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Paris, ma belle

Fondation Cartier pour l'art contemporain

Mitte November in Paris. Die Fondation Cartier vis-à-vis des Louvre ist gerade eröffnet, das Wetter lockt auf die Straßen, die so viel Lust auf Stadt machen wie seit Jahrzehnten nicht. Paris setzt mit der Neuverteilung und -gestaltung des öffentlichen Raums Maßstäbe für die Transformation von Städten im 21. Jahrhundert.

Zentraler und prominenter geht’s nicht: Haupteingang der am 25. Oktober eröffneten Fondation Cartier an der place du Palais Royal (Photo © Cyril Marcilhacy)

Innerhalb Europas konkurrieren Städte mit Transformationsstrategien, die stets weitsichtiger, beherzter und konsequenter Planungspolitik zu danken sind. Dabei sind Planungsformate wie IBAs zu nennen, aber auch Persönlichkeiten, die sich in die Arbeit des politischen Alltags stürzen und jegliche Anerkennung verdienen. Zu den ganz bekannten gehört Jan Gehl, der Kopenhagen zur weltweit vorbildlichen Fahrradstadt transformiert hat und damit bewies: Ohne eine Verkehrswende, ohne eine Abkehr von der „autogerechten Stadt“, werden europäische Städte ihre Lebensqualität verlieren. In Paris ist es Anne Hidalgo, die seit 2014 im Amt ist und mit unglaublicher Kraft die öffentlichen Räume „ihrer“ Stadt transformiert.

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Neuverteilung des öffentlichen Raums auch am Rande der Stadtmitte: Beim Blick von Westen auf die Innenstadt fällt – links im Bild – auf, womit begonnen werden muss. Die Hälfte der Fahrbahnen wird dem Fahrrad-Verkehr zugeschlagen. (Foto: Ursula Baus 2025)

Wohl gibt es viele Städte, die mit bewundernswerter Architektur und auch erhaltenen Stadträumen aus der Vor-Auto-Zeit begeistern, sagen wir: Budapest oder Turin, Wien, Prag, Rom – Städte, die seit Jahrhunderten von Touristen heimgesucht werden. Denken wir aber auch an das autofreie Venedig, das an touristischen Heimsuchungen zu ersticken droht. Die Anpassung von Städten an veränderte Rahmenbedingungen wie Klimawandel, gesundheitliche und psychische Belastungen durch Dreck und Lärm oder soziale Missstände ist gegenwärtig Pflicht. Die Transformation öffentlicher Räume wird dabei schwer und schwerer, weil sie viel Geld kostet. Nichts zu verändern, wird langfristig aber noch sehr viel teurer.

Stadt für Millionen und das Leben der BewohnerInnen

Mitten in Paris, 3e arrondissement; früher fuhr hier ein stinkendes, lautes Auto hinter dem anderen. Es wurde gehupt und gestritten. Jetzt fehlt hier noch eine Gestaltungsidee für den öffentlichen Raum nach der "autogerechten Stadt". (Foto: Ursula Baus, 2025)

Mitten in Paris, 3eme arrondissement; früher fuhr hier ein stinkendes, lautes Auto hinter dem anderen. Es wurde gehupt und gestritten. Jetzt fehlt hier noch eine Gestaltungsidee für den öffentlichen Raum nach der „autogerechten Stadt“. (Foto: Ursula Baus, 2025)

Und damit zu Paris, dessen innerer Stadtbereich mit über 20.000 Einwohnern pro Quadratkilometer der am dichtesten besiedelte Europas ist. Im Großraum leben inzwischen etwa 12 Mio Menschen.1) Aus eigenem Erleben kenne ich die Stadt seit 1978, die Liebe zu Paris keimte in vierwöchigen Schulferien. Es folgten wochenlange, im Studium dann monatelange Aufenthalte und von einer Art Heimweh beschleunigte Wiederbesuche bis heute, wobei die Besuchsabstände doch so groß sind, dass Veränderungen auffallen. Paris machte erst vergangenes Jahr Furore, weil es gelang, ohne spektakuläre Neubauten eine Olympiade auszurichten und das Vorhandene dafür kaum zu beschädigen – mehr noch: es aufs Beste in die Gegenwart zu transformieren. Paris musste sich „eigentlich“ nur etwas herausputzen, um den Ansturm zu verkraften.

