War als Zwischennutzung konzipiert: Das Projekt „ALTER“ in Mannheim. Das Folgeprojekt wird einen bleibenden Ort schaffen, der niedrigschwellige Kultur-, Bildungs- und Freizeitangebote für alle Bewohner*Innen des Quartiers anbietet. (Bild: MWSP, Annette Mück)
Neue Großprojekte (VI) | Stadtentwicklungsinitiativen von unten haben in den letzten Jahren Aufmerksamkeit bekommen. Sie sind wichtig, damit Städte Orte für alle werden können. Doch die Alltagspraxis der Planung steht der Logik der von unten entwickelten Alternativen oft entgegen. Das ändert sich – aber nur langsam.
Um es vorweg zu nehmen: Hier geht es nicht um „gut“ oder „böse“. Wenn darüber gesprochen wird, wie Stadt von unten und die behördliche, hoheitliche Planung zu einander stehen, dann führt es sowohl an den Potenzialen als auch an den Herausforderungen vorbei, das eine gegen das andere auszuspielen. Leichter gesagt als getan: Manche Projekte scheitern daran, dass die Verwaltung Initiativen das Leben solange schwer macht, bis sie aufgeben, weil ihnen die personellen und finanziellen Mittel fehlen, um mit ausreichend langem Atem die Abläufe der Verwaltung zu überstehen. Oder sie starten erfolgreich, investieren Zeit und vor allem ehrenamtliches Engagement, um irgendwann vor dem Problem zu stehen, ihr Engagement zurückfahren zu müssen. Und dann ist da noch die Gefahr, dass sich zivilgesellschaftliche Initiativen den Interessen und Möglichkeiten potenterer Akteure beugen müssen oder durch sie unter Druck geraten. Denn die Ressourcen sind ungleich verteilt, und dabei geht es nicht nur um materielle, finanzielle Ressourcen, sondern auch um Beziehungen, um Vertrauensverhältnisse. Und um Zeit. Oft ist für Initiativen, die Stadt von unten entwickeln, der zeitliche Druck Treiber ihrer Aktivität – sie benötigen Raum zu bezahlbaren Konditionen, brauchen für die Motivation in der Gruppe Erfolgserlebnisse und Aussicht darauf, dass sich das vielfach un- oder unterbezahlte Engagement lohnt. Planung ist hingegen in ihren routinierten Abläufen darauf ausgerichtet, in ausführlichen Aushandlungsprozessen dafür zu sorgen, dass langfristig stabile Ergebnisse entstehen.
Dazu kommt, dass vielfach privatwirtschaftliche Interessen einen so starken Einfluss gewonnen haben, dass es starke Abhängigkeitsverhältnisse den Menschen in der Verwaltung und Politiker*innen kaum mehr möglich machen, gegen diese Interessen zu agieren. Handlungsoptionen wurden aus der Hand gegeben, Grundstücke und Gebäude wurden verkauft, Verwaltungen sind verschlankt worden; Teile dessen, was früher Aufgabe der öffentlichen Hand war, sind outgesourct oder in separaten Gesellschaften organisiert – das betrifft vielfach wirtschaftlich attraktive Arbeiten, in denen Gemeinwohlorientierungen meist nur noch eine nachrangige Rolle spielen. Zudem ist die Frage des Gemeinwohls immer eine, die schwerer zu greifen ist als ein konkretes und mitunter auch sehr deutlich artikuliertes Einzelinteresse.
Gefahr erkannt, noch nicht gebannt
Es ist offensichtlich, dass das Problem bekannt ist und vielfach begonnen wurde, gegenzusteuern: Erbbaurecht, Konzeptvergaben, Reallabore, Bestandsentwicklungen sind schon lange nicht mehr exotische Instrumente in der Stadtentwicklung. Neue Genossenschaften machen von sich reden wie die Münchener Kooperative Großstadt, deren Projekt San Riemo kürzlich erneut ausgezeichnet wurde, dieses Mal vom BDA. Dass dankbar aufgenommen wird, dass dieses Projekt gesellschaftlichen Änderungen gerecht wird, und trotz eines begrenzten Budgets auch eine ästhetische Bereicherung ist, zeigt allerdings auch, dass dies die Ausnahme ist, dass nach wie vor die größten Entwicklungen und die Routineprojekte an Rendite orientiert bleiben.
