirche, ein Bau aus den 1920er Jahren, die unter den Nazis ihr modernes Aussehen zugunsten eines biederen Äußeren verlor.

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Wettbewerbsgebiet und Umgebung. Killesberghöhe (links); Augustinum (oben), Weißenhofsiedlung (rechts) und Kunstakademie (Mitte) sowie Brenzkierche (unten). Bild: OpenStreetMap, CC-BY SA 2.0, © OpenStreetMap-Mitwirkende)

Ein Wettbewerbsergebnis kann nicht besser sein als es die Auslobung zulässt. Dass es viel mehr um die Kunstakademie als um die Weißenhofsiedlung ging, die durch Denkmalschutz und mit ihrem Welterbe-Anteil von vornherein als quasi unantastbar galt, war daher absehbar. In diesem Fall ist aber das Potenzial eines solchen Wettbewerbs noch dadurch eingeschränkt worden, dass der Zeitraum so knapp ist, dass für Ideen jenseits der pragmatischen Frage der raschen Umsetzbarkeit kaum noch Raum blieb. Dieser Ideenwettbewerb durfte kein richtiger Ideenwettbewerb sein: Er durfte nicht die Anregungen für einen überraschenden Zugang zu einer Aufgabe geben, etwa die Weißenhofsiedlung anders in den Kontext einzubinden und sie mit der Stadt zu verknüpfen, über Nutzungen und Freiräume nachzudenken. Der Perimeter für den Wettbewerb war deswegen recht eng gesteckt, die „innovative, gesamtheitliche und nachhaltige“ städtebauliche Idee war so von vornherein auf eine Insel beschränkt, die Möglichkeit, ein Konzept im Zusammenhang mit benachbarten Quartieren und Ensembles zu entwicklen, war stark eingeschränkt. Der knappe Zeitrahmen wiederum bietet Begründung dafür, dass die heikle Frage des Verkehrs eigentlich nicht angegangen werden kann – außer einer Verkehrsreduzierung in der Siedlung und weniger Parkplätzen ist wenig zu erwarten. Das wäre aber nötig: An zwei Seiten ist das Gebiet, einmal im Süden und noch mehr im Norden von Straßen begrenzt, deren intensiver Verkehr vor allem in Stoßzeiten die Akademie und die Weißenhofsiedlung von den angrenzenden Gebieten trennt. Das zu ändern, braucht allerdings etwas längeren Atem und muss in größerem Kontext geplant sein.

Dass dann nur 35 Arbeiten eingereicht werden, mag mit der ebenso komplexen wie enggefassten Themenstellung zusammenhängen, aber auch damit, dass Teams aus Planer:innen und Architekt:innen gefordert waren und Auftragsversprechen nicht in Aussicht standen. Die Sieger sollen in weitere Wettbewerbe und Gestaltungen eingebunden werden, aber das sind vorerst nur sehr vage Hoffnungen, zumal es zunächst wohl nur um Hochbauaufgaben geht, Freiraumplanung und Städtebau dabei aber möglicherweise weitestgehend leer ausgehen.

Visualisierung des Empfangs- und Besucherzentrums (Entwurf: Schmutz & Partner mit Scala und Pfrommer + Roeder, alle Stuttgart)

1. Preis. Visualisierung des Empfangs- und Besucherzentrums (Entwurf: Schmutz & Partner mit Scala
und Pfrommer + Roeder, alle Stuttgart)


Machbarkeit im Vordergrund


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1. Preis. Skizze der stadträumlichen Zusammenhänge. (Entwurf: Schmutz & Partner mit Scala und Pfrommer + Roeder)

Lageplan (Entwurf: Schmutz & Partner mit Scala und Pfrommer + Roeder, alle Stuttgart)

1. Preis. Lageplan

Dies alles muss vorausgeschickt werden, um zu verstehen, warum der erste Preis so vergeben wurde, wie es die Jury dann getan hat, übrigens ungewöhnlich knapp mit 9 zu 6 Stimmen: an Schmutz & Partner mit Scala Freie Architekten Stadtplaner und Pfrommer + Roeder, alle Stuttgart

