Zwei Schauplätze in Köln: Ebertplatz und Bildungslandschaft Altstadt Nord. Ein vermeintlicher Unort, belebt durch bürgerschaftliches Engagement, ein Ort für Bildung in der Stadt, durch eine Stiftung maßgeblich inititiert. Zwei Beispiele dafür, wie Stadt wachsen, sich verändern, mit den Menschen und für sie weiterentwickelt werden kann. Zwei Projekte in unterschiedlichen Phasen, eines vor entscheidender Weichenstellung, eines auf der Zielgeraden. Ermutigend sind beide.
„Auf dem Ebertplatz ist jetzt leider überall Maskenpflicht.“ Der junge Polizist steht in dieser typischen Polizistenhaltung vor mir: breitbeinig, die Daumen an den Schlaufen seiner Uniform-Weste untergehakt. Aber er schaut freundlich unter seiner Maske hervor. „Und konsumieren dürfen Sie hier leider auch nichts.“ Ich habe in Köln studiert, kenne den Ebertplatz von früher, und mein erster Reflex ist, ihm zu sagen, dass es mir fern liegt, hier irgendetwas zu konsumieren. Aber er meint nur mein Eis. „Drüben im Park, da können Sie weiter essen.“ Also Maske auf und durch die Unterführung unter der achtspurigen Straße hindurch, die hier absurderweise „Ebertplatz“ heißt. Die Spritzensammelbox ist noch da, die Alkoholkranken auch. Aber auch viele andere Menschen. Es ist einer der ersten wirklich warmen Tage in diesem sonst so kalten rheinischen Frühjahr. Nach einer Runde um den Teich des Theodor-Heuss-Parks ist das Eis zu Ende „konsumiert“, ich setze die Maske wieder auf und widme mich erneut dem eigentlichen Grund meines Besuchs: dem Ebertplatz.
Der seit 2009 vorliegende und von der Privatwirtschaft finanzierte Masterplan Köln benannte unter anderem den Ebertplatz als Handlungsraum im Kontext des inneren Kölner Rings. Bis 2014 sollte er umgebaut werden. 2017 starb ein Mann nach einer Messerstecherei, die lokalen Medien berichteten groß darüber, der Ebertplatz mit seinen brutalistischen Betonhexagonen war nicht umgebaut worden, statt dessen einmal mehr als „Angstraum“ präsent. Dass Passagen auf die Schnelle zugemauert wurden, konnte die Initiative Brunnen e.V verhindern. Immer wieder wurde auch schon davor darüber debattiert, wie mit diesem Platz umzugehen sei, den die Stadtplanung einst vom sogenannten fließenden Verkehr entkoppelt und tiefer gelegt hatte. Dabei wurde auch ernsthaft erwogen, den als Loch beschimpften Platz zuzuschütten. Aus Kostengründen wurde der Betrieb der Rolltreppen eingestellt, die Platz- und Straßenniveau verbinden. Eine bunte Gruppe verschiedener Akteur:innen und Initiativen vor Ort engagiert sich seit drei Jahren für den Platz im Rahmen einer Zwischennutzung, die nach einem Ratsbeschluss vom 20. März 2018 bis 2021 befristet wurde. Die Frist wurde im Februar verlängert – und an eine „qualifizierte Weiterentwicklung“ gekoppelt.
Verfüllen eines Angstraums oder gewonnene Erfahrungen nutzen?
Die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Zwischennutzung sollen ausgewertet und in die Planungen für den Platz einfließen. Verfahrensfragen werden bereits laut diskutiert, ein Bürgerverein legte einen eigenen Entwurf vor, doch der Stadtentwicklungsausschuss des Stadtrats verschob kurzerhand das Thema, wie es nach der Zwischennutzung weitergeht. Und zwar vom Fachausschuss in die Ratssitzung selbst. Derzeit schwebt den Verantwortlichen vor, zwei Varianten im Rahmen eines Vergabeverfahrens abzufragen: zum einen den Platz zu verfüllen, zum anderen, die unterirdischen Bauwerksanlagen von 1976 zu sanieren und dann um- oder weiterzunutzen. Der ehemalige Kölner Baudezernent Franz-Josef Höing favorisierte eine ebenerdige Lösung inklusive Abriss und Zuschüttung, Kenner der kölschen Politik wollen eine solche Linie auch in weiten Teilen der Ratsfraktionen ausgemacht haben. Entschieden ist derweil nichts.
