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Wir müssen reden


Fragen zur Architektur (17): Was bedeutet die Digitalisierung für die Zukunft des Bauens und der Architektur? Ob Kontrolle von Großprojekten oder Vereinfachung der Bauprozesse: Die Hoffnungen sind groß. Es herrscht aber auch Unsicherheit: Geht es mal wieder nur um Wirtschaftsinteressen? So genau weiß letztlich keiner, wie sich das Bauen verändern wird. Zum Glück, denn das ist eine Chance. Nicht nur für Architekten.

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Lumen ist eine Installation des Jenny Sabin Studio und bis zum 4. September im PS1 des MoMA in New York zu sehen.
Bild: Courtesy MoMA PS1, Foto © Pablo Enriquez

Ein Gespenst geht um in deutschen Architekturbüros – das Gespenst des Building Information Modellings. Grundidee von BIM ist, dass es ein großes Datenmodell gibt, in dem Entwurf, Fachplanung und Gewerke miteinander verknüpft werden. BIM sei aber ja auch nur ein Werkzeug, versucht man sich zu beruhigen. Dass es BIM-Manager werde geben müssen, die keine Architekten sind, und die HOAI, wenn es sie denn so lange noch gibt, die veränderten Leistungen nicht adäquat berücksichtige, sind noch die harmloseren Befürchtungen. Tiefgreifender sind die Ängste, die die Entscheidungsfindung betreffen: die Zeit, um Entwurfsentscheidungen zu treffen, würden kürzer und seien möglicherweise nicht mehr revidierbar, weil das die weitere Koordination nur kompliziere. Ein Arbeiten, das vom groben Rahmen zu den Feinheiten übergeht, iterativ die  Anfangsannahmen in der Konkretisierung anzupassen und zu verändern erlaubt, sei damit ausgeschlossen. Diese Angst ist zu verstehen – sie erschöpfte das Bauen im Abarbeiten von früh getroffenen Entscheidungen, die dann nur noch kontrolliert umgesetzt würden. In der Tat ist die Idee zu BIM im Zusammenhang mit ins Trudeln geratenen Großprojekten forciert worden und soll also auch als Kontrollinstrument dienen, das Desaster wie das des Berliner Flughafens verhindern helfen soll. Gemeint ist hier nicht die Kontrolle der gestalterischen Qualität, sondern die der Kosten und der Zusammenarbeit von Architekten, Fachplanern und Firmen. Auch der Bauherr – vielleicht ebenfalls nicht ganz nebensächlich – könnte  womöglich gezielter darauf verpflichtet werden, von Änderungswünschen abzusehen.

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Universität Stuttgart, ICD/ITKE Pavillon. Bild Christian Holl. Weitere Information >>>

Wie die Kutschen ohne Pferde

Doch gehen diese Diskussionen, die Art, wie man sich ein gemeinsames Arbeiten an einem Datenmodell vorstellt, davon aus, dass der Planungsprozess, wie er jetzt organisiert ist, lediglich variiert wird. Die ganz andere Befürchtung, die mit BIM verknüpft ist, ist nämlich die: dass die Potenziale, die ein computergestütztes Arbeiten öffnen, gar nicht berücksichtigt werden. Diese Befürchtung schließt ein, dass eine bestimmte Art der Kontrolle bewahrt werden soll, die dem Arbeiten mit dem Computer nicht oder nur sehr bedingt entspricht: die der Kontrolle über das Bild, welches das Ergebnis liefert. Diese Kontrolle bewirkt, dass der Computer so eingesetzt wird, dass das man damit das, was man bisher getan hat, nur mit einem anderen Gerät tut. Ihr zugrunde liegt ein Denken wie in der Anfangszeit des Automobils, als die Fahrzeuge aussahen wie Kutschen, denen die Pferde fehlten. Wenn Architekten aber wollen, dass sie in einem ihre Profession bestimmenden Prozess daran beteiligt sind, wie der die Berufsausübung und das Bauen bestimmende Rahmen gestaltet wird, sollten sie sich dem stellen, was das neue Instrument tatsächlich kann, will man nicht als Atmosphärendekorateur enden. Oder beim bedrohlichen Szenario Smarthome, das suggeriert, es könne den Bewohner „unterstützen und beraten“. (1) Ob man das wollen sollte? Groß wären die Risiken: das Haussystem kann gehackt werden, der Mensch kann komplett transparent werden und seine Handlungsfreiheit abgeben. „Wer heute noch denkt, dass diese Welt ausschließlich von Menschen gesteuert wird, könnte schnell eines Besseren belehrt werden. Heute steht nicht mehr nur der Mensch als autonom Handelnder im Zentrum, sondern vielmehr sind es hybride Konstellationen aus Menschen und Technologien, die zu autonom handelnden Quasi-Subjekten geworden sind“, ist beispielsweise in einem Beitrag der Zeitschrift Kunstforum zu lesen. (2) Aber man ist der Entwicklung vor allem dann hilflos ausgeliefert, wenn man nicht auf sie Einfluss nehmen will.

