Luxemburg gilt manchen als das Dubai Europas. Mal verschrien, mal gelobt, ist es zum Hotspot internationaler Geldpolitik und Drehkreuz global agierender Unternehmen geworden, die das Großherzogtum als Standort ihres jeweiligen Europageschäfts auserkoren haben. Doch auch architektonisch tut sich etwas in unserem Nachbarland.
Luxemburg ist ein bemerkenswertes Land. Strategisch hat sich das Großherzogtum im Laufe der letzten Jahrzehnte neu aufgestellt, nach europäischen Institutionen durch eine marktliberale Steuerpolitik Global Player wie Amazon, Ebay oder Paypal angezogen. So ist das Plateau des Kirchbergs im Nordosten der Hauptstadt Luxemburg seit den 1960er-Jahren systematisch erschlossen worden und mit der Großherzogin-Charlotte-Brücke, entworfen 1957 vom Architekten der Hamburger Köhlbrandbrücke, Egon Jux, an die Stadt angeschlossen worden. Heute finden sich dort der Gerichtshof der Europäischen Union mit seinen in fünf Erweiterungsphasen zwischen 1970 und 2019 errichteten Gebäuden, die Europäische Investitionsbank mit ihren beiden Bauteilen von Denys Lasdun (1973–1980) und Ingenhoven Associates (2003–2008), das Musée d’art moderne Grand-Duc Jean von Ieoh Ming Pei (1999–2006), die Philharmonie von Christian de Portzamparc (1996–2003), das Sport- und Veranstaltungszentrum D’Coque (von Roger Taillibert, dem Architekten des Pariser Prinzenparkstadions und des Montrealer Olympiastadions, oder die neue Nationalbibliothek samt Archiv von Bolles+Willson (2003–2019) – eine Aneinanderreihung der großen Namen auf Seiten der Auftraggebenden gleichermaßen wie auf der der Architekturbüros. Außerdem ist hier Wohnraum für rund 6.000 Menschen entstanden. Durch derlei Entwicklungen ist die Bevölkerung des Landes von 433.698 im Jahr 2000 auf etwas über 688.000 Menschen im September 2024 angewachsen, die Zahl der Arbeitsplätze hat sich währenddessen nahezu verdoppelt.
Wachstum und Wandel
Und so entsteht auch abseits der Hauptstadt, wo Grund und Boden ebenso knapp sind wie erschwingliche Mieten, viel Architektur. In Esch-sur-Alzette im Süden des Landes etwa, wie andere Städte in der Minette-Region auch, schwer von der Stahlkrise der 1970er und -80er-Jahre gebeutelt. Hier wurden große Teile ehemaliger Minen- und Hüttenareale umgenutzt, die Universität angesiedelt und die Stadt gemeinsam mit dem litauischen Kaunas und dem Novi Sad zur europäischen Kulturhauptstadt Europas 2022 gekürt. Baumschlager Eberle haben hier ebenso gebaut wie Foster+Partners. Entlang des Flusslaufs des Dipbechs wurde das Areal Nonnenwiesen entwickelt, um neuen Wohnraum zu schaffen – zeitgemäß als Schwammstadt.
Ein Baustein wurde hier vom lokalen Büro Architekturbüro BSArc von Christophe Bourguignon und Patrick Siebenaler realisiert. 36 Einfamilienhäuser, die als sozialer Wohnbau an eben jene Teile der Bevölkerung gehen sollten, die durch horrende Miet- und Kaufpreise kaum Wohnraum im Land finden und so zum immensen Pendelverkehr in die Grenzregionen Belgiens, Frankreichs und Deutschland beitragen, wo die Preise merklich niedriger sind. Allein durch den Pendelverkehr entstehen zehn Prozent des luxemburgischen CO2-Fußabdrucks.
Ausgehend von einem quadratischen Raster mit der Grundeinheit von 15 auf 15 Metern haben die Architekten eine Folge von autofreien Plätzen und Straßen geschaffen, die auf städtebaulicher Ebene schlüssig durch die Häuser gebildet werden. Durch Rotation der Gebäudevolumen auf den quadratischen Grundstücken wenden sich die Häuser dann aber merkwürdig von den drei Plätzen ab. Was für die großen Wohnküchen im Inneren einerseits schön ist – blickt man nun doch ganz in den eigenen Garten und damit ins grünen Blockinneren –, ist für den Platzraum kein Gewinn. Hier fehlt die Verbindung zwischen dem halböffentlichen des Quartiersplatzes und dem halbprivaten Innenraum der Häuser, deren private Innenräume dann wiederum durch schlüssige Grundrisse und dort eingeführte räumliche Schwellen eine angemessene Abschottung erfahren. Bis ins Detail sind die Häuser sauber geplant und ausgeführt – wenn man vom merkwürdig anmutenden Verzicht auf „echte“ Stürze über den Mauerwerksöffnungen absieht. Das Mauerwerk ist hier die Bekleidung einer reinen und in weiten Teilen vorgefertigten Holzkonstruktion, die mit Zellulose gedämmt wurde. Mit Blick auf die alterungsbedingte Patina sicher ein guter Schritt.
