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Der Blick aufs Große


In letzter Zeit ist das Interesse an den großen Strukturen der 1960er und 1970er Jahre merklich gestiegen. Das zeigt sich unter anderem an Ausstellung und den inzwischen zahlreichen Coffetable-Büchern mit ästhetisch ansprechenden Fotos brutalistischer Architektur. Dass es dabei nur selten darum geht, vertieftes Wissen über diese Epoche zu vermitteln ist verzeihlich, wenn damit wenigstens das unreflektierte Beton-Bashing abnimmt. Wichtig ist es aber auch, dass sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen über die Ästhetik hinaus mit Zeugnissen dieser Epoche befassen.


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Christa Reicher, Yasemin Utku, Magdalena Leyser-Droste, Alexandra Apfelbaum, Martin Bredenbeck (Hg.): Im großen Maßstab Riesen in der Stadt . 224 Seiten, 17 x 24 cm, 19,95 €
Klartext Verlag, Essen, 2018

Der Band „Im großen Maßstab – Riesen in der Stadt“ versammelt Beiträge der Tagung „Städtebauliche Denkmalpflege“ der TU Dortmund, die 2015 stattgefungen hat. Behandelt werden verschiedene Typen von großen Bausteinen, beispielsweise Rathäuser, Stadtzentren, Hochschulen, aber auch Parks. Dabei gibt es nicht nur Erfolgsgeschichten, sondern es werden auch Schwierigkeiten beleuchtet, die erst durch spätere Eingriffe in die Bausubstanz behoben werden konnten oder zu umfangreichen Umgestaltungen geführt haben. Die Autoren reduzieren die Bauten nicht auf die architektonische Idee, sondern betten sie in die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Entstehungszeit ein, so dass sie als Ausdruck ihrer Zeit verständlich werden. Das ist besonders erhellend, da die heute immer noch vorherrschende Meinung davon ausgeht, dass es sich bei Großbauten wie der Universität Bochum, den Hamburger City-Höfen oder den zahlreichen Kaufhäusern, die in den Innenstädten entstanden, gewissermaßen um Betriebsunfälle der Moderne gehandelt habe. Sicherlich ist es, um einmal beim Beitrag von Olaf Gisbertz über Kaufhäuser zu bleiben, aus heutiger Sicht bedauerlich, dass das Stuttgarter Kaufhaus Schocken von Erich Mendelsohn abgerissen wurde; das stattdessen von Egon Eiermann gebaute Haus war zu seiner Entstehungszeit aber immer noch um Längen besser, als das was heute, nach diversen Umbauten, zu sehen ist. Mit detailreich recherchierten Beiträgen wie diesem ist das Buch sowohl für diejenigen interessant, die sich schon seit längerer Zeit mit den großmaßstäblichen Bauten der 1960er und 1970er Jahre beschäftigen als auch für alle, deren Interesse sich auf einzelne Bauaufgaben beschränkt oder die sich einen Überblick über die Diskussion des Themas verschaffen wollen.

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Sonja Hnilica: Der Glaube an das Große in der Architektur der Moderne. Großstrukturen der 1960er und 1970er Jahre. 264 Seiten, 21 x 27 cm, 48 €
Park Books, Zürich, 2018

Die Habilitationsschrift von Sonja Hnilica gibt einen Überblick über die Entwicklung des „Großen“ in der Architektur. Sie zeichnet eine kontinuierliche Entwicklung, nach, die bereits in der Antike beginnt und bei aktuellen Projekten wie Palm Jumeirah in Dubai, The Interlace (OMA) in Singapur und Apples Konzernzentrale (Norman Foster) in Cupertino bestimmt noch nicht zu Ende ist. Das größte Plus des Buches sind die großartigen Bilder, auch von weniger bekannten Gebäuden. Auch ohne den Text zu lesen, findet man hier beinah endlose Anregungen für die Beschäftigung mit realisierten und unrealisierten Projekten, utopischen und pragmatischen Entwürfen, Bausystemen und in Ortbeton gegossenen Skulpturen. Das Ausufernde ist vielen Habilitationsschriften eigen, die ja nachweisen sollen, dass der Verfasser oder die Verfasserin ein Fach in seiner ganzen Breite beherrschen. Die Buchpublikation hätte demgegenüber durch etwas mehr Beschränkung sicher gewonnen, denn so verschwimmen mit zunehmendem Lesefortschritt die Unterscheidungen zwischen beispielsweise physisch großen Baustrukturen wie dem Universitätsklinikum Aachen und groß gedachten Systemen, die zu kleinen und auch im Ausdruck kleinteiligen Gebäuden geführt haben, wie dem Waisenhaus von Aldo van Eyck in Amsterdam. Bei den zahlreichen Projektbeschreibungen hingegen wünscht man sich oft mehr Hintergrundinformationen zur Entstehungsgeschichte, Akteurskonstellationen und Interessenskonflikten. Auch der Aspekt des Denkmalschutzes für Großstrukturen wird leider nur gestreift, was angesichts der aktuellen, häufig kontroversen Diskussion um viele Bauten und Projekte aus dieser Zeit etwas schmerzt. Leser, die eine pointierte Darstellung des Bauens in den 1960er und 1970er Jahren erwarten, auf neue entdeckte Querbezüge zwischen Akteuren und Bewegungen hoffen oder sich eine eindeutige Bewertung von Großstrukturen wünschen, werden von dem Buch möglicherweise enttäuscht sein. Wer sich hingegen anregen lassen will und auf der Suche nach bisher unbekannten Projekten ist, die einen genaueren Blick wert sind, ist mit diesem Buch bestens beraten.

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