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Fragen zur Architektur (25) | Im Teil 1 zum Begriff „Identität“ (>>>) ging es um seine Aspekte Form und Ausdruck und um die Intentionen, mit denen (alt-)bekannte Architekturmotive derzeit neu codiert werden. Daneben gibt es Ansätze, den Begriff Identität global zu aktualisieren – ein Impuls für den Architekturdiskurs und zur Revision der Moderne.


Obwohl sich der Begriff „Identität“ im Kontext von Architektur und Architekturmotiven wegen groben Missbrauchs durch teils willkürliche Neucodierung als untauglich erweist, darf er doch nicht allzu einfach ad acta gelegt werden. Denn erkennbare, identifizierbare Unterschiede aller Art lassen sich auch in der Architektur nicht leugnen – seien sie lokal, politisch, ökonomisch oder wie auch immer zu beschreiben und erklären. Nur genügt es nicht, sie im Kontext einer „Identität“ als fixier- oder verallgemeinbar zu instrumentalisieren. Der französische Philosoph François Julien hatte 2017 vorgeschlagen, nicht von einer Identität von Kultur zu reden, sondern von den Ressourcen derselben, die allgemein nutzbar und damit vielfältig entwickelbar seien. Teilhabe, Gemeinsamkeiten, das Bewusstsein einer universalen Menschenwürde – dergleichen mache das Zusammenleben von Kulturen welcher Art auch immer aus, sofern sie friedliche Koexistenzen anerkennen. (1)

Lokal, global

Bezogen auf eine globale Architekturentwicklung ließe sich hier konkretisieren, was Standards in der Standfestigkeit, Funktionalität, in Komfort, Hygiene, Energie- und Wasserversorgung sein sollten. Von einem formalen Ausdruck muss dabei nicht ansatzweise die Rede sein, vielmehr geht es darum, die bisher ökonomisch dominierte Globalisierung in technischen und sozioökologischen Bereichen zu qualifizieren. Denn mit der unaufhaltbaren Digitalisierung gewinnen globale Entwicklungen an einer Dynamik, die bremsen zu wollen nur als naiv oder weltfremd zu bezeichnen ist. Was also nützt in diesem Zusammenhang der Begriff „Identität“? Herfried und Marina Münkler hatten in ihrem Buch „Die neuen Deutschen“ hoffnungsfroh dargelegt, dass Identität im Sinne der Weltoffenheit so umgedeutet werden könne, dass im alten Sinne „Fremde“ mehr oder weniger umstandslos „integriert“ werden könnten. (2). Um es anschaulich zu machen: Profilieren sich Bayern herkömmlich mit „Laptop und Lederhose“, gewänne nun sehr pragmatisch der Laptop zulasten der Lederhose an Integrationskraft. Schaut man sich – um in Bayern zu bleiben –, die rasant gebaute Architektur der letzten Jahre an, versinkt München tatsächlich in einem Meer ubiquitärer Rasterarchitektur, wie sie sich weltweit in urbanen Kontexten längst durchgesetzt hat. Eine „Identität“ ist hier nicht mehr auszumachen.


Paul J. Crutzen in Nature: " The Anthropocene could be said to have started in the late eighteenth century, when analyses of air trapped in polar ice showed the beginning of growing global concentrations of carbon dioxide and methane."

Paul J. Crutzen in Nature: “ The Anthropocene could be said to have started in the late eighteenth century, when analyses of air trapped in polar ice showed the beginning of growing global concentrations of carbon dioxide and methane.“

Moderne weltweit

Auch wenn derzeit noch immer die „Moderne“ zur Schuldigen für alles und jedes erklärt wird, was gerade schief läuft, was missfällt oder Ärger bereitet oder den vermeintlichen Verlust von Identität mit sich bringt, lässt sich ihre globale Relevanz gar nicht mehr in Frage stellen oder gar negieren – so wenig wie sich Klimawandel und andere ökologische Entwicklungen lokal beschränken lassen. Was Paul Crutzen 2000 mit Anthropozän bezeichnete, weist indes die globalen Entwicklungen zurück in die Verantwortung lokalisierbarer Lebensstile: Wirtschaftswachstumsideologien, Konsumterror – diese Lebensstile verursachen Katastrophen weltweit, aber intendiert nicht dort, wo sie gepflegt werden. (3) Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an.


