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Die Populismus-Falle

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Grenzzäune suggerieren, hier beweise der Staat Handlungsfähigkeit. Die Wirkung ist aber nicht die, die von ihnen behauptet wird. (Bild: Bőr Benedek, WW BY-SA 2.0, via Wimimedia Commons)

Stilkritik (146) | Es sieht so aus, als bekämen wir bald eine Regierung mit einer Koalition, die vor nicht allzulanger Zeit „große“ genannt worden ist. Doch sie besteht nicht nur aus CDU/CSU und SPD: Bereits bevor die neue Regierung im Amt ist, haben die Grünen mitregiert. Stichwort Schuldenbremse und Sondervermögen: Baldkanzler Merz hat das Gegenteil dessen getan, was er vor der Wahl versprochen hat. Bei anderen Themen werden wir nicht so viel Glück haben.

Stellen Sie sich vor, Sie würden in der Zeitung in einem Text über die Wohnungsproblematik folgenden Satz lesen: „Sobald junge Menschen ihr Abitur gemacht haben, ziehen die meisten von ihnen zum Studieren in die Städte und konkurrieren dort mit Geringverdienern und Bürgergeldempfängern um bezahlbaren Wohnraum.“ Sie würden vermutlich denken, dass das ja ein normaler Prozess ist und der Wohnungsmarkt demnach grundsätzliche Defizite aufweist, wenn die Menschen, die nun gerne ein Studium beginnen wollen, die Leidtragenden sind. Und dass man diese Defizite beheben muss, weil junge Menschen für die Zukunft unseres Landes wichtig sind. Und dass man Studierende nicht gegen Geringverdienende ausspielen darf. So in der Art.

Falsche Unterscheidungen

Nur leider stand dieser Satz nicht so in der Zeitung. Statt von jungen Menschen war von Migrant:innen die Rede. Sie würden in die Städte ziehen, sobald sie die Erstaufnahme verlassen.(1) Und es war davon die Rede, dass die Ablehnung der Migrant:innen mit dem Wohnungsproblem verknüpft sei. Man liest so etwas öfter. Man liest dann etwa, dass Menschen, die täglich arbeiten und ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten, etwa als Busfahrer oder Krankenschwester, dann das Gefühl hätten, sie würden gegenüber Geflüchteten benachteiligt.(2) Das ist nicht nur deswegen eine schräge Behauptung, weil hier, wie sonst auch ziemlich oft, Migrant:innen und Geflüchtete synonym gesetzt werden. Die allermeisten Menschen kommen nämlich ganz legal hier her, um die Arbeit zu tun, die getan werden muss, vielleicht studieren sie auch, auf jeden Fall, leisten sie heute oder zukünftig genauso wie andere ihren Beitrag für die Gesellschaft. Auch Geflüchtete tun das oft irgendwann, und die meisten würden gerne früher arbeiten, als man sie lässt. Die Behauptung, „die Migranten“ treten auf dem Wohnungsmarkt in Konkurrenz zu „Krankenschwestern und Busfahrern“ ist also auch deswegen schräg, weil viele der Krankenschwestern und Busfahrer Migrant:innen sind oder einen Migrationshintergrund haben. Hier werden also falsche Grenzen gezogen. Als würde man sagen, Ärzte fänden weniger Parkplätze, weil sie von Vegetariern belegt werden.

