• Über Marlowes
  • Kontakt

Glücklicher Kompromiss

1809_AT_Grothus_Landtagaussen

Altes Schloss und neuer Plenarbereich. (Bild: Joachim Grothus für blocher partners)

Niedersächsicher Landtag, Hannover, Sanierung und Neukonzeption des Plenarbereichs | blocher partners, Stuttgart

Nach jahrelangen Querelen ist der Umbau des Niedersächsischen Landtags tatsächlich abgeschlossen. Dabei von einer unrühmlichen Historie zu sprechen, ist sicher nicht übertrieben – die bühnenreife Posse wurde in der lokalen Presse bisweilen im selben Atemzug mit der Hamburger Elbphilharmonie oder dem Berliner Flughafen erwähnt. Das Wichtigste aber: Das Ergebnis überzeugt.


 

1809_AT_moeller_LandtagH2

Ansicht des sanierten und umgebauten Plenarsaals. Die hohen Fenster sorgen nun für Licht im Parlament. (Bild: Hartmut Möller)

Insbesondere der wiederholt in Aussicht gestellte Abbruch des denkmalgeschützten Plenarsaals erhitzte die Gemüter. 1962 hatte Dieter Oesterlen das klassizistische Leineschloss (Baumeister: Georg Ludwig Friedrich Laves, 1788-1864) zum Abgeordnetenhaus umgebaut. Für den Neubau des benachbarten Parlamentssitzes entwarf er einen kühnen Solitär. An der durch den Portikus des Schlosses verlaufenden Achse spiegelte er das Volumen des Bestandes – der Plenarsaal kann deswegen auch als moderne Ergänzung des Herrschaftspalastes gelesen werden.

Nach längerem Sanierungsstau gab es bereits 2002 einen Wettbewerb, den die vor Ort ansässigen Koch Panse Architekten mit dem Vorschlag einer behutsamen Modernisierung gewannen. Sparmaßnahmen verhinderten jedoch, dass er umgesetzt wurde. So folgte 2009 ein zweiter Wettbewerb. Der Sieger, das Kölner Büro yi architects, sah den Abriss des Tagungsortes vor und setzte an dessen Stelle einen merkwürdig deplaziert wirkenden Säulentempel. Diese Wettbewerbsentscheidung provozierte einen stetig wachsenden Widerstand in der Bevölkerung, der sich in einer Petition mit über 40.000 Unterschriften manifestierte. 45 Mio Euro hatte man für das Projekt veranschlagt. Als dann aber eine präzise Projektanalyse die Kosten des Neubaus (auch im Vergleich zum Erhalt der Bestandskubatur) deutlich höher schätze, war auch diese Variante vom Tisch. Erneut war aus Steuergeldern eine Abfindung an das betroffene Büro gezahlt worden, das nun nicht zum Zuge kam. In einem dritten Anlauf wurde schließlich 2013 das Stuttgarter Planungsbüro blocher partners bestimmt, die Sanierung und den Umbau zu planen.

 

Und wieder drohte der Abriss

 

1808_AT_moeller_grothus_LandtagH

Links der Blick auf die Baustelle (Bild: Hartmut Möller), rechts die neue Halle, die sich direkt an den Portikus des Altbaus anschließt. (Bild: Joachim Grothus für blocher partners)

Knochenfunde auf dem Areal, die Insolvenz einer Fachfirma, juristische Streitigkeiten mit einer anderen und damit verbundene Zeitverzögerung und Kostensteigerung zerrten weiter an den Nerven aller Beteiligten. Als das Bauwerk 2015 vollständig entkernt und nur noch die rohe Konstruktion der Außenhülle stand, drohte aufgrund von Korrosionsschäden im Beton abermals die vollständige Demontage. Glücklicherweise konnte diesem Problem durch Verstärkung der Wände um wenige Zentimeter begegnet werden. Zudem wurden 120 Mikrobohrpfähle in den Boden getrieben, auf denen jetzt das neue Fundament ruht.

Während außen die nüchterne Formensprache der Nachkriegsarchitektur dem Denkmalschutz Rechnung trägt, wurde das Innenleben vollkommen umgestaltet. Der hinter dem Portikus gelegene, vollständig von Glaswänden eingefasste Grünhof mit Wasserbecken, ist gewichen. Dafür überspannt jetzt ein üppiges Glasdach die geräumige Halle, in der man sich für den Meinungsaustausch zusammenfinden kann. Ein letztes Relikt aus Oesterlens Entwurf ist hier die markante, doppelläufige „Niedersachsentreppe“ gegenüber des Eingangs. Auch sie strahlt, wie sämtliche Säulen, Boden-, Wand- und Deckenflächen in einem Weiß, das einerseits klinisch-steril, andererseits hell und freundlich daherkommt.

