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Die Aura, der Ort und ein Dilemma


(Stilkritik (71) | Das 43. Ludwigsburger Architekturquartett stand im Zeichen von Projekten, die auf besondere und unterschiedliche Weise mit Erinnerung arbeiten. Es ging um Architektur als auratisches Objekt, das Verbindungen in die Vergangenheit herstellt und darin ein Medium ist, sich der Gegenwart zu vergewissern. Und es ging darum, dass solche Erinnerungsarbeit auch ihre Tücken hat.


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Das Podium von links: Himmelreich, Richert, Breuning, Scharz. Auf der Leinwand: der Kulturbetrieb Wagenhallen. Foto: Bernhard Kahrmann

Die Erfolgsgeschichte wird fortgeschrieben: Etwa 440 Besucher kamen zur jüngsten  Ausgabe des Ludwigsburger Architekturquartetts. Diskutiert wurde über zwei – sehr unterschiedliche – Museen sowie eine sanierte und ergänzte Industriehalle. Im einzelnen standen im Mittelpunkt das Museum Hotel Silber, Stuttgart (Wandel Lorch Architekten, Saarbrücken), der Kulturbetrieb Wagenhallen, ebenfalls Stuttgart (Atelier Brückner, Stuttgart) sowie das Tobias-Mayer-Museum, Marbach am Neckar (Webler+Geissler Architekten, Stuttgart und Knappe Innenarchitekten, Marbach am Neckar). Das Podium versprach interessante Diskussionen, es war im Hinblick auf die drei Projekte sehr gezielt ausgesucht worden: Alexander Schwarz von David Chipperfield Architects war maßgeblich am Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin beteiligt, das Maßstäbe dafür setzte, wie Neu und Alt sinnstiftend miteinander verbunden werden können. Wiebke Richert leitet den Fachbereich Kunst und Kultur, Stadt Ludwigsburg, auf dem Podium war außerdem auf mit Jørg Himmelreich der Chefredakteur der archithese vertreten; die Moderation aus dem Team, das das Quartett vorbereitet, hatte dieses Mal Hans-Jürgen Breuning übernommen.


Zu viele Anekdoten

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Das Quartett bei der Besichtigung des Tobias-Mayer-Museums. Foto: Bernhard Kahrmann

Alle drei Projekte wurden im Ton wohlwollend diskutiert. Die kritischen Anmerkungen waren vor allem beim ersten Projekt in die Wärme des Respekts gehüllt, so dass die Zuhörer aufmerksam bleiben mussten, um sie nicht zu verpassen. Tobias Mayer (1723–62) ist der zu Unrecht kaum bekannte Sohn der Stadt Marbach, allzu sehr wird er von Friedrich Schiller überstrahlt. Dabei war Mayer wahrlich kein kleines Licht: Der Astronom und Mathematiker hatte es geschafft, die Positionen des Mondes so genau zu erfassen, dass damit die Navigation auf See zum ersten Mal wirklich präzise möglich war. Das Museum, das dem Andenken Mayers gewidmet ist, ersetzt ein einfaches Haus direkt neben Mayers Geburtshaus, das bisher als zu kleines Museum fungiert hatte. Der Neubau betont die Ecke, setzt sich mit grauen Ziegeln im Kolumbaformat, einem hoch- und zwei querformatigen Fenster sowie runden und sechseckigen Öffnungen deutlich vom benachbarten Fachwerkhaus ab.

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Eingang ins Museum und das Geburtshaus Mayers rechts, dessen Erdgeschoss in die Museumskonzeption einbezogen wurde. Foto: Bernhard Kahrmann

Zunächst als Preziose (Schwarz) oder markantes, aber nicht herausfallendes Bauwerk (Himmelreich) gewürdigt, das intelligent die Treppe als Raumteiler nutzt, ließ sich nach und nach die Kritik vernehmen: Ob denn die vielen Fensterformate nötig sein (Schwarz), ob das Museum nicht zu viel Anekdoten aus Mayers Leben inszeniere, statt sich seiner eigentlichen Leistung als Wissenschaftler zu widmen (Richert); es sei zudem nicht klar, ob sich die beiden ungleichen Nachbarn mögen, ergänzte Himmelreich.

Am Ende schien das Quartett weniger glücklich mit dem Museum, als es am Anfang schien; man scheute sich offensichtlich, an der Kulturarbeit in der Provinz zu kratzen, weil sie doch an sich schon wichtig ist: Nichts mache so glücklich wie Hochkultur in der Provinz, so Schwarz. Als zum Schluss als Höhepunkt der wunderbare Ausblick von der Terrasse des Hauses gelobt wurde, konnte es dann doch jeder wahrnehmen: Mag auch vieles gelungen sein – der große Wurf ist das Tobias-Mayer-Museum nicht.


