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Guten Morgen, Deutschland

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DAM Preis 2024: Studierendenhaus der TU Braunschweig, Gustav Düsing und Max Hacke. Haupteingang und Vorplatz (Foto: Leonhard Clemens)

Stilkritik (131) | Jedes Jahr wird der DAM Preis für Architektur in Deutschland vergeben. Nicht immer sind alle mit den Entscheidungen der Jury einverstanden, die nicht nur den Preis bestimmt, sondern auch die Projekte, die in der Ausstellung gezeigt und im Katalog dokumentiert werden. Eine Diskussion über diese Entscheidungen ist das Beste, was einem Preis passieren kann. Denn es gibt Diskussionsbedarf.

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Finalist: Kunstraum Kassel, Innauer Matt Architekten (Foto: Nicolas Wefers)

Architektur: Florian Nagler Architekten

Finalist: Wohnungsbau Dante II, München, Florian Nagler Architekten. (Foto: Stefan Müller-Naumann)

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Finalist: Baugruppe Kurfürstenstraße, Berlin,  June14 Meyer Grohbrügge & Chermayeff. (Foto: Laurian Ghinitoiu)

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Finalist: Kantgaragenpalast, Berlin, Nalbach + Nalbach. (Foto: Ken Schluchtmann)

Als ginge es um einen erkrankten Patienten: Ende Januar bilanzierte die FAZ den gerade vergebenen DAM-Preis unter der Überschrift „Von einem erschöpften Berufsstand. Jenseits von Eleganz und Spektakel: Der DAM-Preis zeigt, wie es um die Architekten steht.“ Das klingt nicht optimistisch.

Bei den Ausrichtern des DAM Preises und der Jury, die unter den hundert nominierten Projekten eine Shortlist, fünf Finalisten und schließlich das Siegerprojekt bestimmt hatte, könnte das auf gemischte Gefühle gestoßen sein. Wer einen Preis ausrichtet oder in einer Jury tätig ist, möchte schließlich nicht unbedingt eine Chronik des Abstiegs verfassen oder an ihr mitwirken. Aber beim zweiten Hinsehen dürfen sich die Auslobenden – das DAM in Zusammenarbeit mit Jung – doch geschmeichelt fühlen. Denn auch wenn Journalistinnen um der Aufmerksamkeit willen dazu neigen, zu überzeichnen, erkennt der Autor der FAZ, Matthias Alexander, mit seiner Wertung doch indirekt an, dass mit dem DAM Preis erreicht wurde, was erhofft wurde: Nämlich die Deutungshoheit über das architektonische Geschehen errungen zu haben. Immerhin soweit, dass sich im Preis der Zustand des Berufstandes abbilden kann – und sei es der des Erschöpftseins. Es handle sich um eine Leistungsschau des Berufsstandes mit dem Anspruch auf Repräsentativität und Vorbildfunktion, so Alexander. Auch das schmeichelt. Allerdings hatte der Berufsstand das DAM nicht ermächtigt, eine Leistungsschau zu veranstalten. Zum Glück.


Ein Preis für viele


Ursula Baus hatte diese Bemühungen um Deutungshoheit bereits kritisch kommentiert. Und auch den Preisträger gewürdigt, denn der Sieger beim DAM Preis ist der Gleiche wie der beim so genannten Staatspreis – das Braunschweiger Studierendenhaus der beiden jungen Architekten Gustav Düsing und Max Hacke. Der Preisträger sei nicht das Problem, so Alexander. Richtig. Hier kann nicht die Rede davon sein, dass es an Eleganz fehle. Und auch wenn die Architektursprache aus der Nachkriegszeit vertraut ist, ist der Preis in Ordnung. Man gönnt ihn den beiden jungen Architekten von Herzen. Man gönnt ihn auch denen, die dafür gesorgt hatten, dass dieses Studierendenhaus entstehen konnte. Der Architekturfakultät, die den Wettbewerb unter den wissenschaftlichen Mitarbeitenden ausgelobt hatten, den Verantwortlichen, die dafür gesorgt hatten, dass nicht nur ein Wettbewerb durchgeführt wurde, sondern der Siegerentwurf auch realisiert wurde; mag es auch Zweifel geben, dass hier alles im Rahmen geltenden Rechts gewesen ist. Umso mehr ist der Preis zu würdigen: Adelt er damit doch auch die, die die Verantwortung für Verfahren übernommen hatten, das den Jungen eine Chance gibt.