Der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) Köln macht inzwischen auf einen wohl weitaus entscheidenderen Teil aufmerksam: auf die florierende Szene vor Ort, die durch ein überraschend hohes Maß bürgerschaftlichen Engagements im Rahmen der Zwischennutzung im Laufe der letzten Jahre hier entstand. Jenseits von Verfahrensfragen plädiert der BDA für eine wirkliche Einbindung dieser Akteur:innen und schlägt zwei Öffentlichkeitsbeteiligungsphasen vor. Eine vor der Auslobung und der Fixierung eines Programms, eine nach der Juryentscheidung eines professionell betreuten VgV-Verfahrens mit anonymer Bearbeitungsphase. Die verschiedenen Internet- und Social-Media-Auftritte etwa der Initiative „Unser Ebertplatz“ machen deutlich, was hier in den letzten Jahren tatsächlich passiert ist: verschiedene Veranstaltungsformate, Kunst und Musik im öffentlichen Raum, Kunsträume mit Ausstellungen, Debatten mit Fachleuten und Anwohner:innen. Aneignung eines vermeintlichen Angstraums – der nun – und das könnte den Weg in eine überraschende Lösung forcieren, die von oben wie von unten entwickelt wird – von der Stadt Köln federführend koordiniert wir
Rutsche ins Vergnügen
Die Polizisten sind wieder in ihre drei Mannschaftsbusse gestiegen und haben den Platz geräumt. Noch läuft „TRANSIT – Vorübergehende Literatur am Ebertplatz“. 31 Texte in verschiedenen Sprachen, von einer siebenköpfigen Jury aus fast 600 Einsendungen ausgewählt, huschen über ein 50 Meter breites und ein Meter hohes LED-Display: „…und tat so als wüsste ich nicht, dass es Katzen waren, deren Fleisch ich verkaufte.“ Im Anschluss soll das Diodenband von visuellen Künstler:innen bespielt werden. Bilder der Serie „We Are Known By Many Names“ der Künstlerin Luki von der Gracht sind auf Werbedisplays plakatiert, Rebekka Benzenbergs Sound-Skulptur „Maybe You Safe Me“ ist zu sehen und vor allem zu hören, die Schaukästen der KVB-Passage widmet Zrinka Budimlija den „Legenden Kölner Frauen“, Pia Litzenberger hat Schachtische aufgestellt, die fest installiert wurden und auch heute von Passanten bespielt werden. Dazu kommen eine Fotobox, ein Basketballkorb. Die nicht mehr rollenden Treppen wurden zu Kunstwerken umfunktioniert – das jüngste ist ein interaktives: „Silver Surfer“ – ein Entwurf des Kreativ-Netzwerks ON/OFF – ist eine Rutsche, die auch als Belichtungsspiegel für die Passage fungiert. Ein laut johlender Mann rutscht sie hinunter, von seiner lachenden Begleiterin beobachtet. Hinein in den Ebertplatz. Diesen Raum, wo Stadt tatsächlich verhandelt wurde und hoffentlich auch in Zukunft verhandelt werden darf. Stadt, die im doppelten Wortsinne von unten entsteht, die viele verschiedene Menschen anspricht. So ist es nicht nur den Akteur:innen am Ebertplatz, sondern der gesamten Stadt zu wünschen, dass diese lebendige Szene hier weitermachen darf und nicht von Bedenkenträgertum auf Verwaltungsebene ausgebremst wird.
Stadt, Land, Schule
Nur wenige hundert Meter Luftlinie von hier in Richtung Südwesten, lässt sich bestaunen, wie Stadt als Gemeinschaftsprojekt gelingen kann. Vom Gereonswall über den Klingelpützpark und die Kyotostraße hinweg entsteht hier die Bildungslandschaft Altstadt Nord, kurz BAN. Dabei wurde zum einen das gründerzeitliche Hansa-Gymnasium zwischen Gereonswall und Hansa-Ring mit einbezogen – und saniert – sowie dessen Erweiterung zwischen Kyotostraße und Gereonsmühlengasse einer Generalinstandsetzung unterzogen, wo das hiesige Abendgymnasium wieder Einzug halten soll. Die Verbindung zwischen diese beiden Polen bilden Neubauten von gernot schulz architektur und die vom selben Büro sanierte denkmalgeschützte Freinet-Grundschule. Studienhaus, Kindertagesstätte, Realschule sowie Mensa- und Ateliergebäude galt es im Park zu etablieren. Während die sägezahnartigen und die Achsen des bestehenden Jugendzentrums aufnehmenden Mensa- und Ateliergebäude an der Ecke Gereonswall/Vogteistraße noch im Bau sind, sind die Grundschulsanierung und die Errichtung der übrigen Bauten inzwischen abgeschlossen – und bereits mit den ersten Preisen dekoriert.