. Denn deren Arbeit hat wohl am besten den Nerv getroffen und es am besten geschafft, für die vielen Einzelfragen der neu zu errichtenden Gebäude und der städtebaulichen Übergänge eine Lösung zu finden, ohne wirklich eine große, überraschende städtebauliche Idee formulieren zu müssen. Vorgeschlagen wird eine einheitliche Flächengestaltung für den Campus, die gute Wegebeziehungen öffnet, vor der Brenzkirche einen ansprechenden Platz ausbildet und die Akademie als Ensemble zusammenbindet: solide, überzeugende städtebauliche Arbeit. Das Besucherzentrum wird an der Stelle platziert, wo es auch der Auslober sich schon nahegelegt hatte: zwischen Akademiehof und Straße, dort wo heute Autos parken und ein Gastronomiepavillon steht. Der Akademiehof selbst wird deutlich aufgewertet, wenig verständlich ist, warum er nach Süden so sehr abgegrenzt wird: durch das Besucherzentrum, ein Wasserbecken und den zum Skulpturenhof geöffneten Graben, ein Relikt des letzten Neubaus. Dass das terrassierte Besucherzentrum der Weisheit letzter Schluss noch nicht sein mag, muss hier nicht weiter diskutiert werden, denn wie das Haus letztlich aussehen wird, soll erst ein nun folgender Realisierungswettbewerb bestimmen. In der Weißenhofsiedlung sollen wenige Eingriffe, Baumgruppen, zwei Stadtbalkone und eine lange Bank gegenüber dem Mies-Gebäude, die Aufenthaltsqualitäten für Gäste wie Bewohnende heben.

Schnitt: Empfangsgebäude - Platz Campus - Atrium Neubau (Entwurf: Schmutz & Partner mit Scala und Pfrommer + Roeder, alle Stuttgart)

1. Preis. Schnitt: Empfangsgebäude – Platz Campus – Atrium Neubau

Blick vor der Dachterrasse des Besucherzentrums auf den "Weissenhof-Hain" (Entwurf: Bottega + Ehrhardt Architekten, Stuttgart, mit Koeber Landschaftsarchitektur, Stuttgart, und Ute Meyer Stadtplanung)

2. Preis. Blick vor der Dachterrasse des Besucherzentrums auf den „Weissenhof-Hain“ (Entwurf: Bottega + Ehrhardt Architekten, Stuttgart, mit Koeber Landschaftsarchitektur, Stuttgart, und Ute Meyer Stadtplanung)

Lageplan (Entwurf: Bottega + Ehrhardt Architekten, Stuttgart, mit Koeber Landschaftsarchitektur, Stuttgart, und Ute Meyer Stadtplanung)

2. Preis. Lageplan

Darüberhinausgehende Gedanken mit dem ersten Preis zu prämieren, dafür hat sich die Jury angesichts des engen Zeitrahmens dann den Mut nicht leisten können. Das betrifft den zweiten Preis, der das Besucherzentrum auf die andere Straßenseite legt und im Akademiehof einen Schwarzkiefernhain vorsieht, was eine Straßenumgestaltung erfordern, aber das Umfeld besser einbinden würde und zumindest zur Diskussion stellt, ob die Frage zukünftiger Stadträume angesichts der Klimakrise nicht auch die stadtlandschaftlichen Leitbilder der klassischen Moderne aufgreifen und transformieren könnte. (Bottega + Ehrhardt Architekten mit Koeber Landschaftsarchitektur, beide Stuttgart und Ute Meyer Stadtplanung)

Weiter noch ging der dritte Preis, der den öffentlichen Raum zu einem Shared Space weiterzuentwickeln vorschlug: wobei hier nicht nur das Primat des Autoverkehrs in Frage gestellt wurde, sondern auch Tiere und Pflanzen berücksichtigt wurden, für die im (über das Wettbewerbsgebiet hinausgehende) Gesamtareal eine Fülle von Habitaten für Tiere und Pflanzen integriert wurden. Ohne die Gebäude der Weißenhofsiedlung antasten zu müssen, könnte der Blick auf sie ein anderer werden, indem sie neu eingerahmt wird. Neben diesem neuen Ansatz für den öffentlichen Raum ist aus pragmatischer Sicht außerdem der Vorschlag, die Neubauten für die Akademie in Teilen auch an den Bestand anzudocken, bedenkenswert. (UTA Architekten und Stadtplaner, Stuttgart mit Gutiérrez-Delafuente Arquitectos SLP, Madrid
).

Visualisierung des Entwurfs von UTA Architekten, Stuttgart, und Stadtplaner mit Gutiérrez-Delafuente Arquitectos SLP, Madrid

3. Preis. Visualisierung des Entwurfs von UTA Architekten, Stuttgart, und Stadtplaner mit Gutiérrez-Delafuente Arquitectos SLP, Madrid

Die Wettbewerbsarbeiten der Preisträger und Anerkennungen finden sich auf den Seiten der IBA27 >>>

 

Ältere Versäumnisse


Dass hier die Stuttgarter Teams dominieren – unter den fünf Preisträgern kam nur der 4. Preis ohne Stuttgarter Beteiligung aus – zeigt, wie sehr hier schon Detail- und Ortskenntnis vorausgesetzt werden mussten, wie wenig es letztlich darauf ankommen durfte, mit einer städtebaulichen Idee das Fenster für neue Gedanken zu öffnen, die einen etwas längeren Atem brauchen, dafür aber vielleicht etwas weiter in die Zukunft weisen.