Leben mit Kunst statt Kommerz

Auch bei dunkler Tageszeit bietet die Fondation Cartier ein "Ambietne", das Passanten hofiert. (Foto: :::)

Auch bei dunkler Tageszeit bietet die Fondation Cartier geschossübergreifend ein „Ambiente“, das Passanten hofiert. (Foto: La Fondation Cartier pour l’art contemporain, 2 place du Palais-Royal, Paris. © Jean Nouvel / ADAGP, Paris, 2025. Photo © Martin Argyroglo)

Seit Ende Oktober sorgt nun die Eröffnung der Fondation Cartier – einer herausragenden Sammlung zur Gegenwartskunst – für internationale Aufmerksamkeit. Die Fondation logierte bislang am Boulevard Raspail, wo Jean Nouvel 1994 eine Stahl-Glas-Konstruktion gebaut hatte. Jetzt transformierte er für die Fondation den Gebäudekomplex im 1er Arrondissement, 2, place du Palais-Royal, mitten im Kunst- und Kommerzquartier vis-à-vis des Louvre zur neuen Adresse der Gegenwartskunst. Nicht weit ist die Métro-Station Châtelet, an der täglich etwa 750.000 Menschen ein-, aus- und umsteigen.

Es fehlt mit der Transformation des Haussmannschen Gebäudeblocks die hinlänglich als spektakulär empfundene Großform à la Elbphilharmonie oder Bilbao, stattdessen erweist sich die Auseinandersetzung mit dem Bestand als Trumpf der Stadtentwicklung. Mit Umbau statt Abriss, der in Deutschland spiritus rector ist. Dass dabei die Aufgabe, ein taugliches Museum für Gegenwartskunst zu liefern, vertrackt ist, versteht sich von selbst.

Immer was zu sehen

Links: Blick in die rue de Rivoli. Lithographie von Philippe Benoist. (Copyright: Paris Musées / Musée Carnavalet – Histoire de Paris); rechts: Les Grands Magasins du Louvre, 1880 (Copyright: Fondation Cartier)

Links: Blick in die rue de Rivoli. Lithographie von Philippe Benoist. (Copyright: Paris Musées / Musée Carnavalet – Histoire de Paris); rechts: Les Grands Magasins du Louvre, 1880 (Copyright: Fondation Cartier). Die Fondation zeigt auf ihrer Website einen Film zur > Geschichte des Terrains.

Die Fondation übernahm den gesamten Gebäudeblock zwischen rue Saint-Honoré und rue de Rivoli, der 1855 als „Grand Hôtel du Louvre“ entstanden ist. Haussmann, das muss man drastisch benennen, hatte Tabula Rasa mit Paris gemacht, abgerissen, umgegraben, um Paris zu „modernisieren“. Genauso drastisch war 1925 Le Corbusiers „Plan Voisin“ mit der Idee, ganz Paris erneut zu „modernisieren“, was der Stadt erspart blieb.
1887 wurde das Hôtel zum Kaufhaus umgenutzt, als „Grands Magasins du Louvre“ bestand es bis 1974. 1978 bis 2019 beanspruchte der Louvre des Antiquaires den Komplex, dabei ging das Meiste der gesamten Bausubstanz leider verloren. Mit der Fondation Cartier wird das Quartier nun wieder mit Leben gefüllt.

