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Etwas Ratlosigkeit machte sich in den Giardini in Venedig breit, als die Pavillon-Ausstellungen eröffnet waren. Architektur vielerorts Fehlanzeige, Performatives und Installationen allüberall. Im folgenden geht es um einen Besuch im deutschen Pavillon (Ursula Baus), einen fotografischen Streifzug durch die anderen Länderpräsentationen (Caspar Sessler) – und ein vorläufiges Resümee. Manche der vorwiegend jungen europäischen Kuratorenteams lehnen die Welt, wie sie ist, ab, aber möchten doch etwas Spaß dabei haben. Andere packen den Stier bei den Hörnern und vertrauen auf kollektive Kraft.

Alle Fotos dieses Beitrags – sofern nicht anders gekennzeichnet – stammen von Caspar Sessler.

Was vom Vorjahr übrigblieb

„Open for maintenance – wegen Umbau geöffnet“ ist das Motto des deutschen Pavillons, den das Kuratorenteam ARCH+, Summacumfemmer und Buero Juliane Greb dieses Jahr gestaltet haben. Sie sammelten mit Bienenfleiß und Muskelkraft, was vom vorangegangenen Biennale-Jahr übrig geblieben war. Dezidiert die Hinterlassenschaften der letztjährig hier wirkenden Künstlerin Maria Eichhorn, aber auch „Müll“ aus anderen Pavillons landeten im deutschen Pavillon mit der Maßgabe, dass alles wiederverwertbar sei – und jetzt auch wiederverwertet wird. Das Kuratoren-Kollektiv ging pragmatisch ans Werk, und alles, was sie machten und im Lauf der Biennale-Zeit noch machen werden, ist politisch korrekt, moralisch einwandfrei, mit nimmermüdem Engagement und koordinierter Arbeitskraft entstanden.

Pressekonferenz mit Bundesbauministerin Klara Geywitz im Deutschen Pavilion am 18. Mai 2023

Pressekonferenz mit Bundesbauministerin Klara Geywitz (mit rotem Jackett) im Deutschen Pavillon am 18. Mai 2023

 

Im Sinne der omnipräsenten und leidlich bekannten Themen des Klimawandels, endlicher Ressourcen und sozialer Verantwortung fingen sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten einfach mal an: sammelten, ordneten, registrierten, lagerten. Das Pavillon-Innere ist nun ein Bauteillager, in dem jeweils QR-Codes wie Quellcodes Informationen über Herkunft und mehr des Lagerbestands geben. In der Lagerart einen Kunstaspekt zum Beispiel im Sinne des readymades zu erkennen, ist mir beim besten Willen nicht gelungen.
Wo (Bau-)Not in Venedig ist, wird in den kommenden Monaten Hilfreiches und Nützliches geplant, geliefert und gebaut, was mit den Biennale-Resten eben baubar ist – in einer Art Baupraktikum von Studierenden und Auszubildenden aus dem Handwerk wird’s möglich und sorgt für sinnvolle Wiederverwertungen des vermeintlichen Mülls. Man vernetzt sich dabei mit bestehenden Initiativen der Materialwiederverwertung. Dass man dafür Werkzeug braucht, ist im Pavillon in einem hinter Glas zur Schau gestellten Sortiment von Pinseln, Schraubenziehern, Schraubbohrern und anderem gezeigt – rührend, aber jede Heimwerkerin zuckt da nur mit den Achseln. Zugleich darf man hier aber eine sehr ernst zu nehmende Kampagne für das Handwerk erkennen, das hierzulande bei der Berufswahl zu gering geschätzt wird – und in den kommenden Biennale-Monaten den deutschen Pavillon zur Werkstatt macht.

Tauglich für Kinderwagen und Rollator, zum Sitzen und Tanzen: die neue Rampe

Tauglich für Kinderwagen und Rollstuhl, zum Sitzen und Tanzen: die neue, betonfreie Rampe am Eingang des deutschen Pavillons

Warum erst jetzt?

