Seit Monaten schwelt eine Auseinandersetzung in der Fachpresse und im Feuilleton, in der Architektur in einen ursächlichen Zusammenhang mit politischen Entwicklungen gebracht wird. Im Sommerloch 2019 kühlte sie etwas ab – Anlass genug, um ihr eine Nebenrolle zu wünschen.
Hat Stephan Trüby, der jüngste Leiter des igma der Universität Stuttgart, das gewollt? Mit der Archplus Nr. 235 legte er dort nach, wo er zuvor schon für eine Polarisierung gesorgt hatte: Mit der Zuschreibung einer (Mit-)Schuld des Architektonischen und seiner Kreateure an den politischen Entwicklungen einer Zeit, konkret: Es begann damit, dass er die Initiatoren der (vermeintlichen) Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt im politisch rechten Milieu ausgemacht hatte. Und weiter ging es damit, dass nun in der Archplus Hans Kollhoff „perfides“ Handeln vorgeworfen wurde, insofern dieser mit einem nicht als solches benannten Zitat von Ezra Pound auf dem Walter-Benjamin-Platz in Berlin – 2001 gebaut – befremdliche Spuren gelegt habe.1 Was dazu üppig kommentiert wurde, zeigen Hinweise am Ende dieses Beitrags, differenzierende andere Aufsätze in der Archplus 235 werden dabei unstrittig gewürdigt.2 Man wundert sich gleichwohl, dass es um den Gebrauch öffentlichen Raumes der „neuen“ Rechten gehen soll. Denn niemand konnte sich der Illusion hingeben, dass es gerade in Europa eine Zeit ohne die „Rechten“ gegeben habe.3 „Völkisch-identitär“ kommt nur ein kleiner Teil jener Populisten daher, die ihr Süppchen auf der Verachtung des inzwischen weltweit verfügbaren Wissens – auch um die Menschenrechte – kochen und globale soziale Missstände für ihre niederträchtigen Zwecke zu nutzen suchen.
Bedeutung, Aneignung, Umdeutung
Nun leuchtet der Zusammenhang zwischen Politik beziehungsweise Herrschaftsstrukturen und Architektur nicht erst jetzt als Thema auf. Erinnert sei an alles, was Kunst- und Architekturhistoriker dazu geschrieben haben, genannt seien hier stellvertretend Martin Warnke, Günter Bandmann, Klaus von Beyme – und verwiesen sei auch auf Kompendien dazu und alles, was zwecks historischer Analysen gerade der Architektur verschiedener Faschismen erforscht worden ist.4
Grundsätzlich ist zu unterscheiden, mit welchen (Bedeutungs-)Intentionen neu gebaut wird – und wie sich die Bedeutung eines Bestands über die Zeit in unterschiedlichen Nutzungen verändert, wie unterschiedliche Gruppen und Generationen sie sich aneignen – was unter anderem eine ständige Arbeit der Denkmalpfleger ist, die sich immer wieder neu positionieren müssen oder doch sollten. Aber nicht nur sie: Sobald menschenrechtsverachtende Extremisten am Werk sind, ist jeder gefordert, die Vereinnahmung öffentlichen Raums oder Architektur zu verhindern oder ihr zumindest entgegen zu wirken.
Die politische Weltlage polarisiert derzeit ohnehin: arm und reich, links und rechts und so weiter. In einer geistesgeschichtlich dermaßen fruchtlosen Zeit nun auch Architektur wieder in Lagerbildungen hineinzuziehen, musste nicht sein und ist sogar kontraproduktiv.5 Sicher ist es richtig und wichtig, Architektur in Ausdrucks- und Wirkungsweisen zu analysieren, Intentionen des Bauens zu untersuchen, städtebauliche Entwicklungen in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu setzen. Begriffe wie „rechte Räume“ eignen sich dafür kaum. Was wären dagegen „linke Räume“? Jene, die von „Linken“ als Radauplatz oder Kulisse oder Zuhause genutzt werden?
Politisch Rechte wollten vor einiger Zeit unter anderem das Hambacher Schloss als Kulisse für ihre Veranstaltungen nutzen – es gelang ihnen nicht, daraus (Aufmerksamkeits-)Kapital zu schlagen, weil hinreichend auf den historischen Rang des Hambacher Schlosses als eine der europäischen Wiegen demokratischer Bewegungen aufmerksam gemacht worden ist, in denen die Gedanken des Code Napoléon aufgenommen worden waren.
