Umbau des ehemaligen Hotel Silber zur Erinnerungsstätte in Stuttgart
Architekten: Wandel Lorch, Frankfurt am Main/ Saarbrücken
Stuttgart, Dorotheenstraße 10
Land, Stadt, Investor und Architekten haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Weder hat die Stadt den Erhalt und die kulturelle Nutzung des ehemaligen Hotel Silber – wo die Gestapo-Leitstelle des Südwestens untergebracht war – vorgesehen, noch schlugen Investor Breuninger und Architekt Behnisch freiwillig dergleichen vor. Vielmehr geht die am 4. Dezember 2018 eröffnete Erinnerungsstätte im Hotel Silber auf zivilgesellschaftliches Engagement und nicht zuletzt den kürzlich verstorbenen Roland Ostertag zurück.
City-Lagen
Die Klagen darüber hören nicht auf, dass in der Stuttgarter Innenstadt alles, was nicht niet- und nagelfest ist, abgerissen wird, um Grundstücke zusammenzulegen und verdichtet für kommerzielle, rentablere Nutzungen zu bebauen. Die Innenstadt verliert ihr gewachsenes, individuelles Aussehen und wirkt in weiten Teilen – Lautenschlager Straße, Königstraße, Calwer Straße und andernorts – inzwischen wie aus der Retorte. Tatsächlich manifestiert nun die Entwicklung des neuen Dorotheen-Quartiers die Dominanz des Kommerzes. Genauer gesagt: wie schwer es ist, in den Innenstadtlagen Orte für nicht-kommerzielle Nutzungen wie Erinnerungsstätten zu erhalten oder gar zu erobern.
Was dort als „Da Vinci“- Projekt des selbstbewussten Platzhirschen Breuninger mit Ben van Berkel als Architekt begann, entwickelte sich nach Protesten aus vielen Gesellschaftskreisen und der Stadt in etwas verkleinerter Version (von 50.000 auf 38.000 Quadratmeter Geschossfläche) zum „Dorotheen-Quartier“, für das 2007 ein Wettbewerb ausgelobt wurde. Es war den Architekten anheimgestellt, ob sie das Hotel Silber erhalten oder abreißen wollten. Das ehemalige, denkmalgeschützte Finanzministerium musste so oder so weichen (siehe Beitrag-Links in der Seitenspalte). Behnisch Architekten gewannen den ersten Preis, in ihrem Entwurf war das Hotel Silber weg, im Ganzen bestimmten zwei gewaltige Baublöcke das Konzept. In der letztlich, nach erfolgreichen Protesten realisierten Variante sind es drei Blöcke im Kommerz-Quartier und – gleichsam als vierter Baukörper das Hotel Silber. Dass in diesem Konzept ehemals gewachsene Straßenzüge aufgegriffen wurden, ist maßgeblich weder der Stadt, noch den Architekten zu verdanken.
Hausgeschichte
Im 19. Jahrhundert als Hotel errichtet und mehrfach umgebaut, wurde es bereits ab 1919 als Amtsgebäude genutzt. Zunächst arbeitete hier die Oberpostdirektion, dann 1928 die Polizei, und 1936 zog die Leitstelle der Gestapo für Württemberg und Hohenzollern ein. In diesem ihrem Hauptquartier wurden Menschen verhört, gefoltert, vier Personen auch ermordet, zudem organisierten die „Schreibtischtäter“ Abtransporte in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Im Krieg brannte das Haus aus, wurde aber 1947-49 für eine politische Polizeidienstelle wieder aufgebaut und in den achtziger Jahren noch einmal für das Innenministerium Baden-Württemberg umgebaut. Auch wenn aus der Gestapozeit nur im Keller noch etwas „authentisch“ erhalten ist, repräsentiert dieses Gebäude mit seinem über siebzigjährigen Nachkriegsschicksal Geschichte wie wenige andere Orte in der Landeshauptstadt.
Zivilcourage
Auf Beteiligungsprozesse zu warten, ist müßig. Denn erst nach den erwähnten Protesten und zivilgesellschaftlichen Initiativen entschlossen sich ja Stadt und Land dafür, das Hotel Silber mit „Bürgerbeteiligungsprozessen“ zu erhalten und umzuwidmen. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg übernahm die Trägerschaft der Erinnerungsstätte, die 4,5 Mio Euro gekostet hat. Mit dem Umbau wurden die Architekten Wandel Lorch beauftragt, die in solchen Bauaufgaben über reichliche Erfahrung verfügen und innerhalb von 18 Monaten damit fertig waren.
