Durch die teilweise mit sinistren Hintergründen befrachteten Altstadt-Debatten in Frankfurt, Potsdam und Dresden hat „Weiterbauen“ aktuell einen vornehmlich gesellschaftspolitischen Bezug erhalten. Dass man den Begriff auch zum Anlass nehmen kann, um mit der Architektur technische, technologische und kulturelle Konditionen als Wertesysteme der Gegenwart zu überprüfen, belegt dieser Band.
(oben: Garage Museum, Gorky Park in Moskau, Architekten: OMA, Rem Koolhaas, 2015; Bild: Yuri Palmin)
Die BTU Cottbus – die Brandenburgische Technische Universität – begleitet ihre Doktoranden mit Kolloquien und DFG-Graduiertenkollegs. Die jetzt erschienene Publikation versammelt Beiträge einer Konferenz vom Sommer 2018 sowie thematisch weiterführende Studienarbeiten. Zwar besteht der Wert solcher Konferenzen auch darin, sich mit Kollegen auszutauschen und Kontakte zu knüpfen, trotzdem liefert dieses gedruckte Konvolut eine breite und weiterführende Auseinandersetzung über den Umgang mit historischen Gebäuden. Man wird es allerdings nicht wie ein Fachbuch von vorne bis hinten lesen, sondern lieber die deutschen und englischen Beiträge selektiv studieren.
Dabei unterstützt eine wunderbare Einführung, die sich zunächst mit dem Terminus beschäftigt. Weiterbauen wird als Oberbegriff betrachtet, denn die Herstellung von Gebäuden geschieht nicht ohne Voraussetzungen. Einen breiten Raum nehmen dabei die wechselnden Positionen der Denkmalpflege ein. Aber das Anliegen der Herausgeber ist nicht eine semantische Kategorisierung, damit einmal mehr das akademische Soll erfüllt ist, das architektonische Erbe dient vielmehr interdisziplinär dem performativen Gebrauch. Denn Weiterbauen versteht sich nicht als Einmalereignis, das sich formalästhetisch in den Kategorien der Baukunst abschließen lässt. Deshalb kommen auch Bauingenieure zu Wort, die sich zum Beispiel mit der Gebrauchstüchtigkeit historischer Eisenbahnbrücken auseinandersetzen. Auch die religiös-ideologische Instrumentalisierung der Denkmalpflege in der (gerade wieder aktuell!) Militärdiktatur in Myanmar gehört in diese prozesshafte Auseinandersetzung. Nicht zuletzt haben junge Architekten mit dem Begriff des „Reproduktiven Entwerfens“ die Baugeschichte als anregende Vorratskammer für die kritische Auseinandersetzung mit den scheinbar unabhängigen eigenen Einfällen entdeckt. Weiterbauen führt weiter, als man bei der nach einer Aufforderung klingenden Aussage zunächst denkt.
Damit man sich in dem Konferenzband zurecht findet, haben die vier Herausgeber ihre redaktionelle Arbeit zwischen Kultur- und Ingenieurwissenschaften in Kapitel gegliedert. Ihre Diskussion des Bauens im Bestand widmet sich den Leitthemen kulturelle Praxis, technische Wegweisung, gesellschaftliche Aushandlung und der Behandlung als Studienobjekt. Hier trifft man spätestens auf die neben den „Rechten Räumen“ aktuell gleichermaßen strittig gehandelten Reizvokabeln mit ökologischer Signifikanz: Energieeinsparen, Nachhaltigkeit und Ressourcenschonen. Damit rührt das Buch mitten in die Architekturdebatte, nämlich das Entwerfen: „Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen. Priorität kommt dem Erhalt und dem materiellen wie konstruktiven Weiterbauen des Bestehenden zu und nicht dessen leichtfertigem Abriss … Wir brauchen eine neue Kultur des Pflegens und Reparierens“, hieß es 2019 im Positionspapier des BDA Das Haus der Erde. Mit diesem Buch gibt es das Kleingedruckte dazu.
Zum Beitrag von Eva Maria Froschauer aus dem besprochenen Band in gekürzter Form: Weiterentwerfen >>>