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Expeditionen


Manchmal musste man sich auch früher schon damit begnügen, mit dem Finger auf der Landkarte unterwegs zu sein. Dies konnte aber der Fantasie Flügel verleihen. Und deswegen sollte man es auch weiterhin trainieren – nicht nur jetzt, da das unbeschwerte Reisen eingeschränkt ist. Imaginäre Reisen können zudem in die Vergangenheit und in eine andere Zukuft führen. Bücher können dabei wertvolle Hilfestellung leisten.

2022_KF_deGiorgio

Michel Carlana, Luca Mezzalira, Curzio Pentimalli: Quirino De Giorgo. An Architec’s Legacy. Mit Fotografien von Enrico Rizzato. 17 x 24 cm, 400 Seiten, 38 Euro
Park Books, Zürich, 2019

Das Buch über den italienischen Architekten Quirino De Giorgio ist keine gewöhnliche Biographie. Es ist eher eine Reise durch sein gebautes Werk, so wie es sich heute zeigt: im Kontext der Alltäglichkeit, der das genaue Hinsehen schult. Enrico Rizzato hat die knapp 90 Bauwerke De Giorgios fotografiert, die fast ausschließlich im Veneto zu finden sind; die meisten davon in Padua. Die Bilder wurden ergänzt um Pläne und Archivaufnahmen, denen zu entnehmen ist, wie das ein oder andere später veränderte Haus ursprünglich ausgesehen hat.

Quirino De Giorgio ist keine der bekannten Größen der Architektur des 20. Jahrhunderts. Gerade deswegen ist es spannend, in De Giorgios eigensinnigen Material- und Formkombinationen diesem Jahrhundert und seinen Seitenwegen nachzuspüren. Angefangen bei den Bauten des italienischen Faschismus mit den Verwaltungs- und Versammlungshäusern, bei denen De Giorgio einen eigentümlichen Kampf um die Balance zwischen Eleganz und Monumentalität, zwischen Modernität und Traditionalismus führt, weiter in den Nachkriegsbauten mit der suchenden Freude an Form- und Materialexperimenten, bis zu gewagt wirkenden Konstruktionen und neuen Gebäudetypen. Es ist ein beachtliches Oeuvre mit Wohn- und Geschäftshäusern, Kinos, Schulen, Möbelfabriken, einer Tankstelle und einem Friedhof. Denkmalgeschützt sind leider gerade mal zwei dieser Gebäude.

Will man aber etwas mehr über den unbekannten Architekten erfahren, hat man es mit diesem Buch schwer. Es gibt keinen Lebenslauf; ein wolkiger Text umspült die wunderschönen Bilder eher zufällig, beantwortet kaum je eine Frage, die man einmal konkret zu einem Gebäude hätte  – etwa, wann es umgebaut wurde, welche Materialien verwendet wurden, wie es zu den oftmals sehr eigenartigen Lösungen kam. Man erfährt irgendwo, dass De Giorgio Schüler Marinettis war, dass er keine Mitarbeiter hatte, dass er von 1907 bis 1997 gelebt hat und zuletzt dort gearbeitet hat, wo er starb: in Abano Terme. Viel mehr aber auch nicht. Und so ist einem der Architekt am Ende fast so fremd wie vor der Lektüre. Und so bleiben es letztlich auch die Häuser, fremd auratisch, gerade weil sie gezeigt werden, als hätten die Autoren sie zufällig entdeckt und wüssten deswegen nur wenig über sie: bizarre, stille, charaktervolle Schönheiten gewiss – aber fremde Schönheiten. Immerhin, sie selbst zu entdecken ist möglich: Die Ortsangaben der einzelnen Bauten ist in Längen- und Breitengrad in Hundertstelsekundengenauigkeit angegeben.

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2022_KF_Upcycling

Daniel Stockhammer (Hg.): Upcycling. Wieder- und Weiterverwendung als Gestaltungsprinzip in der Architektur. 16 x 21 cm, 220 Seiten, 39 Euro
Verlag Triest, Zürich, 2020

Dass den Lippenbekenntnissen zu verantwortungsvollem Umgang mit dem Bestand nur selten Taten folgen, haben wir oft genug beklagt. Hier ein Gegenmittel: ein Buch über Wieder- und Weiterverwendung von Baumaterialien und Bestandselementen in der Architektur, erschienen beim kürzlich fünf Jahre alt gewordenen Verlag Triest. Basis der Veröffentlichung sind Symposien und Forschungen, die am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein 2018 und 2019 durchgeführt wurden. Bei diesem Buch geht es nicht in erster Linie um eine technische Handreichung, sondern um eine qualitative Frage: Wie kann der Bestand in all seiner Komplexität für das architektonische Entwerfen nutzbar gemacht werden? Die Beiträge umkreisen diese Frage mit Referenzen bis in die Antike, reflektieren die Konstruktionen von nationalen oder regionalen Identitäten als eine Form, den Bestand zu interpretieren und seine Wahrnehmung zu prägen. Die Autoren fragen nach dem Potenzial des Bestands, nehmen aber auch methodische Aspekte auf. Welche aktuellen Beispiele bieten Inspiration? Wie kann eine Wiederverwendung von Baumaterial organisiert werden? Wie kann lässt sich das Reparieren als eine kulturelle Praxis verstehen?

