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Wie sieht die Ikonographie der Verkehrswenden im 21. Jahrhundert aus? Der öffentliche Raum in Innenstädten jeglicher Größe ist Mangelware, denn stehendes Blech und rollender Verkehr beanspruchen mit Autos, Bahnen, Bussen, Motor- und Fahrrädern enorm viel Platz. So ist nachvollziehbar, dass sich Karlsruhe mit einem Befreiungsschlag – die innerstädtischen Straßenbahnlinien und Teile des Autoverkehrs in Tunnel zu verbannen – Platz auf historischem Grundriss verschaffen wollte. Mit insgesamt sieben Stationen ist die U-Bahn-Strecke zwar überschaubar, die Eindämmung des innerstädtischen Individualverkehrs bleibt eine halbherzige Abkehr von der autogerechten Stadt – aber immerhin.

Großzügig und hell: neue U-Bahn-Station am KIT (Bild: Brigida González)

Gerade erschien ein Bildband von Frank Herfort zu den Metro-Stationen, die in der Sowjetunion vor 1991 entstanden sind. Man ist überwältigt angesichts der Pracht und Dekorationslust, die hier einerseits den Rang des politischen Systems belegen soll, aber genauso gut als Hinweis darauf gedeutet werden kann, welche Gestaltungskraft in das öffentliche, jedermann verfügbare Verkehrsmittel Metro geflossen ist: Die Stationen sind als »Paläste des Volkes«, allerdings unter widrigen Umständen und Repressalien geplant und gebaut worden. Leider haben wir keine Fotos aus diesem Band zur Verfügung gestellt bekommen, aber man kann sich vorstellen, welche Faszination von den üppigen Stationen ausging und -geht.1) Heute lässt sich eingedenk einer unausweichlichen Verkehrswende fordern, dass nichts schön genug sein kann, um Menschen aus ihren Autos heraus- und in die öffentlichen Verkehrsmittel hineinzulocken. Ein Experiment dazu ist nun in Karlsruhe zu besichtigen.

Karlsruhes zentrierter Stadtgrundriss ist nicht moderner Mobilitätslogik zu danken, sondern noch einer Verherrlichung politischer Macht. (Bild: Presse ASW, München)

Karlsruhes zentrierter Stadtgrundriss ist nicht moderner Mobilitätslogik zu danken, sondern noch einer Verherrlichung politischer Macht. Eingefärbt ist der Bereich, in dem die Straßenbahn unter die Erde gelegt wurde. (Bild: Presse ASW, München)

Bürger, entscheidet!

Große Projekte der Infrastruktur wie Stuttgart 21 oder die Bahnhofum- und Neubauten in Berlin oder München bleiben mit desaströsen Vorgeschichten und leidigen Begleiterscheinungen in Erinnerung. Auch in Karlsruhe ist den Bewohnerinnen Geduld abverlangt worden, bis jetzt nach 12 Jahren Bauzeit in den Einkaufszonen stadtbahnfreie, öffentliche Räume entstehen konnten. Immerhin: Die Bürger hatten 2002 selbst entschieden, das 1,5 Milliarden Euro kostende Großprojekt in Angriff zu nehmen. Die seit Ende 2021 straßenbahnfreien Bereiche erstrecken sich von Süden bei der Station Kongresszentrum zum Marktplatz, von dort nach Westen zum Mühlburger Tor und nach Osten zum Durlacher Tor. Genau genommen sind es sieben neue, unterirdische Stationen, die nun zum Innenstadt-Feeling im Bereich des geschichtsträchtigen, barocken Stadtgrundrisses von Karlsruhe gehören. Mit der Verbannung von Autoverkehr in den Untergrund im Bereich der Kriegsstraße wird in einer »Kombilösung« noch etwas mehr Raum für Fußgänger und Fahrradfahrerinnen geschaffen.

