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Alle zwei Jahre veröffentlicht die Bundesstiftung Baukultur einen „Baukulturbericht“ zu einem aktuellen Thema und veranstaltet einen thematisch passenden Konvent. 2024/25 ging es um Infrastruktur, mit der es – alle wissen es – nicht zum besten bestellt ist. Darin sind sich Bauingenieure, Architektinnen und Politiker ausnahmsweise mal einig. Bericht und Konvent bestätigen unanfechtbar: Die Infrastruktur wird binnen fünf bis zehn Jahren kollabieren, wenn der selbst verschuldete Wahnsinn nicht aufhört.

Potsdam: Was nützt es, wenn mit vielen Steuergeldern die Fassaden rausgeputzt werden, der öffentliche Raum davor aber eine Blechwüste bleibt? (Bild: Ursula Baus)

Wichtigeres als eine funktionierende Infrastruktur gibt es in der gebauten Republik kaum. Ein Haus ohne Wasser und Strom? Ein „Tag der Architektur“,(1) und keiner kommt zu den geöffneten Bauten? In Architektenkreisen erscheint immer mal wieder, wenn das Einfache im Leben und Bauen und Planen gepriesen und gefordert wird, Marc Antoine Laugiers Hütte ­– nicht einmal dieser Topos des Einfachen kam in den Vorträgen und Statements beim Konvent vor. Zu ernst, man muss sagen: Zu verzweifelt und frustrierend ist die Lage. Seit langem.

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Öffentlicher Raum in Schwabing: Motorräder und immer größere, private Autos und Mopeds werden abgestellt, Fahrräder an die Hauswände gelehnt – was bleibt dann noch von der Straße als öffentlichem Eigentum? (Bild: Ursula Baus)

Stolz? Worauf denn?

Für die Keynote war ZEIT-Feuilletonist Hanno Rauterberg eingeladen, der sich nicht mit sattsam bekannten Befunden aufhielt, sondern gleich darauf zu sprechen kam, den hiesigen Infrastrukturbestand als herausragende Leistung zu benennen, an die es anzuknüpfen gilt und auf die man stolz sein sollte.(2) Das klang zunächst wie bitterer Hohn in den Ohren derer, die mal wieder nur mit Müh‘ und Not den Konvent-Ort erreicht hatten, an dem sie viel früher sein wollten. Die Wertschätzung der Infrastruktur, die dem Staat und damit allen Bürgern und Bürgerinnen des Landes gehören, ließe sich wahrhaftig steigern, und die Aufgabe, die Hanno Rauterberg ins Gedächtnis rief und die an Politik und Verwaltung gerichtet war, ist klar: Volker Wissing und Christian Lindner waren nicht zugegen, aber diverse Mitarbeiter aus Ministerien. Werner Sobek überschlug kurz, dass es bei der Infrastruktur um Staatseigentum in einer Größenordnung von zig Milliarden geht, das zu pflegen eine staatliche Pflicht sei.

Nun darf man ergänzen, dass diese politisch vorgegebene Pflicht umzusetzen die Aufgabe der Verwaltungen bei Kommunen, Ländern und dem Bund liegt. Denen politisch derzeit einfach zu viel zugemutet wird, was in der Praxis lediglich Mangelverwaltung, aber keine Infrastrukturgestaltung ist.

München, Georg Brauchle Ring: unverkennbar, wohin in Deutschland die Gelder fließen (Bild: Ursula Baus)

München, Georg Brauchle Ring: unverkennbar, wohin in Deutschland die Gelder fließen und woher der Flächenfraß kommt. (Bild: Ursula Baus)

Es seien zwei Aspekte der reichhaltigen Stiftungsthemen herausgegriffen: Mobilität und soziale Infrastruktur. Sie tragen zu einer funktionierenden (Wohlstands-)Demokratie maßgeblich bei und liegen hierzulande desaströs im Argen. Steffen Marx (3) – kompetenter als er kann man in Sachen Mobilitätsnetz kaum sein – prognostizierte für die nächsten fünf bis zehn Jahre den Kollaps der Mobilitätsinfrastruktur nicht zuletzt als Konsequenz völlig falscher Fahrzeugentwicklung – zum Beispiel mit Gigalinern und immer mehr Lasten, die viel zu schnell unterwegs auf den Verkehrswegen inklusive auf Brücken sind, die für derartige Belastung nicht gebaut und kaum noch zu ertüchtigen sind.

