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Das Schweigen im Lande

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Eigentlich müsste man inzwischen täglich demonstrieren. (Bild: Wikimedia Commons, Leonhard Lenz, CC BY-SA 1.0)

Die Sprach- und Ratlosigkeit nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen hält an. Am Ergebnis haben aber auch die mitgewirkt, die sich selbst als bürgerlich bezeichnen, ein kommunaler Spitzenverband spielt das üble Spiel inzwischen mit. Die, die sich für Integration und ein friedliches Zusammenleben engagieren, lässt man im Regen stehen. Die, für die sie sich engagieren, auch. Ein Trauerspiel.

Politik beginne oft am Gartenzaun, da, wo direkte Begegnungen stattfinden, so wird bei Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser in „Triggerpunkte“ festgestellt. Das Buch – jedem empfohlen, der Interesse an differenzierten Diskussionen hat – beleuchtet, ob die so oft beschworene These der zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft stimmt. Spoiler: Sie stimmt nicht. Aber das heißt nicht, dass es keine Konflikte geben. Es ist eben nicht so einfach. Aber zurück zum Gartenzaun. Im Buch heißt es dazu weiter: „Aber natürlich wird das, was die Leute – ob am Gartenzaun oder anderswo – denken und meinen, im Raum des Politischen in den seltensten Fällen eins zu eins abgebildet. Es durchläuft vielmehr Vorgänge der Filterung, der Relevanzsetzung und der gezielten Bewirtschaftung. (…) Der ‚Volkswille‘ wird nicht einfach gespiegelt, sondern gemäß der Eigenlogik des politischen Betriebs geformt – oder gar erzeugt.“ (1)

Wie der sogenannte Volkswille gezielt bewirtschaftet, geformt und erzeugt wird, konnten wir in den letzten Wochen beobachten. Freude hat das nicht bereitet. Freude hat es vor allem deswegen nicht bereitet, weil sich offensichtlich keine:r der Politiker:innen, die sicher sein können, in Nachrichten zitiert zu werden, es für nötig hielt, all die Menschen zu verteidigen und sich auf die Seite derer zu stellen, die mit angeklagt werden, wenn etwa Friedrich Merz fordert, keine Menschen mehr aus Syrien oder Afghanistan mehr aufzunehmen. Es ist ausreichend oft darauf hingewiesen worden, dass dieser Vorschlag dem Grundgesetz, der Genfer Flüchtlings- und der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht. Menschen aus Syrien und Afghanistan stellt Merz unter Generalverdacht. Auch andere Einlassungen der letzten Tage sind keine Hilfe, sondern blinder Populismus. Wenig vom Vorgeschlagenen lässt sich leicht umsetzen, wenn überhaupt, und das Meiste davon suggeriert eine prinzipielle Bedrohung durch Asylbewerbende. So wird der Volkswille am Gartenzaun erzeugt und bewirtschaftet. Es wird behauptet, einer Bedrohungslage gerecht werden zu wollen, die man damit erst konstruiert. Man bestätigt so nur Vorurteile, Ressentiments, stärkt den rechten Rand und das Misstrauen in demokratische Grundlagen.

Wir können das

Es ist abzusehen, dass die Wirkungen nicht eintreten, die damit versprochen werden. Zum einen, weil viele Vorschläge an der praktischen Realität vorbeigehen. Und, weil so manches davon auch jetzt schon nicht geholfen hat. In Solingen galt ein Messerverbot, die Wirkung von Verbotszonen ist überschaubar. Zum anderen aber, weil der Frage nach Ursachen und einem Umgang mit den Problemen, die bestehen, aus dem Weg gegangen wird. Womit wir auf der Ebene der Kommunen angekommen sind. In der Wochenzeitung Kontext wird eine Studie aus Hildesheim zitiert, die zum Ergebnis kommt, dass die Kommunen nur zu knapp 23 Prozent an der oft zitierten Belastungsgrenze angekommen sind – bei 71 Prozent heißt es, die Aufgabe, Geflüchtete eine Unterkunft zu besorgen, sei „herausfordernd, aber (noch) machbar“, in knapp 6 Prozent der Kommunen werden Geflüchteten „ohne größere Schwierigkeiten“ untergebracht. Interessant dabei, dass die Ergebnisse deutlich zwischen Ost und West differieren. In Ostdeutschland geben 21,5 Prozent „ohne größere Schwierigkeiten“ an, im Westen 2,8. Überlastet sehen sich Kommunen im Osten zu 7,7, im Westen zu 25,9 Prozent an. (2) Man sollte diese Ergebnisse nicht verharmlosen, aber, dass der Regierung das Land „entglitten“ sei, wie es Merz darstellte, lässt sich nicht behaupten.

