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Sammeln, Ordnen, Weitergeben


Wie strukturieren sie Wissen, wie ordnen sie ihre Welt, wie entwickeln sie daraus Interpreationen, Haltungen, Sichtweisen? Zwei neue Publikationen geben Einblick in das Denken von Architektinnen und Architekten.

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Eva Maria Froschauer: Entwurfsdinge. Vom Sammeln als Werkzeug moderner Architektur
507 Seiten, 24 x 17 cm, 69,95 Euro
Birkhäuser, Basel, 2019
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Das Sammeln gehört zum Architektenberuf wie das Zeichnen – Sammeln und Sammlungen sind Werkzeuge des Entwerfens. Eva Maria Froschauer hat ihnen ein umfangreiches Forschungsprojekt gewidmet. Dem Sammler, der, getrieben vom nicht einlösbaren Wunsch nach Vollständigkeit, das Ende seiner Suche nicht erreicht, spendet sie Trost: Jeder Versuch, ein Archiv vollständig abschließen zu wollen, müsse ein Fiktion bleiben, so zitiert sie Monika Rieger; zudem bekennt sie selbst, dass nicht nur am Beginn des Sammelns Verwirrung stehe, sondern dass sie auch immer noch am Schluss stehen könne.

Im Buch selbst ist glücklicherweise von solcher Verwirrung nichts zu spüren. Sehr klar und nachvollziehbar wird das umfangreiche Terrain geordnet und ausgebreitet, werden Begriffe des Sammelns, des Dings, des Entwerfens untersucht und aufeinander bezogen, die Bezüge insbesondere zur Kunstgeschichte und zu künstlerischen Strategien hergestellt, die Grenze zum Museum als einer „Verwendungsform der Sammlung“ (Grasskamp) gezogen.

Sammeln (und das Nutzen des Gesammelten) ist demnach auch kein Projekt, das auf ein abschließend zu beschreibendes Produkt zielt, sondern es ist eine Weise des Sehens, Erkennens, Ordnens und Produzierens, dessen Wert sich nicht ausschließlich im Ergebnis erweist. Froschauer systematisiert die Aspekte, die das Sammeln für Architekten bedeutend macht – als Selbstbestimmung, als Selbstvergewisserung, als Sammlung von Vorbildern und Vorlagen, als Inspiration, als Zugang zur Alltagswelt. Architekten können dabei systematisch Kunst sammeln wie sie die Sammlung als Teil ihrer Entwurfsstrategie einsetzen. Dabei kombinieren und bearbeiten sie Dinge, sie machen Listen und schaffen Aufbewahrungstechniken. Eigenes und Fremdes, Wertvolles und scheinbar Wertloses kann kombiniert, veredelt, verändert werden.

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Seite aus dem Tafelteil des Buchs. Bild oben: AFF Architekten Einlagerung der Sammlungsdinge in einem Stahlregal, 2017; unten Adolph Menzel: Atelierwand, 1872

Froschauer systematisiert die Möglichkeiten, Sammlungen produktiv in den Entwurfsprozess einzubinden – sie nennt die verschiedenen Operationen Transfervorgänge, identifiziert neun davon, sie reichen von der Analogie über die Collage und die Rekombination bis zum Versioning, „welches sowohl die Herstellug als auch die Verwaltung von Varianten umfasst.“ Umfangreich ist dieser erste Teil mit Beispielen von Borromini über Durand und Le Corbusier bis Michael Alder und Herzog&de Meuron illustriert und belegt. Dieser erste Teil betreibt die theoretische Systematisierung, die im zweiten Teil auf sechs umfangreiche Fallstudien angewendet und vertieft wird. Diese Fallstudien legen den Fokus auf die Zeit nach der klassischer Moderne, sie sind den Architekten Ernö Goldfinger, Renaat Braem, Rudolf Olgiati, Aldo Rossi, dem Landschaftsarchitekten Günther Vogt und dem Berliner Büro AFF gewidmet.

Damit wird nicht nur sinnvoll die Theorie auf die bis ins Heute hinein wirkungsvolle Praxis bezogen. Es wird auch dazu inspiriert, selbst eigene Praktiken zu reflektieren und zu erweitern – auch wenn das nicht das primäre Ziel der Untersuchung gewesen sein mag. So oder so – so lässt sich mit viel Gewinn lesen. Sie gibt in einem wesentlichen Ausschnitt architektonischer Praxis Aufschluss darüber, wie Architekten denken, wie sie ihr Tun verorten, wie sie ihr Selbstbild konstruieren und abgrenzen. Verständnis schaffen, Wissen systematisieren, zur Reflexion und zum Weiterführen inspirieren – kann man mehr von einem wissenschaftlichen Projekt erwarten?




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Maki Kuwayama, Joachim Käppeler: The Process of Making
Five Parameters to Shape Buildings. 416 Seiten, 39,95 Euro
Birkhäuser Verlag, Basel, 2018
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Man könnte die Publikation von Maki Kuwayama und Johannes Käppler unter dem Aspekt des Sammelns und Ordnens betrachten, als eine domestizierte Art, das eigene Entwurfslaboratorium so zu ordnen, dass es für andere einen Gewinn darstellt. Der zweite Teil legt dies nahe – hier sind unter sehr allgemeinen Überbegriffen (Haus, Kirche, Stadt) sehr eigene und eigenwillige Projekte untersucht und vorgestellt. Das sind unter anderem die Barockkirche Vierzehnheiligen, eine Brücke des Schweizer Ingenieurs Robert Maillart, der Stuttgarter Landtag, das Opernhaus von Glyndebourne (Sussex), das Schwarzwaldhaus – auch ein eigenes Projekt haben die Verfasser vorgestellt, ohne dies in vielleicht etwas zu großer Bescheidenheit sichtbar zu machen. Es werden jeweils Vorgeschichte, Kontext, Entwurfsprinzipien, Konstruktion, Material und Budget anschaulich und mit gut lesbaren Skizzen dargestellt. Der erste Teil legt die Grundlagen für das Verständnis der fünf Parameter – Raster, Funktion, Detail, Material, Finanzierung –, die an die Fallstudien angelegt werden. Das Anliegen, mit dem Buch einen Zugang zu Grundlagen des Entwurfs, Verständnis bei interessierten Laien wie bei Studierenden und Berufsanfängern zu schaffen, um eine fundierte Diskussion über Architektur führen zu können, wird das Buch überwiegend gerecht, vor allem dann, wenn man es als eine von Vorlieben und Ansichten der Verfasser über Architektur ausgehendem Angebot versteht, in der beispielsweise der Crystal Palace eine sehr dominante Rolle einnimmt, ohne dass so recht deutlich gemacht wird, worin diese Privilegierung gerechtfertigt ist. Muss ja nicht. Für Kuwayama und Käppeler ist er es eben, privilegiert, er ist ein Vorbild und eine Inspiration für die eigene Arbeit, und das muss man gewiss nicht rechtfertigen. Das Buch als eines der Ordnung eigener Haltung zu lesen, erlaubt es auch, über den ein oder anderen in der Verkürzung etwas verzerrten Zusammenhang zu akzeptieren, der etwa von Ordnungsstrukturen aus der Natur übergangslos das rechtwinklige Raster als Selbstverständlichkeit einführt oder über den Umweg der E-Mobilität die Aussage ableitet, dass nicht jede energiesparende Lösung für jedes Haus gleich geeignet ist – hier wäre ein architektonisches Beispiel vielleicht hilfreicher gewesen. Aber man darf sich eben auch für E-Mobilität interessieren. Und daraus seine Schlüsse ziehen.