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Arno Lederer (1947-2023)

Arno Lederer (Bild: Gabriele Neeb)

Architekt und Intellektueller: Diese Kombination sucht man unter Architekten wie eine Nadel im Heuhaufen. Mit Arno Lederer verstarb eine liebenswürdige Persönlichkeit, welche die Architekturentwicklungen der letzten Jahrzehnte mit einzigartigen Bauten, mit engagierter Lehre, mit originellen Vorträgen und tiefgründigen Essays beeinflusste.

Arno Lederer (Foto: Gabriela Neeb)

Ach, Arno

Vor einigen Jahren saß ich neben Arno Lederer bei einem Architekturquartett auf dem Podium. Was mich etwas irritierte: sein weißes Hemd, das unter dem Sacco herausschaute. Es hatte einen abgestoßenen Kragen und ausgefranste Manschetten. Die Wirkung war sicher unbeabsichtigt, demonstrierte aber seine Haltung, ohne Eitelkeit und Getue über Architekturkonzepte zu diskutieren. Das konnte er beneidenswert gut. Sein ungenierter Aufzug blieb mir in guter Erinnerung, er wird bei uns ironisch zur Beurteilung strapazierter Garderobe verwendet: Ist das schon ein Lederer-Hemd? Ich glaube, er würde es mögen, dass wir so oft albernd an ihn denken. Arno Lederer ist am 21. Januar gestorben.

Das erste Mal habe ich ihn in den frühen achtziger Jahren getroffen, es ging um die Veröffentlichung eines seiner Einfamilienhäuser im ZEITmagazin. Das Haus war der Redaktion dann aber zu wenig exaltiert, drum wurde der Beitrag um das Lederer-Haus gekürzt. Damals führte Arno sein 1979 gegründetes Büro noch allein, kurz darauf wurde Jórunn Ragnarsdóttir seine Frau und seine Partnerin. Das Werkverzeichnis blieb noch überschaubar, die Namen der Architekten musste man immer deutlich aussprechen, weil sie kaum jemand geläufig waren. Etwas später entdeckte man in Tübingen ihr Kindergartengebäude, das den Spagat schaffte zwischen kleinteiliger Altstadtbebauung und farbenfrohem Riesenspielzeug. Aber wichtiger für das Büro war die Realisierung der Stadtmitte in Fellbach, der erste größere Auftrag, der den Aufstieg in eine andere Liga bedeutete.

Erweiterung der Württembergischen Landesbibliothek, 2020 (Bild: Ursula Baus)

Erweiterung der Württembergischen Landesbibliothek, 2020 (Bild: Ursula Baus)

Die Form ergibt sich

Von da an ließe sich ein pralles Portfolio aufschlagen, Architektur für alle Aufgaben und Funktionen, hauptsächlich ist sie in Süddeutschland entstanden. Man könnte unter Architekturbeflissenen einen Wettbewerb veranstalten, wer die meisten Bauten von LRO (so firmierte das Büro, nachdem 1992 Marc Oei in die Geschäftsleitung aufgenommen wurde) aufzählen kann, wer welche besucht oder sogar darüber geschrieben hat. Ihre bloße Auflistung würde die Länge dieses Beitrags erreichen. Viel spannender, was uns davon in  Erinnerung geblieben ist, weil die Gestalt der Gebäude schon beim ersten Hinsehen versprach, lange gültig zu sein. Ein paar wenige Gedächtnisstützen: Das Finanzamt in Reutlingen (1991), das mit seiner Ziegelfassade und den aus den 1920er Jahren geholten Details bereits eine Markierung setzte, die mit dem Gebäude der EVS (1997) weitergeführt wurde. Die Schule in Ostfildern (1999) mit ihren skulpturalen Gesten, das Salem Internat in Überlingen (2000), das sich generös in der Landschaft ausbreitet, konterkariert von der Heilbronner Schule (2003) mit ihrer glatten blauen Fliesenfassade. Der Umbau und die Erweiterung des Rathauses in Eppingen (2007) brachte geschickt eine helle Moderne in die enge Umgebung, im Karlsruher Kaiserkarree löste ein Neubau (2011) eine städtebauliche Kontroverse aus, und es seien – in unverantwortlicher Kürze – das aus Abbruchziegeln vorgemauerte Kunstmuseum in Ravensburg (2013) erwähnt, das kantige Sparkassengebäude in Ulm (2015), das Historische Museum in Frankfurt am Main (2017) und schließlich das Münchner Volkstheater (2021) – siehe das Werkverzeichnis, Link am Ende dieses Beitrags.