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Lumen besteht aus reaktionsfähigen Textilien, die nach Sonnenuntergang in verschiedenen Farben leuchten.
Bild: Courtesy MoMA PS1, Foto © Pablo Enriquez
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Kooperationen sind gefragt

Ein Werkzeug ist nicht so neutral wie man es vielleicht gerne hätte. Es verändert den Spielraum, öffnet neue Möglichkeiten, strukturiert das Denken. Insofern sind Werkzeuge auch Medien. Und genau hier sollte angesetzt werden, wenn man sich darüber Gedanken macht, was sich verändern könnte und wie man Einfluss nehmen möchte. Im Lexikon der Raumphilosophie ist unter dem Stichwort Medium zu lesen, dass nach dem Psychologen Fritz Heider das Charakteristikum des Mediums im Unterschied zu einem Ding in der „losen oder festen Kopplung seiner Teile“ liege. Niklas Luhmann, so weiter, habe diese Vorzüge aufgegriffen, „um seinen Begriff der strukturellen Kopplung zu spezifizieren. In ihrer losen Ausformung, als Medium und nicht Form, öffne sie Möglichkeiten der sinnerzeugenden Verbindung, des Ereignisses und der Erhöhung von Komplexität innerhalb eines Systems.“ (3) Das Medium lediglich als einen Träger von Information und Botschaften zu verstehen, greift also zu kurz. Und es greift damit eben auch zu kurz, ein Medium nur darauf zu reduzieren, die Entwurfsidee als Bild zu veranschaulichen, das schon früh dem Bauherren vermittelt, was er bekommen wird. Mit dem Computer sind die Möglichkeiten grundsätzlich andere: Er erlaubt es, die Prozesse zu steuern, ohne dass das Ergebnis schon als Bild erstellt werden muss. Er erlaubt es, auf der Basis von Eigenschaften einzelner Teile und Materialien, von Bedingungen der Produktion, etwa den Bewegungsradien des Roboterarms, aber auch von beschriebenen Qualitäten, die erzielt werden sollen, einen Prozess zu initiieren, dessen Ergebnis als unveränderliches Bild noch nicht von Anbeginn feststeht. Ein Prozess also, der die Kopplung der Teile lange beweglich hält.