Aber so werden bei uns die Diskussionen über Migration leider geführt: Als sei es ein isolierbares Thema, das mit anderen nicht verwoben wäre. Als sei Migration eben vor allem ein Problem. Im Falle des Wohnungsmarkts ist es genauso. Wir haben nicht zu wenig bezahlbaren Wohnraum, weil Migrant:innen auch Wohnraum brauchen. Wir haben in den letzten Jahren  durchweg mehr Wohnungen gebaut, als die Bevölkerungszahl gestiegen ist. Von 2010 bis 2021 ist der Bestand an Wohnungen je 1000 Einwohnenden von 495 auf 518 gestiegen.(3) Migrant:innen und Menschen mit Migrationshintergrund wohnen auf deutlich kleinerer Fläche als Menschen ohne Migrationshintergrund.(4) Das zeigt, dass das Problem des Wohnraums auf anderer, struktureller Ebene zu suchen ist. Die Anzahl der Sozialwohnungen sinkt beispielsweise rapide, weil mehr Wohnungen aus der Sozialbindung fallen als neue hinzukommen. Es ist also perfide zu suggerieren, und sei noch so unterschwellig, Migrant:innen wären ein Problem. Wir brauchen die Migrant:innen. Sie können nichts für die Fehler, die auf dem Wohnungsmarkt gemacht worden sind. Genausowenig wie alle anderen auch.


Das Sondierungspapier


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Aus der Kampagne „Stell dir vor…“ des Blogs Volksverpetzer. Die Quellen zum Plakat sind hier zu finden >>> (Bild: © Volksverpetzer)

Das Thema Migration nimmt auf den elf Seiten des Sondierungspapiers zwischen CDU/CSU und SPD fast zwei Seiten oder 58 Zeilen ein; das Thema des Wohnungsbaus hingegen einen Absatz oder magere zehn Zeilen. Es steht irgendwo bei den „weiteren ausgewählten Vorhaben“, sprich, bei „Verschiedenes“ – und zwar unter der Überschrift „Bauwirtschaft ankurbeln“.(5) Wie soll denn die Bauwirtschaft angekurbelt werden, wie sollten wir mit dem auch auf dem Bau absehbar zunehmenden Fachkräftemangel umgehen, wenn wir dabei nicht substanziell auf Migrant:innen setzen? Warum sollten sich Fachkräfte für Deutschland entscheiden, wenn ihnen hier grundlegendes Misstrauen entgegenschlägt? Es ist kaum auszumachen, wieviel Schaden die vielen scheinheiligen, verqueren, aggressiven, naiven und hinterhältigen Diskussionen über Migration angerichtet haben, mit denen Menschen pauschal für etwas verurteilt wurden, was sie nicht verschuldet haben. Es dürfte ein ziemlich großer Schaden sein, der so schnell nicht wieder gutzumachen ist.

Das letztlich wirklich Schlimme an der ganzen Diskussion ist aber nochmal ein anderes. Menschen wollen in der Gesellschaft respektiert werden. So wie sie sind. Sie wollen es nicht, obwohl sie Migrant:innen sind, aber eigentlich auch nicht, weil sie Migrant:innen sind. Ob sie Migrant:innen sind oder nicht, darf einfach keine Rolle spielen, wenn der Respekt echt und ehrlich sein soll. Sie dürfen nicht diskriminiert werden, genauso wenig wie auch sonst niemand diskriminiert werden darf. Nicht in der Schule, nicht auf dem Arbeitsmarkt, nicht bei der Wohnungssuche. Nirgends. Indem wir viel zu oft Probleme, die wir haben, mit Migration verknüpfen, erzeugen wir erst das Problem, das man dann mit aufwendiger Rhetorik oder viel Geld oder beidem zu lösen vorgibt. Gelöst wird damit aber ziemlich wenig – und Rechtsextreme werden gestärkt.