Beispielhaft ließe sich auch das Auswärtige Amt am Werderschen Markt in Berlin erwähnen: 1934-40 als Reichsbank-Erweiterung gebaut, dann mal als DDR-Finanzministerium, mal als Zentralkomitee der SED – und nun eben als Auswärtiges Amt der Bundesrepublik genutzt: ein monumentaler, architektonisch ziemlich schauriger Kasten, den man so gewiss nicht für ein Auswärtiges Amt eines demokratischen Landes gebaut hätte.
Doch genau hier geraten lineare Architekturdeutungen in eine Grauzone: Schaut man sich beispielsweise den Neubau des Bundesnachrichtendienstes an, so wähnt man sich beim ersten Blick in drangsalierenden Verhältnissen. Auch die Neubauten des Bundesinnenministeriums oder des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung lassen sich kaum als Charmeoffensiven der bauenden Republik deuten, sondern offenbaren eine erhebliche Unsicherheit im architektonischen Ausdruck, die mit bloßer Funktionalität ästhetisch überspielt wird. Denn was u. a. die eingangs erwähnten Architektur- und Kunsthistoriker noch vor wenigen Jahrzehnten, aber doch nach der Postmoderne als Wissen über ikonographische Bedeutung von Architektur voraussetzen konnten, fand keine Kontinuität in unsere Gegenwart und hat Verbindlichkeit weitgehend verloren.
Bedeutung und Geschmack
Sich mit ikonographischen Überlegungen derweil auf dezidiert repräsentative Architektur zu beschränken, geht am Problem teilweise vorbei. Die banale, „neue“ Frankfurter Altstadt gefällt beispielsweise allen, die es gern gemütlich und eng und schnuckelig haben und andernorts den blauen Tourismus-Schildern „Altstadt“ folgen. Fachwerk, Spitzgiebel, Erkerchen, Schmuckfiguren genügen, um ikonographische Bedeutsamkeit durch ästhetisch vertraute Behaglichkeitschiffren zu ersetzen. Ich fürchte, um mehr geht es Hans Kollhoff eben auch nicht. Denn bemerkenswert ist in diesem Kontext, wie er sich im Deutschlandfunk zu den Antisemitismus-Vorwürfen äußerte. Er, Kollhoff, sei konservativ-bewahrend, wobei er die „europäische Stadt“ bewahren möchte, die es in einer eindeutigen Struktur oder Form beim besten Willen gar nicht gibt, die vielmehr eine ästhetische Fiktion ist. Aber das ist ein anderes Thema.6
Und würden nun die Grünen beispielsweise in der „neuen“ Frankfurter Altstadt wie andernorts auch ein Programm mit urban gardening oder bienentauglichen Balkonpflanzen lancieren – niemand würde sich daran stören, dass sie die Hinterlassenschaften politisch rechtsextremer Initiatoren dafür nutzen. Was derweil allenthalben als „identitätsstiftend“ oder als „Identität“ selbst ausgemacht wird, ist selten haltbar, siehe dazu die Beiträge in der Seitenspalte.
Eine Architekturdebatte?
Energetische und ökologische Gründe sprechen dafür, sich deutlich mehr mit dem Bestand als mit dem Neubau auseinanderzusetzen, und ohnehin bleibt kaum ein Gebäude im Laufe der Zeit, was es war. Nutzungen ändern sich, und Nutzungen ändern Bauten und wie sie wahrgenommen werden. So kann man mit Fug und Recht beklagen, dass in Frankfurt das Technische Rathaus abgerissen und nicht sorgfältig für eine adäquate Umnutzung umgebaut worden ist. Es hätte ein Baustein jener Kontinuität werden können, die eine über Jahrhunderte gewachsene Stadt auszeichnet.
Und wir wissen es doch: Ein famoser, kompetenter Lehrer macht aus einer bedrückenden Schulstube einen Tempel der Erkenntnis, eine gelangweilte, pädagogische Fachkraft degradiert das liebevoll gestaltete und mit einem BDA-Preis ausgezeichnete Schulgebäude zur Hölle eines Kinderdaseins. Wirkung von Architektur muss zum Zeitpunkt ihres Entstehens wohl bedacht und dem Zweck entsprechend erreicht werden. Dadurch lässt sich aber keinerlei Gewähr für eine genau so bleibende Wirkung ableiten.
