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Eingangsgebaeude zum alten Elbe-Tunnel (© Martina_Nolte, wikipedia)

Eingangsgebäude zum alten Elbe-Tunnel (© Martina Nolte, wikipedia)

Das erbärmlichste Schauspiel des energetischen, ökologischen Umbaus der Republik bietet die so genannte Verkehrswende, in der die Bundesregierung so gut wie nichts zum Guten wendet. Aber gerade die Auseinandersetzung mit dem Bestand der Infrastruktur bietet Gelegenheiten, Autos weitgehend raus aus den Innenstädten zu verbannen und die Mobilität für FahrradfahrerInnen, Fußgänger und Nutzer des ÖPNV zu verbessern – ein Tunnel unter der Elbe in Sankt Pauli zeigt, wie es gehen kann.


Oh jeh, war das aufregend. Das erste Mal in einem Tunnel. Mitte der 1950er-Jahre. Familienausflug nach Hamburg. Hinten drin im DKW 3=6, dem Auto, von dem es in der Werbung hieß, es sei mit drei Zylindern genauso leistungsfähig wie mit sechs. Auf jeden Fall war das Auto schlank genug für die am Pferdefuhrwerk bemessene Fahrspur des Tunnels.

Teil eins des Abenteuers: Der Fahrstuhl. Fahrstühle kannte ich nur aus dem Kaufhaus, mit Fahrstuhlführer: »Erster Stock. Kurzwaren. Damenoberbekleidung«. Und hier fuhren wir nun mit dem Auto hinein in einen riesigen Fahrstuhl, groß genug für eine Kutsche samt Pferden. Rund zwanzig Meter abtauchen. Allein das war schon die Reise wert. Und dann rein in die schier endlos scheinende, hell geflieste Röhre. Unter der Elbe durch zur anderen Seite. So viel Wasser über uns. Und ich konnte doch noch nicht einmal schwimmen…

Querschnitt durch die beiden Röhren; bei der Höhe des Tunnels musste nicht allein die Sitzhöhe der Kutscher berücksichtigt werden, sondern auch die Höhe des Peitschenschwungs. (Bild: Boeger-Jaeckle)

Querschnitt durch die beiden Röhren; bei der Höhe des Tunnels musste nicht allein die Sitzhöhe der Kutscher berücksichtigt werden, sondern auch die Höhe des Peitschenschwungs. (Bild: Boeger-Jaeckle)

Gut siebzig Jahre später wieder dort. Zu Fuß. Runter mit dem Fahrstuhl. Ob SUVs wohl auch hineinpassen würden? Egal. Der Tunnel ist Fußgängern und Radfahrern vorbehalten. 2019 wurde er für den Autoverkehr gesperrt. Renaissance eines Tunnels. Wiedergeboren als Touristenattraktion.

Tübbings: Vorarbeiten an den Segmentstücken. Sechs Tübbings wurden zu einem Röhrenabschnitt zusammengenietet. (Bild: Holzmann Bildarchiv)

Tübbings: Vorarbeiten an den Segmentstücken. Sechs Tübbings wurden zu einem Röhrenabschnitt zusammengenietet. (Bild: Holzmann Bildarchiv)

Rückblick

Im März 1907 bewilligte der Senat das lange geforderte Tunnelbauwerk. Im Juli 1907 erster Spatenstich. 4400 Arbeiter waren am Bau beteiligt. Stück für Stück wurden die zwei 426,5 m langen Tunnelröhren im Schildvortrieb gebaut.
Beide Tunnelröhren bestehen aus etwa 1700 einzelnen, ringförmigen Rohrsegmenten, die wiederum aus sechs Tübbings aus gewalztem Flusseisen zusammengesetzt wurden (genietet und mit Bleifugen abgedichtet). Die so entstandene Röhre wurde danach von innen mit Beton gegen das Aufschwimmen gesichert und die Fahrbahn hergestellt. Danach wurden Aufzüge (zwei große und zwei kleinere Lastenaufzüge und zwei Personenaufzüge je Schacht) und Stromleitungen installiert und schließlich die Tunnelwände gefliest. Einige der Fliesen sind mit Ornamenten versehen.
Am 7. September 1911 wurde das 10,7 Millionen Goldmark teure Bauwerk feierlich eröffnet. 2003 wurde der Tunnel unter Denkmalschutz gestellt und 2011 – zum hundertjährigen Jubiläum – als »historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland« ausgezeichnet.
1939 nutzten fast 16 Millionen Fußgänger, 4,4 Millionen Fahrräder sowie 59000 Fuhrwerke beziehungsweise Autos den Tunnel. In den sechziger Jahren waren es nur noch 5 Millionen Fußgänger, aber 900000 Autos. 2008 waren es 700000 Fußgänger, etwa 70000 Radfahrer und 300000 Autos.