Woran Alexander festmacht, dass der Berufstand müde sei, muss sich an den anderen Projekten zeigen, die auf der Shortlist gelandet waren und in Katalog und Ausstellung vorgestellt wurden. Daran, dass zu wenig Elegantes, Erstaunliches, Ungewöhnliches, Überraschendes prämiert wurde? Tatsächlich bemängelt Alexander dies: Es falle auf, dass der Hang zum Spröde- Unscheinbaren vorherrsche, auch die Zeiten exzentrischer Architektur sei vorbei. „Der Zunft täte ein wenige Auffrischung gut.“

Wer ist denn nun erschöpft?


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Shortlist: Blaue Stunde, Berlin, modulorbeat. (Foto: Jan Kampshoff / modulorbeat)

Haus Egon Eiermann, Baden-Baden

Shortlist: Sanierung Wohnhaus Egon Eiermann, Baden-Baden. No w here Architekten | Designer. (Foto: Studio Olaf Becker)

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Shortlist: Ausbauhaus Südkreuz, Berlin, Praeger Richter Architekten. (Foto: Andreas Friedel)

Natürlich darf man als Kritiker anderer Meinung als die Jury sein. Man darf auch die Jury angehen: und den „Machern des Preises“ „ausgrenzende Parteilichkeit“ vorwerfen. Zu wenig Naturstein, zu wenig Blockrand, Eleganz nur „als Mitgift von Bestandsbauten“. Na gut. Aber ausgrenzende Parteilichkeit kann man ja so ziemlich jeder Jury anlasten, sie gehört ja gewissermaßen zu ihrem Auftrag. Der Vorwurf wiegt eben nur dann schwer, wenn man meint, hier müsste nicht ein Preis vergeben, sondern ein Anspruch auf Repräsentativität eingelöst werden. Alexander kommt hier also in Konflikt mit den Kriterien, die er selbst an den Preis anlegt. Man könnte es auch so sagen: Zum Glück war die Jury parteiisch, denn so darf der Preis ein Preis sein, darf die Jury unabhängig vom Anspruch sein, das Architekturgeschehen eines Jahres abbilden zu müssen. Sie darf eine Entscheidung treffen, über die diskutiert werden kann.

Ich kann den ausgezeichneten Projekten nicht entnehmen, dass aus ihnen auf einen erschöpften Berufsstand geschlossen werden könne. Aber das ist vielleicht gar nicht das Entscheidende. Nehmen wir einmal an, die Ausstellung würde dem Anspruch an Repräsentation tatsächlich gerecht. Nehmen wir einmal an, der Berufsstand zeige Symptome des Erschöpftseins. Muss man dann aber nicht weiter fragen? Geht es dann nicht eigentlich um das Umfeld, in dem sie arbeiten müssen? Um die Bürokratie und die Apparate und Lobbyisten, die für einen schon lange unübersichtlichen Wust an Verordnungen und Normen sorgen, der das Bauen zu einer Angelegenheit macht, in der jede und jeder, der sich nicht auf Standardlösungen verlässt, ein persönliches Risiko eingeht?

Erschöpft sind Auftraggebende, die es nicht interessiert, ob junge Architektinnen eine Chance haben, die keinen Mut für ungewöhnliche Lösungen aufbringen, die lieber auf Sicherheit und Konvention setzen. Architektur ist eben auch Spiegelbild einer Gesellschaft, die nicht die Kraft aufbringt, sich von der fatalen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu lösen, die sich die unangenehmen Schritte, mit denen man bezahlbaren Wohnraum sichern könnte, nicht zu gehen traut. Die zu wenig in Bildung investiert und die nur einen schwachen Anspruch darauf erhebt, dass Partikularinteressen hinter dem Gemeinwohl zurückstehen sollten. So in etwa. Ließe sich die Architektur als ein Spiegelbild der Gesellschaft deuten, dann wäre ein Berufsstand erschöpft, weil es die Gesellschaft ist. Die Verantwortung für das, was schiefläuft, sollten Architektinnen nicht aufgebürdet werden. Das machte es allen anderen zu einfach, die Verantwortung abzuschieben.


