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Ich will es nicht wissen

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Stilkritik (46) Nein, Äußerungen der AfD-Mitglieder darf man nicht unwidersprochen lassen, schließlich sitzen einige im Deutschen Bundestag. Nun verkündete der baden-württembergische AfD-Politiker Wolfgang Gedeon, dass es mit den „Stolpersteinen“ des Künstlers Gunter Demnig ein Ende haben müsse. Instrumentalisierung von Geschichte ist nichts Neues – aber sie muss als solche benannt sein. Es geht ein Mal mehr um die Bedeutung des öffentlichen Raums.

Stolpersteine in Stuttgart, Tübingerstraße (Bild: Wilfried Dechau)


Aktuelle Stunde zur Erinnerungskultur (Bild: Deutscher Bundestag)

„Aktuelle Stunde“ zur Erinnerungskultur (Bild: Deutscher Bundestag)

Es gab immerhin auf Antrag der Grünen am 23. Februar 2018 eine „aktuelle Stunde“ zum Thema „Erinnerungskultur“ im Deutschen Bundestag, also eine Art Geschichtsnachhilfestunde für manche seiner Mitglieder – nicht die schlechteste Referenz für den Bundestag, nachzuhören > hier.

AfD-Mitglied Marc Jongen gab dann zu, dass „in der Hitze des Gefechts“ die eine oder andere Äußerung von AfD-Vertretern „übersteuert“ gewesen sei. Dem AfD-Chef Gauland gehen martialische Worte ohnehin flink über die Lippen. Weil der mit rassistischen Äußerungen mehrfach aufgefallene AfDler Roman Reusch, vormals Leitender Oberstaatsanwalt in Düsseldorf, nicht in das parlamentarische Kontrollgremium (u. a. für Geheimdienstkontrolle zuständig) gewählt worden ist, beschwerte sich Gauland und sagte vor der Presse: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg haben.“
So funktioniert populistische Meinungsmache: Man haut ein paar markige Worte und steile Thesen raus und relativiert anschließend, alles sei nicht so gemeint.

Stolpersteine in Stuttgart, Breitlingstraße (Bild: Wilfried Dchau)

Stolpersteine in Stuttgart, Breitlingstraße (Bild: Wilfried Dechau)

Kunst und Erinnerung im öffentlichen Raum

Es liegen in über 1.100 Orten in Europa inzwischen über 60.000 > Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig, jeder gilt dem Andenken eines Opfers. Gedacht wird „aller verfolgten oder ermordeten Opfer des Nationalsozialismus: Juden, Sinti und Roma, politisch Verfolgten, religiös Verfolgten, Zeugen Jehovas, Homosexuellen, geistig und/oder körperlich behinderten Menschen, Zwangsarbeiter und Deserteure – letztlich aller Menschen, die unter diesem Regime leiden mussten“. Herstellung und Verlegen kosten 120 Euro pro Stein – die Initiativen gehen von Antragstellern, nicht vom Künstler aus.
Die Stolpersteine gehören als „KunstDenkmale“ zu den eindrucksvollsten Zwittern aus Kunstwerk und Erinnerungsarbeit, die in den letzten Jahren entstanden sind – in ihrer Unscheinbarkeit ein wenig verwandt den Kunstaktionen von Jochen Gerz, der zum Beispiel im Hof des Saarbrücker Schlosses 1993 den „Platz des Unsichtbaren Mahnmals“ anlegte.(1)

Stolperstein im Stuttgarter Heusteigsviertel (Bild: Wilfried Dechau)

Stolperstein im Stuttgarter Heusteigsviertel (Bild: Wilfried Dechau)

Die Stolpersteine drängen sich nirgends auf, sie halten auf unseren alltäglichen Wegen aber im Gedächtnis, dass hierzulande ein rassistisch motivierter Völkermord begangen worden ist. Niemand, der an den Steinen vorbeikommt, muss sich irgendwie schuldig fühlen. Aber man kann sich nicht oft genug vergegenwärtigen, dass dergleichen nie wieder vorkommen darf. Dieser einfachen Erkenntnis verschließt sich Gedeon ganz und gar. „Mit ihren Aktionen versuchen die Stolperstein-Initiatoren ihren Mitmenschen eine bestimmte Erinnerungs-Kultur aufzuzwingen und ihnen vorzuschreiben, wie sie wann wessen zu gedenken hätten“. Wenn ich durch die vielen Königsstatuen und -denkmale im öffentlichen Raum nicht dauernd an die Monarchie erinnert werden möchte, dann schlage ich eben nicht vor, alle plattzumachen.