Sind die irrwitzigen SUVs eine Katastrophe für Innenstädte und Wohngebiete, bewirken die Riesen-Lkws den Zusammenbruch der Mobilitätsinfrastruktur im größeren Straßennetz. So einfach ist das, jeder weiß es – die Bürger wollen es so beziehungsweise nehmen es so hin, Politiker setzen dem nichts entgegen, um keinen Wähler zu verlieren. Es ist erbärmlich, und man spürte in fast allen Redebeiträgen wachsenden Zorn ob der Ohnmacht, mit der man dem politischen Versagen zusehen muss. Doch auch der Anteil der wählenden BürgerInnen darf nicht verschwiegen werden: Eine Civey-Umfrage hat eben ergeben, dass strengere Klimaschutzmaßnahmen von 28,7 % befürwortet, aber von 47,8 % strikt abgelehnt werden. Politik muss, handelt sie weitsichtig, auch gegen Mehrheiten handeln. Bitter, riskant – und mit einer Aufgabe verbunden, die immer schwerer wird: Argumentativ müssen die überzeugt werden, denen Einsicht fehlt.

Mit donnernder Stimme: Jörn Walter, zuvor Hamburgs Oberbaudirektor, weiß um die Übeltäter... (Bild: Ursula Baus)

Mit donnernder Stimme: Jörn Walter, zuvor Hamburgs Oberbaudirektor, weiß um die Übeltäter. Raserei auf deutschen Autobahnen ist übrigens ein Geschäftsmodell von Autoverkäufern. (Bild: Ursula Baus)

Ziele, Absichten – blablabla.

Es klang zynisch, was alles – eingeleitet mit „Wir sollten, wir müssen…“ – zur Sprache gebracht worden ist. Man möchte aufschreien: Wissen wir doch alles, macht halt!
Mit Rudi Scheuermann (Arup)(4) und Thomas Auer (Transsolar)(5) trafen zwei praxiserfahrene Klima- und Energieexperten aufeinander, mit denen wenigstens wieder ein bißchen Lust am „Machen“ aufgrund unterschiedlicher Expertisen bei Technik- und Erfahrungswissen aufgekommen ist. Auch der Gebäudetyp E wurde thematisiert – aber letztlich ist die dahinterstehende Initiative als Verzweiflungstat zu sehen, weil sie im horrenden Baugesetzesapparat wieder etwas Zusätzliches mit sich bringt.

„Staat, die Not ist groß!“

Was das Bauen teuer und frustrierend macht: Baubürokratie, gesetzlich relevante Vorschriften und vieles mehr. All das haben die jetzt jammernden Bauingenieurinnen, Architekten, Lobbyisten aus der Bauwirtschaft, die Infrastrukturnutzer sowie die Autoindustrie initiiert, mitinitiiert oder gutgeheißen. Da stehen nun die betrübten Zauberlehrlinge und klagen und jammern. „Staat, die Not ist groß! Wie werd ich alles wieder los?“

Es sind letztlich zigtausende Vorschriften, Baugesetze, Normen, Richtlinien und wer weiß was, die justitiabel die Arbeit aller am Bau Beteiligten erschweren, bisweilen lahmlegen. Begleitet von einer zunehmend zaghaften, verunsicherten Politik, von ängstlichen Parteien, denen die Wähler zu folgen keinen Anlass mehr sehen, ausgedünnten Verwaltungen und mürrischen BürgerInnen. Und jetzt? Nichts mehr.

München, Schwabing: Autos bedrängen von links den Bürgersteig, den Motorräder und Fahrräder längst besetzt haben. (Bild: Ursula Baus)

München, Schwabing: Autos bedrängen von links den Bürgersteig, den Motorräder und Fahrräder längst besetzt haben. Was für ein Irrsinn! (Bild: Ursula Baus)

Bleiben wir beim Rauterbergschen Stolz: Das jetzige, 220 Kilometer, europaweit viertgrößte Metronetz soll verdoppelt werden. 68 neue Bahnhöfe werden gebaut, Kengo Kuma, Benedetta Tagliabue, Chartier Dalix bauen daran mit. Fußgänger- und Radfahrerbrücken entstehen, rund 1000 Kilometer Expressfahrradstraßen sind geplant, von jedem Punkt der Stadt soll man so schneller als mit dem Auto zum andern kommen. Niklas Maak hatte sich kundig gemacht – in Paris natürlich.(6) In Deutschland ist flächendeckend die Katastrophe der autogerechten Stadt, der ausnahmslos gemeinnützig zu organisierenden Mobilität mit jener im „Grand Paris“ zu vergleichen. Gelegentlich scheint es mir, dass die Franzosen aber vernünftiger sind als die Deutschen, deren Stolz nicht die Infrastruktur, sondern ihr großes Haus und ihr dickes, fettes Auto sind. Stadtbäume: Die SUV fahrende Bürgerin fürchtet um ihren XXL-Parkplatz, mehr noch: Ein Blatt könnte auf ihr kriegstüchtiges „heilix Blechle“ fallen. Ein stadtkühlender, CO2-speichernder Baum vor ihrem Haus? Auf keinen Fall!

Hausverbot für Lobbyisten!