An und im Pavillon wurde aber auch einiges substanziell hervorragend verändert. Zunächst ist aus Biennale-Spolien eine geschwungene Rampe entstanden, die barrierefrei in den Pavillon führt und zugleich dessen spröde und stumpfe Monumentalität elegant auflöst. Diese Rampe entkräftet die wuchtige Wirkung des 1909 als Bayerischer Pavillon gebauten und 1938 von Ernst Haiger NS-typisch umgestalteten Pavillons aufs beste. Temporär gebaut, wünscht man ihr aber eine sehr lange Zukunft. 2022 im ukrainischen Pavillon verwendete Sandsäcke und Holzbretter1) sind hier benutzt worden, außerdem Kies aus einem Werk der Französin Latifa Echakhch für den Schweizer Pavillon 2022. Im Inneren des Pavillons kamen eine genderneutrale Trockentoilette, ein Wickeltisch und eine kleine Tee- oder Kaffeeküche dazu – das ist alles unspektakulär, aber außerordentlich nützlich, und man fragt sich: Wieso erst jetzt?2)

Bei der Eröffnung: Performance Forward Dance Company des Lofft-Theaters in Kooperation mit dem Goethe-Institut / Performing Architecture

Bei der Eröffnung: Performance der Forward Dance Company des Lofft-Theaters in Kooperation mit dem Goethe-Institut / Performing Architecture

Déjà-vu

Neu oder inspirierend ist an der Bauteillagerung im Inneren eigentlich: so gut wie nichts. Bauteilbörsen gibt es schon lang, die belgische Gruppe rotor (nicht zu verwechseln mit dem Berliner rotor-atelier) zeichnete sich schon vor Jahren durch vergleichbare Ansätze mit praktischem Anspruch aus. Mit Reduce, Reuse und Recycle appellierte Muck Petzet schon 2012 in Venedig daran, die Auseinandersetzung mit Bestand und Vorhandenem ins Zentrum des Bauens zu rücken – was auch im japanischen Pavillon im vergangenen Jahr eindrucksvoll thematisiert worden ist. Resteverwerter Alejandro Aravena führte 2016 auf dem Arsenale vor, was mit Trockenbaumaterialien ginge. Und hier sei, abseits der Biennalen, auch mal an den in die Schweiz ausgewanderten Ungarn Elemér Zalotay (1932-2020) erinnert, der in skurriler Einzelinitiative in den 1980er Jahren Häuser aus objets trouvés baute, vier Kilometer hohe Häuser in Selbstbauweisen vorschlug und Städte aus Müll skizzierte – seinerzeit hat ihn kaum jemand ernst genommen. Eva Stricker weist in ihrem Beitrag „Mehr denken, weniger Bauen“3) auch auf Martin Pawleys (1938-2008) Buch „Garbage Housing“, in dem es schon 1975 explizit um ressourcenschonendes Bauen mit recycelten Materialien ging. Die Geschichte des Pflegens und Wiedernutzens geht zurück bis in die Antike, bis zu den als solchen nachweisbaren Spolien, welche die ArchitekturhistorikerInnen immer wieder begeistern können.
Im deutschen Pavillon stellt sich – von den genannten substanziellen Änderungen abgesehen – deswegen ein déjà-vu ein, und mit dem grassierenden Begriff der „Fürsorge“ (Care), mit dem derzeit sozialpolitische Ambitionen in vielen Architekturarbeiten subsummiert werden, ist den zu begrüßenden pragmatischen Weiterverwertungsprojekten noch kein konzeptioneller Anspruch beizumessen.

Erleichtern und Erschweren

 

Lesen erschwerende Typografie (Abbildung: Ursula Baus)

Lesen erschwerende Typografie (Abbildung: Ursula Baus)

Statt eines Kataloges gibt es nun die neue Arch+-Ausgabe 252 zu lesen.4) Wobei die typografischen Eskapaden (siehe Bilder) den Eindruck vermitteln, sie sollten das Lesen dezidiert erschweren, was um so erstaunlicher ist, als dass die Rampe allen Menschen die Bewegung erleichtern soll.

