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Protest vergeblich – das Haus Marlene Poelzig wird abgerissen. (Foto: Initiative Marlene Poelzig)

Wo die kapitalisierte Ökonomie über Boden bestimmt, zählt der baukulturelle Wert von Räumen wenig. Die Denkmalpflege scheint kaum Ideen zu haben, wie sie anders als rein formal bewerten will. Drei Beispiele für den Abriss bemerkenswerter Häuser in Berlin in Köln.

Der Duden weiß, ein „größeres, vornehmes, in einem Garten oder Park (am Stadtrand) liegendes Einfamilienhaus“ nennt man heutzutage Villa. Alternativ, so Deutschlands beliebtes gedrucktes Nachschlagewerk, verstehe man unter diesem Begriff auch ein „großes, herrschaftliches Landhaus“. Mit dem zweiten Teil sind wir näher an der historischen Herkunft des Wortes, das seine bauliche Tradition in mitunter feudalen, stets aber mindestens repräsentativen Landsitzen des antiken römischen Stadtadels findet. Andrea Palladio hat im ausgehenden 16. Jahrhundert einige schöne Beispiele für Interpretationen dieses Typs in der Renaissance hinterlassen, hierzulande mag die Essener Villa Hügel aus den 1870er Jahren manchen ein Begriff sein, die architektonische Moderne hat – neben anderen – die Villa Savoye hervorgebracht, von Le Corbusier entworfen und 1931 vollendet. Andere ikonische „größere“ und „vornehmere“ Einfamilienhäuser „in einem Garten oder Park“ hören seit dieser Zeit aber mehr und mehr auf den schlichteren Namen „Haus“. Haus Müller in Prag etwa, von Adolf Loos entworfen, Haus Tugendhat in Brno von Ludwig Mies van der Rohe, Haus Schminke in Löbau von Hans Scharoun. Was die genannten Beispiele eint, ist nicht nur ihre typologische Zuordnung als „Villa“ oder eben „größeres, vornehmes (…) Einfamilienhaus“, sondern auch ihre verbriefte architekturgeschichtliche Bedeutung und ihr Status als Baudenkmal. Von allen gibt es zudem Fotografien, die sie in mitunter erbarmungswürdigen Zuständen und mithin vor ihrer Sanierung zeigen.

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Erwin Zander, Haus OBU, Köln 1976-1982. (Bild: A Savin, wikimedia commons, CC BY-SA 3.0

Jenseits des Mangels


Doch was macht heute eine Villa aus? Wie bemessen wir wann und vor allem welchen Villen einen Denkmalwert zu? Schon 2013 wiesen Andreas Denk und Andreas Hild in einer Ausgabe der Zeitschrift der architekt darauf hin, dass wir uns in einer Zeit „jenseits des Mangels“ befänden. Wo einst schlicht all das mit einem Denkmalwert geadelt wurde, was irgendwie über die Jahre gekommen und erhalten war, befinden wir uns nun in einer Situation, da mehr und mehr Nachkriegsarchitektur ob einer potenziellen Unter-Schutz-Stellung zu prüfen ist. Dazu kommt ein immer noch komplett freidrehender Immobilienmarkt und das Ignorieren verbauter Energie (vulgo „graue Energie“), was es rechnerisch auf energetischer wie ökonomischer Ebene möglich macht, abzureißen, was nicht bei drei auf der Denkmalliste ist. Dass diese Liste anno 2021 selbst ein nur mehr zweifelhaftes Schutzinstrumentarium ist, sollte und muss an anderer Stelle einmal mehr behandelt werden, wo beispielsweise der City-Hof in Hamburg trotz Protesten und Denkmalschutzeintrag vernichtet wurde und das gleiche Schicksal vergleichbar großen wie deutlich kleineren Häusern landauf, landab blüht.

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Innenansicht und Blick auf eine der Kuppeln. Die Patina hatte dem Ausdruck der Architektur keinen Abbruch getan – im Gegenteil. (Fotos: David Kasparek)

In diesem Herbst jährte sich bereits zum zehnten Mal der Abriss des in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Wohnhauses des Architekten Erwin Zander in Köln. Das „Wohn- und Atelierhaus OBU“ war nichts anderes als ein Versuch der Ausdeutung des Typus‘ der Villa. „Größer“ und aufgrund seiner Räume auch irgendwie „vornehm“ – und doch so anders. Acht Kuppeln aus einer federleichten Holzkonstruktion stellte Zander zwischen 1976 und 1982 auf ein waldiges, großzügiges Grundstück im Kölner Stadtteil Hahnwald. Ein gemauerter Sockel samt einiger Kellerräume nahm Ankleiden, Bäder und Technikräume auf, in den Kuppeln fanden sich die Wohn- und Arbeitsräume, teilweise zweigeschossig, darunter Schlafzimmer mit Blick in den Himmel. Im Laufe der Jahre wucherten Efeu und Mose malerisch über die aus heutiger Sicht energetisch durchaus fragwürdige Konstruktion. Ohne jegliche Rücksicht auf seine bundesweite Einmaligkeit wurde das Haus im Herbst 2011 abgerissen, der Grundstückswert war schon damals attraktiver als der baukulturelle.