1809_AT_Grothus_LandtagH_Plenar

Blick in den neuen Plenarsaal. (Bilder: Joachim Grothus für blocher partners)

Der sich linker Hand befindliche Sitzungssaal war ursprünglich von einer Wandelhalle gerahmt und als „Raum im Raum“ inszeniert; seine spärliche natürliche Belichtung erfolgte durch die teilverglaste Decke. Nun wurde die hölzerne Einfassung entfernt und die Saalausrichtung um 180 Grad gedreht. Das direkt an die Außenmauer gerückte Parlament erhält somit über die mächtigen Fensterschlitze sowie die 7,50 Meter hohe Wand aus Glas, die den Saal von der Portikus-Halle trennt, wohltuendes Tageslicht. Außerdem wird neben der gewünschten Transparenz und Offenheit ein direkter Bezug zum vorgelagerten „Platz der Göttinger Sieben“ hergestellt. 150 Abgeordnete nimmt die Bestuhlung auf. Links und rechts des Halbrunds bieten Nussbaum verkleidete Tribünen 261 Besuchern und 30 Journalisten Platz. Ein großzügiger Restaurantbereich im EG schafft mit 120 Innen- und 180 Außenplätzen Volksnähe.

Offen und hell

 

1809_AT_moeller_LandtagH3

Übergangsbereich zwischen Plenarsaal und der neuen, großzügigen Vorhalle. (Bild: Hartmut Möller)

Selbstverständlich kann das für über 58 Mio. Euro runderneuerte Haus der Politik mit Barrierefreiheit samt Leitsystem, einem Gebetsraum und allerlei technischen Raffinessen hinsichtlich Kühlung, Akustik oder Rauchabzug aufwarten. Zwar wirkt die Natursteinfassade, nachdem einige defekte Granitplatten ausgetauscht wurden – die neuen Platten stammen aus dem selben Steinbruch wie die Originale – aktuell noch etwas scheckig, in absehbarer Zeit werden sich die neuen Platten den alten aber angeglichen haben. Auch wenn Kritiker die Variante als „Neubau durch die Hintertür“ schmähen (immerhin wurden 4000 Kubikmeter Beton, 300 Tonnen Stahltragwerk und 700 Tonnen Bewehrung verbaut), ist den Planern durchaus der Spagat gelungen: Das Gebäude erfüllt Zweck und Anforderungen eines modernen Landtagsbetriebs und zollt seinem Vorgänger gleichsam Respekt. Denn selbst wenn sich im Innern nur wenig von der Aufbruchstimmung und Anmut der 1960er Jahre erahnen lässt, Ottonormalbürger wird äußerlich kaum einen Unterschied zum Ursprungsbau bemerken. Als demokratisches Sinnbild im Geist seines Erbauers fügt sich der Quader wie bisher nahtlos und vorzüglich in den Stadtraum ein. In Anbetracht der durchwachsenen Planungsgeschichte thront oberhalb der Leine daher gewiss das bestmögliche Ergebnis!

1809_AT_LantagH_Plaene


Standort: Hannah-Arendt-Platz 1, Hannover
Bauherr: Staatliches Baumanagement Hannover, Celler Straße 7, Hannover
Architekt: blocher partners, Stuttgart
Projektteam
Betreuender Partner: Wolfgang Mairinger
Betreuender Partner Innenarchitektur: Anja Pangerl
Projektleiter: Carola Landgraf
Stellv. Projektleiter: Martin Schneider
Mitarbeiter: Aniko Pierucci, Evelyn Fiedermann, Nina Dann, Michaela Beck-Thalmeier, Markus Goetz, Markus Huculak, Kathrin Cook
Bauzeit: 1.7.2014 bis 27.10.2017
Fertigstellung: Oktober 2017
Grundstücksgröße: 6400 qm
Bruttogrundfläche: 13.850 qm
Kosten: rund 58,2 Millionen Euro
Fachplaner
Bauleitung: blocher partners mit ERNST² ARCHITEKTEN AG, Stuttgart
Projektsteuerung: ARCADIS Deutschland GmbH, Hannover
Landschaftsarchitektur: Lohaus + Carl GmbH Landschaftsarchitekten + Stadtplaner, Hannover
Lichtplanung: Licht Kunst Licht AG, Berlin
HLS, Klimatechnik: Kofler Energies, Braunschweig
Brandschutz: CRP Bauingenieure, Hannover