Die Nase des Berufsstands


Das aber genau könnte das Problem sein. Vielleicht hat dieser Berufsstand nämlich auch selbst schuld daran, dass man ihn und nicht sein Umfeld für erschöpft hält. Weil er immer wieder nahelegt, dass er in Zusammenhang mit dem Klimawandel und Ressourcenproblematik mehr Verantwortung zu tragen hätte als sonst jemand. Auch hier darf man sich fragen: Sollte nicht die ganze Gesellschaft die Verantwortung für die Häuser übernehmen, in denen, gewohnt, gearbeitet, Sport getrieben wird, Freizeit verbracht wird – und dafür, wie sie betrieben werden, wieviel Energie sie verbrauchen, wieviele Häuser abgerissen werden?

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Shortlist: Doppelgiebel, Leipzig, KO/OK (Foto: Sebastian Schels)

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Einer von acht Auslandsbauten der Ausstellung:  Boerderette, Venrey, Niederlande, Amunt Martenson + Rokokorelevanz. (Foto: Filip Dujardin)

Architektinnen wären dann erst mal die, die die Kompetenz haben, Ansprüche, die an sie gestellt werden, zu erfüllen: nämlich eine Architektur zu entwickeln und zu verwirklichen, die wirklich zukunftsfähig ist. Wenn dieser Anspruch denn an sie gerichtet würde. Wird er aber viel zu wenig. Lieber empört man sich doch über den „Heizungshammer“ und über die vermeintlichen Eingriffe in Persönlichkeitsrechte, wenn zu umweltvertäglichem Verhalten oder tierfreundlichem Konsum aufgerufen wird. Wir scheitern schon daran, ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen. In Berlin soll die Einführung von Tempo 30-Zonen wieder rückgängig gemacht werden. Sind etwa die Designer daran schuld, dass so viele Menschen SUVs fahren? Und wenn ja, warum haben wir es dann soweit kommen lassen? Haben wir oft genug die originellen und zukunftsfähigen Lösungen gefordert, den Wettbewerb um die guten Ideen für eine andere Mobilität eingefordert? Und ist es in der Architektur nicht ähnlich? Man sollte es sich vielleicht nicht so einfach machen, Architektinnen aus der Verantwortung zu entlassen, aber man sollte sie auch realistisch einordnen. Sie müssen auch die Chance haben, das Potenzial von Architektur zur Entfaltung zu bringen. Dann müssten aber auch die Rahmenbedingungen so sein, dass beispielsweise andere Wohnformen nicht das Nischendasein des Exotischen führen müssen.

Dass viel zu tun ist, wissen wir, auch ohne DAM Preis. Und ein gutes Ergebnis, mit vielen zuversichtlich stimmenden Bauten sollte uns nicht einschläfern und uns glauben lassen, das wird schon noch irgendwie. Das ist nicht die Rolle des Preises. Der Preis kann dafür sorgen, dass wir uns für andere Rahmenbedingungen einsetzen, dass die Bedingungen so sind, dass das Entstehen guter Architektur wahrscheinlicher wird. Er kann Appell sein genauso wie der Selbstversicherung des Berufsstands dienen. Aber er sollte dafür nicht repräsentieren müssen. Das, was im DAM Preis zur Diskussion steht an, wird an Volumen innerhalb weniger Tage als Neubau realisiert. 2021 wurden in Deutschland um die 100.000 neue Wohngebäude in Deutschland erstellt. Das reicht für tausend DAM-Preise, also für fast drei am Tag, einschließlich Sonn- und Feiertagen. Umbauten, Gewerbebauten, Bauten für Kultur und Bildung nicht einmal eingerechnet.

Was der Preis leisten kann: Uns dazu anzuregen, über das nachzudenken, was wir von Architektur erwarten, was wir erwarten dürfen und sollten. Ja, er kann auch dazu anregen, darüber nachzudenken, ob ein Berufsstand erschöpft ist. Aber dann auch darüber, warum das so ist. Wenn diese Diskussion stattfindet, dann hätte die Jury alles richtig gemacht.


Informationen zum DAM Preis sind hier zu finden >>>
Preis, Finalisten und Longlist sind in einer Ausstellung im DAM bis zum 28. April zu sehen >>>