Eine Keinstadtbild, das ein paar der viele Probleme zeigt, die nicht mit Rückführungen und einer harten Linie gegenüber Menschen aus anderen Ländern gelöst werden können. (Bild: Christian Holl)
Die ersten Wogen scheinen sich gelegt zu haben – aber das ist kein Grund zur Entwarnung. Denn hinter den Stadtbild-Äußerungen steckt mehr als nur eine ungeschickte Rethorik. Ein genauer Blick zeigt, wie gefährlich es ist, was Merz und Söder gesagt haben. Sie suggerieren, es wäre besser, wenn die Stadt homogener wäre. Mit der Realität hat das wenig zu tun.
„Das Stadtbild bilden die sichtbaren Teile der Bauwerke und Gebäude mit Form, Werkstoff und Farbe.“ (1). Der Satz aus dem dtv-Atlas zur Stadt klingt – zumal im November 2025 – schon fast rührend schlicht. Aber auch Camillo Sitte, Otto Wagner, Kevin Lynch, Colin Rowe, Fred Koetter oder Vittorio Magnano Lampugnani und anderen, die sich fundiert mit dem Stadtbild befasst haben, wäre der Gedanke fremd gewesen, dass das Stadtbild nicht von Gebäuden und Ensembles, sondern vor allem vom Verhalten von Mitgliedern einer Gruppe bestimmt wird. Das würde nicht nur die Bedeutung des Gebauten abwerten. Es würde die Stadt grundsätzlich in Frage stellen. All die Genannten wissen oder wussten, dass Menschen Räume und Räume Menschen prägen, dass die Art, wie Raum, Architektur, Nutzung und Verhalten zusammenspielen, komplex und vor allem dynamisch ist. In dieser Dynamik spiegelt sich das wider, das Stadt faszinierend und erfolgreich macht – auch in den Spannungen und Gegensätzen, die das hervorruft.

… und Gewalt wird nicht mit aggressiven und pauschalen Vorverurteilungen und populistischen Ablenkungsmanövern vermieden. (Bild: Christian Holl)
Der Bundeskanzler versteht das nicht oder will es nicht verstehen. Man muss ihm ziemlich viel vorwerfen. Pauschale Vorverurteilung, schwammige Kausalbezüge, nebulöse Verallgemeinerung – siehe hierzu den Beitrag von Ursula Baus. Und dann sind da noch die Töchter, die als Kronzeugen herhalten müssen, aber eben nur, wenn es um Migration geht – was in ihrem Beitrag auch schon angesprochen wurde. Und nicht, wenn es beispielsweise um soziale Gerechtigkeit, Gewalt im privaten Umfeld oder Klimapolitik geht. So wie Merz Themen miteinander in Bezug gesetzt hat, ohne genau zu sagen, was er eigentlich meint, wird suggeriert: Migrant:innen machen Probleme und sind dafür verantwortlich, dass es Orte in der Stadt gibt, an denen sich Menschen unsicher fühlen. „Das Stadtbild muss sich wieder verändern. Es braucht einfach mehr Rückführungen“, hatte wenige Wochen vorher Markus Söder in einem Interview zum besten gegeben. Auch er hat Dinge miteinander vermischt, die nichts miteinander zu tun haben, denn die Menschen, die „rückgeführt“ werden könnten, lassen sich im Stadtbild nicht von denen unterscheiden, für die das nicht gilt – siehe unser Beitrag letzte Woche. Und selbst wenn die Rückführungen sich erhöhen, würde man damit nicht das Stadtbild ändern. Dafür sind es schlicht zu wenige – illegal halten sich in Deutschland nicht einmal 50.000 Menschen auf, also 0,6 Promille der Gesamtbevölkerung. Es sind auch zu wenige, als dass sich nur mit ihnen Angsträume erklären ließen.
Verstörende Konsequenzen
Wenn sich aber die angeblich Gemeinten nicht zweifelsfrei erkennen und von anderen unterscheiden lassen und es so wenige sind, dass sie ohnehin nicht ins Gewicht fallen, wenn trotzdem suggeriert wird, Kriminalität und Angsträume ließen sich bekämpfen, in dem man die Zusammensetzung der Menschen im Stadtbild ändert, dann muss man weiter gehen. Dann ist eben doch gemeint, dass es Menschen gibt, die im Stadtbild stören, weil sie erkennbar nicht in ein Bild passen, das als ideal imaginiert wird. Jenseits aller Zumutungen, die die Äußerungen von Merz und Söder sowie der sich daran anschließenden Diskussionen mit sich bringen, ist dies zutiefst beängstigend.