An diesem warmen Maiwochenende ist der Park bevölkert von Menschen – die allermeisten verhalten sich auffallend pandemieerfahren und -konform. Auf dem Kinderspielplatz sind Eltern mit ihren Kindern, Jugendliche spielen Basketball und zeigen ihr Können auf dem Skateboard in der Halfpipe, Sonnenanbeter:innen liegen auf der Wiese, Jung und Alt spielen Tischtennis. Ob die Tischtennisplatten dabei Teil des Parks oder schon zum Schulhof der neuen Realschule gehören, ist unklar. Die polygonalen Bauteile wirken von hier im Gegenlicht wie ein Gebäude und erinnern in ihrer Struktur an die Basaltsäulen der nahen Eifel. Beim Näherkommen zeigt sich ihr Kleid aus grauem Backstein, das von einer Vielzahl immer gleicher Fensterformate in unregelmäßiger Anordnung durchbrochen wird. Große, vollverglaste Öffnungen und kleine, hölzerne Öffnungsflügel haben die Architekt:innen scheinbar wahllos auf der Fassade verteilt. Je näher man tritt, desto vielschichtiger wird das Ensemble, werden einzelne Bauteile ablesbar und eine Höhenstaffelung erkennbar. Zwischen Realschule und Kita tritt man durch eine schmale Gasse, die sich zu einem kleinen Platz weitet, den Blick auf das zentrale Studienhaus freigebend und den auf den offenkundig sensibel sanierten Grundschulbau aus den 1950ern von Karl Hell andeutend. Es sind malerische Perspektiven, wie man sie sich in einer Stadt wünscht. Nach und nach zeigt sich mehr, immer wieder taucht Neues auf. Dabei sind die gleicheförmigen Materialien und Öffnungsformate der Neubauten ein wohltuend ruhiger Hintergrund für die heterogene Umgebung. Wendet man sich nach Süden, erblickt man durch die riesigen, den Mittelstreifen der Kyotostraße säumenden Platanen jenen Bau des Abendgymnasiums, der aktuell immer noch Teile des Hansa-Gymnasiums aufnimmt. Nach Norden aber fällt der Blick auf den alten Mühlenturm und die wenigen in Köln noch erhaltenen Reste der mittelalterlichen Stadtmauer. Angemessen staffelt sich der Kita-Neubau in Analogie zum Foyer der Grundschule in Richtung Turm und Gereonswall hinab.
Innen und außen als Teil einer Stadtlandschaft
Im Innern dann zeigen die Neubauten von Gernot Schulz und seinem Team, dass ihr Herz für Sichtbeton schlägt. Farben markieren unterschiedliche Raumkompartimente und sorgen für Wiedererkennbarkeit. Ergänzt mit den hölzernen Einbauten kontrastieren sie schön den nackten Beton. Hier wird auch klar, dass die Fenster beileibe nicht mutwillig, sondern sehr bewusst gesetzt sind und gezielt Blicke in die Stadtlandschaft rahmen.
Bemerkenswert ist hier der Prozess – der mit Blick auf den Ebertplatz dort hoffentlich in vergleichbarer Weise bevorsteht. Die BAN geht auf eine gemeinsame Initiative der Stadt mit der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft zurück, die sich seit Ende der 1990er-Jahre auch für pädagogische Architektur jenseits standardisierter Regelwerkskunde stark macht und in einem Wettbewerb mündete. Die von der HOAI nicht abgedeckte Bedarfsabfrage vor und während der Konzeptionsphase konnte durch die Stiftung finanziert werden. Und die Stadt ging den Weg mit. In den Innenräumen macht sich das etwa durch die Relevanz der Flurbereiche bemerkbar, die hier, der Reggio-Pädagogik folgend, nicht bloß Verkehrsflächen, sondern tatsächliche Begegnungs- und damit Lernräume sind. Außenräumlich wird es deutlich durch das Ineinanderfließen von Stadt und Institution Schule. Es ist eine wirkliche Landschaft geworden, die durch den souveränen Einsatz architektonischer Mittel die nötigen räumlichen Schwellen akzentuiert, ohne dabei atmosphärische Grenzen zu überbetonen.