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Stilkritik (136) | Seit fast 30 Jahren veranstalten die 16 Architektenkammern der Länder den Tag der Architektur. Es hat etwas von Festspielzeit, wenn man zu diesem Anlass übers Land fährt und die mit wehenden Fahnen markierten Gebäude besucht. Zur Begrüßung gibt es fast überall Sekt oder wenigstens ein Wasser, mitunter sogar etwas zu beißen. Auf jeden Fall einen redseligen Architekten oder eine auskunftsfreudige Architektin, um die sich die interessierten Gäste drängen. „Einfach (um)bauen“ haben die Fachjurys der Kammern ihre Auswahl überschrieben.


Gebaute und umgebaute Häuser kann man vorzeigen, man kann hineingehen, sie erleben. Dieses unmittelbar wahrzunehmende Arbeitsergebnis zeichnet den Beruf des Architekten aus. Wie arm dran sind Staatsanwälte, die als Leistungsbeweis kaum in volle Gefängnisse einladen, oder Ärzte, die unmöglich ihre Frischoperierten ausstellen dürfen. Architektur also, zum Anschauen!

Treten Sie näher!

Ein wenig mutet es an, als gebe es etwas zu feiern. Manchmal sind bei privaten Häusern die Bauherrschaften dabei, ein andermal haben sie das Anwesen treuhänderisch ihrem Architekten überlassen, der – bitte! – dafür verantwortlich ist, dass die Besucher sich Füßlinge überstreifen, auf dem Edelstahlküchentresen keine Fingerabdrücke hinterlassen und nicht die Schränke aufmachen.
Die Vorträge der Planverfasser gelingen unterschiedlich, doch findet man seine eigenen Erwartungen bestätigt: Die Kollegen, die ein (FH) im Briefkopf führen, können haarklein einen Wandaufbau erläutern, wie man eine Sandsteinwand mit Kalziumsilikatplatten innen dämmt und warum Holzwolle oder Zelluloseflocken in einer Holzständerwand Hartschaum überlegen sind. Keine Frage aus dem Publikum bleibt unbeantwortet. Das (TU) im Titel verpflichtet dagegen zu einer Exkursion in die Geschichte eines Umbaus, unter welchen Bedingungen die Vorbesitzer das Haus errichtet haben und wie man spätere missliche Eingriffe kalmieren konnte, ohne das abgebildete Zeitkolorit vollständig zu überformen. Manchmal war das (Um)bauen gar nicht so einfach.
Wer sich angestrengt hat, vielleicht ein Dutzend Häuser besuchte, konnte an diesem Wochenende viel erfahren. Übers neue Bauen und die Menschen, die im Neugebauten leben. Denn gerade Privathäuser, die einem sonst verschlossen bleiben, machen neugieriger als öffentliche Bauten wie Schulen, Gemeindehäuser, Vinotheken. Man sieht ja nicht bloß Baukörper und Räume, sondern auch die Aneignung durch die Bewohnerinnen.

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Übersicht zum Tag der Architektur 2024 (Bild: www.tag-der-architektur.de)

Voyeure und Visiten

Da ist die unbezahlbare Villa mit hinreißendem Ausblick in die Rheinebene. Sie ist akkurat detailliert, hat sich auf wenige wertige Materialien beschränkt, man spürt Konzept und Ordnung, könnte die Designer und Hersteller der Einrichtung aufsagen. Alles passt zusammen, nicht auszuschließen, dass der Architekt auch die Bilder ausgesucht und ihre Hängung bestimmt hat. Nichts liegt herum, keine Zeitung, kein Aschenbecher, keine Pfeffermühle. Man möchte sofort einziehen, weil alles stimmt und einen nichts beleidigt, fragt sich allerdings, ob hier überhaupt Menschen wohnen.
Aber auch das Gegenteil gibt es zu besichtigen. Undankbare Bauaufgaben in durchwachsener Umgebung, strapaziöse Grundrisse, mit steilen Stiegen verbunden, schmerzende Kompromisse, weil das Budget es nicht erlaubte, die grobschlächtigen Kunststofffenster des letzten Umbaus auszutauschen. An einigen Stellen könnte man sich einen Disput mit der Bauherrschaft vorstellen, den der Architekt dann leider verloren hat. Oder die von den ausführenden Handwerkern verbastelt wurden. Ein andermal muss man schmunzeln, wenn man ästhetische Entscheidungen entdeckt, die von den Bewohnern ständig Achtsamkeit verlangen. Patina und Gebrauchsspuren sind nicht vorgesehen.

Verzicht? Nein Danke!

Zwei Tage Häuser anschauen ist wie ein Ausflug in ein Konstruktionskompendium. Dort, wo sich Wand und Boden treffen, kann die Hermeneutik der Architektur beginnen. Aus welchem Material ist die Fußleiste? Ist sie aufgeklebt, angeschraubt, geclipst? Putzbündig eingelassen? Oder wurde darauf verzichtet? Selbst ein Zementestrich schreckt inzwischen niemanden mehr. Fußbodenheizung und Dreifachverglasung werden gar nicht mehr besonders erwähnt. Wo noch keine Wärmepumpe angeschlossen ist, hat man die Nachrüstung bereits im Plan.
Nach Verzicht, um sich das neue Heim zu ermöglichen, sieht es nirgends aus. Allein die Spielgeräte im Garten. Die Blagen können rutschen, schaukeln, klettern, hüpfen, raufen. Ihre Zimmer sind bunt und vollgeräumt, gerne mit einer breiten Bettenburg, damit Mutti oder Vati ihnen beim Einschlafen Gesellschaft leisten können. Mädchen kriegen immer noch alles in rosa. Als wäre Fasching, hängen Tüll- und Glitzerfummel herum. Die Gender-Debatte steht erst am Anfang. Immerhin haben Fantasy-Figuren das Kriegsspielzeug der Buben abgelöst.

Kein Buch nahe der Wohnlandschaft

Ein paar Gemeinsamkeiten finden sich in den Häusern. Man sieht kaum ein Fernsehgerät herumstehen. Es verschwindet entweder hinter einem Rollo oder Schiebetüren, sofern es dafür nicht einen eigenen Medienraum gibt. Dennoch erhalten die aktuellen Wohnlandschaften mit Liegepolstern regen Zuspruch. Was erstaunt: In keinem Haus waren Bücherreale zu sehen. Nirgends. Wird die Literatur in temperierten Schränken verwahrt, oder ist das der Sieg der E-Book-Reader? Gegen Bücher kann man sich doch gar nicht wehren, es werden jeden Monat mehr, in jedem Zimmer füllen sie die raumhohen Regale und tragen zur Wärmedämmung bei – lehrt die Erfahrung.

Dann ist wieder Montag, man kann keine Häuser mehr ansehen. Das ist sehr schade. Wir müssen wieder ein Jahr warten. Immerhin gibt es ein Online-Archiv des „Tag der Architektur“, zum Stöbern und Reise-Planen: https://tag-der-architektur.de/archiv-tag-der-architektur/

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