Das Bild ist „ein unscharfer Begriff, der sowohl Vorstellungen (Imaginäres) und Wahrnehmungen, als auch materielle Bilder wie Gemälde, Zeichnungen oder Fotografien umfasst.“ (2) Bilder sind also immer Konstruktionen: Sie entstehen durch Entscheidungen oder unter den Voraussetzungen der Person, die Bilder erzeugt: was sie sich vorstellt, welches Medium genutzt wird, welche Reduktionen in Kauf genommen werden, bewusst oder unbewusst. Die Konstruktion hat zudem noch einen anderen Aspekt: Bilder haben, so Lambert Wiesing, eine artifizielle Präsenz: Das heißt, dass in ihnen, auch wenn sie materiell sind, etwas Abwesendes präsent wird. (3) Was in diesem Fall als Abwesendes zur Präsenz kommt, ist verstörend: eine Stadt, in der all die nicht mehr vorkommen dürfen, von denen nur angenommen werden könnte, dass sie allein aufgrund ihres Äußeren und ihres Verhaltens von Rückführung betroffen sein könnten. Ein Horrorszenario. Aber nur dann ergibt es einen Sinn, illegale Migration mit dem Stadtbild zu verknüpfen. Und deswegen wäre die Bitte um Entschuldigung genauso wichtig, wie es wichtig wäre, das gemeinte Problem präzise zu benennen, dass der Weg zu einer Lösung endlich wegführt von Stigmatisierungen. Dass all das nicht erfolgt heißt: Das konstruierte Bild ist beabsichtigt.
Ob die Mahnungen, etwa auch der Altbundeskanzlerin, die Worte sorgfältiger zu wählen, gehört werden, muss deswegen bezweifelt werden. Wäre sorgfältige und integrierende Sprachwahl das Anliegen von Merz und Söder, dann wäre es gar nicht so weit gekommen – viel zu oft schon sind beide durch den Populismus aufgefallen, der Menschen pauschal abwertet und damit nicht nur sie verunsichert.
Normalität als Normaität behandeln

2026 wird die Städtebauförderung auf 1 Miliarde Euro erhöht. Was aber, wenn die Mittel nicht abgerufen werden können, weil das Land und dei Kommunen die Komplementärfinanzierung nicht aufbringen können? (Bild: Wilfried Dechau)
Die SPD hat inzwischen reagiert, sie will mit einem 8-Punkte-Plan die Diskussion versachlichen und tatsächliche Probleme in den Städten benennen. Darüber in der Regierungskoalition zu sprechen, ist allerdings von CDU und CSU abgelehnt worden. Die Annahme dieses Angebot wäre dem Eingeständnis schwerer Fehler gleichgekommen. Denn die SPD stellt Fragen, die auf ganz andere Weise das Stadtbild betreffen: Die Frage, wie Gebäude genutzt werden, wie Mobilität gestaltet wird, wie Kommunen handlungsfähig werden oder bleiben können etwa. Explizit heißt es: „Wer Probleme im Stadtbild auf Migration reduziert, verschleiert die eigentlichen sozialen und ökonomischen Ursachen.“
Was die SPD freilich nicht tut: Migration als Normalität zu benennen. Das wäre aber wichtig. Denn weder ist es zu wünschen, noch ist es möglich, Migration in der städtischen Gesellschaft so zu isolieren, dass daraus ein auch nur annähernd realitätsnahes Bild unserer Gesellschaft gezeichnet – imaginiert – werden könnte. Auch wenn unerträglich lange geleugnet wurde, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist: Migration ist Teil dessen, was die Stadt ausmacht. Sie ist ein Ort, an dem man Fremden begegnet. In der Stadt ist Platz für andere Lebensentwürfe und -modelle. In den deutschen Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern liegt der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund bei 42,1%, bei denen bis 50.000 sind es immer noch 30,9%, etwa soviel wie in der Gesamtbevölkerung. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung liegt etwa in Köln bei 23, in München bei 33,4 und in Offenbach bei 45,8%.
