Stilkritik (83) | Nach dem Museumsbauboom ging es in den letzten Jahren mit großen Konzerthäusern voran – ältere müssen saniert werden. Derzeit schlägt beispielsweise hohe Wellen, dass die Stuttgarter Oper für eine knappe Milliarde Euro vor allem brandschutz- und bühnentechnisch aufgerüstet werden soll. Zwar ist immer wieder von den Ansprüchen „der Nutzer“ die Rede. Aber wer ist der/die Nutzer/in? Beobachtungen zur unterschätzten Bedeutung des Foyers.
Eine der zehn größten Städte von Rheinland-Pfalz – etwas größer als eine Mittelstadt – rühmt sich völlig zu Recht als „Musikstadt“. An einem Adventssonntag präsentieren sich im großen, städtischen Veranstaltungshaus, dem Neustädter „Saalbau“, Musikschulen für die ganz Kleinen, Cello- und Klavierlehrerinnen, Vocal-Coachs, Gesangsvereine, eine Lehrer-Kombo, der Band-Leader von Montezuma’s Revenge und Einrichtungen allfälliger Talent-Förderung. Am Abend spielt ein inzwischen weltbekannter, gerade mal 32 Jahre junger Pianist, der ein „Sohn der Stadt“ ist, ein anspruchsvolles Programm, unter anderem mit Franz Liszts Sonate in h-Moll – als Benefiz-Konzert.
Im Foyer treffen den ganzen Tag lang Musikfreunde aufeinander. Als abends parfümierte Damen und Herren in mehr oder weniger kleidsamen Roben hereinrauschen, um dem Benefiz-Konzert beizuwohnen, krähen Fünf- bis Siebenjährige noch in einem Kinderchor. Ihre Zugaben führen die Generationen mit rührenden Oldies zusammen: Bei „Oh happy day“ und „Mein kleiner grüner Kaktus“ entspannen sich die Gesichter jener, die an ihre Jugend erinnert werden, und manch rundlich gewordene Hüfte kommt ins Schwingen, hollari, hollari, hollaro …
Die Bühne des Publikums
Das Foyer ist die Bühne der Zuhörer und Zuschauer, die ein Interesse an Theater, Kunst und/ oder Musik eint. Sehen und gesehen Werden halten sich hier die Balance, und geschossübergreifende Szenarien sind bei Architekten beliebt. Treppen als Raum gestaltende Delikatessen bieten den flanierenden Gästen willkommene Gelegenheit zur Selbstinszenierung. Ach, der Gemeinderat R., auch wieder da? Ohne die Frau Gemahlin? Galerien mit Blickmöglichkeiten hinauf und hinab erfreuen, wobei die Aufsicht auf das menschliche Haupt nicht immer vorteilhaft ist, weil ungefärbte Haaransätze oder starke Haarverluste deutlich, aber ungewollt in Erscheinung treten. Aus der Perspektive von oben scheint auch manches Dékolleté zu gewagt – diskret gilt es hier wegzuschauen. Die Gattin des Vorstandsvorsitzenden – einem Mäzen von Format – wusste noch nie, sich angemessen zu kleiden und flattert auch heute wie ein flügelkranker Papagei zur Champagner-Bar.
Erhoffen und erwarten
Das Foyer eignet sich auch hervorragend als Ort für ein schickliches Rendez-vous, denn die Vorfreude auf ein beispielsweise musikalisches Ereignis überträgt sich risikolos auf diejenigen, die sich auf etwas ganz anderes freuen. Man begrüßt einander herzlich und lachend, anders als beim Kardiologen-Kongress oder zur Tarifverhandlung. So zeigt sich ein zauberhaftes Lächeln auf dem Gesicht der Mittvierzigerin, der sich ein leicht ergrauter, gerade noch in Form gebliebener Herr über die Maßen zuwendet. So darf auch der Blickkontakt von zwei einander Zuprostenden länger dauern, als es in unverfänglichem Maß üblich ist. Dem geselligen Zusammensein sind zum Glück durch Veranstaltungsbeginn und Pausen Grenzen gesetzt, was der typischen Atmosphäre im Foyer stets etwas unverbindlich Heiteres beschert.
Kultur für alle
Der sehr junge Pianist ist übrigens Joseph Moog, preisgekrönt und weltweit gefragt. Dass der Flügel im Saalbau bei weitem nicht mit dem Talent und Können des Pianisten mithalten kann, zeigt, wie wichtig eine flächendeckende Kulturfinanzierung ist. Der Flügel ist nicht ordentlich gestimmt und scheppert bei bestimmten Tasten wie ein Saloon-Klavier. Eine „Musikstadt“ muss Geld genug für einen tauglichen Konzertflügel bekommen, sonst bleiben die Pianisten weg, für welche die Zuhörerschaft – aus allen Altersgruppen – im Foyer Loblieder in höchsten Tönen anstimmen kann. (Ergänzung Ende Januar 2020 auf Nachfragen: Ein neuer Konzertflügel kostet etwa 200.000 Euro, das sind 0,02 Prozent der Opernhaussanierung in Stuttgart).
Wahlfreiheit
Das Foyer ist ein wunderbarer Begegnungsort, für den Architekten erheblichen Aufwand treiben. Beim Entwurf ist allerdings darauf zu achten, dass architektonische Wirkung und funktionale Perfektion in einem schönen Gleichklang bleiben. Wenn beispielsweise in der Elbphilharmonie Erschließungs- und Barbereiche deutlich getrennt sind, dann verliert das „Foyer“ das funktional Zwangslose. Und das ist es, was das Foyer von allen anderen (halb-)öffentlichen Räumen unterscheidet. Man kann auch kurzfristig entscheiden, ob das Programm wirklich das richtige für den Abend ist – und unbeschwert nach Hause gehen.