• Über Marlowes
  • Kontakt
Bild: Christian Holl
Das Einfamilienhaus wird bis heute in den Architektur- und Städtebaudiskursen wie ein Randthema behandelt. Das wird aber allein schon der schieren Quantität dieses Haustyps nicht gerecht. Schon wegen der enormen Menge der Einfamilienhäuser nimmt die Frage, wie wir mit diesem Bestand umgehen, eine Schlüsselrolle in der Diskussion darüber ein, wie wir uns eine lebenswerte Zukunft sichern wollen. In einem Positionspapier rufen Thomas Auer und Andreas Hild, beide Professoren an der TU München, dazu auf, das Potenzial dieses Bestands endlich zu nutzen. red.

Die politischen Ziele, die mit dem Gebäudesektor in Verbindung stehen sind gewaltig. Die Bundesregierung hat sie wie folgt formuliert:

  • 400.000 neue Wohneinheiten pro Jahr
  • Schaffung von bezahlbarem Wohnraum
  • Halbierung der CO2-Emissionen des Gebäudesektors bis 2030; hierfür soll die Hälfte des Gebäudebestands Effizienzhaus 55 saniert werden
  • Reduzierung der neu erschlossenen Siedlungs- und Verkehrsfläche von derzeit  55 auf 20 ha
  • 6 Mio. Wärmepumpen bis 2030

Politiker müssen sich ambitionierte Ziele stecken. In diesem Fall ist allerdings jedes einzelne Ziel zu erreichen eine Herkulesaufgabe – in Summe wirkt es illusorisch, sie alle einzulösen. Die Zahl der erforderlichen neuen Wohneinheiten lässt sich aus dem Bedarf ableiten. Dieser Bedarf resultiert zwar zum Teil aus einem Flächenzuwachs pro Person – in den letzten 60 Jahren hat sich der Flächenbedarf pro Person nahezu verdoppelt. Zuwanderung verschärft die Situation zusätzlich.

Auch die Allokation der Flächen ist problematisch; durch eine ungeschickte Strukturpolitik entstanden viele Wohnungsflächen an ungeeigneten Standorten. Das ist nicht einfach zu ändern, auch wenn Homeoffice hier durchaus Möglichkeiten bietet – wenn auch mit den bekannten Problemen: Es kann nur für eine bestimmte Arbeit genutzt werden, wird weitere Infrastruktur notwendig machen und nicht zuletzt durch Rebound-Effekte weiteren Verkehr induzieren.

Den verengten Blick weiten

Die Diskussion fokussierte sich bislang fast ausschließlich auf den urbanen Kontext; im Idealfall sollte der Zuwachs durch Nachverdichtung aufgefangen werden. Die dafür notwendigen Prozesse sind allerdings viel zu langsam. Die Kostenexplosion am Bau und die Zinssteigerung haben dazu geführt, dass der Wohnungsbau einbricht, womit sich die Situation dramatisch verschärft. Öffentliche Wohnbaugesellschaften berichten, dass sie Wohnraum wesentlich unter 20 €/m² Mietpreis nicht mehr schaffen können. Bezahlbarer Wohnraum kann nur mit Subventionen der öffentlichen Hand in Milliarenhöhe entstehen.

Und auch die Hemmnisse für eine energetische Sanierung sind vielfältig. Kosten und Fachkräftemangel sind zwei Gründe, die man benennen kann. Es gibt aber auch erhebliche strukturelle Hindernisse. Etwa die Hälfte der etwa 45 Mio. Wohneinheiten in Deutschland findet man im Geschosswohnungsbau, davon etwa zwei Drittel sind in privatem Eigentum; die meisten in Wohneigentumgemeinschaften (WEG). Diese können sich häufig nicht einmal auf kleinere Reparaturarbeiten einigen. Das verbleibende Drittel wird meist mit kommunalen Subventionen – sofern die Kommunen sich das leisten können – energetisch saniert.