Im April 2018 auf deutsch erschienen: Bruno Latours Buch "Das terrestrische Manifest".

Im April 2018 auf deutsch erschienen: Bruno Latours Buch „Das terrestrische Manifest“.

Global, universal, terrestrisch

Um sich jedoch nicht in ideologischen Rückzugsgefechten zu verheddern, hatte Bruno Latour schon 1991 klargestellt, dass die Menschheit noch nicht einmal in der Moderne angekommen sei. (4)

Und 2017 folgte sein „terrestrisches Manifest“, in dem er Identität (im weitesten Sinne) schlichtweg als ein global zu suchendes Gemeinsames anmahnt. (5) Man mag sich an Hans Küngs Projekt > Weltethos erinnern, in dem – weniger pragmatisch als bei Latour – eine globale, religionsübergreifende Suche nach verbindlichen Werten thematisiert ist. Weit provokanter gerieten Peter Sloterdijks Thesen in den „Regeln für den Menschenpark“ – doch das führt hier zu weit.


 

Veranstaltungen zum Bauhaus-Jubiläum werden in einem gemeinsamen Portal notiert.

Veranstaltungen zum Bauhaus-Jubiläum werden in einem >>> gemeinsamen Portal notiert.

Defizite im Globalen

So weit, so gut. Was sich in diesem politischen Kontext für Architekturdiskurse der Gegenwart schöpfen lässt, gehört wohl ins Programm all der Veranstaltungen, die 2019 aus Anlass von 100 Jahren Bauhaus anstehen. Ausstellungen, Kongresse, Bücher – mit welchem Enthusiasmus vor hundert Jahren diese Bewegung weltweit an Einfluss gewann, wird überall thematisiert und diskutiert werden. Lokalisierbar oder monokausal zu verteufeln ist die (Bauhaus-)Moderne rückblickend nicht mehr – was nicht heißt, dass lokale Spiel- beziehungsweise Bauarten nicht zum Phänomen der internationalen Modernen gehören. Messen lassen müssen sich die Programme des Bauhaus-Jahres nun an dem Anspruch, wie es gelingen kann, globale Fragen der Architektur- und Stadtentwicklungen wissenschaftlich zu vergegenwärtigen. Wie ließe sich eine globale Baugeschichte schreiben? Was heißt „think globally, act locally“ in der Bürgerbeteiligung? Wie strukturiert man globale Standards, ohne in abartiger Bürokratie zu landen? Was muss von einer globalen Technikentwicklung erwartet oder befürchtet werden? Derweil wittern die üblichen Verdächtigen schon Geschäfte auf dem Mars, dessen Grund und Boden bereits vermarktet werden, bevor je ein Mensch seinen Fuß auf den roten Planeten gesetzt hat.

Das Bauhaus-Motto „Die Welt neu denken“ ist gewiss gut gemeint. Ist aber erst mal nichts anderes als die Übernahme von Manager- und Marketing-Deutsch.


(1) François Julien: Es gibt keine kulturelle Identität. Wir verteidigen die Ressourcen einer Kultur. Berlin, 2017

(2) Herfried und Marina Münkler: Die neuen Deutschen. Ein Land vor seiner Zukunft. Berlin, 2016

(3) Paul Crutzen: Geology of mankind. Nature, 415, 3. Januar 2002

(4) Bruno Latour: Nous n’avons jamais été modernes. Paris 1991. Dt.: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Übersetzt von Gustav Roßler. Berlin 1995

(5) Bruno Latour: Das terrestrische Manifest. Deutsche Ausgabe Berlin, 2018, 1: Où atterrir? Comment s’orienter en politique. La Découverte, Paris 2017. Dt.: Das terrestrische Manifest, aus dem Französischen von Bernd Schwibs. Berlin 2018