Es wird die aktuelle Wirklichkeit des Bauens, die fehlende Schwerpunktsetzung auf den Bestand in der Lehre beklagt, es wird die Dominanz des wirkmächtigen Mythos des Neuen kritisiert. Die Umstellung auf eine anderes Bauen wird weniger als ein grundsätzlich anderes Entwerfen verstanden. Entwerfen mit dem Bestand hat, so wird klargestellt, auch nichts damit zu tun, ob man eine rückwärtsgewandte Sicht auf Architektur hat. „Macht man sich einmal bewusst, dass jeder Entwurfsprozess eine Entscheidungsreihe darstellt, in der spätere Entscheidungen von früheren determiniert sind, so macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob frühere Entscheidungen eigene oder fremde waren“, so zitiert Daniel Stockhammer, der Herausgeber und Kurator des Projekts, Hermann Czech. Eher ist ein anderes Verständnis von Architektur gefragt: eines, das sie als einen Prozess versteht, der nie an ein Ende kommt: „ Die Architektur als einmaliges Ereignis ist eine Konstruktion“; so Stockhammer. Das Buch macht große Lust, sich auf diesen Prozess, sich auf die Suche nach dem Potenzial dessen, was es gibt, einzulassen und darin Neues zu entdecken.

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2022_KF_suedtirol

Kunst Meran, Südtiroler Künstlerbund und Architekturstiftung Südtirol (Hg.): Neue Architektur in Südtirol 2012 – 2018. 23 x 29 cm, 352 Seiten, 65 Euro
Park Books, Zürich, 2018

Ein Geheimtipp auch in architektonischer Hinsicht ist Südtirol nun gerade nicht mehr – und dennoch sind die in diesem Katalog über neue Architektur in Südtirol versammelten Gebäude dazu geeignet, sich die Reise nach Südtirol vorzunehmen, sobald es die Umstände erlauben. Die gezeigten Bauten sind Ergebnis eines Wettbewerbs, der das dritte Mal durchgeführt worden war. Die den Projekten vorangestellten Texte lassen allerdings Wehmut aufkommen. Von EU-Bestimmungen, die die Vergabe regeln, ist da die Rede, diese Bestimmungen folgten der „irrigen Vorstellung, Planen sei quantifizierbar“, dadurch werde der Entwurfsprozess seiner potenziellen Kreativität beraubt (Wolfgang Piller), Jurymitglied Roman Hollenstein bedauert: „Gleichwohl setzen Südtiroler Bauherrn weiterhin auf internationale Architekten, auch wenn sich deren Kreationen kaum mit den sensibel auf den Ort abgestimmten Arbeiten einheimischer Baukünstler messen können.“ Lediglich Marco Mulazzani, ebenfalls Mitglied der Jury (zu der auch Marta Schreieck gehörte), schließt sich dem Abgesang auf eine Epoche herausragender Südtiroler Architektur nicht an. Seiner Meinung nach werde „jeder Versuch, die hiesige Architektur in das Umfeld von ,Regionalismen‘ einzureihen, gerade durch die Vielfalt an Bauten, die in den letzten zwanzig Jahren in Südtirol realisiert wurden, vereitelt. Darin offenbart sich kein regionaler ,Genius‘, weil Architektur eben nicht aus dem Bedürfnis heraus entsteht, das ,Lokale‘ gegen die Folgen der ,Globalisierung‘ zu schützen, sondern aus einer tief empfundenen kosmopolitischen Berufung und einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit der internationalen Baukultur.“

38 Bauten werden ausführlich auf mehreren Seiten, 24 weitere der engeren Wahl jeweils auf einer Seite vorgestellt. Manches mag ein wenig modisch daherkommen, aber einige der Bauwerke vermitteln schon im Katalog die von Mulazzani gelobte Mischung aus Ortbezug und Weltoffenheit – wie die Friedhofserweiterung in St. Sigmund (EM2 Architekten), der Showroom des Küchendesigners Jochen Haidacher in Percha (Lukas Mayr), das sanierte und aufgestockte Wohngebäude mit einer neuen Klimahülle aus Plexiglas in Pfalzen (Stifter + Bachmann Architekten) oder die Erweiterung der Landesfachschule Hannah Arendt in Bozen (Claudio Lucchin & Architetti Assocati). Vielleicht ist es doch, aller bürokratischen Hürden zum Trotz, zu früh, um das Ende der hohen Baukunst in Südtirol einzuläuten. Das zeigen nicht zuletzt die neueren Bauten, die inzwischen auf den Seiten der an diesem Wettbewerb beteiligten Architekturstiftung Südtirol zu sehen sind. Kleiner Tipp zum Schluss: Wer für eine dann doch avisierte Exkursion nach der adäquaten Unterkunft sucht, wird sicher auf den Seiten von Urlaubsarchitektur fündig.