Die Folgen sind bekannt: die Spirale der Preise für Boden und Immobilien dreht sich weiter. Und die Städte haben sich in Abhängigkeiten begeben, die eben auch risikoreich sind. So berichtete kürzlich die FAZ (1), dass die drohende Insolvenz der Adler-Gruppe, eines Immobilienentwicklers, dafür sorgt, dass größere Projekte in Düsseldorf, Hamburg und Stuttgart ins Wanken geraten sind. In Stuttgart beispielsweise betrifft dies das zweitgrößte städtische Entwicklungsgebiet, den Eiermann-Campus. Hier wurde der Prozess, Baurecht zu schaffen, vorerst gestoppt. Wie es weitergeht, ist vorerst offen. Hätte man nicht doch von Anfang an auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Entwicklern, auch kleinen, auch Genossenschaften setzen sollen?
Hier wird deutlich, welcher Spannung zwischen Erwartungen und Möglichkeiten die Verwaltung oft ausgesetzt ist. Neben internen Hierarchien, die Prozesse oftmals in die Länge ziehen, müssen die Menschen in Politik und Verwaltung oftmals gegen Vorurteile ankämpfen, die durch den neoliberalen Umbau der Institutionen der öffentlichen Hand bestätigt werden: dass die öffentliche Hand ineffektiv und unwirtschaftlich arbeitet. Aus solchen Konfliktsituationen entsteht dann das, was für zivilgesellschaftliche Initiativen hohes Frustpotenzial birgt: dass Entscheidungen zugunsten wirtschaftlich potenterer Akteure getroffen werden oder aufwändige Verfahren vermieden werden. Zivilgesellschaftliche Akteure haben selten die Lobby, um gegen die gegen sie getroffenen Entscheidungen zu mobilisieren. Der Verein Stadtlücken, der in aufwändigem Engagement den Österreichischen Platz unter der Stuttgarter Paulinenbrücke bespielt hat, hatte kurzerhand das Nachsehen, weil an gleicher Stelle ein Interim für die Feuerwehr errichtet werden soll.
In Mannheim ist der Verein POW, der mit der „Oase“ an der Kurpfalzbrücke, gefördert mit Mitteln der Nationalen Stadtentwicklung, einen offenen Ort mit niedrigschwelligen Kultur-, Bildungs- und Freizeitangebote für alle Bewohner*Innen des Quartiers anbietet, damit konfrontiert, einen Teil der Fläche für die Baustelleneinrichtung eines von einer Stiftung finanzierten Neubaus abzugeben. In beiden Fällen sind die betroffenen Vereine nicht in einen Prozess zur Konfliktlösung eingebunden worden. Dabei bietet etwa die „Oase“ genau das an, was gefehlt hatte: Mit ihr ist ein Ort entstanden, in der Gemeinschaft erlebbar wird, der Raum für Spiel und Freizeit ohne Konsumzwang bietet, ein Schutz- und Kommunikationsraum, der Gemeinschaftsbildung fördert, Gemeinschaften stärkt und sie sich entwickeln lässt. Dennoch wurde der potenten Stiftung Vorrang eingeräumt, eine Konfliktverhandlung nicht versucht.