Migration ist immer

Mobilität ist nicht die Mutter aller Probleme, Nahrungsbedarf ist es auch nicht. Genauso bodenloser Unsinn ist es, zu behaupten, Migration sei Mutter aller Probleme. Migration ist immer. Sie zu einem Makel zu machen, bringt mehr Schaden als Nutzen. Man verhindert durch härtere Einreisebedingungen etwa, dass Menschen in ihr Herkunftsland zurückkehren, weil sie fürchten, nicht wieder einreisen zu können. Menschen investieren dann umso mehr in die Bemühungen, ihre Familien nachzuholen. Man macht mit einer restriktiveren Politik Migration gefährlicher und teuer. Man erzeugt Leid. Migration wird man damit nicht verhindern, wie der Migrationsexperte Hein de Haas überzeugend darlegt.(6) Was de Haas genauso überzeugend darlegt: dass es wenig Interesse gibt, Migration zu verhindern, denn sie nutzt der Wirtschaft, und viele profitieren von ihr. Vor allem die, die ohnehin gut verdienen. Und die Anbieter von Sicherheitstechnik. 2012 hatte europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex ein Budget 85 Millionen Euro. 2024 war es mehr als das zehnfache, 2025 soll es 1,12 Milliarden sein.(7) Mit Abschottungspolitik verdrängen wir die Probleme, die es mit Migration tatsächlich gibt, in die wir investieren sollten. In die Ausstattung der Behörden, in Spracherwerb, Bildungspolitik, Arbeitsmarktintegration zum Beispiel.

Das ist der eigentliche Erfolg von AfD und Co: dass wir, ohne dass es noch eines krakeelenden Rechtsradikalen bedarf, mit Migration verknüpfen, was nichts mit ihr zu tun hat – und sei es, um den Zusammenhang zu widerlegen. Es ist ein Erfolg der AfD, wenn immer betonen müssen, dass die Kriminalität in den letzten Jahren gesunken ist, auch wenn die Migration zunahm. Der Zusammenhang ist dann schon in den Köpfen. Wahrscheinlich wurde wegen der inzwischen reflexhaften Problematisierung von Migration über das Attentat von Mannheim nur halb so viel berichtet wie über den von Magdeburg.(8) Der Diskurs ist verschoben, und das ist schlecht so. Wir sprechen nicht über die mehr als 25.000 rechtsextreme Straftaten von 2023.(9) Nicht über die Steuerhinterziehung, die einen Schaden von um die 100 Milliarden je Jahr verursacht.(10) Wir sind den Populisten in die Falle gegangen. Und tun es weiter, solange wir Probleme nicht auf ihre strukturellen Zusammenhänge untersuchen, sie nicht dort behandeln, wo sie entstehen. Auf dem Wohnungsmarkt zum Beispiel. Es ist eigentlich das, was man von einer Regierung erwartet. Was das angeht, ist der Start der noch nicht einmal amtierenden Regierungskoalition schon gründlich daneben gegangen.


(1): Judith Lembke: Fatales Schweigen zur Wohnungsfrage. FAZ, 15. 2. 2025 >>>
(2) Reiner Burger, Rüdiger Solt: Strukturelle Überforderung. FAZ, 1. 2. 2025 >>>
(3)https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Wohnen/Publikationen/Downloads-Wohnen/fortschreibung-wohnungsbestand-pdf-5312301.pdf?__blob=publicationFile
(4) https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/bevoelkerung-migstatus-typ-wohnflaeche.html
(5) https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Sonstiges/20250308_Sondierungspapier_CDU_CSU_SPD.pdf
(6) Hein de Haas: Migration. Frankfurt am Main 2023. Das Buch ist zur vertiefenden Lektüre wärmstens empfohlen. Unter anderem zeigt de Haas, dass Einwanderung nur gesenkt (aber nicht verhindert) werden kann, wenn wir unser bisheriges Wirtschaftssystem ändern.
(7) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1172183/umfrage/budget-der-europaeischen-agentur-fuer-die-grenz-und-kuestenwache-frontex/
(8) https://www.fr.de/panorama/analyse-medieninteresse-nach-mannheim-halb-so-gross-wie-nach-magdeburg-und-muenchen-zr-93613823.html
(9) https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/rechtsextremismus/zahlen-und-fakten/zahlen-und-fakten_node.html#doc679030bodyText2
(10) https://www.boeckler.de/de/magazin-mitbestimmung-2744-steuerhinterziehung-kostet-100-milliarden-5391.htm