Im Stadtbild sieht man das allerdings nicht, nicht in den „sichtbaren Teilen der Bauwerke und Gebäude mit Form, Werkstoff und Farbe“. Ein Befund, zu dem auch der Migrationsforscher Hein de Haas kommt. (4) Das hängt auch damit zusammen, dass Menschen mit Migrationshintergrund, mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft, keine homogene Gruppe bilden. Aber wo in Deutschland gäbe es einen öffentliche Anlage wie Superkilen in Kopenhagen, der die Vielfalt der Herkunftsländer der Bevölkerung feiert? Wo in Deutschland findet die Normalität von Migration einen repräsentativen Ausdruck? In Frankfurt wird eine „Neue Altstadt“ errichtet, die sich genau dem verweigert: anzuerkennen, dass unsere Stadtgesellschaft eine andere ist als zu der Zeit, auf die sich die Rekonstruktion und die atmosphärische Reproduktion vermeintlich originaler Stadt bezieht. In Berlin ist ein Stadtschloss rekonstruiert worden, unterstützt mit Mitteln eines Spenders, der rechtsradikale Ansichten vertritt und sich antisemitisch geäußert hat. Die Stiftung Humboldt Forum und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien nahmen dies alles hin und forderten keine Distanzierung von inakzeptablen Positionen. Auch der Antisemitismusbeauftragte des Bundes war über die Vorkommnisse informiert, ohne erkennbar tätig zu werden. (5)

Keine Frage, es gibt die Projekte, die Vielfalt unserer Gesellschaft in den Quartieren zu berücksichtigen. Aber warum ringen wir uns nicht dazu durch, dieser Vielfalt auch einen repärsentativen Ausdruck zu verleihen? (Bild: Christian Holl)
Bilder, die uns fehlen
Moscheen werden überall im Lande in Gewerbegebieten oder Hinterhöfen versteckt, die Ausnahmen muss man mit der Lupe suchen. In den Arbeitsfeldern der Nationalen Projekte der Stadtentwicklung kommt Migration in den Leitfragen zur Entwicklung der Projekte und Quartiere nicht vor. Das alles kann damit begründet werden, dass man die Ablehnung der übrigen Bevölkerung fürchtet – aber diese Ablehnung kann auch legitimiert und befeuert werden. Man könnte ihr ja auch mit kluger und empathischer Kommunikation begegnen.(6) Mit seinen Äußerungen verunsichert und stigmatisiert Friedrich Merz statt dessen Migrant:innen und Menschen mit Migrationshintergrund, stellt sie an den Pranger und fällt noch denen in den Rücken, die in den Kommunen die wertvolle Arbeit für die Integration leisten. In den Verwaltungen, in den Quartieren, in den Vereinen und Initiativen – und bei der Polizei, deren Leistung viel zu oft übersehen wird.(7) Anstatt etwa dort Bürokratie abzubauen, wo sie Menschen wirklich behindert, anstatt dass Sozialarbeit auskömmlich finanziert wird, wird weiter nach unten getreten: Es werden Bürgergeldempfänger diskreditiert, den Kommunen werden weitere Kosten auferlegt, obwohl deren finanzielle Lage vielfach ohnehin schon prekär ist. Kein Programm gegen Obdachlosigkeit (wie etwa in Finnland), Hilflosigkeit angesichts der Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt, ein untauglicher Bauturbo, keine Ideen, wie der ÖPNV verbessert werden kann. Die Integrationsarbeit wird statt dessen an Ehrenamtliche ausgelagert, die man dann im Regen stehen lässt.
Die Probleme, die es in den Städten tatsächlich gibt, hat Felix Banadzak treffend in ihrer Komplexität beschrieben. Sein Fazit: „Wir haben als Gesellschaft verlernt, mit offenem Herzen und kühlem Kopf daran zu arbeiten, dass es besser wird: Bildungserfolg für Jenny und für Yasemin, für Kemal und für Konrad. Selbstbestimmung über ihr Leben, Sicherheit vor Gewalt, ob zu Hause, in der Unterführung oder in der Hanauer Shishabar.“ Integration müsste als Arbeit der ganzen Gesellschaft eingefordert werden – und das heißt auch gerade auch von denen, denen es gut geht und die es sich leisten können, die anstrengenden Momente dieser Arbeit vom Leib zu halten. Die Reichen sind die Profiteure von Migration. Die Arbeit haben die anderen. (8) Dabei nicht zu vergessen: Integration ist kulturelle, aber vor allem soziale Integration: Chancengleicheit, Zugang zu Bildung, Wohnung, Arbeit, gerechte Lastenverteilung. In puncto Integration ist das wirksamste Mittel, den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft zu erleichtern.(9) Hier hätten Merz, Söder und der Bundesinnenminister Alexander Dobrindt ja Möglichkeiten zu handeln. Unterlässt man das, werden um so leichter Aggressionen geschürt, die irgendwann zum Ausbruch kommen. Die Lunte wird gekürzt. „Stadt ist in Europa das Zentrum der gesellschaftlichen Dynamik“, so Walter Siebel.(10) Sie ist auch der Ort, wo die gesellschaftliche Dynamik sichtbar wird. Auch in ihren problematischen und herausfordernden Schattierungen. Aber man ändert daran nichts, wenn man das Bild meint korrigieren zu müssen. Ein anderes Bild entsteht nur, wenn die Voraussetzungen geändert werden, unter denen es entsteht.
