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Stilkritik (122) | Über die beschämend unprofessionellen, schlechten Fotografien der Architekturhistorikerin Turit Fröbe berichteten wir – siehe Seitenspalte. Dass Baussubstanz zu erhalten statt abzureißen inzwischen zur ökologischen und energetischen Pflicht gehört, ficht die Historikerin offenbar nicht an. Architektur zu kritisieren ist in pluralistischen Kulturbereichen nunmal kompliziert. Wenn die Argumente ausgehen, passiert es leider allzuoft, am (Nach-)Denken vorbei auf Stimmungen setzen – wie beim Abreißkalender. Was offenbart sich nun in alltäglichem Wahrnehmen ihrer „Bausünden“?
oben: Die Diskussion um Abriss und Graue Energie und Ressourcen schonendes Bauen scheint an Turit Fröbe verbei gegangen zu sein.

Da schenken einem die Kinder zu Weihnachten einen Abreißkalender. 365 Blätter. Jeder Tag beginnt nun für uns mit einer merkbaren Erinnerung an das aktuelle Datum. Aber – da freut sich der architekturbeflissene Schreiber – der Begriff Abreißen wird hier als Flachwitz verwendet. Bei den täglich abgebildeten Häusern handelt es sich um gebaute Homunculi, die man tatsächlich abreißen sollte. Oder nicht? Oder mit den Worten der Autorin: um Bausünden. Woher weiß sie, was eine Bau-, und was eine Abreiß-Sünde ist?

Turit Fröbe, promovierte Architekturhistorikerin und Urbanistin, füllt damit seit Jahren Fernsehmagazine und Sachbücher. Und deshalb darf sie auch keine eindeutige Position beziehen. Sie deutelt: „Eine gute Bausünde hat einen sehr starken Wiedererkennungswert, hat Mut, greift daneben und sprengt den Kontext.“ In der neuen Ausgabe von „Häuser des Jahres“ bekennt sie gar, dass sie „in Ermangelung guter Architektur in den Siedlungen […] die ,hässlichen Entlein’, die aus der Reihe tanzen, weil sie extravagant gestaltet, überformt oder dekoriert wurden […], schätzen gelernt“ hat. Sie leisteten das, was Architektinnen und Architekten mit ihren akademischen Totgeburten offenbar nicht schafften, nämlich „die Spazierengehenden zu unterhalten“. Nun gut, lassen wir Turit Fröbe ihr Vergnügen beim Rumlaufen, vielleicht weicht sie demnächst noch auf Prêt-à-porter und Speiselokale aus. Auch da kann man viel über Unbekömmliches lachen.

Erst als Schmierzettel verwenden, bevor's ins Altpapier kommt. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Erst als Schmierzettel verwenden, bevor’s ins Altpapier kommt. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Albernheiten

Zum Abreißkalender 2023. Nach vier Wochen Abreißen wird man neugierig, ob das immer so weitergeht und schielt schon mal auf die kommenden Blätter. Aha, Schottergärten, Gabionen und bemalte Mülltonnen sind dankbare Motive. Aber da gibt es nichts abzureißen, und unterhaltsam ist das wohl nur, wenn man aus dem Großraum Gütersloh stammt. Bleiben einige Albernheiten, über die wir unsere Häme ausgießen könnten. Ja, und? Bei anderen Gebäuden wurde bereits abgerissen und ungeschickt bis nachlässig eine Modernisierung oder Funktionsänderung vorgenommen. Aber deshalb handelt es sich dabei nicht um wünschenswerten künftigen Bauschutt.

Weg damit? Aus dem Abreißkalender

Weg damit? Aus dem Abreißkalender

Brauchbare Kehr- und Rückseiten

Ganz prinzipiell: Das Thema Abreißen datiert in einer anderen Epoche. Mit ihrem unhörbaren Gekicher über geschmacklose Häuser befindet sich die Autorin auf dem Niveau chauvinistischer Büttenreden. Damit liegt man inzwischen völlig daneben. Nur zur Erinnerung: Vor vier Jahren hat der BDA ein Positionspapier formuliert, in dem die „Achtung des Bestands“ gefordert wird. Darin heißt es: „Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen. Priorität kommt dem Erhalt und dem materiellen wie konstruktiven Weiterbauen des Bestehenden zu und nicht dessen leichtfertigem Abriss. Die ,graue Energie’, die vom Material über den Transport bis zur Konstruktion in Bestandsgebäuden steckt, wird ein wichtiger Maßstab zur energetischen Bewertung sowohl im Planungsprozess als auch in den gesetzlichen Regularien. Wir brauchen eine neue Kultur des Pflegens und Reparierens.“
Das verheißt nicht umgehend närrische Unterhaltung, hat aber nach der Fastnacht auch noch Gültigkeit.
Aber was machen wir jetzt mit dem Abreißkalender? Jedes Blatt hat eine unbedruckte weiße Rückseite. Kann man prima als Notizzettel verwenden. Ein ganzes Jahr lang, 365 mal.

Nun reißen wir bereits ein Vierteljahr diesen Kalender ab. Und sind ihn sooo leid, weil die Beispiele einfach daneben liegen. Wir fragen uns auch, was wohl die Bewohner (Mieter, Eigentümer) fühlen würden, wenn sie ihr Haus, ihren Garten in dieser Sammlung entdeckten? Bedeutet der Vorschlag Abreißen, die Autorin empfiehlt den Dienstweg einzuschlagen, also eine Verpflichtungsklage zu eröffnen? Oder steckt dahinter gar die Aufforderung zur Gewaltanwendung: Sollen die vom Anblick des Bauwerks gepeinigten Nachbarn mit Hacken, Brechstangen und Vorschlaghämmern anrücken und das Übel handgreiflich beseitigen?

Nun, die Autorin wird an unseren Sinn für Humor appellieren, das sei doch alles ironisch gemeint. Aber nach einem Blatt hatten wir den Witz schon verstanden. Seither ärgern wir uns jeden Morgen – und diskutieren, wie man die gezeigte Bausünde wieder gut machen könnte. Ohne Abriss!