Fangen wir also ganz klein an und reduzieren die 20.000 Bauvorschriften auf sagen wir: im ersten Schritt 15.000, im zweiten auf 7000. Dazu werden Vorschläge aus unterschiedlichen Berufsgruppen eingefordert, Deadline: ein viertel Jahr, was digital kein Problem ist. Danach eintreffende Verlautbarungen werden nicht berücksichtigt. Die Reduktionsvorschläge entsprechen einer außerordentlich konstruktiven Arbeit, denn Zauberlehrlinge wissen: Weniger ist mehr!
Diese Vorschläge werden von einer maximal 7 Mitarbeiterinnen (zusätzliche Mitarbeiter erwünscht) großen Arbeitsgruppe, in der keine Lobbyisten vertreten sein dürfen, gesichtet und sortiert. Die am häufigsten genannten 5.000 werden aus dem Gesetz gestrichen. Lasst alle Mürrischen aufschreien! Beginnt den nächsten Schritt in ähnlicher Konstellation. Die Deadlines können alle in einer einzigen Legislaturperiode liegen.
Demokratietauglich ist ein solches Verfahren durchaus. Versprecht den Wählern, in der nächsten Legislaturperiode die Landesbauordnungen zu harmonisieren. Sie, die Wählerinnen, werden es euch danken.

Nebenbei: Der sparsüchtige Herr Lindner – mit ihm verglichen scheint jede schwäbische Hausfrau an Verschwendungssucht zu leiden – war es, der Subventionskürzungen versprach. Im aktuellen, 29. Subventionsbericht der Bundesregierung(7) steht – fast lapidar –, dass das Subventionsvolumen von 2021 bis 2024 von 37,9 Mrd. auf 67,1 Mrd. Euro gestiegen ist. Relativiert durch den Hinweis auf veranschlagte „Finanzhilfen“. Es führt hier zu weit, im Einzelnen die Finanzhilfen auseinander zu nehmen. Aber dass „vor allem“, wie im Bericht steht, Ausgaben für „Klimaschutzmaßnahmen“ relevant seien und „einen positiven Bezug zu den in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie verankerten Umwelt- und Klimaschutzzielen“ haben sollen, ist eine dreiste Behauptung. Ergänzen muss man hier nämlich, dass die klimaschädlichen Subventionen mitnichten gestrichen worden sind, wie „der freitag“ nachweist.(8)

Die sozialen Schieflagen

Neben der Mobilität besetzte auch die soziale Infrastruktur eine Sektion, und Landesbischof Ralf Meister(9) traf einen Nerv unseres Zusammenlebens, der die ganzen technisch-pekuniären Aspekte blass, fast belanglos scheinen ließ. Niemand macht mehr einen Hehl daraus, dass massenhafte Kirchenaustritte Indizien dafür sind, dass die rund 40.000 Kirchen in Deutschland zwar die abendländische Wertetradition manifestieren und schönste Zeugnisse hiesiger Architektur- und Stadtgeschichte sind, faktisch aber leer und leerer stehen. Keineswegs alle Vertreter der Kirchen zeigen sich eingedenk der gesellschaftlichen Veränderungen so offen für die Umnutzung der Bauten wie Ralf Meister,(10) aber immerhin gibt es mit dem Kirchenmanifest von moderne regional (11) einen Impuls, der sehr viel mehr verspricht als die völlig belanglosen politischen Verlautbarungen über die „Herausforderungen“, vor denen wir alle und wer auch immer stehen. Selbstverständlich geht es bei der kulturell herausragenden Aufgabe von Kirchenweiter- und Umnutzung auch ums Geld. Aber eben nicht primär, sondern um die Rolle des Raums für einen gemeinnützig organisierten Zusammenhalt.

2626_Baukulturbericht_24-25Das Stichwort fiel bereits: der Bundeshaushalt 2025. Die Bundesstiftung Baukultur hat unter der Leitung von Reiner Nagel mit ihrem aktuellen Bericht immens viel zusammengetragen, was zitierfähig Grundlage für eine Haushaltsdebatte ist, in der die Funktionstüchtigkeit der demokratietragenden Infrastruktur oberste Priorität hat.

Hier geht es zum Bericht, der kostenlos bestellt werden kann und als Download zur Verfügung steht: https://www.bundesstiftung-baukultur.de/fileadmin/files/BKB-24/Baukulturbericht_202425_Infrastrukturen.pdf

2626_Schulbuch_BSBKNachtrag: Premiere hatte auch eine weitere Publikation der Stiftung: das „Schulbuch Baukultur“.
Zunächst in kleiner Auflage erschienen. Damit das Buch in großer Auflage verteilt werden kann, bittet die Bundesstiftung Baukultur um Spenden.
Wenden Sie sich dafür direkt an die Stiftung: mail@bundestiftung-baukultur.de


1) 29. und 30. Juni 2024, https://tag-der-architektur.de/

6) FAS Week, 22. Juni 2024