Fondation Cartier: Axonometrie und Längsschnitt mit Varionten der Ebenen-Positionierung. (Bild: Jean Nouvel)

Fondation Cartier: Axonometrie und Längsschnitt mit Variationen der Ebenen-Positionierung. (Bild: Jean Nouvel)

Entlang einer stattlichen Hauptlänge von 150 Metern zwischen rue Saint-Honoré und rue de Rivoli umfasst der Trakt mehrere „Höfe“, die es zu nutzen galt. Jean Nouvel bezieht sich – direkt von der Fondation mit dem Umbau beauftragt – in seinem Entwurf auf die Tradition modularen Bauens, in der Paris seit den 1920er Jahren eine Rolle spielt. Und er berücksichtigte die Schaufenster-Funktion im Erdgeschoss, das vom stadträumlichen Zusammenhang zwischen rue Saint-Honoré und der rue de Rivoli dominiert wird. Der inzwischen 80jährige Architekt erkannte, dass die beengten Räume hinter diesen Fassaden mit einer Art „Raummaschinerie“ die notwendige Flexibilität erhalten müsste, um der Gegenwartskunst dienen zu können. Diese Flexibilität wird nun dadurch erreicht, dass Ausstellungsebenen hinauf- und hinuntergeschoben werden können – was angeblich auch an französische Terrassen-Gärten erinnern soll. Die „Raummaschinerie“ impliziert eine technische Ästhetik, die in den Räumen der neuen Fondation nicht verborgen bleibt.

Gehören zur Haustechnik gegenwärtiger Ausstellungsräume Lüftungs-, Brandschutz-, Beleuchtungs-, Sicherheits- und andere Komponenten, so addieren sie sich in der Fondation mit der technisch aufwändigen Verschiebung von Ebenen zu unübersehbarem Hintergrund, gegen den die Gegenwartskunst bestehen muss. Das kann ihr oft nicht gelingen – was nicht an der Kunst, sondern an den Räumen liegt.

Ohne Kunst größzügig: Innenraum der Fondation (La Fondation Cartier pour l’art contemporain, 2 place du Palais-Royal, Paris. © Jean Nouvel / ADAGP, Paris, 2025. Photo © Martin Argyroglo)

Museumsarchitektur ist ohne aufwändige Haustechnik nicht mehr denkbar. Die Bewegungsmechanik in vertikaler und horizontaler Richtung kann auch nicht verborgen werden. (Foto: La Fondation Cartier pour l’art contemporain, 2 place du Palais-Royal, Paris. © Jean Nouvel / ADAGP, Paris, 2025. Photo © Martin Argyroglo)

Kunst und Raum und Stadt

Blickbezüge nach außen treten in der noch "leeren" Fondation deutlich in Erscheinung. (Ohne Kunst größzügig: Innenraum der Fondation (La Fondation Cartier pour l’art contemporain, 2 place du Palais-Royal, Paris. © Jean Nouvel / ADAGP, Paris, 2025. Photo © Martin Argyroglo)

Blickbezüge nach außen treten in der noch „leeren“ Fondation deutlich in Erscheinung. (Ohne Kunst größzügig: Innenraum der Fondation (La Fondation Cartier pour l’art contemporain, 2 place du Palais-Royal, Paris. © Jean Nouvel / ADAGP, Paris, 2025. Photo © Martin Argyroglo)

So treffen in der neuen Fondation verschiedene raumtypologische Aspekte aufeinander. Von der Straße aus sieht man ins Museum wie in ein Schaufenster; von innen, von den Ausstellungsräumen aus, fällt der Blick andererseits immer wieder auf die Straße, auf die Passanten. Mich persönlich störte die Unruhe der Straße als Hintergrund für Kunstwerke, die anzuschauen der Ruhe bedürfen. Ohnehin steht und hängt in der aktuellen Schau – der „Exposition Générale“2) – alles recht dicht an dicht, was mal mehr, mal weniger gut funktioniert. Es sind Aspekte wie Mode und Film, Architektur und Urbanität, Industrie und Kunsthandwerk, Naturwissenschaft und Technik thematisiert, also drastisch gesagt: Ein Sammelsurium aus der Sammlung beschert eine Fülle von Sehenswertem, die BesucherInnen einiges, genauer: viel zu viel abverlangt.