Erinnerungskultur und Stolz

Und sein Parteivorsitzender Alexander Gauland steht ihm in nichts nach. „Man muss uns diese zwölf Jahre [1933-1945, Anm. d. Autorin] jetzt nicht mehr vorhalten“, hatte Alexander Gauland in einer Rede Anfang September erklärt. „Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr.“ Grotesk ist dann aber, dass Gauland auf die Leistungen der Soldaten, die „in diesen zwölf Jahren“ in einem von Deutschland angezettelten Weltkrieg hinreichend erforschte Verbrechen begangen haben, „stolz sein“ will. „Die Soldaten“ gehören offenbar zur Identität von Alexander Gauland, Weltkriegsverursacher und -opfer und Völkermord nicht. Das Perfide seines Umgangs mit Geschichte tritt hier explizit in Erscheinung – und der Verdacht der Volksverhetzung liegt insofern nahe.

Meinung, Wissen, Wertebildung

Dass wir mit der Geschichtswissenschaft diesem Missbrauch entgegenwirken können, zeichnet das Land – noch – als Kultur- und Wissensgesellschaft aus. Aber wirkt unser Bildungssystem noch ausreichend gegen irregeleitete Meinungsschwärme und dummdreiste Hassprediger?
Es rächt sich bereits an vielen Stellen, dass im Bildungssystem gerade an den geisteswissenschaftlichen und damit auch den geschichtswissenschaftlichen Institutionen gespart wird. Immer mehr Geld fließt in die wirtschafts- und industrietaugliche „Forschung“, und mehr und mehr zeigen sich die Konsequenzen fehlender humanistischer Bildung und der Lücken in den Wertesystemen gerade junger Menschen.

Kunstaktion der Künstlergruppe "Rocco und seine Brüder": "Wehrmachtsstolpersteine" vor der AfD-Zentrale in Berlin (Bild: Rocco und seine Brüder)

Kunstaktion der Künstlergruppe „Rocco und seine Brüder“: einer der „Wehrmachtsstolpersteine“ vor der AfD-Zentrale in Berlin (Bild: Rocco und seine Brüder)

Nicht zuletzt bleibt zu beobachten, dass auch Architekturgeschichte als grundlegendes Fach in der Architektenausbildung mehr und mehr an Bedeutung verliert. Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang auch die Kunstaktion der Guerillakünstlergruppe „Rocco und seine Brüder“: Sie leistete Erinnerungsarbeit, indem sie vor der AfD-Zentrale in Berlin „Wehrmachtsstolpersteine“ verlegte. Unter anderem, um an das Massaker im griechischen Kefalonia zu erinnern. Dort hatten 1943 deutsche Wehrmachtssoldaten 5200 gefangene Italiener erschossen, die sich zuvor ergeben hatten. (2)


(1) Quelle Wikipedia: Die Vorgeschichte zum „Platz des Unsichtbaren Mahnmals“ des Kunstprofessors Jochen Gerz und mehrerer Studenten begann damit, dass 1990 bis Mai 1993 – zunächst heimlich – in die Pflastersteine vor dem Saarbrücker Schloss die Namen jüdischer Friedhöfe eingemeißelt und diese Steine anschließend, mit der Beschriftung nach unten, wieder in das bestehende Pflaster eingefügt wurden. Im Schloss war eine Leitstelle der Gestapo untergebracht. Die Idee wurde vom Stadtverbandstag Saarbrücken aufgegriffen, der im August 1991 die Realisierung des Denkmals beschloss. Insgesamt 2146 Ortsnamen jüdischer Friedhöfe, die bis zum Jahr 1933 bestanden hatten, wurden in die dunklen Pflastersteine des Mittelstreifens des Schlossplatzes eingefräst und im Boden versenkt. Das Mahnmal wurde am 23. Mai 1993 der Öffentlichkeit übergeben und ist seitdem lediglich an den unauffällig angebrachten Schildern zum „Platz des Unsichtbaren Mahnmals“ erkennbar. Auf diese Weise soll die Verdrängung der Geschichte symbolisiert werden.

(2) http://www.deutschlandfunkkultur.de/satirische-stolpersteine-vor-der-afd-zentrale-stiftung-wir.2156.de.html?dram:article_id=402566