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An morgen denken


Architektur ist immer die Arbeit an Kommendem. Aber diese Arbeit wird sich verändern müssen. Welche Potenziale sich bieten, wenn man Veränderungen als Antrieb begreift, die Potenziale von Architektur zur Entfaltung kommen zu lassen und die Welt von morgen zu gestalten, zeigen exemplarisch drei Neuerscheinungen.

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Ferdinand Ludwig, Daniel Schönle: Wachsende Architektur. Einführung in die Baubotanik. 224 Seiten, etwa 300 Abbildungen, 52 Euro
Birkhäuser Verlag, Basel, 2022

Bauen mit Bäumen, und zwar mit lebenden, darum geht es, sehr vereinfacht gesagt, beim Begriff Baubotanik, wie ihn Ferdinand Ludwig und Daniel Schönle vorstellen. Die Publikation „Wachsende Architektur“ ist eine Einführung in das Forschungsgebiet Baubotanik, das an der TU München angesiedelt und von Ludwig wesentlich aufgebaut wurde; einige Bauten, die die beiden Autoren bereits verwirklicht haben, führen das Thema zudem über den Horizont reiner Forschung hinaus.

Auch wenn es letztlich acht Kapitel sind, wird das Buch von zwei Schwerpunkten geprägt. Da sind zum einen die Grundlagen, die praktisches Wissen vorstellen. Es wird vermittelt, wie Bäume wachsen und wie sie auf geänderte Rahmenbedingungen reagieren, wenn sie etwa plötzlich, weil der Nachbarbaum fällt, stärkerem Wind ausgesetzt sind. Es wird gezeigt, wie man sich zunutzen machen kann, dass sich Bäume auf solche Weise anpassen – wie die Bäume geschnitten und miteinander verbunden werden können, wie man sie miteinander verwachsen lassen kann, welche Bäume für baubotanische Projekte geeignet sind, wie der Nährstoffhaushalt eines Baumes aussieht, was es etwa bedeutet, dass, wie in Städten ja oft der Fall, die Fläche unter der Krone zum großen Teil versiegelt ist. All dies soll nicht zum Selbermachen anleiten, vermittelt aber soviel Wissen, um verstehen und nachvollziehen zu können, wie das Bauen mit Bäumen funktionieren kann. Und um zu verstehen, dass hier eine alte Kulturtechnik aufgegriffen wird, die an sich schon äußerst faszinierend ist.

Aber dann geht es darum – das ist der zweite Schwerpunkt –, dieses Wissen zu nutzen, weiterzutreiben und daraus Gebäude zu entwickeln. Man kann Bäume so nutzen, dass sie Stege und Plattformen tragen, man kann den Prozess dafür so steuern, dass ein zunächst notwendiges Gerüst nach und nach von den Bäumen ersetzt werden kann. Pavillons, Türme, eine Vogelbeobachtungsstation sind Beispiele für Bauten, die bereits realisiert wurden. Doch das Potenzial der Baubotanik reicht weiter. Als Fassaden können Bäume Teil eines klimatischen Konzepts werden, aus alten Parkhäusern können mehrgeschossige Quartierparks werden.

Ludwig und Schönle öffnen ein Fenster in eine mögliche Zukunft, in der der Gegensatz zwischen „künstlich“ und „natürlich“ aufgehoben werden kann, ein Gegensatz, der ohnehin schon längst nur noch ein konstruierter ist und der es schwer macht, die Verantwortung für ein zukunftsfähiges System aus Menschen und anderen Lebewesen wahrzunehmen, so lange zwischen dem Innen (der Menschen) und dem Außen (der Natur) unterschieden wird. Mit der Verlagerung der Natur in ein vom Menschen getrenntes Außen erweist sich der Umgang mit der Natur als ein ausbeuterischer und für das Überleben gefährlicher – das kann 2023 nicht mehr von der Hand gewiesen werden.  Insofern ist das Buch ein Plädoyer dafür, dass die Diskussion über ein zukünftiges Zusammenleben nicht mehr allein eine über das der Menschen untereinander sein kann, sondern Tiere und Pflanzen einbeziehen muss. Das Buch zeigt, wie dabei Gestaltung aussehen kann, die dieses Zusammenleben organisiert.