2321_B-Schrift_2Sei’s drum, ein Beitrag von Shannon Mattern sei hier erwähnt. Sie schreibt in einem bereits 2018 veröffentlichten Beitrag über „Instandhaltung und Fürsorge“5). Shannon Mattern geht also vom Instandhalten – nicht Wiederverwerten – aus und bezieht sich zunächst auf Steven Jacksons „Rethinking Repair“ von 2014 und dessen Forderung, „Reparaturdenken als eine eigenständige Erkenntnislehre“ zu begreifen.6) Hier ließe sich einwenden, dass die Baugeschichte ab ovo nichts anderes ist als ein Bauen und Bauen-Lernen vom Bestand; erwähnt sei nur, wie viele gotische Gewölbe eingestürzt sind, um effizient verändert wieder aufgebaut zu werden. Das gilt auch für die städtische Infrastruktur, die Mattern als Ausgangspunkt nimmt, um auf die Rolle von SozialarbeiterInnen für die soziale Infrastruktur zu kommen. Sie benennt die Infrastrukturen auch als Produkte des Kolonialismus, der von Einrichtungen wie der Weltbank oder dem IWF im Reparaturmodus als Finanzquelle gefestigt werde – unabhängig davon und negierend, was vor Ort gebraucht werde. Auch die feministische Perspektive wird erwähnt: Waren es doch die (Haus-)Frauen und ihre DienstbotInnen, die Instandhaltungsaufgaben der Wohlstandsgesellschaften übernommen haben. So gelte es anzuerkennen, was María Puig de la Bellacasa definiert habe: Fürsorge sei eine „ethisch-politische Verpflichtung. (…) Wir sorgen uns um Dinge, nicht weil diese Wert produzieren, sondern weil sie bereits Wert haben“.7) Doch werde all das romantisiert und mit Tugenden und Wohlfahrt korreliert. So kann auch der Hinweis auf „Koolhaas Houselife“ von Shannon Mattern nicht unerwähnt bleiben.8) Um schließlich auf die Rolle von Robotern und KI zu kommen. Die Verquickung von Arbeit an oder mit der (Bestands-)Materie und Arbeit am oder mit dem Mitmenschen im Begriff „Care“ funktioniert genau darin nicht. Doch damit betritt man das Feld der Existenzphilosophie – das führt hier zu weit.

Rundgang mit Ministerin Klara Geywitz bei der Eröffnung des deutschen Pavillons

Rundgang mit Ministerin Klara Geywitz bei der Eröffnung des deutschen Pavillons

Der fehlende Anspruch: Politik

Was nun mit Architektur zu tun ist, wissen die Vernünftigen im Bauen schon lang, was niemand bestreitet. Wenn der diesjährige deutsche Biennale-Beitrag nun mit einem praktischen Anfang punkten möchte, so überzeugt dies in seiner langzeitigen Wirkung kaum. Bewirken ließe sich hierzulande durch einen (bau-)politischen Kurswechsel sehr schnell sehr viel, weswegen die Anwesenheit der Bauministerin Klara Geywitz hoffen ließ. Doch mehr als Floskeln und Verweise, die die Ministerin auch im Arch+-Vorwort zu Papier gebracht hat, gibt es nicht zu vermelden. „Wir brauchen eine Bauwende. (…) Wir müssen wieder lernen, verantwortungsbewusst mit dem Bestehenden umzugehen. (…) Ein wichtiger Aspekt der Bauwende ist der Suffizienzgedanke. (…) Der strategische Kompass dafür ist die Neue Leipzig-Charta, die die transformative Kraft der europäischen Städte als Orte der Vielfalt, Kreativität und Solidarität betont. (…) Venedig lädt in diesem Jahr zum Gedankenexperiment ein. Wir alle sind zum Mitdenken und Mitgestalten aufgefordert – während der Biennale und darüber hinaus“.9) Wer auch immer der Ministerin die Reden und Grußworte schreibt: Er / sie muss sich im Unverbindlichen üben – ChatGPT kann hier beste Dienste leisten. Verweise auf den „Gebäudetyp E“, der aus Bayern den Bund erreicht hat, und einen „Vorschlag zur Änderung der Musterordnung (MBO)“ der Bundesarchitektenkammer offenbaren ein grundsätzliches Problem: Gebäudetyp E und der BAK-Vorschlag addieren sich zu allem, was gesetzgeberisch auf Bundes-, Landes- und Kommunenebenen ohnehin kaum mehr eine steuerbare Baupolitik erahnen lassen kann. Es geht um Erleichterungen, neue Paragraphen, neue Regelungen, einen neuen qualifizierten Freiflächenplan und vieles mehr. Das 14-seitige PDF in typischem Bürokraten- und Juristinnen-Deutsch weist eine Fülle von Ergänzungen und nur eine einzige Streichung auf.10) Die dahinter stehende Absicht mag gut und richtig sein, doch wünschte man sich eine viel längere Liste mit Vorschlägen, was aus den Gesetzesapparaten rausgestrichen werden kann, weil es den Neubau fördert. Wer das hinbekommt, hat alle deutschen Architekturpreise auf ein Mal verdient…