Sanierter Wandabschnitt in der Oströhre mit nachgefertigter Schmuckfliese (Bild: Wilfried Dechau)

Sanierter Wandabschnitt in der Oströhre mit nachgefertigter Schmuckfliese (Bild: Wilfried Dechau)

Sanierung

1994 begann die Grundsanierung des St. Pauli Elbtunnels. Zuerst wurde das Schachtgebäude auf der Steinwerder-Seite, instandgesetzt, danach das Pendant auf der St. Pauli-Seite. 2010 war dann die Oströhre dran. Sie wurde am 26. April 2019 wiedereröffnet und für den Verkehr freigegeben. 2019 fing die Instandsetzung der Weströhre an. 2026 soll die Gesamtsanierung abgeschlossen sein.
In dieser Kurzform hört sich die Sanierung der Tunnelröhren ganz einfach an. So einfach war (und ist) es aber nicht. Zunächst müssen die Röhren entkernt werden. Das heißt, Fliesen und Betonschale werden entfernt, damit man an die Tübbing-Konstruktion herankommt. Dies erfolgt in zwei Schritten, nämlich zunächst die obere und nach Fertigstellung der oberen die untere Tunnelhälfte, damit der Tunnel immer genügend Eigengewicht aufweist um den Auftrieb zu verhindertn. Erst dann können die Niet- und Schraubverbindungen und die Fugendichtungen geprüft und gegebenenfalls erneuert werden. Dabei muss auf schadstoffbelastete Baustoffe (PAK=polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, Blei, Bleiverbindungen) geachtet werden. Das heißt, es wird in der Röhre unter erschwerten Bedingungen gearbeitet. Dann wird – mit verschiebbaren Schalungswagen – wieder eine Betonröhre eingezogen und zum Schluss erneut gefliest.

Bei der Oströhre ausschließlich mit neuen Fliesen. Auch die meisten Schmuckfliesen sind so originalgetreu wie möglich nachgebaut worden. In der Weströhre ist man bemüht, den Rückbau der Fliesen schonender vorzunehmen, um so viele Originalfliesen wie möglich bergen zu können. Mit den Denkmalschützern ist vereinbart, einen Streifen von etwa zehn Metern Länge ausschließlich mit originalen Fliesen zu verkleiden.

Zugangsbereich (Bild: Wilfried Dechau)

Zugangsbereich (Bild: Wilfried Dechau)

Die Oströhre ist bereits jetzt einen Besuch wert. Keine Angst, Sie sind dort nicht allein. Und fahren Sie, wenn Sie wieder auftauchen, nicht mit dem Fahrstuhl, sondern gehen Sie auf der Treppe hoch (Bild 10). Von dort aus können Sie in aller Ruhe den Blick nach oben genießen und, oben angekommen, die liebevoll grün gefliesten Wände des Treppenzugangs bewundern.

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(Bild: Wilfried Dechau)

(Bilder: Wilfried Dechau)


Literatur
– Der geplante Tunnel unter der Elbe zwischen den Stadtteilen St. Pauli und Steinwärder in Hamburg. In: Deutsche Bauzeitung, Jg. 38 (1904), Nr. 45, S. 274-276
– Hans Jürgen Witthöft: Der Alte Elbtunnel. Geschichte und Geschichten, Hamburg, 2019
– Sven Bardua: Der Alte Elbtunnel, Hamburg, Band 8 der Reihe Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland, Berlin 2011
– Hein Schlüter: Faszination St. Pauli Elbtunnel. Vom technischen Meisterwerk zu Hamburgs einzigartigem Kulturgut, Hamburg, 2012

Weitere Informationen
– Ein Video auf Youtube erläutert den Bau des Tunnels: https://www.youtube.com/watch?v=hdBzASU8siM
– Zur Hundertjahrfeier bei Spiegel.de (mit 20 historischen Abbildungen): https://www.spiegel.de/geschichte/100-jahre-elbtunnel-a-947320.html
– und bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/St._Pauli-Elbtunnel

Beteiligte
Bauherr (Erstellung): Freie und Hansestadt Hamburg
Architekten: Raabe & Wöhlecke, Altona
Baufirma: Philipp Holzmann & Cie, Hamburg
Aufzüge: Otis Elevator Gesellschaft, USA

Bauherr (Sanierung): HPA, Hamburg Port Authority, Hamburg
Beteiligte Firmen (Oströhre):
ARGE Grundinstandsetzung St.-Pauli-Elbtunnel (HC Hagemann und
Ed. Züblin, Hamburg)
Boizenburg Fliesen, Boizenburg/Elbe
Kuretzkykeramik, Borstorf
Schatte GmbH, Hamburg
Ingenieure:
Ingenieurgesellschaft von Lieberman, Hamburg
Böger + Jäckle, Henstedt-Ulzburg
Wulff & Partner, Hamburg