Lippenbekenntnisse

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Außenansicht Haus Marlene Poelzig, Mai 2021. (Foto: Felix Zohlen)

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Haus Poelzig, Terrasse vor dem Spielzimmer mit Planschbecken für die Kinder. (Foto: Bauwelt. Heft 34 / 1930, S.1-8)

In Berlin passiert derzeit das gleiche: Im Westend bezogen Marlene Moeschke-Poelzig, ihr Mann Hans und die gemeinsamen Kinder 1930 die von ihr selbst entworfene Villa in der Tannenbergallee. Das Haus war nicht nur ein Beispiel für die räumlichen Ideale der architektonischen Moderne, sondern auch für die Emanzipation von Architektinnen – da konnten Zeitgenossen die Architektin noch so oft aus Bildern herausschneiden.
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Gesamt-Lageplan (Bild: Innendekoration Heft 42/ 1931, S. 314-322, via https://digi.ub.uni-heidelberg.de)

Der NS-Propaganda-Regisseur Veit Harlan, der sich nicht zu dumm war, filmische Verbrechen wie „Jud Süß“ zu fabrizieren, kaufte die Villa 1936, nachdem Hans Poelzig gestorben war und die Nationalsozialisten Marlene Poelzig dazu gezwungen hatten, das von ihr weitergeführte Bauatelier zu schließen. Weil das Haus bis in die 1950er „zu stark“ überformt worden war, so die lokale Denkmalpflege, konnte es nun nicht unter Schutz gestellt werden. Aus dem Beispiel für die architektonische Moderne war eines für eine verbrämte Überformung im Heimatschutzstil geworden. Eine Initiative machte sich seit Frühjahr 2020 dennoch für den Erhalt des Hauses stark. Seiner Geschichte wegen. Vergebens. Der Abriss läuft seit Anfang August. Hier wird die Handlungsunfähigkeit der Behörden deutlich, die rein architektonisch formal argumentieren und Geschichtsträchtigkeit und Empowerment-Motive außer Acht lassen. Da können Architekt:innenverbände offiziell noch so oft beteuern, es gelte den Bestand zu schützen und den Abriss zu verbieten, es findet sich eben doch immer ein Kollege oder eine Kollegin, die den lukrativen Neubau samt Abriss gerne betreut.


Großzügige Zurückhaltung


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Rückseite Haus Rautenstrauch, Walter von Lom. Bild von 2021. (Foto: David Kasparek)

Wiederum in Köln hatte Walter von Lom zwischen 1979 und 1981 ausgelotet, wie eine zeitgenössische Interpretation des Villen-Typus aussehen könnte. Für einen Bankier und Geschäftsmann entstand auf einem langgezogenen Grundstück im Stadtteil Marienburg direkt am Südpark ein generöses Wohnhaus samt Einliegerwohnung. Von Beginn an so geplant, dass das Haupthaus räumlich einmal in zwei weitere Wohneinheiten hätte geteilt werden können. Im Keller des mit drei, in Sichtmauerwerk ausgeführten Schotten klar gegliederten Hauses, findet sich ein Schwimmbecken, die Wohnräume überzeugen bis heute atmosphärisch durch ihre eingehängten Galeriegeschosse, die großen Fensterfronten nach Süden zu Garten und Park hin sowie ob der Materialien: Das Holz der Fassaden und innenliegenden Ausbaukonstruktionen vermitteln eine feine Zurückhaltung trotz der sehr großzügigen Räume. Einmal mehr erscheint das Handeln der behördlichen Vertreter fragwürdig. Das Haus nämlich ist gerade wegen seiner feinen Zurückhaltung ein Beispiel dafür, wie sich der Typus der Villa seit der römischen Antike gewandelt hat, und dafür, wie solch große Häuser dennoch vornehm und nicht auftrumpfend ausgeführt werden können.

Auch hier steht der Abriss unmittelbar bevor, auch hier ist das Grundstück allein inzwischen soviel wert, dass der baukulturelle Wert keinerlei Rolle spielt, auch hier kommen Denkmalschutzbehörden nicht auf die Idee, den Denkmalschutz einmal anders als nach Schema F zu denken. Auch hier haben sich Architekten gefunden, denen graue Energie, intakte Gebäude, gebrauchsfertige Materialien und sauber gestaltete Räume gleichgültig sind.


Welchen Wert messen wir heute?

Warum aber können nicht die Beispielkraft der von Marlene Moeschke-Poelzig, die Einzigartigkeit einer Schalenkonstruktion von Erwin Zander und die Feinsinnigkeit der Villeninterpretation von Walter von Lom jeweils sehr unterschiedliche Ansatzpunkte für eine Unterschutzstellung sein? Die Zeit selbst und unsere Versuche, in ihr bestimmte Situationen zu verräumlichen (oder einzuräumen), könnten doch die Hebel sein, die diesen und vielen anderen Gebäuden einen Wert beimessen, die sie erhaltenswert machen – von der in ihr gebundenen Energie ganz zu schweigen.

Diese und andere Gebäude geben Anlass, jeweils unterschiedliche, inzwischen historisch relevante Diskussionen zu führen, ihre Architekt:innen haben versucht, räumliche Antworten auf sehr individuelle Fragestellungen zu geben. Der Umgang der Denkmalpflege mit den Häusern und ihrer soziokulturellen Zeitebene wischt all das im Handstreich bei Seite. Das, was an die Stelle dieser drei Beispiele treten wird – oder schon getreten ist – muss sich von späteren Generationen die Frage gefallen lassen, ob es wirklich einen baukulturellen Mehrwert leistet, der das rechtfertigt.