Einige Fehler wurden zudem vorher schon gemacht: Zwei der benachbarten Ensembles, das  Augustinum im Norden und die Killesberghöhe im Westen, treten als Barrieren der Kunstakademie gegenüber: die Killesberghöhe mit einer Mauer vor einer dahinterliegenden Tiefgarage, das Augustinum als nur optisch offener, aber de facto für die Querung undurchlässige Zone. Die gegenüber des Mies-Gebäudes gelegene Post wurde abgerissen, das Gelände an einen Investor verkauft und mit hochpreisiger Dutzendware bebaut. Und auch Überlegungen, den Verkehr anders zu regeln, damit hier mehr als ein Patchwork von Inseln entstehen kann, einen verbindenden öffentlichen Raum vorzusehen, in den die heilige Weißenhofsiedlung auch als Unberührbare sinnvoll hätte eingebunden werden können, hätte man schon vorher anstellen müssen. Die Last des Erbes ist eben nicht nur die der Architektur, sondern auch die einer Stadtentwicklung, in der das Automobil eine prägende Rolle spielt. Wie ein Feigenblättchen ein Grundstück in der Weißenhofsiedlung, das nach der Kriegszerstörung nicht wieder bebaut wurde, als „Experimentierfläche“ anzubieten, kann all diese Versäumnisse nicht wettmachen.

 

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Hier spielt die Musik: Blick vom nahegelegenen Killesbergturm ins Neckartal. (Bild: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, MSeses)

Nun werden weitere Wettbewerbe folgen, vor allem der zum Besucherzentrum muss schnell ausgelobt werden, damit 2027 tatsächlich eines steht. Für die Akademie-Erweiterungen wird dies nicht gelingen, das ist aber auch nicht vorgesehen. Neue Ideen, wie mit dem öffentlichen Raum in der Siedlung, mit Autoverkehr und Freiräumen umgegangen werden könnte, dürften bis 2027 aber gerne zumindest ansatzweise entwickelt werden – Vorlagen dazu bietet der Wettbewerb. So würde man symbolhaft zeigen, dass man die nötige Transformation von Stadt und Region angehen möchte. Mehr ist wohl nicht mehr drin. Auch wenn eine produktive Diskussion am symbolträchtigen Ort Weißenhofsiedlung wichtig und noch möglich wäre, scheinen dafür zu viele Wünsche, Ängste, Bedenken und Eitelkeiten aufeinanderzutreffen. Die interessanten, weiterführenden Beiträge zur Transformation der Stadt wird die IBA ohnehin an anderen Orten präsentieren, die Stadtregion muss man ohnehin in anderem Maßstab, mit anderen Mitteln angehen, als das hier möglich ist. Der Grundgedanke des fünften Preises (Studio Coss Scale, Laux Architekten und Blank Landschaftsarchitekten), die neuen Raumwünsche nur mit Aufstockungen zu erfüllen, sollte für die weiteren Schritte nochmals bedacht werden – hier liegen nicht nur Möglichkeiten, die Akademie weiterzuentwickeln. Eine Aufstockung gäbe auch die Möglichkeit, von etwas weiter oben einen Blick über die Siedlung hinaus in die Region und ihre besondere Topographie zu werfen: Denn sie sind es, die heute den Rahmen bilden, innerhalb dessen das Zusammenleben neu gestaltet werden muss, innerhalb dessen eine produktive Stadt zu einer mit Zukunft werden kann.


Informationen zum Wettbewerb sowie die Wettbewerbsarbeiten der Preisträger und Anerkennungen auf den Seiten der IBA27 >>>
Preistärger und Anerkennungen
1. Preis: Schmutz & Partner Freie Architekten Innenarchitekten PartG mbB mit Scala Freie Architekten Stadtplaner und Pfrommer + Roeder GbR, alle Stuttgart
2. Preis: Bottega + Ehrhardt Architekten GmbH, Stuttgart mit Koeber Landschaftsarchitektur GmbH, Stuttgart und Ute Meyer Stadtplanung
3. Preis: UTA Architekten und Stadtplaner GmbH, Stuttgart mit Gutiérrez-Delafuente Arquitectos SLP, Madrid, Spanien
4. Preis: Mäckler Architekten GmbH, Frankfurt am Main mit USUS Landschaftsarchitektur AG, Zürich, Schweiz
5. Preis: STUDIO CROSS SCALE, Stuttgart mit LAUX Architekten, München und Blank Planungsgesellschaft mbH, Stuttgart
Anerkennung: FFFW von Ferrari & Walter Architektenpartnerschaft mbB, Berlin mit Amelie Rost Architect, Berlin, Yellow Z – Abel Bormann Koch Architekten und Stadtplaner, Berlin und plancontext GmbH, Berlin
Anerkennung: metris architekten + stadtplaner, Heidelberg mit Steffen Becker, Freier Landschaftsarchitekt, Heidelberg