Große und kleine Fluchten
In einer jüngst erschienenen Veröffentlichung hat der Intendant der Stuttgarter IBA, Andreas Hofer, deutlich gemacht, wie belastend die Planungsroutinen in Deutschland sind: „Das Abarbeiten der Planung über städtebauliche Konzepte und Bebauungspläne bis zum Bauprojekt ist ermüdend träge, verhindert agile Reaktionen auf sich ändernde Bedingungen und einen Dialog von Typologie, Architektur und Städtebau. (…) Es ist kaum ein Zufall, dass auf dem steinigen Weg dahin jede Gelegenheit für eine Flucht aus dem bleiernen Planungskorsett gesucht wird.“ (2)
Diese Flucht wird mit Sonderformaten wie IBA oder BUGA angetreten. Auch in der Stadtentwicklung von unten werden Wege gewählt, die von den üblichen Routinen abweichen: Bei diesen Projekten werden Plan und Intervention kurzgeschlossen. In die Lücke zwischen einer Nutzung, die nicht mehr trägt, und einer möglichen neuen Bebauung stoßen sie mit kurzfristig realisierbaren Mitteln, machen ein Defizit sichtbar und setzen damit eine Diskussion in Gang. Initiativen sind dabei gegenüber der Verwaltung in mancher Hinsicht im Vorteil. Sie sind wendiger, haben kürzere Abstimmungswege, sind nicht in ein komplexes Abhängigkeitsgeflecht eingebunden. Sie können durch eigene Initiative Fakten schaffen, Öffentlichkeit herstellen und andere ermutigen, mitzumachen. Mittlerweile haben sich in vielen Städten Initiativen etabliert und feste Netzwerke ausgebildet. Überregionale Bündnisse wie das Netzwerk Immovielien organisieren Workshops und bieten Beratung, die Städtebauförderung unterstützt viele Initiativen, aus einem Austausch zwischen Stadtmacher*innen von unten ist ein Handbuch „Organisiert euch“ entstanden, das unter einer Creative Commons Lizenz verlegt und im Internet als pdf heruntergeladen werden kann. Die Urbane Liga von jungen Stadtmacherinnen hat sich etabliert, das Platzprojekt in Hannover zeigt, dass eine Verstetigung möglich ist, ohne den ursprünglichen Spirit zu verlieren.
All dies ist nur möglich, weil all diese Projekte von Personen aus der Politik und Verwaltung mitgetragen werden, weil es Förderungen aus öffentlichen Töpfen gab. Für die Politik und Verwaltung sind solche Erfolge nicht nur für die Außenwirkung, sondern auch zur Bestätigung ihrer Relevanz wichtig. Auch hier findet man Menschen, die ihre Arbeit mit und aus Überzeugung tun. Für zivilgesellschaftliche Akteure bedeutet dies, dass sie deren Konflikte verstehen und ihr Handeln auch strategisch so einsetzen, dass sie auch gegen die vermeintlich übermächtigen Konkurrenzen bestehen können, was nur dann gelingt, wenn sie nicht die in Politik und Verwaltung verprellen, die sie unterstützen können.
Ein Beispiel hierfür ist der Gemeinwohl-Index des Hansa-Forum in Münster. Das Forum wird von der B-Side GmbH getragen und bietet eine Plattform für jegliches bürgerschaftliches Engagement, das gemeinwohlorientiert ist und vom Programm der Nationalen Stadtentwicklung gefördert wurde. Wichtigstes Instrument dabei ist der Gemeinwohl-Index. Er wurde von den Menschen aus dem Quartier entwickelt, auf dem Hansakonvent von 200 per Zufallsprinzip ausgewählten Menschen beschlossen und macht konkret und anschaulich, was sich die Menschen unter Gemeinwohl vorstellen – Gemeinwohl wird so konkret und im Alltag verortbar, jede Planung kann daran gemessen werden. Der Index wird für die Förderung von Gemeinwohlprojekten herangezogen, er wurde verbessert, überarbeitet, verändert. 250.000 € wurden auf dieser Basis im Quartier investiert, Projektlots*innen unterstützten und begleiteten Antragstellungen und vernetzten die Projekte. Über 500 Menschen haben sich für das Quartier engagiert – sei es in Grünen Oasen, Umweltschutzprojekten oder in sozialen Projekten. Das Projekt ist vorerst abgeschlossen, soll aber 2023 wieder aufgegriffen und verstetigt werden. (3)