Die andere Hälfte der Wohneinheiten – die Ein- und Zweifamilienhäuser – finden allerdings wenig Beachtung. Die Datenlage des Bestands ist unübersichtlich und noch schlimmer als bei anderen Gebäudetypen. Dabei ist gerade diese Hälfte entscheidend, denn

  • Einfamilienhäuser (mit ein oder zwei Wohneinheiten) verursachen einen hohen Anteil an den CO2-Emissionen des Gebäudesektors;
  • Einfamilienhäuser sind häufig untergenutzt und nur von einer oder zwei Personen bewohnt;
    die dazugehörigen Gärten sind häufig keine wertvollen ökologischen Flächen;
  • seit Corona hat der Wunsch nach dem Eigenheim wieder zugenommen;
  • Einfamilienhäuser sind in Fachwelt von Architektur und Stadtplanung verpönt – auch das könnte ein Grund sein, weswegen sich kaum jemand fundiert mit ihnen befasst;
  • in der Politik ist das Eigenheim zwar umstritten; der Neubau wird aber nach wie vor subventioniert; das Einfamilienhaus ist die Gegenthese zur Mietskaserne und als Demokratisierung des Bürgertums erst relativ spät populär geworden (die Villa für jeden); möglich wurde seine Popularität und Verbreitung erst durch individuelle Automobilität.

Einfamilienhäuser  haben einen enormen Flächenüberschuss mit einem hohen Maß an zugehöriger Infrastruktur.  Laut einer Studie von Anderson sind die CO2-Emissionen je Person für Wohnen und Mobilität (einschließlich der dafür erforderlichen grauen Emissionen) im ländlichen Raum etwa doppelt so hoch wie in der Stadt. Das liegt vor allem daran, dass sowohl die Gebäude als auch die Infrastruktur untergenutzt ist.

Die Lösung der Probleme liegt auf der Hand: Man muss die Einfamilienhäuser und die Einfamilienhausgebiete nachverdichten. Es stecken so viel graue Energie und Ressourcen im Bestand der Eigenheime und der dazugehörigen Infrastruktur, dass man diese zwangsläufig als das große Potenzial betrachten muss. Anders ausgedrückt: Wir können es uns nicht mehr leisten, diesen enormen Schatz unangetastet zu lassen.

Die Frage nach dem Wie ist schwieriger zu beantworten als die Frage des Wieso. Eine Sanierungspflicht würde sicherlich viel verändern. Dies führt zwangsläufig zu sozialen Härten, die weit in den Mittelstand reichen würden. In zahlreichen Regionen Deutschlands übersteigen die Sanierungskosten den Wert der Immobilien. Eine Sanierung ist häufig nur in Kombination mit einem Flächenzuwachs wirtschaftlich. Genau darin besteht die Chance.

2313_SL_ch_EFH_2 Kopie

Bild: Christian Holl

Fragen an die Wissenschaft

Es braucht eine wissenschaftliche Potenzialstudie und eine immobilienwirtschaftliche Betrachtung. Eine Modernisierung muss wirtschaftlich sein. Das ist bei Einfamilienhäusern zunächst nicht zu erwarten. Erst wenn es um eine relevante Flächenerweiterung geht und man dadurch die Baukosten „gegenrechnen“ kann, wird eine Rentabilität und damit eine Machbarkeit gewährleistet. Das heißt, die Einfamilienhausgebiete müssen mehr Wohneinheiten aufnehmen können als sie es heute tun. Dies kann durch Erweiterung und Verdichtung gelingen; die zusätzliche Versiegelung ist gegenüber dem Neubau deutlich geringer.