Details und Innenräume der Bebauung in Esch-sur-Alzette. (Bilder: David Kasparek)
Gut gedacht vs. gut gemacht
All das möchte die Stadt Esch in Erbpacht an die später Nutzenden übergeben. Allein: Die fehlen bis heute weitgehend. Vermeintlich paradox in einem Land, in dem erschwinglicher Wohnraum eines der großen Themen des letzten Wahlkampfs war. Anders als im europäischen Ausland ist die Eigentumsrate in Luxemburg sehr hoch – auch beim sozialen Wohnbau. Und so sollen auch diese Häuser verkauft und nicht vermietet werden. Für rund 650.000 Euro das Stück, was Quadratmeterpreisen von 5.000 bis 6.000 Euro entspricht. Die Haken an der Sache: Damit sind nur Gebäudehülle und Außenanlagen realisiert, den Innenausbau müssen die Käufer:innen komplett selber stemmen, was den effektiven Kaufpreis weiter nach oben treibt. Wer nun aber Anspruch auf Sozialwohnungen in Luxemburg hat – und damit als Käuferin oder Käufer in Frage käme – bekommt bei der aktuellen Situation am Finanzmarkt die notwendigen Kredite zur Baufinanzierung nicht. Und so stehen 34 der 36 Häuser im September 2024 leer, wirken die eigentlich so schön proportionierten und autofreien Straßen verlassen und die ohnehin reichlich karg ausgestatteten Plätze verweist.
Anders sieht es gut zehn Kilometer weiter westlich aus. Unmittelbar hinter dem kolossalen Centre National de l’Audiovisuel von Paul Bretz liegt das Wasserbecken des ehemaligen Stahlwerks samt schönem Wasserturm. M3 Architekten haben gemeinsam mit dem Künstler Franck Miltgen eine raumhaltige Skulptur im Becken platziert, die als Teil des „Minette-Trails“ Wandernden Unterkunft bieten kann. Der Wanderweg ist Teil der Bemühungen, den Strukturwandel der Region zu vollziehen. Minette ist ein Eisenerz, das hier lange Zeit abgebaut wurde und der Region ihren Namen gegeben hat. Einen dieser Minette-Brocken der unmittelbaren Umgebung hat Franck Miltgen gescant und in ein räumliches Computermodell übertragen. Cortenstahl-Schichten bilden diese Form nun äußerlich nach und vollziehen einen Stoffwechsel im Semper’schen Sinne, was dem Wandel der Region durchaus entspricht. Gibt sich die Raumskulptur äußerlich hart und abweisend, überrascht das Innere um so mehr. Einem räumlichen Staubsauger gleich, zieht es Besuchende durch den Innenraum hindurch bis zu einer großen Glasscheibe, die den Blick auf den ehemaligen Wasserturm und den angrenzenden Hallenbau fast auf Niveau der Wasserkante wunderbar rahmt. Dabei ist der Innenraum gänzlich aus hellem Holz gefügt und nimmt erneut das Motiv der Höhenschichten des äußeren Stahlkleides auf. So bilden sich schöne farbliche und atmosphärische Kontraste zum Corten-Stahl der Fassade einerseits, zur Vegetation der Seerosen und der Uferpflanzen andererseits. Vier Schlafplätze finden sich hier in einer großen Wohnküche, die mit einem schweren Vorhang abgeteilt werden können. Um einen runden Tisch haben die Architekten eine in den Boden eingelassene Sitzgruppe platziert, die gleichsam Teil der Stufen hinab bis fast auf die Wasserlinie und zur großen Fensterscheibe ist. Dazu kommen ein überraschend geräumiges Bad und ein Abstellraum.
Landmarken im Wandel der Zeit
Überraschend ist auch der Wasserturm in Altrier, einem Ortsteil der Gemeinde Bech im äußersten Osten des Landes. Einer Landmarke gleich thront er über dem Örtchen – wie so viele Wassertürme des Landes von weitem sichtbar. Wie sehr diese Typologie Teil der hiesigen Baukultur ist, zeigt sich hier ebenso wie in Dudelange. Anders als klassische Wassertürme aber gibt es Altrier keine Unterscheidung zwischen Schaft und dem auf ihm lastenden Wasserbehälter. Auf einem Rechteck mit den Seitenverhältnissen drei zu fünf ragt der Turm 54 Meter gen Himmel. Aus der klaren Geometrie dieses Sichtbetonquaders hat das Team des Luxemburger Büros BFF auf unterschiedlichen Höhen an allen vier Seiten Stücke ausgeschnitten. Die subtrahierten Flächen sind mit einem dunklen Streckmetall belegt. Den Eingang wiederum bildet eine Ausstülpung, deren Geometrie wie das auf den Boden gefallene und an den Sockelbereich angeschmiegte Reststück des Schneideprozesses in den oberen Abschnitten des Turms aussieht. So wird das Bauwerk zu einer zeitgenössisch abstrahierten Variante dieser im ganzen Land anzutreffenden Typologie.
Der eigentliche Zweck des Bauwerks befindet sich in einem Becken unter der Erde und in zwei Tanks in der Spitze des Turms: 150 Kubikmeter Wasser können oberirdisch gespeichert werden, weitere 500 unter der Erdoberfläche. Dazwischen ergeben sich überraschend schöne, rauhe Räume, da die äußeren Einschnitte ihre Holzverkleidete Entsprechung im Inneren finden. Man würde der Gemeinde wünschen, dass hier Veranstaltungen der Allgemeinheit stattfinden würden – oder wenigstens eine Kunstgalerie einzöge.