• Über Marlowes
  • Kontakt

Der missbrauchte Freund

1708_SK_holl_Baum

Stilkritik (26) – Die Deutschen und der Baum, das ist eine besondere Beziehung. Was hat eigentlich der Baum davon, so innig verehrt zu werden? Immerhin ist es nicht so einfach, ihn zu fällen, vor allem dort, wo man ihn gut sieht. Ein aktuelles Beispiel zeigt aber auch: Der Baum wird gerne als Argument eingesetzt, um einer unbequemen Diskussion aus dem Weg zu gehen.

Am Brunnen vor dem Tore steht bekanntlich ein Lindenbaum, der süße Träume und ewige Ruhe verspricht. Liebes- und Todessehnsucht sind hier vereint. Und gibt es ein anderes Land, in dem ein Lied mit dem Text „Mein Freund, der Baum, ist tot“ zu einem Klassiker der Schlagermusik hätte werden können? Potenziert ist dieses Verhältnis im Wald. Robin Wood ist kaum zufällig eine deutsche Organisation. Vom Teutoburger Wald bis zum Klassiker des deutschen Männergesangs – „Wer hat dich du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?“ – reichen die Referenzen dieser außergewöhnlichen Beziehung. Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt, hatte Kurt Tucholsky einmal geschrieben. (1) Einspruch euer Ehren. Nicht nur dort! – auch in der Forstwirtschaft fand in Deutschland einmal so etwas wie eine Revolution statt, dort wurde immerhin zuerst das Prinzip der Nachhaltigkeit postuliert und eingeführt. Knapp ein Drittel der Fläche Deutschlands ist von Wald bedeckt – und diese Fläche wuchs in den letzten Jahren um immerhin 50.000 Hektar, aller Bauwut zum Trotz. Und so ist es wohl kein Wunder, dass sich nicht zum ersten Mal einer der vielen bizarren Architekturstreite um Bäume dreht. Chipperfield hatte in München den unerhörten Vorschlag gemacht, die Bäume (Linden!) vor dem Haus der Kunst zu fällen und den Bau der Nazizeit wieder unverstellt zu zeigen. Gegen diesen Vorschlag mäandert ein schrulliger Diskurs durchs Dickicht. Mal sind die Bäume Teil der Geschichte, die im Sinne des Denkmalschutzes zu erhalten sind, mal ist der Bau so schrecklich, dass man die empfindsame Seele vor seinem Anblick schützen muss, die sonst möglicherweise nicht entsetzt, sondern fasziniert ist.

1708_SK_Zscharndt_HdK_Muenchen

Das Haus der Kunst im aktuellen Zustand. Vorderseite. Bild: Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects

Dann wieder ist das Haus der Kunst so mächtig, dass die Bäume an seiner Wirkung eh nichts ändern, weswegen man sie auch stehen lassen kann. Und natürlich sind sie auch Schadstofffilter. Die brauchen wir, weil man hierzulande so gerne Auto fährt. Dass die Verkehrsplanung der Nachkriegszeit das Gebäude besser sichtbar gemacht hat, wie Enwezor schreibt, wird kaum diskutiert. Auch nicht, dass ein Parkplatz hinter dem Gebäude verlegt werden soll, der wahrlich kein Schmuckstück ist. Die Umbaupläne für das Innere stehen ebenfalls so gut wie nicht zur Debatte.

Weitere Links zur aktuellen Diskussion >>>

 

Architektur macht Menschen nicht automatisch gut.
Aber auch nicht schlecht

Alles in allem eine ziemlich hysterische Debatte, in der der Baum so hin und hergeschoben wird, wie man ihn gerade braucht, vor allem nach vorne, damit man sich hinter ihm verstecken kann, um sich nicht unbequemen Fragen stellen zu müssen. Da wird der Stuttgart 21-Streit mal so eben auf den Streit um ein paar Bäume reduziert – als ob es nie darum gegangen wäre, ob der Aufwand für den neue Bahnhof in einem wenigstens einigermaßen vernünftigen Verhältnis zu seinem Nutzen steht. Eine unbequeme Frage ist etwa die, ob unsere Vorstellung vom Denkmalschutz nicht etwas arg dogmatisch erstarrt ist. Und die uns ein reflexhaft-verschämtes Verhalten gegenüber Bauten des Nationalsozialismus diktiert, so wirkungsvoll wie institutionalisierte Gedenkfeiern. Und die dann möglicherweise genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie vorgibt erreichen zu wollen. Wer es nicht glaubt, der rufe sich die nicht weniger skurrilen Diskussionen um die politisch korrekte Sprache in Erinnerung, der eine Mitschuld am erstarkten Rechtspopulismus gegeben wurde. Nein, man hat es nicht mit der politisch korrekten Sprache übertrieben. Man hat nur vergessen, warum man sich ihrer befleißigt: dass sie ein Zeichen für etwas ist, dem auch jenseits der Reden Taten folgen müssen. Taten, die einlösen, was das Grundverständnis unserer Demokratie ist: dass keinem Mensch aufgrund Hautfarbe, Rasse, Geschlecht, Herkunft oder sexueller Neigung pauschal Eigenschaften zugeschrieben werden, die Diskriminierung nach sich ziehen. Das Zeichen allein löst freilich nichts davon ein.