Es steht außer Frage, dass das Potenzial einer Nachverdichtung des Bestands der Einfamilienhäuser enorm ist. Gleichzeitig ist die Datenlage unzureichend, und es stellen sich viele Fragen, die wissenschaftlich zu beantworten sind:

  • Einfamilienhäuser müssen stärker in die Überlegungen zur Klimaneutralität des Immobiliensektors mit einbezogen werden. Die Förderung einer Wärmepumpe und eines Wärmedämmverbundsystems ist zu kurz gesprungen, da das weitaus größere Potenzial und die Synergie durch Nachverdichtung ungenutzt bleiben.
  • Wie kann eine Förderlogik aussehen, die die richtigen Anreize setzt, um eine systematische Unternutzung der Einfamilienhäuser zu reduzieren?
  • Ein großes Hemmnis sind bestehende Bebauungspläne, die eine Nachverdichtung nicht zulassen; welche Mechanismen sind erforderlich, damit die Kommunen agil reagieren können?
  • Kann man Einfamilienhäuser typologisch ordnen und so die Erweiterungsmöglichkeiten – kombiniert mit einer energetischen Ertüchtigung – bewerten?
  • Daraus müssten Maßnahmenpakete abgeleitet werden, die mehr Wohneinheiten in Einfamilienhaus-Quartieren ermöglichen. Ein Leitfaden könnte den Besitzern als Werkzeug für die Entscheidungsfindung dienen.
  • Besonders interessant sind Einfamilienhaus–Gebiete im Umland der Metropolen. Ein Vergleich sowohl der CO2-Emissionen als auch der Gesamtkosten einer Nachverdichtung gegenüber der geplanten Entwicklung der kommenden Jahre sollte den politischen Diskurs unterfüttern.
  • Wie kann der demografischen Entwicklung mit einer Strategie der Verdichtung begegnet werden?
  • Ist eine solche Strategie auf den ländlichen Raum übertragbar, und wie verhält es sich mit schrumpfenden Regionen?
  • Auch eine Nachverdichtung der Einfamilienhausgebiete wird zu mehr Verkehr führen. Wie könnten neue Mobilitätskonzepte aussehen, und ab welcher Personendichte sind alternative Konzepte umsetzbar?

Fazit

Eine kurzfristige Umsetzung aller, sich teilweise widersprechenden Ziele der Bundesregierung ist nur dann möglich, wenn man das enorme Potenzial der etwa 16 Mio. Einfamilienhäuser besser nutzt. Der ökologische, soziale und ökonomische Wert der bestehenden Häuser muss dringend – auch in die Zukunft blickend – für die Besitzer als auch für die Gesellschaft gesichert werden. Hausbesitzer und Kommunen müssen durch zielgerichtete Förderung und zielgerichtete Deregulierung in die Lage versetzt werden, dieses enorme Potenzial zu heben. Anstelle einer Drohung mit Sanierungszwang oder einem Verbot fossiler Energieträger sollte der Staat Anreize schaffen, die Eigentümer dazu motivieren, Wohneinheiten zu ergänzen und dabei im Idealfall den eigenen Wohnraum zu verkleinern. Die energetische Ertüchtigung wird dabei zum Nebenprodukt. Unterschiedlichste Anreizmodelle sind denkbar. Das Leben im Einfamilienhaus ist (noch?), verglichen mit dem verdichteten Geschosswohnungsbau, weit weniger nachhaltig. Diese Tatsache wird von Politiker:innen zurückhaltend formuliert; leben doch in 16 Mio. Einfamilienhäusern fast die Hälfte der Wähler. Gleichzeitig könnte das Potenzial des Bestands an Einfamilienhäusern tatsächlich viele Probleme lösen.

Schöne Lagen, unter Wert genutzt (Bild: Ursula Baus)

Schöne Lagen, unter Wert genutzt (Bild: Ursula Baus)


Hinweis: Ab dem 30. 3. ist bei Arte die Dokumentation „Trautes Heim, Glück allein. Das Einfamilienhaus“ zu sehen. 
Der BDA sucht vorbildliche Beispiele zu Umbau und Umnutzung in Einfamilienhausgebieten
Weitere Information >>>

Anmerkung: In den Statistiken und der Literatur werden in der Regel Ein- und Zweifamilienhäuser zusammengefasst, da viele dieser Häuser über eine Einliegerwohnung verfügen. Erfasst werden damit aber darüberhinaus alle Gebäude mit zwei Wohneinheiten auf einer Parzelle. Auch in diesem Text ist mit dem Einfamilienhaus diese Kategorie gemeint.