Die Inzenierung der Beleuchtung lehnte Ingo Maurer an die Ästhetik der Obleitungen an. (Bild: Brigida Gonzáles)

Die Inzenierung der Beleuchtung lehnte Ingo Maurer an die Ästhetik der Obleitungen an. (Bild: Brigida González)

Bänke sehen gut aus, sind vielleicht etwas kühl zum sitzen. (Bild: Ursula Baus)

Bänke sehen gut aus, sind vielleicht etwas kühl zum sitzen. (Bild: Ursula Baus)

Die neuen U-Bahn-Stationen sehen zunächst einmal alle gleich aus und sind das Ergebnis eines Wettbewerbs, den Allmann Sattler Wappner mit dem Lichtkünstler Ingo Maurer 2004 gewonnen hatten. Sehr hell, wie aus einem Guss im Material, mit durchgehendem Gestaltungsansatz für Böden, Wände, Decken, Sitzgelegenheiten und so weiter manifestiert sich eine räumliche gleichbleibende Identität. Aus der Mitfahrerperspektive, also vom Straßenbahnsitzplatz aus, sehen alle Stationen eine aus wie die andere. Nur zarte Schrift weist darauf, wo man sich befindet.2)

Axonometrie des gesamten U-Bahn-Bereichs (Bild: ASW, München)

Axonometrie des gesamten U-Bahn-Bereichs (Bild: ASW, München)

Hinunter ins Helle: Oben weist ein beleuchtetes U auf den Stationseingang. (Bild: Ludwig Wappner)

Hinunter ins Helle: Oben weist ein beleuchtetes U auf den Stationseingang. (Bild: Ludwig Wappner)

Oben, im öffentlichen Raum, weisen dezente Schilder zum großzügigen Abgang in die Stationen, die überaus hell und mit Lichtinstallationen des 2019 verstorbenen Ingo Maurer angereichert sind. In den Abgängen von Straßenniveau zum Zwischengeschoss und zur Bahnsteigebene – »Transferräume« genannt – dominieren gestockte, gleichmäßig hell beleuchtete Wandoberflächen. Auf der Bahnsteigebene überrascht der Raum dann mit abgerundeten Übergängen vom Boden zur Wand und zur Decke und zudem durch eine merkwürdige Ruhe: Sind bis zur halben Wandhöhe Betonwerksteine verarbeitet, schluckt die darüber angebrachte, akustisch wirksame Trockenbaukonstruktion einiges an Schall. Das ist angenehm, weil die Innenstädte ja nicht nur durch Verkehr, sondern in Einkaufszonen zusätzlich durch Dauerbeschallung in den Erdgeschossbereichen verlärmt sind. Solchem Lärm entkommt man hier.

Aus den Tunneln soll ein Gesamtkunstwerk mit Werken von MArkus Lüpertz werden. (Bild: http://karlsruhe-kunst-erfahren.de/fileadmin/user_upload/KA_Kunst_erfahren_Broschuere_April2021.pdf)

Aus den Tunneln soll ein Gesamtkunstwerk mit Werken von Markus Lüpertz werden. (Bild: http://karlsruhe-kunst-erfahren.de/fileadmin/user_upload/KA_Kunst_erfahren_Broschuere_April2021.pdf)

Kunst statt Kommerz

Sieht man, ohne lesen zu können, in der Pariser Metro die Stationen Opéra oder Louvre, dann erschließt sich mit dem ersten Blick, wo man ist. In München oder Hamburg und an vielen anderen Orten setzt man ebenfalls auf unterschiedliche Gestaltungsansätze in einzelnen Stationen – in Karlsruhe mag das »Streckennetz« zu klein sein, um den Stationen eine je eigene, architektonische Identität angedeihen zu lassen. Nun fehlt hier natürlich noch ein Clou: Jede Station bekommt nämlich noch von Markus Lüpertz gestaltete »Bilder« zum Thema Genesis aus Keramikplatten.3) So weit ist es noch nicht, und bislang sind als »Wandschmuck« nur die von mir verabscheuten Werbefelder von Ströer & Co angebracht. Eine Station Aldi, eine Station Media Markt: Möge den Karlsruher Stationen derlei weitgehend erspart bleiben.

Hoffentlich kommen bald die Lüpertz-Werke. (Bild: Ursula Baus)

Hoffentlich kommen bald die Lüpertz-Werke. (Bild: Ursula Baus)

Die Lichtspiele – »farbige Schattenwürfe« – sind dezent angelegt, spielen sich langsam ab und entwickeln eine nahezu beruhigende Wirkung. Ikonographisch lassen sich die Stationen nur schwer interpretieren. Helligkeit und Sauberkeit, auf die es hier langfristig sehr ankommt, passen auch zu einem Krankenhausfoyer. Diese Assoziation wird aber in dem Moment aufs Schönste gebrochen, wo viele Fahrgäste ein- und aussteigen, also reger Fahrbetrieb herrscht. Dann entfaltet der helle Raum seine wohltuende Wirkung.