Umbau des Wilhelmpalais' in Stuttgart zum Stadtmuseum (Bild: Ursula Baus)

Umbau des Wilhelmpalais‘ in Stuttgart zum Stadtmuseum (Bild: Ursula Baus)

Sich dieses Werk (was Arno betrifft: Lebenswerk) zu vergegenwärtigen, ist das reine Vergnügen. Man findet von einem schönen Haus zum nächsten, alle machen neugierig, wirken „eigen-artig“ im besten Sinn. Und der Betrachter freut sich, wenn er glaubt, etwas herausgefunden zu haben: sich wiederholende Motive oder Vorlieben für bestimmte Materialien. Wenig genug. „Wir erfinden nicht die Form, sondern die Form ergibt sich, sie kommt aus der Haltung“, warnte Arno uns eilige Exegeten. Am Beginn stehe immer eine sinnvolle Konstruktion, danach lasse man sich intuitiv zu einer Form treiben. Und weiter: „Poesie spielt eine ganz wesentliche Rolle. Wenn ein Raum gelungen ist, dann bewirkt er etwas in uns, und wir können Mehrdeutigkeiten entdecken.“


4. Kamingespräch, "Kanzlerbungalow und Staatsarchitektur", an der Universität Stuttgart.

4. Kamingespräch, „Kanzlerbungalow und Staatsarchitektur“, an der Universität Stuttgart; mit Gerd de Bruyn (links) und Klaus Jan Philipp

Konzept und Bekenntnis

Es klingt nach Bohème, als sei Entwerfen nur das Ergebnis künstlerischer Leichtigkeit. Aber trotz dieser Verve fragt man sich, wie Arno Lederer das alles geschafft hat. Er leitete mit seinen Partnern nicht nur ein Büro, sondern lehrte als Professor in Karlsruhe, dann wieder in Stuttgart. Er gab die Lehrstuhl-Zeitung »Ach, Egon« heraus, saß in Jurys (Berliner Schloss, Stuttgart 21…), hielt zahllose Vorträge, schrieb Buchbeiträge und ließ sich für Architekturquartette (s.o.) oder einen Workshop schnell mal ins Kloster Irsee abschleppen. Saß mit Klaus Jan Philipp und Gerd de Bruyn und Markus Allmann beim Kamingespräch auf dem Flur des KI in Stuttgart. Wollte man eines seiner neuen Häuser ansehen, kam er immer selbst und erläuterte klug und witzig und schwäbisch das Konzept.

Was will die Wand?

Konzept – ein dankbares Wort, obligatorisch in der Berufssemantik. Aber bei Arno stand dahinter ein glaubhaftes Bekenntnis. Er war ein homme de lettres, belesen und diskursfähig, kein akademischer Technokrat, der nur regelrecht funktionierte. Wenn er extemporierte, wie wichtig ihm Licht (und Dunkel!) seien, ging es nicht um Lux und Lumen, sondern um Atmosphäre, die sich nicht parametrisch bemessen lässt. Er konnte einen überraschen mit Sätzen wie: „Die Wand wollte blau sein.“ Man glaubte, da schwang ein Wissen um höhere Welten mit, wie es eine anthroposophische Umgebung kultiviert. Aber ihm fehlte der esoterische Ernst. Er konnte seinen irritierten Zuhörer, der die Bedeutung eines apricot-beigen Anstrichs verstehen wollte, aus der Trance holen und sagte: „Das ist die Farbe von Miederwaren, wie sie ältere Damen tragen. Gibt’s im Sanitätshaus.“ Ja, von dieser Ironie lebt auch seine Architektur, von einem zwinkernden Aperçu, mit dem jedes Haus selbst den verstocktesten Ignoranten freundlich einlädt. Sie lässt sich nicht mit wiederverwendbaren Faustregeln zusammenfassen. Ist sie doch nur immer wieder der Versuch, das Dilemma des Bleibens verbindlich zu lösen. „Wir mögen die transparenten Glashüllen nicht so sehr“, bekannte Arno einmal. „Warum sollen wir in Gebäude gehen, die einem beim Betreten sagen, man sei wieder draußen?“

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Aus dieser Haltung wurde der Titel einer umfangreichen Sammlung seiner Essays: „Drinnen ist anders als draußen. Architektur lesen“, die seine Frau Jórunn Ragnarsdóttir herausgegeben hat. Die ersten druckfrischen Exemplare hat Arno zu Weihnachten noch auf dem Krankenbett erhalten.
Heute trage ich ein fadenscheiniges weißes Hemd. Für Arno.


Projektübersicht des Büros LRO

https://www.archlro.de/de/projects

Literatur

Drinnen ist anders als draußen. Architektur lesen (Titelfoto auf der Homepage)
Arno Lederer
, Jórunn Ragnarsdóttir (Hg.)
Hardcover
, 12,2 × 20,9 cm, 
484 Seiten, 
ISBN 978-3-86859-872-8
01.2023, 38 €

Außerdem:
Falk Jaeger (Hrsg.): LRO Lederer + Ragnarsdóttir + Oei. Portfolio
Flexocover. 
21 cm x 27,5 cm
. 144 Seiten, ca. 80 farb. und 80 s/w Abb., Deutsch/Englisch, 
ISBN 978-3-939633-56-3
04.2008, 29,80 €

Lederer Ragnarsdóttir Oei GmbH & Co KG (Hg.): Lederer Ragnarsdóttir Oei (1)
Leinenband, 
29,7 x 24,5 cm, 
264 Seiten, ca. 150 s/w Abb., Deutsch/Englisch, 
ISBN 978-3-86859-199-6
11, 42 €

dies.: Lederer Ragnarsdóttir Oei (2)
Leinenband mit Banderole, 
29,7 × 24,5 cm, 
264 Seiten, 150 s/w Abb. Deutsch/Englisch, 
ISBN 978-3-86859-706-6
09, 48 €