2326_KF_coverNonconform

Wojciech Czaja / Barbara Feller: mittendrin und rundherum. Reden, Planen, Bauen auf dem Land und in der Stadt. Ein nonconform Lesebuch. 176 Seiten 16,5 × 24 cm, 217 meist farbige Abbildungen, 35 Euro
Jovis Verlag Berlin, 2022

Das Büro nonconform ist bekannt für seine Beteiligungsprozesse, die, abweichend von üblichen Routinen, Menschen zueinander bringen und die sonst schon von vorneherein angelegten Konfliktlinien durchbrechen. Heute hat nonconform neben dem Stammsitz in Wien ein Büro in Berlin, knapp 50 Mitarbeitende; Partner:innen sind in Bayern, Kärnten, Aachen aktiv. Eine nonconform Akademie, gibt das Wissen weiter, das in den letzten Jahren gewonnen und erprobt wurde.

Gegründet wurde nonconform 1999 von Roland Gruber und Peter Nagler  als Architekturbüro, das gleich im ersten Jahr den Wettbewerb für das Stadttheater Haag gewinnen konnte. 2005 seien die Partner mit dem Büro dann aber „an einem Punkt angelangt, wo wir uns überlegen mussten, wie wir weitermachen“, so Roland Gruber in einem Interview. Das Interview ist eines von sieben „Stimmen von nonconform“ im Buch von Wojciech Czaja und Barbara Feller, das die Arbeit und die Arbeitsweise des Büros wiedergibt. Eine wichtige Inspiration für die neue Profilierung von nonconform sei ein Buch von Nadja Schnetzer gewesen: „Gute Ideen können in kurzer Zeit entstehen, wenn die richtigen Personen involviert werden und wenn ein strukturierter Prozess eingehalten wird“, so hatte es Schnetzer formuliert. Und die Partner von nonconform entschieden sich dafür, dies umzusetzen.

Ein Geheimnis des Erfolgs ist es, dass bei nonconform der Beteiligungsprozess nicht ein notwendiger Begleitumstand des Entwerfens ist, sondern das Herzstück bei der Entwicklung von Strategien. Er ist mit einer intensiven, Wochen und Monate dauernden Vorbereitungsphase verbunden, die in eine Ideenwerkstatt mündet, die Beteiligte, Bevölkerung, Politik, Verwaltung einige Tage intensiv zusammenbringt. Es wird dabei oft auch zusammen gekocht, gegessen, der Beteiligungsprozess wird nicht an einzelnen Abenden im Abstand von mehreren Wochen durchgeführt. Das schafft Nähe, fördert die Konzentration, aber auch das Vertrauen. Was dabei entstehen kann, zeigt das Buch, das eine abwechslungsreiche und gut illustrierte Mischung aus Projekten, Interviews und Berichten bietet. Platzgestaltung, Wohnungsbau, Unternehmensberatung, Orts- und Quartiersentwicklung, strategische Konzepte, Leerstandskonferenzen – dieses breite Arbeitsspektrum von nonconform wird in kurzen Steckbriefen vorgestellt, eingebettet in die sieben Kapitel (siehe Buchcover), in denen Kontexte, Referenzen, Projekte und Arbeitsweisen des Büros beschrieben werden. Unter den Projekten finden sich auch solche, die von der Politik wieder verworfen werden, wie es mit der Ideenwerkstatt Molkenmarkt in Berlin gerade geschieht (was im Buch nicht mehr aufgenommen werden konnte).

Gelb abgesetzt sind Interviews mit Fachleuten aus Planung, Architektur, wie etwa Barbara Pampe, Vorständin der Montagstiftung Jugend und Gesellschaft und zuständig für das Arbeitsfeld Pädagiogische Architektur, wie Martha Doehler-Behzadi, Geschäftsführerin der IBA Thüringen oder der Architekt Peter Haimerl. Sie werden nicht über die Arbeit des Büros nonconform befragt, sondern geben Auskunft darüber, welche Herausforderungen sie für die Zukunft des Planens und Bauens, für die des Landes und der Stadt sehen. So ist das Buch nicht nur eines über eines der innovativsten Architektur- und Planungsbüros des deutschsprachigen Raums der letzten Jahre geworden, sondern auch eines, das einen Blick in die Zukunft des Berufs in allgemeiner Hinsicht wirft.