Farbe gehört zur Lichtinstallation von Ingo Maurer. (Bild: Brigida Gonzáles)

Farbe gehört zur Lichtinstallation von Ingo Maurer. (Bild: Brigida González)

Der öffentliche Raum

Zusätzlich wird die Geduld der Bürgerschaft strapaziert, wo derzeit – wie schon erwähnt – der Karlsruher Autoverkehr auf der Kriegsstraße zwischen Karlstor und Ostendstraße in einen Tunnel verlegt wird. Mit immensem baulichen und finanziellen Aufwand entledigt sich die Stadt in dieser »Kombilösung« der Verkehrsbelastungen in zentralen Bereichen und weist damit in eine urbane Zukunft, in der die Erdgeschossbereiche für den zu Fuß gehenden Menschen zurückerobert sind. Aufwand und Kosten sind im Rückbau jetzt das Ergebnis einer Mobilität, die mit dem individuellen Vehikel Auto in eine Sackgasse geraten ist. Eine längst fällige, konsequente Verkehrswende zeichnet sich in Deutschland leider auch jetzt nicht ab, wo die Grünen in Regierungsmachtposition gewählt worden sind. Lobbyisten aus der Autoindustrie bestimmen, wohin die FDP das Verkehrsministerium führen soll, mit Förder-Euros bleibt der Bund also Goldesel der Autoindustrie – egal, ob bei Diesel- oder E-Autos. Es sieht nicht danach aus, dass den Städten und Dörfern eine politisch stringent vorangetriebene Abkehr vom Individualverkehr mit längst marktreifen, guten Mobilitätskonzepten bevorsteht.

Zugänge zu Zwischen- und Erdgeschoss bleiben im Materialduktus aller Stationen. (Bild: Brigida González)

Zugänge zu Zwischen- und Erdgeschoss bleiben im Materialduktus aller Stationen. (Bild: Brigida González)

Es ist wichtig, dass von Projekten wie den Karlsruher Tunneln eine deutliche Signalwirkung für eine Verkehrswende ausgeht. Wenn nicht beim Bund, ließe sich doch in den Kommunen einiges bewirken. Ein konkretes Beispiel zeigt allerdings die kommunalen Schwächen: An einem gute angeschlossenen Bahnhof einer südwestdeutschen Kleinstadt wird der verlotterte Bahnhofvorplatz umgebaut. So weit, so gut. Der Platzumbau ist, so lesen wir, auch Voraussetzung dafür, dass ein Hotel-Investor an ebendiesem Platz ein Hotel baut. Die Kommune hat dem Investor aber leider Terrain am Bahngleis verkauft, wo dieser jetzt ein Parkhaus baut. Dazu heißt es: »In dem Parkhaus sind über 100 Pkw-Stellplätze vorgesehen, viele davon in XXL-Format. Integriert ist ein Fahrradparkhaus für gut 180 Räder. Der größte Teil der Parkplätze ist jeweils öffentlich. Das Parkhaus werde hell, transparent, sicher, die Preise würden moderat sein.« Ab sofort werde er – der Investor – bei Gesprächen zum Gesamtprojekt Bahnhofsvorplatz dabei sein.4) So geht Stadtplanung, mit der eine ökologisch vertretbare Verkehrswende nicht zu machen ist. Im Gegenteil, hier zeigt sich, dass die immer größeren Autos gebauten Raum greifen.

Zum Erfolg der Karlsruher Kombilösung wird nun beitragen, dass dem öffentlichen Raum oben mindestens so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird wie den Stadtbahn-Stationen.


Bauherr
KASIG mbH

Architekten
Allmann Sattler Wappner
Sauer, Manfred (Teamleitung)

Tragwerksplaner
Obermeyer Planen + Beraten GmbH, Karlsruhe / Spiekermann GmbH, Düsseldorf

Technische Gebäudeausrüstung
Obermeyer Planen und Beraten, München (Technische Gebäudeausrüstung)

Lichtplanung
Ingo Maurer GmbH, München (Lichtplanung)

Brandschutz
Stuvatec, Köln


1) Frank Herfort: CCCP Underground. Metro Stations of the Soviet Era. Benteli 2022

2) Ein Video aus Fahrerperspektive vom November 2021: https://www.youtube.com/watch?v=7RdtWswvs1o

4) Die Rheinpfalz, 21. Januar 2022