Die Grenzen der Aufwertung

Direkter ging man mit den sanierten Stuttgarter Wagenhallen um. Das Kreativzentrum Stuttgarts, aus der Initiative der subkulturellen Szene entstanden, muss sich nun der bürokratischen Umarmung erwehren, zu der auch die aufwändige Sanierung des alten Industriebaus gehört. Himmelreich, der – warum auch immer – stets das Privileg hatte, als erster über die Projekte urteilen zu dürfen, maß die sorgfältige Sanierung, darum bemüht, die Geschichte des Ortes in Zeitschichten ablesbar zu machen, an Projekten aus dem Ruhrgebiet deutlich älteren Datums. So recht war er mit der „musterschulmäßigen“ Behandlung der Hallen nicht zufrieden, weil eine funktionale Architektur, wenig herausragend und stets funktional genutzt und behandelt, nun zu einer Architektur mit großem A geworden sei.


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Stuttgarts sorgfältig sanierte Wagenhallen. Foto: Bernhard Kahrmann

Damit war der Ton vorgegeben, mit dem die Diskutanten die Leistung der Architekten, ihr Bemühen um Sorgfalt und Sensibilität anerkannten, diese Leistung aber auch als hinderlich für die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte des Ortes identifizierte – womit auch das prinzipielle Dilemma benannt wurde, das auftaucht, wenn Subkultur aus dem Schatten treten muss, in dem es sich so lange unbeachtet arbeiten ließ: Hier ist aus einem Ort der Gegenwärtigkeit einer der Repräsentation geworden. Die Zukunft der Wagenhallen werde eine andere Welt sein, in der es unmöglich sein werde, autonom und autark zu bleiben, so Richert, Hippie-Kultur müsse zur Corporate Identity werden, was nur scheitern könne, so Schwarz. Dieses Schicksal freilich schien in der Diskussion arg unausweichlich – hier hätte man sich Beiträge gewünscht, die Alternativen aufzeigen; auch dass die Stadt Stuttgart in der Art, sich an dem Erfolg der Künstler laben zu wollen, zu dem sie lange wenig beigetragen hatte, hätte man durchaus deutlicher kritisieren dürfen. Breuning als Moderator tat sich schwer damit, die Diskussionen zu schärfen und zuzuspitzen, hatte etwas zu wenig Mut, die Diskussion auf dem Podium sich entwickeln zu lassen oder sie mit einer eigenen Position zu befeuern.


Wenig Zeit am Schluss

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Die zurückhaltende Gestaltung im Museum Hotel Silber wurde vom Quartett hoch geschätzt. Foto: Bernhard Kahrmann

Die Zeit war schon weit fortgeschritten, als man das letzte Projekt diskutierte – weil man gezwungen war, nun etwas schneller zum Ergebnis zu kommen, blieb es beim Respekt, den man vor allem vor den Inhalten des Museums im ehemaligen Hotel Silber hatte, stand doch an dieser Stelle die Zentrale der Gestapo im Nationalsozialismus (siehe den Beitrag von Ursula Baus >>>). Das auf den Resten der Zerstörung aufgebaute Bürogebäude sollte zunächst abgerissen werden und wurde erst auf Druck der Zivilgesellschaft erhalten. Die zurückhaltende Gestaltung wurde gelobt, sei sie doch letztlich angesichts des Themas, das sie behandle, wenig relevant (Himmelreich); dass die Bedeutung der Schreibtischtäter dezent, aber wahrnehmbar aufgenommen wurde, wurde geschätzt (Richert), dass es wichtig sei, für die Auseinandersetzung mit der Geschichte den Ort zu erhalten, betont (Schwarz). Himmelreich öffnete daran anknüpfend noch den Weg, dieses Museum für aktuelle Debatten fruchtbar zu machen, den Umgang mit Daten, die der Staat sammelt, zu diskutieren – aus der großen Harmonie hätten noch anregende Gedanken den Nachhauseweg bereichern können, doch dafür fehlte am Ende leider die Zeit, die man für den ersten Teil zu großzügig bemessen hatte.


Das 44. Ludwigsburger Architekturquartett wird am 14. November 2019 stattfinden. Information hierzu findet sich rechtzeitig vor der Veranstaltung auf den Seiten der Veranstalter >>>