2326_KF_coverDigitalisierung

Patric Furrer, Andreas Jud, Stefan Kurath (Hg.): Digitalisierung und Architektur in Lehre und Praxis. 144 Seiten, etwa 50 schwarz-weiße Abbildungen, 14,2 × 23 cm, 39 Euro
Triest Verlag, Zürich, 2022

Das von Patric Furrer, Andreas Jud und Stefan Kurath herausgegebene Buch geht der Frage nach, was Digitalisierung für das Entwerfen und die Arbeit von Architekt:innen bedeutet. Wohltuend sachlich und unaufgeregt wird von den 17 Autor:innen diskutiert, wie sich digitale Werkzeuge in den Prozess der architektonischen Arbeit integrieren lassen, welche Gefahren gesehen werden können, welche Chancen. Dass die digitalen Anwendungen zwar in vielen Fällen zu den Alltagsroutinen der architektonischen Praxis gehören, andererseits aber weiter Gesprächsbedarf besteht, hängt zum einen damit zusammen, dass sich die digitalen Instrumente permanent verändern und weiterentwickeln; in der Pandemie hat man erlebt, wie sprunghaft sich diese Entwicklung vollziehen kann. Zum anderen werde der Diskurs über die Digitalisierung in der Architektur von Techunternehmen und ihren Softwareentwickler:innen geprägt, wie es im Klappentext heißt, was dazu führt, dass in diesem Diskurs Teile der Architekturpraxis schlichtweg ignoriert werden. Das Buch weitet diese eingeengten Blick.

Die Herausgeber geben davon aus, dass wir uns in einer zweiten Digitalisierungswelle befinden. Es gehe nicht mehr „nur um das Einlesen und Darstellen von Daten und Produzieren von virtuellen Räumen und Elementen, sondern um deren Vernetzung und Weiterverarbeitung.“ Und darum, wie die Verknüpfung zwischen den virtuellen Räumen und der physischen Welt hergestellt und organisiert werden kann. Dabei spielt, wie Stephan Kurath im ersten Buchteil „Einordnungen“ darstellt, die Verbindung mit den „gesellschaftlichen, strategischen und taktischen Aspekten der architektonischen Praxis“ eine große Rolle, Teile der Arbeit, die nicht ausreichend im Diskurs berücksichtigt werden und deswegen zu den Verzerrungen führen, die gleichzeitig beunruhigend oder auch naiv sind. Es geht nicht um ein Entweder – Oder, sondern darum, Qualitäten und Potenziale zu nutzen und sie mit der Arbeit jenseits der digitalen Welt zu verknüpfen. Wie das konkret aussehen kann, wird im zweiten Teil beleuchtet – dem Hauptteil des Buchs, der das Entwerfen, Planen, Bauen und Vermitteln behandelt. Wie BIM bei der Umstellung auf Kreisläufe helfen kann, beschreibt etwa Guido Brandi, David Jenny beschäftigte sich mit der Frage, wie digitale Daten in der Produktion so eingesetzt werden können, dass Eigenschaften eines Baumaterials und handwerkliche Techniken ideal verknüpft werden können. Andri Gerber experimentierte in der Architektur- und Städtebaugeschichtslehre mit Videogames als Vermittlungsstrategie.

Im kurzen dritten Teil schließlich geht es um die Lehre – und auch hier darum, physische und virtuelle Sphäre zu verbinden, damit genuine Kompetenzen von Architekt:innen, räumliche Zusammenhnge zu imaginieren, sinnliche Komplexe zu gestalten, mit Ambivalenzen zu arbeiten, gestärkt werden können. Diese Kompetenzen dürfen nicht verloren gehen, denn es solle nicht vergessen werden, dass „man körperlich nie in den virtuellen Raum eintritt.“ Die Herausgeber stellen – als Kontrapunkt zur üblichen Frage, was denn die Digitalisierung der Architektur nützt – zum Ende auch die, was die Architektur der Digitalisierung bringt. Ihre Antwort: „intellektuelle, handwerkliche und politische Leistungsfähigkeit in der Entwicklung von Neuem, nicht Vorhersehbarem. Diese Leistungsfähigkeit ist Grundvoraussetzung, um im Heute überhaupt an der Welt von morgen zu arbeiten.“