Francis Kéré im brasilianischen Pavillon (Bild: Ursula Baus)

Francis Kéré besucht den brasilianischen Pavillon, der von Gabriela de Matos und Paulo Tavares kuratiert wurde und den Goldenen Löwen als bester Länderpavillon erhielt. (Bild: Ursula Baus)

fin de siècle, fin de monde?

Die Hauptkuratorin der diesjährigen Architekturbiennale ist die ghanaisch-schottische Lesley Lokko. „Afrikas reichweitenstärkste Architekturfachfrau“.11) Dass es genau nicht um aus europäischem Blickwinkel bewunderte Lehmbauweisen geht, sondern um eine eigenständige, komplexe und gar nicht pessimistische Perspektive auf die Zukunft Afrikas, macht die Schau zum Motto „Decarbonize, Decolonize, Deinstitutionalize!“ überaus sehenswert.12) In den Giardini fällt generell eine vergleichsweise leidenschaftslose Belanglosigkeit auf, die sich im Performativen, in kunstvollen Installationen erschöpft. Österreich überrascht damit, dass es Venedig und die Biennale-Ausstellungsorte thematisiert. Leistungsschauen im tradierten Sinne gibt es kaum. Der russische Pavillon ist und bleibt geschlossen. Atmosphärisch wehte ein kleiner Hauch des fin de siècle durch das schmuckvolle Venedig unter grauem Himmel, nur dass bei globalen Themen und längst auch global vernetzten Menschen wieder mal ein fin de monde behandelt wird – in Europa, doch Afrika erscheint als neue Welt.

1)  Dana Kosmina, Piazza Ucraina, Venedig 2022

2)  Tobias Timm: Inklusives Urinal. In: Die Zeit, 20. Mai 2023

3)  s. Anm. 1, Seite 124 f.

4)  Arch+ Nr. 252, 2023: Open for maintenance – wegen Umbau geöffnet. Außerdem: Arch+ features 117, 2023

5)  s. Anm. 1, Seite 29 f.

6)  Steven J. Jackson: Rethinking Repair. In: Tarleton Gillespie u. a. (Hrsg.): Media Technologies, Cambridge 2014

7)  s. Anm. 1, Seite 31 (María Puig de la Bellacasa: Matters of Care in Technoscience – Assembling Neglected Things“. In: Social Studies 41/1, 2011)

8)Dokumentationsfilm von Ila Béka und Lousie Lemoine, 2008

9)  Klara Geywitz, Vorwort, s. Anm. 1, Seite 1

11)  Peter Richter: Bauen wir auf Afrika. Klima, Kolonialismus, Clouds: Die Architekturbiennale in Venedig übt sich in Optimismus – und im deutschen Pavillon auch im Recycling. In: Süddeutsche Zeitung, 20./21. Mai 2023

12)  Niklas Maak: Die Zukunft kommt aus Afrika. In: FAS., 21.5.2023

 

In den Giardini

Caspar Sessler

Unabhängig von den Eröffnungsterminen unternahm der Fotograf Caspar Sessler einen Streifzug durch die Länderpavillons in den Giardini. Die Fotos vermitteln einen Eindruck von den globalen, sozioökonomischen und ökologischen Themen, die omnipräsent die diesjährige Architekturbiennale dominierten.
Marlowes dankt Caspar Sessler für seine fotografische Begleitung.

Eine Übersicht zu allen LänderbeiträgerInnen finden Sie > hier.