Arm und Reich driften auseinander. Hierzulande gibt es etwas mehr als 1,6 Mio Millionäre. Geld und Geschmack und Gestaltungswissen sind allerdings dreierlei. In Villengebieten stehen die Behausungen reicher Leute, aber mehr und mehr geht auch dort ein Konsens zur ästhetischen Wirkung des einzelnenen Hauses und eines einzelnen Gartens oder Gartenzauns für den öffentlichen Raum verloren. Ein Streifzug durch ein solches Villengebiet offenbart eher das beziehungslose Nebeneinander als einen wohldurchdachten Pluralismus, der einer (bau-)kulturell ambitionierten Gesellschaft angemessen wäre. Eine Randerscheinung des Kapitalismus?
Wie Schlösser und Parks sind Villengebiete Hinterlassenschaften, die gesellschaftliche Veränderungen im Bewusstsein halten. Die Eigentumsverhältnisse entscheiden über diese Hinterlassenschaften: Kümmert sich die öffentliche Hand um die Substanz, steht eine baukulturelle, kompetente Sorgfalt – eigentlich – außer Frage. Im Privateigentum ist das leider nicht so.
Unterwegs in Premium-Lage
Schlendert man also durch die Wohnviertel, sind Geschichten aus diesen städtischen Kulissen herauszulesen oder welche hineinzudenken. Alles Gebaute birgt einen Roman. Man muss nur die Augen offenhalten. Wir sind häufig umgezogen. Aber wir haben niemals in einem Neubauviertel gewohnt. Schon die planerische Bezeichnung „Ortsranderweiterung“ klang wie eine maligne städtebauliche Wucherung. Immer ohne Läden, ohne Lokale und kulturelle Räume. Eigentlich eine Schande, wenn so viel neue Architektur an einem definierten Ort entstand und die Anmutung einer Bauausstellung Lichtjahre entfernt blieb. Unabhängig, wie die Erschließung gelöst und die Häuser an den Straßen verteilt waren, glichen sich diese architektonischen Notstandsgebiete: ein beigefarbenes Allerlei aus Thermohaut, Schottergarten und Gabioneneinfriedung. Unsere künftigen Nachbarn würden sich wie wir dreißig Jahre für ein Bauspardarlehen krummlegen, junge Familien, deren zwei Kinder Kevin und Nadine hießen. Samstags würde der Rasen gemäht und danach der Grill angefacht. Soweit ein gesundes Vorurteil.
Lebt es sich in Villengegenden besser? In der Pfalz findet man sie unterhalb des ansteigenden Waldrands, von hier genießt man den Blick in die Rheinebene und bis nach Heidelberg. In Bad Dürkheim heißen die guten Adressen (obere) Sonnenwendstraße oder Nolzeruhe, in Neustadt ist es die Hambacher Höhe. Manche Bewohner kennt man dem Namen nach, Ärzte, Unternehmer, Geldadel. Hier wird nicht eilig gebaut. Die schmucken Häuser entstanden schon vor Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, allmählich werden die letzten Baulücken geschlossen. So auch – pars pro toto – im Landauer Westen, dort wo sich ehemals der Flecken Mühlhausen befand, an den ein Gedenkstein erinnert. Gesäumt wird das Quartier von wildwuchernden Gärten und den landschaftlichen Ruinen der ehemaligen Festung. Es ist nicht weit zu den Tennisplätzen und zum Freibad, es gibt eine Galerie, ein evangelisches Seminarhaus und die bescheidene Uni liegen in Rufweite.
Hier also Villen!
Sie ergänzen die vorzüglich erhaltenen Ensembles aus neugotischen und Neorenaissance-Bauten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die die Landauer Parkanlagen begleiten. Welche Architekten bei den Neubauten tätig waren, ist nicht bekannt, vermutlich hat es keines der Häuser je in eine Veröffentlichung geschafft. Aber man kennt sie alle: weniger Weißenhofsiedlung, mehr amerikanische Ostküste und jetzt sogar eine Hommage an Paul Kahlfeldt.
Unbeeindruckt davon ragt mal ein flachgedeckter Quader oder postmodern Missratenes über die Gartenzäune. Ein Haus ist im Obergeschoss entlang der gesamten Straßenfront mit drehbaren Metalllamellen ausgestattet. Man fragt sich, ob die Bewohner terroristische Angriffe oder ansteckende Krankheiten befürchten, vielleicht auch nur beim Schwarzgeldzählen nicht beobachtet werden wollen. Es sind große Gebäude, man darf, ohne zu zögern von Anwesen sprechen – zwar nicht gedacht für Familien mit sechs Kindern wie die Münchner Villa von Katia und Thomas Mann.
Cave Canem!
Auch Bedienstete erwartet man keine, hier gehört höchstens ein Au-Pair zum Haushalt. Einige der klassisch anmutenden Häuser werden anstelle von flankierenden Kavaliersbauten durch Eckpavillons mit Doppelgaragen ergänzt. In einer Zufahrt steht eine passable Segelyacht. An den Briefkästen lesen wir Dr. K. oder Dr. S., meistens bloß „Keine Werbung“. Anonymität wird wie ein Prädikat gepflegt.