Flexibel vermitteln, Zukunft sichern
Damit das Hansa-Forum nicht auch eine Ausnahme bleibt, stellt sich die Frage, was sich auf der anderen Seite ändern müsste. Dass die Kommunen wieder besser ausgestattet werden müssten, um auf Konflikte reagieren zu können, ist sicher ein Teil der Antwort. Konflikte wie die beschriebenen entstehen, weil sich konkurrierende Alternativen ergaben oder es notwendig wurde, schnell agieren zu müssen. In Mannheim hat eine Stiftung die Chance eröffnet, dass in kurzer Zeit ein Haus für ein Institut für Deutsche Sprache entsteht, in Stuttgart musste schnell ein Interim für die Feuerwehr gefunden werden. Es gibt weder die Routine, mit diesen Konflikten umzugehen, noch die Grundlagen, die eine Abwägung möglich machen: Was unter Gemeinwohl zu verstehen ist, bleibt meist schwammig, die Kommunen haben nicht die Flexibilität, aus einem Fundus verfügbarer Grundstücke heraus eine konstruktive Lösung zu organisieren. Die festgefügten Hierarchien erlauben es nicht, kurzfristig eine Vermittlungsleistung zu übernehmen, in denen die Rollen unterschiedliche sein müssten: Sie müsste von der Beratung für Initiativen bei der Wahl der Rechtsform, über die Vermittlung zwischen verschiedenen Interessen, bis zur Beratung in Förderung und Verfahrensfragen reichen. In Heidelberg war die IBA die Institution, die dieses Wechselspiel von Rollen geleistet hat und damit den IBA-Projekten auf den Weg geholfen hat, auf unterschiedliche Weise, je nach Ausgangslange. Diese Möglichkeit zu agieren sollte jedoch zum Standard dessen gehören, was die Verwaltung leistet. Eine Konfliktmoderation würde dann selbstverständlicher werden. Zudem könnte dem Experiment und der kurzfristigen Erprobung von Alternativen ein festes Budget zugestanden werden. Ein Gemeinwohl-Index sollte es nicht nur in Münster geben.
Nicht zuletzt rührt zudem das Misstrauen gegenüber Initiativen auch daher, dass ungewiss scheint, wie verlässlich sie auf Dauer als Partner sind. Tatsächlich ist die Verstetigung und der Aufbau langfristig gesicherter Strukturen, die einen Grad an Professionalisierung verlangen und die aus den Projekten selbst heraus früh entwickelt werden muss, eine große Herausforderung. Das betrifft auch die dauerhafte Pflege von Gebäuden, Räumen wie die personelle Struktur. Denn wenn auch das Engagement von Menschen in Politik und Verwaltung neue Impulse in der Stadt fördert, bleiben die Ursachen für die ungleiche Verteilung von Ressourcen bestehen. Zu wenig wird gegen steigende Boden- und Immobilienpreise getan, die städtische Vergabepraxis ist so organisiert, dass sie die Vorleistungen, die von Seiten der Initiativen oftmals ehrenamtlich erbracht worden ist, nicht berücksichtigen kann, wenn es Geld zu verteilen gibt. Doch die Stadtentwicklung von unten ist zu wichtig, um sie so zu behandeln. Die Projekte, die hier entstehen, hatte Sandra Meireis als „Mikro-Utopien“ geadelt, weil sie Defizite und Alternativen zur üblichen Praxis formulieren, ohne behaupten zu müssen, diese schon als eine schon endgültige einfordern zu müssen. Sie sind wichtig, weil sie keine technische Problemlösung versprechen, sondern die politische Aushandlung einfordern und praktizieren. Sie verknüpfen Raumgestaltung, soziale Fragen und politisches Anliegen und machen so deutlich, dass wir Stadt nicht verbessern, wenn wir in ihr keinen Raum für die anschaulichen und konkreten Alternativen zur die Stadt bestimmenden Praxis bieten.
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