Dass eine Gesellschaft rechte und linke und wer weiß welche Extremisten gewähren lässt, liegt nicht an der jeweiligen Architektur, die hierzulande ohnehin zum allergrößten Teil bereits existiert.7 Es stimmt, was Niklas Maak ansprach: Der Rat eines Antisemitismusbeauftragten an Juden, lieber keine Kippa im öffentlichen Raum mehr zu tragen, ist weit dramatischer, weil er auf die hauptsächlich Mitverantwortlichen weist, die nicht in einem Berufsstand auszumachen sind. Wie immer öffentlicher Raum und Architektur aussehen: Schneller als mit jedem Bauen lässt sich im Alltag jenen begegnen, die Stephan Trüby und seine Mitstreiter zu Recht als Angreifer einer freiheitlichen Gesellschaft kritisieren.
Wohin mit 45 Milliarden Euro?
Aber die Architekturdebatte „Rechte Räume“ kommt wichtiger daher, als sie ist. In der Architektur müssen uns andere Themen weit mehr interessieren. Zum Beispiel Geld und Ökologie. Über 45 Milliarden Euro „Überschuss“ sind hierzulande im ersten Halbjahr von Bund, Ländern und Gemeinden erwirtschaftet worden. Brücken sind baufällig, das Internet flächendeckend eine Lachnummer, die Bahn ein Nachlassverwalter unfähiger Verkehrsminister, die Schulen marode, die Straßen löchrig – und die Wohnungswirtschaft weiß auch, wie sie eine gesellschaftspotilitische Schieflage für eigene Zwecke nutzen kann. Eine Debatte über (vermeintlich) rechte Räume mag ihre Berechtigung haben, aber eine Debatte darüber, wo in Architektur und Infrastruktur zu investieren ist, wie Stadt und so genanntes Land gleichberechtigt berücksichtigt werden, welche Mobilität wir dafür brauchen – all das ist wichtiger.
1 Arch+-feature in der Berliner Volksbühne am 25.5.2019: >>>
Bereits im Arch+-feature 59 war am 12.4.2017 bei der IBA Thüringen das Thema differenziert aufgegriffen worden >>>
2 – Enrico Santifaller: Die Frankfurter Altstadt hat viele Mütter und Väter. In: db deutsche bauzeitung, 1.6.2018 >>>
– Dietrich Heißenbüttel: Rechte Räume. In: Kontext, 17. Oktober 2018 >>>
– Arnold Bartetztky: Bloß nicht die steile These erschüttern! In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.7.2019 >>>
– Niklas Maak: Antisemitische Flaschenpost. In: Frankfurter Allgemein Zeitung, 29.5.2019, Seite 9 >>>
– Hans Kollhoff dazu im Deutschlandfunk am 2.7.2019 im Gespräch mit Karin Fischer >>>
– Peter von Becker: Spiel mit der Provokation. In: Der Tagesspiegel, 4.6.2019 >>>
– Thomas Steinfeld: Herz aus Glas, Haus aus Stein. In: Süddeutsche Zeitung, 6.6.2019 >>>
– Nikolaus Bernau: Säulen in der Architektur. Warum die Rechte Räume-Debatte dünnbödig ist. In: Berliner Zeitung, 11.6.2019 >>>
– Kaye Geipel, Bauwelt 14.2019, Seite 13 >>>
– Andreas Denk, der architekt 16.8.2019 (http://derarchitektbda.de/editorial-19-4)
– Dankwart Guratzsch: Wo bitte geht’s zum Faschismus? In: Die Welt, 23.7.2019 >>>
– Peter Nowak, derFreitag, Community >>>
3 Siehe dazu vor allem die Forschungen Werner Durth zur Tätigkeit von Architekten und Stadtplanern, die unter den Nationalsozialisten und im Nachkriegsdeutschland ihre Arbeit fanden.
Winfried Nerdinger ist es mit beeindruckender Konsequenz gelungen, die Architektur der Nationalsozialisten aus Verdrängungs-Szenarien in der deutschen Architekturgeschichte verankert zu haben.
Auch auf Publikationen von Dieter Bartetzko, Anna Teut u. v. a. ist hinzuweisen.
4 u. a. Hermann Hipp und Ernst Seidl (Hrsg.): Architektur als politische Kultur. Berlin 1996; Heide Berndt, Alfred Lorenzer, Klaus Horn (Hrsg.): Architektur als Ideologie. Frankfurt 1968
6 siehe Anm. 1
7 Dem Bedeutungswandel historischer Bauten ist eine Veranstaltung an der BTU Cottbus unter dem Titel „Wertewandel“ vom 25. bis 27. September 2019 gewidmet, siehe >>>
Eine Stellungnahme zur Debatte im Sinne sachlicher Annäherung hat auch die SRL veröffentlicht.
https://srl.de/dateien/dokumente/de/Stellungnahme_zur_ARCH235_20190821.pdf