Der Straße nähern sich die Häuser in zwei unterschiedlichen Typologien. Es gibt die hermetische Abschottung. Ein solides Gitter, gefolgt von einer schusssicher wirkenden Einblickumwehrung, an die innenseitig eine dichte Hecke anschließt. Die Fensterläden bleiben gerne zu. Vermutlich stehen dahinter ausladende Polstergruppen, die mit weißen Hussen vor der Sonne geschützt werden. Schmiedeeisernes Geschnörkel gilt inzwischen wohl als obsolet, überraschend ist die durchweg akzeptierte Sachlichkeit der Materialien. Neben den massiven, glatten Stahltoren, die an die Einfahrten in Botschaftsgebäude autokratischer Staaten erinnern, weisen Schilder auf die sprungbereiten Dobermänner und Rottweiler hin. Ein wenig vornehmer lesen sich die pompejanischen Kacheln: Cave canem.
Die Villa als Herrschaftsarchitektur
So lautete der Titel der fulminaten Studie von Reinhard Bentmann und Michael Müller, im Untertitel erläutert als Versuch einer kunst- und sozialgeschichtlichen Analyse. An sie denkt man beim Blick auf den architektonischen Ausdruck neuer Bauten durchaus. Die zweite Variante im Landauer Villengebiet kapriziert sich nun mit Großzügigkeit: Seht, wir wollen dieses riesige Grundstück gar nicht für uns allein! Deshalb hat man auf die Einfriedung verzichtet und der Öffentlichkeit einen gärtnerisch gepflegten Pocket-Park mit Bosketten und winterhartem Gesträuch gewidmet. Als wollte man den Passanten ein wenig von dem annektierten Privatraum zurückgeben. Doch an der Haustür endet die Gönnerlaune. Hier ist alles dicht, und die ringsum installierten Kameras registrieren jede unerwünschte Annäherung. Am Tor steht, welche Security bedingt abwehrbereit wartet. Der private Garten bleibt hinter der festungsartig aufragenden Villa verborgen.
Man kann sich nicht vorstellen, dass dabei Nachbarschaftskontakte blühen, bei Gartenpartys Schampus schäumt und junge Frauen in einen Pool gestupst werden (Männerfantasie!). Alles wirkt mit einem profanen Ernst imprägniert. Spazieren geht hier ohnehin niemand. Wenn man eine Stunde herumstreunt, begegnet man einem Paketfahrer, einem Arbeiter, der eine Hecke stutzt, und dem Laster einer Entrümpelungsfirma.
Richtig, einige der einfacheren alten Häuser werden gerade geräumt, da kündigen sich Baumaßnahmen an. Es hat sogar noch ein paar freie Grundstücke. An drei Rohbauten ruhen die Arbeiten. Es sieht nach Insolvenz oder Firmenpleiten aus.
Da kommt uns wieder jemand entgegen. Er befestigt ein Plakat zur Europawahl an einem Laternenmast. „Reichtum umverteilen, Armut bekämpfen“ steht darauf. Das wird die Bewohner bestimmt nachdenklich stimmen.
Kein Laden, nichts
Dieses Villenquartier ist nicht das Ergebnis einer Stadtflucht, keine Villeggiatura als Gegenmodell urbaner Existenz. Es ist nur ein Als-ob, ein materialisiertes Überbau-Phänomen, wenn man sich von allem ein bisschen mehr leisten kann. Hier wird nicht feudales Landleben inszeniert. Die Architektur gibt keinen Hinweis auf die moralischen und gesellschaftlichen Qualitäten ihrer Bewohner. Die denken wir uns nur aus. Man möchte diese toten Bühnen bespielen, sie mit Handlungen, mit Leuten füllen. Eine Fundgrube für Tatort-Autoren! Hinter diesen Gartenmauern wird irgendwann etwas Befremdliches passieren, das spürt man doch. Wenn man das alles man besichtigen könnte…
Unverkennbar ist die Tendenz, dass mit zunehmendem Wohlstand eine Vorliebe für eine archaisierende Bauweise verbunden ist. Ein Herrschaftszeichen wie zur venezianischen Renaissance lässt sich aus dem brav parzellierten Nebeneinander nicht ableiten. Diese Villenarchitektur folgt höchstens einer Ideologie der Sesshaftigkeit, gilt als Besitzstandsanzeige für Grund und Boden, die es zu verteidigen wert ist. Ein dekonstruktivistischer Abweichler hätte es hier schwer. Aber vielleicht würden die redlichen Nachbarn die Neuankömmlinge auch akzeptieren – als willkommene Störenfriede, als Komödianten, die ihre trügerische Zusammengehörigkeit und die trutzige Behauptung ihrer Wohnstätten in Frage stellen. Häuser bauen ist wie Geschichten erzählen. Aber eine Bäckerei fehlt trotzdem.