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Die Architekten haben es schon einmal überlebt, als die Ingenieure ästhetische Maßstäbe setzten. Bild: wikimediacommons, Cezary p >>>

Das setzt eine andere Art von Kommunikation voraus. Die Chance des Computers zu ergreifen, heißt gerade nicht, weniger miteinander reden, weniger aushandeln zu müssen – gerade, weil es nicht die lange eingeübten Routinen gibt, die ein gutes Stück weit die Rollen bislang klar verteilt und regulativ gesichert haben. Es heißt im Gegenteil, sehr intensiv auch im Verlauf eines Projekts die Frage nach der Qualität, die erreicht werden soll, zu überprüfen und zu bestimmen und dabei auch die Frage zuzulassen, welche Entscheidungen zu einem späteren Zeitpunkt getroffen werden können – also die Frage, wie die Teile miteinander gekoppelt werden können, offen zu lassen. Für Architekten bedeutet dies, die Qualität nicht ausschließlich oder hauptsächlich über das Bild, den Plan und das Versprechen des nur noch zu verwirklichenden Entwurfs zu definieren. Andere Formen, wie Qualitäten beschrieben werden können und wie man sie zu verständigen kann, müssen, zumindest als Ergänzung gefunden werden – vielleicht ist ein Skript, ein offenes Drehbuch dafür besser geeignet? Man wird sich auf das unsicheren Terrain des Neulands wagen müssen; das heißt aber nicht, auf ästhetische Qualitäten verzichten zu müssen, im Gegenteil: Gerade in einem solchen Prozess müssen Architekten die sein, die ihre Kompetenz einbringen. Hierfür muss mehr als bisher die Forschung als das Feld entdekct werden, um Anwendungen ergebnisoffen zu erproben und Beispiele zu liefern, welche Möglichkeiten sich erschließen könnten. Dabei ist  möglicherweise nicht alles so neu, wie es scheint – auch die Möglichkeiten des Stahl- oder Stahlbetonbaus sind erst dann zum Tragen gekommen, als man sich die Eigengesetzlichkeiten des Materials zunutze gemacht hat und nicht auf dem beharrte, was man meinte als „schön“ verteidigen zu müssen. Dass dabei die Ingenieure eine wesentliche Rolle spielten, sei am Rande auch erwähnt. Vielleicht hilft es auch heute, die Ingenieure nicht als Konkurrenten zu verstehen, sondern mit ihnen die Entwicklung zu gestalten? Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft. Zwar wird es sicher kein Leichtes sein, sie als Partner zu gewinnen. Vielleicht gelingt es bei der ein oder anderen, wenn man ihr ein Abenteuer verspricht, das man gemeinsam bestehen will. Es ist auch hier nicht so, dass es keine Vorbilder gäbe.

WagnisART, Architektur bogevischs buero

Gewann 2016 den Deutschen Städtebaupreis: wagnisART im Domagkpark München. Architektur: bogevischs buero architekten und SHAG Architekten. Bild: © Julia Knop, Hamburg
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Die Entwicklung von alternativen Wohnprojekten lassen sich als Beispiel anführen. Der mit dem deutschen Städtebaupreis ausgezeichnete Bau der Genossenschaft WagnisArt in München beispielsweise ist in einem offenen Prozess entstanden, der die Frage, wie das Gebäude denn am Ende aussehen soll, erst spät beantwortet hat.
Man steht also in gewisser Weise, was die Arbeit mit dem Computer angeht, noch ganz am Anfang – und ist gleichzeitig schon tief drin. Der Computer (wenn der Singular überhaupt sinnvoll ist) bestimmt unser Leben wesentlich mit, er ist kein uns oder unserem Zusammenleben äußerliches Ding mehr. Die vielleicht entscheidende Vokabel bei Niklas Luhmanns Verständnis des Mediums ist die der „sinnerzeugenden Verbindung“ – und dieser Sinn ist nicht von vorneherein gegeben, er wird auch nicht erst am Ende durch das vermittelt, was sich als Ergebnis ergibt. Er entsteht im Prozess.



(1) Wie Architekten das Smart Home gestalten. Interview mit Johannes Berschneider. >>>

(2) Inke Arns: Der Algorithmus und wir. Über die Partizipation nicht-menschlicher Akteure. Kunstforum, Band 240, 2016 >>>

(3) Ana Ofak: Medium. In: Stephan Günzel (Hg.): Lexikon der Raumphilosophie. Darmstadt 2012, S. 250