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Die Kommunen schätzen die Lage in Sachen Geflüchtetenunterbringung besser ein als 2023 – und lange nicht so dramatisch, wie es oft öffentlich behauptet wird. (Bild: Christian Holl)

Vor allem deswegen nicht, weil in den Kommunen die Lage im Oktober 2023 noch deutlich negativer gesehen wurde. Die Einschätzung hat sich deutlich gebessert, weil die Zahl der Asylsuchenden zurückgegangen sei, aber auch, weil Unterbringungskapazitäten ausgebaut wurden, weil man sich strategisch anders aufgestellt habe. Man kann es auch so sagen: Weil hier Menschen gute Arbeit geleistet haben. „Wir sind am Anschlag, aber wir können das“ zitierte Hannes Schammann, Leiter des Instituts, an dem die Studie erstellt wurde, Reaktionen aus der Verwaltung 2022. Wir sind am Anschlag, aber wir können das. Stolz und ein Selbstverständnis, dass die Arbeit getan werden muss und dass sie sinnvoll ist, lässt sich darin lesen. Wie wertvoll die Menschen sind, die so mit der Migrationsfrage umgehen, lässt sich kaum überschätzen. Sie zu würdigen wäre gerade nach Solingen ein Statement gewesen.

Herr Merz, es reicht

So wie es ein Statement gewesen wäre, die zu würdigen, die sich auch sonst für Geflüchtete und für Integration einsetzen. Die dafür einstehen, dass das Zusammenleben in den Städten und Ortschaften gelingt. Die „Bunte Tafeln“ organisieren, die ehrenamtlich Geflüchtete begleiten, die Sprachkurse durchführen, und und und. All die, die dafür sorgen, dass Solingen eine Ausnahme ist. Die dafür sorgen, dass sich Menschen nicht zurückgesetzt fühlen müssen, weil sie zufällig aus dem gleichen Land wie ein Straftäter kommen. Statt eines unterstützenden Statements werden auch diese Menschen und deren Arbeit in den Schatten gestellt. Sie aber sind die, die die Präventionsarbeit leisten, die uns allen zugute kommt. Sie brauchen nicht nur Würdigung. Sie brauchen oftmals auch konkrete Unterstützung. Personal, Räume, bürokratische Erleichterungen.

Aber es kommt schlimmer. Der Deutsche Landkreistag, einer der wichtigen kommunalen Spitzenverbände neben Deutschem Städtetag und dem Städte- und Gemeindebund, hat ein Forderungspapier vorgelegt, das schaudern lässt. Darin wird unter anderem gefordert, generell nach Syrien und Afghanistan abzuschieben, weil auch in Afghanistan drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban „vergleichsweise stabile Verhältnisse“ herrschten; dass das Auswärtige Amt die Sicherheitslage in Afghanistan als schlecht einstuft, ficht den Landkreistag nicht an. Leistungen an Schutzsuchende sollten gekürzt, der Familiennachzug ausgesetzt werden, erteilte Anerkennungen widerrufen werden, wenn sich die Sicherheitslage in den Herkunftsländern bessert. Die Integration von Geflüchteten wird mit keinem dieser Vorschläge gefördert, folgerichtig ist im gesamten Papier kein Vorschlag zu finden, der darauf zielt, es Geflüchteten leichter zu machen, hier anzukommen und Teil unserer Gesellschaft zu werden. Nicht ein einziger. (3) Dabei brauchen wir Migration, Anerkennungskultur und Integration, bekanntermaßen auch aus wirtschaftlichen Gründen, weil so vieles, auch das Gesundheitssystem, ohne die Migrant:innen der letzten Jahre schon nicht mehr funktionieren könnte. Das sollten doch die wissen, die für sich in Anspruch nehmen, von Wirtschaft Ahnung zu haben. Etwa Friedrich Merz. Das hätte ich mir auch gewünscht. Dass sich von den Wortführer:innen aus der Wirtschaftswelt eine:r gemeldet und gesagt hätte: Es reicht, sehr geehrte Damen und Herren des Deutschen Landkreistag; Herr Merz, es reicht.


(1) Steffen Mau, Thomas Lux, Linus Westheuser: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin 2023, S. 351
(2) Die Studie ist im Internet zu finden >>>
(3) Nachtrag am 9. September: Und es wird nicht besser. Nun bietet auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund mit und fordert eine »Task Force Abschiebungen«. Warum keine Task Force Integration?