Ausblick zum Trubel auf der Straße. ( )

Ausblick zum Trubel auf der Straße. (La Fondation Cartier pour l’art contemporain, 2 place du Palais-Royal, Paris. © Jean Nouvel / ADAGP, Paris, 2025. Photo © Martin Argyroglo)

Die dunkel gehaltenen Decken lassen die Innenräume dabei etwas niedrig wirken, wobei Durchbrüche dem entgegenwirken sollen. Auch die Anordnung von geschlossenen Kammern und offenen Galerien und Emporen sorgen für räumliche Abwechslung – bisweilen kann man sie als unwillkommene Unruhe empfinden. Brigitte Werneburg lobte beispielsweise in der taz, wie „großzügig“ Agnès Vardas Bronzeguß „Nini sur son arbre“ im Eingangsbereich stehe.3) Genau hier vermisste ich die räumliche Großzügigkeit.

Ganz anders wird sich die Fondation aber einschätzen lassen, wenn in einer künftigen Ausstellung nicht so viel wie möglich gezeigt werden wird. Wenn also aus der riesigen Sammlung deutlich weniger Exponate dezidiert für das einzigartige Zusammenwirken des Innen- und Außenraums präsentiert werden. Deswegen der Rat: Beim nächsten Paris-Besuch unbedingt die „Exposition Générale“ ansehen und dann immer wieder kommen.

Zurück zur alten Stadt für übermorgen

Die Planungs- und Realisierungschritte zur Transformation des Urbanen lassen sich in Paris bestens nachvollziehen. Zuerst muss der öffentliche Raum, der im Verteilungskampf um Mobilitätsvorrang unglaublich an Aufenthaltsqualität verloren hat, neu verteilt werden. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, wenn ich heute auf altbekannten Wegen spaziere – und sich offenbart, wie Ruhe, unbeschwertes Umhergehen, saubere Luft den Aufenthalt draußen verbessern. Hier lässt es sich wohnen und leben.

Links die Rückseite des Centre Pompidou in der du Renard; hier konnten wir vor lauter Autos 1978 kaum laufen – 2025 "gehört" die rue du Renard den Anwohnern und Passanten. (Bild: Ursula Baus)

Links die Rückseite des Centre Pompidou – wird bis 2028 saniert – in der du Renard; hier konnten wir vor lauter Autos 1978 kaum laufen – 2025 „gehört“ die rue du Renard den Anwohnern und Passanten und müsste nur noch etwas umgestaltet werden. Streit entfacht sich inzwischen, wo zugunsten von Fahrradfahrern und Fußgängerinnen die Busspuren verloren gehen könnten. (Bild: Ursula Baus)

Unübersehbar ist, dass der öffentliche Raum nach der Neuverteilung seiner Flächen im Sinne der Aufenthaltsqualität auch umgestaltet werden muss. Auch das lässt sich in Paris inzwischen anschauen, beispielsweise am Seine-Ufer oder in Neuilly.

Neu verteilen, neu gestalten

Paris ist mit der Transformation urbaner Räume sehr weit, ist mit den vielen Bahnhöfen zudem sehr gut zu erreichen. Vergleicht man das Pariser Tempo der Transformation damit, wie beispielsweise in München mit einer mühseligen, mindestens zehnjährigen IBA etwas im Mobilitätskonzept der wachsenden Stadt korrigiert werden soll, kommt es so vor, als werde eine Operation am offenen Herzen mit ein paar Globuli behandelt. Andererseits: Im föderalen Land könnte man sich auch eine Stadt vorstellen, in der Politik und Verwaltung einen Paris vergleichbaren, natürlich viel kürzeren Transformationsweg beschreitet. Fällt uns eine ein?

so geht's: Bewohner und Anlieferer können fahren, ansonsten ist der Straßenraum barrierefrei und üppig begrünt. (Foto: Ursula Baus, Neuilly)

So geht’s: Bewohner und Anlieferer können fahren, ansonsten ist der Straßenraum barrierefrei eingeebnet und üppig begrünt. (Foto: Ursula Baus, Neuilly)


1) Mit „Grand Paris“ wurde versucht, die Wucherungen im Großraum Paris zu organisieren, die sozialen Probleme vernachlässigter Zonen sorgen regelmäßig für Konflikte.

2) Exposition Générale, bis 23. August 2026 in der Fondation Cartier pour L’art contemporain, 2, place du Palais Royal

3) https://taz.de/Fondation-Cartier-in-Paris/!6124688/