Außen gibt sich die Erinnerungsstätte durch mehr oder weniger dezente Hinweise zu erkennen. Der Hauptzugang liegt an der B 14, Ecke Dorotheenstraße; die Seitenspur der B 14 trägt den Namen Holzstraße, die aber als Straße keine stadträumliche Wirkung entfalten kann. Die Stadt war nicht einmal in der Lage oder willens, ein Toilettenhaus mit Werbefläche in Form einer Litfaßsäule dort zu entfernen.
Rückwärtig weist eine Tafel auf Morde im Keller der Gestapo hin. An der Fassade sind Fensterflächen mit Betontafeln geschlossen, in die Worte durchgefräst wurden – je nach Licht wirken sie innen und außen unterschiedlich. Im großzügigen Eckeingangsbereich können sich Besuchergruppen sammeln, die in den ansonsten engen Ausstellungsbereichen und Fluren kaum Platz finden. Diese Enge ist der Bestandsstruktur zuzurechnen.
Umbau und Ausstellung wirken wie aus einem Guss, und in den vergleichsweise beengten Räumlichkeiten wartet eine Fülle von Informationen, für die man sich viel Zeit nehmen sollte. Exponate und Informationen sind kompakt untergebracht: als recht kleine Schrift direkt auf den Wänden, als in Schränken aufbewahrte Ordner zum Herausziehen, als bruchstückhaft inszenierte Originalsubstanz.
Kontinuität
Kuratorisch geht es um die Kontinuität in einer Gesellschaft, die binnen weniger Jahre vom Rechts- zum Unrechtsstaat, von demokratischen Ansätzen in gewaltherrschaftliche Willkür gleitet. Wie unfassbar viele Menschen überzeugte Nationalsozialisten waren oder ihnen zu Dienste standen und sich nach dem Krieg als lupenreine Demokraten in Amt und Würden und Wissenschaft und Rechtsprechung zu manövrieren wussten, ist zwar hinlänglich bekannt. Aber die Rolle von Wegschauenden, Mitläufern, Opportunisten, Unterstützern, Mitmachenden, Miteifernden und Agitatoren en detail immer wieder zu vergegenwärtigen, kann in geschichtsvergessenden, geschichtsverfälschenden und -negierenden Zeiten nicht oft genug ins Gedächtnis gerufen werden. In der Dauerausstellung ist man als Besucher aufgefordert, einer „Narration“ aus Institutionen-Darstellung, biografischen Hinweisen zu den Polizisten und Konsequenzen für Betroffene und Opfer zu folgen.
Die Banalität des Bösen
Im Hotel Silber zeugen nur eine originale Lagertür im Obergeschoss und eine – gegenüber den Toiletten – guckkastenartig inszenierte Zelle im Untergeschoss von den Gewaltherrschaftszeiten. Die Beschreibung von Lina Haag spiegelt in ihrer Nüchternheit die Angst davor, die Funktion des Ortes zu gewärtigen.
Schreitet man durch die Raumfolgen, wirken sie harmlos, die Raumgrößen gleichen denen von Wohnstuben. Im Zusammenspiel mit den Inhalten ruft dieses Interieur die von Hannah Arendt benannte „Banalität des Bösen“ in Erinnerung, ohne die Grausamkeit der Vollstrecker vergessen zu lassen. Durchbrochen wird die räumliche Alltagssituation nur im Flur des Obergeschosses, wo die Abkürzung des Rundgangs dank einer gestaffelten Barriere verhindert und diese künstlerisch überhöht ist.
Bürgerengagment statt -beteiligung
Stadt und Land wären gut beraten, wenn sie die Rettung des Hotel Silber und die Einrichtung dieser Erinnerungsstätte nicht für sich beanspruchen würden. Genau das tun sie aber in ihren Pressemeldungen.
Es zeigt sich am Hotel Silber, dass Bürger-Engagement höher zu bewerten sein kann oder sogar muss als die bürokratisierte Bürgerbeteiligung. Denn vielerorts stehlen sich zu viele Politiker mit Bürgerbeteiligung aus ihrer Verantwortung – sind aber, wenn es um die Ernte der Lorbeeren geht, sofort zur Stelle. Und vor den Mikrophonen.