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Träumen darf man. Hilft aber meistens nicht. Auch nicht der Natur. (Bild: Christian Holl)

Stilkritik (110) | Es müsste inzwischen ausreichend bekannt sein, dass ein unbeeindrucktes »Weiter so« ins Verderben führt. Das ist es nicht. Dafür wird noch zu viel gefaselt, zu naiv geschwärmt, zu treuherzig mit den Wimpern geklimpert. Eine kleine Polemik.

Wo Argumente fehlen, liegt es nahe, Evidenz rhetorisch zu erzeugen, so der Philosoph Hans Blumenberg: Rhetorik wolle nicht beweisen, sondern Widerspruch erschweren. (1)Er musste es wissen, denn der Schwerpunkt seiner philosophischen Arbeit war die Verwendung von Metaphern. Nicht immer, aber sehr oft dienten sie genau dazu: Evidenz rhetorisch zu erzeugen. „Derselben Technik bedienen sich Politiker, wenn sie eigene Entscheidungen als Naturgesetzlichkeiten erscheinen lassen“, so Ulrich von Bülow und Dorit Krusche im Nachwort zu Blumenbergs „Quellen, Ströme, Eisberge“. (2) Man kann es deswegen Architekt:innen nicht verübeln, wenn sie das auch tun – eigene Entscheidungen als Naturgesetzlichkeiten oder zumindest so darzustellen, dass Widerspruch erschwert wird. Widersprechen kann man nämlich immer, immer hätte man Entwurfsentscheidungen auch anders treffen können.


Naturgemäß unnatürlich


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Poller und Bäume im Einklang. (Bild: Christian Holl)

Besonders leicht lässt sich der Eindruck der Naturgesetzlichkeit erwecken, wenn man sich dabei tatsächlich auf die Natur bezieht: Denn „es widerspricht sich schwerer, wenn so ein allgemeiner Sachverhalt wie der der Natur angerufen werden kann“ (3) so nochmals Blumenberg. Und so wundert es nicht, dass immer wieder von einer Architektur oder einem Bauen im Einklang mit der Natur die Rede ist. In der PR-Arbeit von Architekturbüros, der Bauwirtschaft oder bei Ursula von der Leyen. Doch wenn man es sich gönnt, darüber etwas nachzudenken, ist das doch überraschender, als es zunächst scheint. Zwar kann man sich auf die Naturgesetzte beziehen, damit kommt man aber nicht besonders weit. Die Naturgesetze beim Bauen zu berücksichtigen heißt ja erst einmal, dafür zu sorgen, dass das Haus nicht zusammenbricht und es innen trocken ist und bliebt. Ansonsten ist Architektur streng genommen grundsätzlich und naturgemäß unnatürlich, sie dient ja immer dazu, die Natur draußen zu halten. Den Regen, den Wind, viele große und kleine Tiere und auch die meisten Menschen, von denen man immer wieder, zuletzt etwa im Rahmen der Pandemie, behauptet, sie seien ja doch auch irgendwie Natur. Architektur vermittelt Zeichen und Codes, sie wächst nicht aus dem Boden, kommt nicht geflogen, und wird nicht mit dem Wind angeweht. Sie zu errichten ist harte Arbeit, und der damit verbundene Schweiß des Angesichts ist ein sicheres Zeichen dafür, dass sie eine Folge der Vertreibung aus dem Paradies ist. Dort gibt es keine Architektur, bestenfalls eine Urhütte. Etwas zu bauen, von dem wir denken, es könnte einer Urhütte nahekommen, ist aber nur die Bestätigung, dass wir aus dem Paradies vertrieben wurden. Eine so genannte Urhütte ist schon ein Zeichen, wenn und weil man sie Urhütte nennt. Man muss sie Urhütte nennen, weil ansonsten andere nicht verstehen könnten, dass das doch eine Urhütte ist: Normal ist es nämlich nicht. Normal ist es, ein Haus zu bauen. Wenn man von einer Urhütte und nicht von einem Haus redet, ist das ein Zeichen einer Sehnsucht nach einer Welt, in der die Natur so freundlich ist, dass wir es auch sein dürfen und der Natur keine Gewalt antun müssen. In der man im Einklang mit der Natur bauen könnte.

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Alltag. Kein Einklang. Schon gar nicht mit der Natur. (Bild: pxhere)

Zuviel Gewalt

Architektur macht aber immer genau das: Sie übt Gewalt aus. Mal mehr, mal weniger. Lange war es so wenig, dass die Natur damit ganz gut klargekommen ist. Das war für die Menschen ziemlich anstrengend, immer wieder kamen ungebetene Gäste, Raubtiere, Parasiten, haben die Ernte vernichtet, die Haustiere gefressen. Mal kam zuviel, dann zu wenig Regen, mal war es zu heiß, dann wieder zu kalt, von sogenannten Naturkatastrophen ganz zu schweigen. Ein Paradies war das nicht. Ob es im Einklang mit der Natur war? Das erscheint nur im verklärten Rückblick so. Den verklärten Blick haben wir, weil wir von dem, wie es damals war, keine Ahnung mehr haben. Was wir heute wissen: dass wir zu weit gegangen sind. Zuviel Gewalt. Zu wenig Natur.

Und so ist auch das schwärmerische Reden vom Bauen im Einklang mit der Natur die Bestätigung dafür, dass es normal ist, gerade nicht im Einklang mit der Natur zu bauen. Man beschwört einen Idealzustand, den es nie gab und nicht geben wird, weil die Gegenwart so bedrückend ist. Die Natur hat davon nichts. Bedrückend ist vor allem, dass wir kein Gespür mehr dafür haben, welche Gewalt wir mit dem Bauen ausüben. Die Hoffnung auf ein Bauen im Einklang mit der Natur ist ein ziemlich naiver Glaube daran, man könne eben doch einfach weiterbauen, nur eben ein bisschen anders. Es ist der von Krokodilstränen getrübte Blick, der das Versagen verschwimmen lässt. Die Heulsusen-Reaktion, weil man nicht weiß, wie man aus dem Schlamassel kommen soll, den man da angerichtet hat. Oder die inszenierte Reue, weil man davon ablenken will, dass man munter weiter Naturzerstörung betreibt. Dass immer mehr Arten aussterben. Dass immer mehr Boden versiegelt wird. Was helfen würde? Mehr Realismus. Weniger Gefühlsduselei. Mehr Argumente. Weniger Rhetorik.


(1) Hans Blumenberg: Quellen, Ströme, Eisberge. Herausgegeben von Ulrich von Bülow und Dorit Krusche. Berlin 2012, S. 212
(2) ebd., S. 276
(3) ebd., S. 212