1708_SK_Wiki_HdK_Muenchen

Vorderseite mit Bäumen und einer Arbeit von Mel Bochner: The Joy of Jiddisch (2013). Enwezor. der Direktor im Haus der Kunst, besteht darauf, dass man in der Architekturdiskussion die Rechnungn nicht ohne die Kunst machen sollte. Richtig. (Bild: Wikimedia.org, M(e)ister Eiskalt)

Und wie ist es mit der Architektur? Mit irgendwelchen stereotypen Gesten, seien es welche des Dramatisierens (wie Domenig in Nürnberg) oder des Versteckens, mögen sie auch einmal richtig gewesen sein, wird man heute keine Auseinandersetzung mehr mit der Geschichte provozieren. Und um die geht es. Architektur kann provozieren. Aber sie argumentiert nicht, genausowenig wie man sie, Verzeihung Sir, bestrafen kann. Oder wollen wir anfangen, an das Gute in der Architektur zu glauben und Resozialisierungsprogramme für straffällige Häuser aufzulegen?
Was fehlt ist Gelassenheit. Und ein wenig Vertrauen darin, dass Menschen nicht gleich zu Nazis werden, wenn sie ein Haus sehen, das Adolf Hitler gefiel. Und ein wenig komplexes Denken, das die Nutzung und die Architektur nicht voneinander isoliert. Es war sehr wohltuend, dass in der db ein Kommentar zu lesen war, der zeigte, wie wenig sich die Qualität der Nutzung von der Geschichte des Hauses im Nationalsozialismus hat beeinflussen lassen. Das ist doch das Großartige: dass die Geschichte keine Macht darüber hat, was man mit dem Gebäude macht und was in ihm passiert. Dass gerade die Nutzung zeigt, dass man heute anderen Geistes Kind sein muss. Die Konfrontation der Architektur mit ihrer Nutzung erzeugt gerade die Reibung, die zum Wesen von Architektur gehört. Und die muss man, darauf hat Wolfgang Bachmann letzte Woche bereits hingewiesen, aushalten können. Diese Reibung bewahrt die Architektur aber auch davor, überschätzt zu werden. Architektur macht keine guten Menschen. Keine neue Gesellschaft. Aber auch nicht das Gegenteil davon. Und gerade deswegen müssen die Fragen, die sich durch sie stellen, auf anderen Ebenen diskutiert werden. Die Fragen müssen allerdings gestellt werden. Wenn man sich darüber verständigte, könnte man vielleicht nochmal anders über die Bäume nachdenken. Ob man sie braucht. Ob sie anders in die Gestaltung eingebunden werden könnten. Auch das sollte man ja nicht kategorisch ausschließen.

1708_SK_holl_Wald

Was werden wir zu sehen bekommen, wenn sich die Schleier der empörungsgesättigten Diskussion verzogen haben? (Bild: Christian Holl)

Der Baum mit Zuckerguss

Ich bin für Stadtbäume, für viele Stadtbäume. Für saubere Luft. Ich hab noch nie in meinem Leben ein Auto besessen. Ich bin deswegen kein besserer Mensch, ganz bestimmt nicht. Dennoch nervt mich die Scheinheiligkeit der Baumverehrung. Als architektonisches Mittel sind Bäume neben ihrer gestalterischen Möglichkeit ein Zeichen für Verantwortung gegenüber der Umwelt und dem Wunsch nach gesunden Lebensverhältnissen. Das Zeichen hat aber nur dann Sinn, wenn es für etwas steht, das sich ohne dieses Zeichen nicht sichtbar wäre, wenn es auf Taten verweist, die als Konsequenzen aus dem gezogen werden, was das Zeichen nur behaupten oder fordern kann. Von der bayerischen Landesregierung (und nicht nur von ihr) wurde das Lied der unantastbaren Menschenwürde in letzter Zeit ziemlich schief intoniert. Schön klang das nicht. Und, liebe Deutsche, wenn euch jeder Baum aus ökologischen Gründen so wertvoll ist, dann esst einfach weniger Fleisch. Für die Rinderzucht werden Wälder abgeholzt. Zwar nicht bei uns, aber sollte uns das deswegen gleichgültig sein? Der Lindenbaum im Gedichtzyklus Winterreise ist im übrigen Teil eines Verweissystems von Metaphern und Symbolen, das sich gegen die politische Unfreiheit wendete, die nach dem Wiener Kongress etabliert wurde. Das wurde bis zur Unkenntlichkeit verharmlost und mit süßlicher Soße zugeklebt, so dass man das vergessen hat. Hat er das verdient, der Freund, der Baum?


Dokumentation einschließlich Interviews mit David Chipperfield und Winfried Nerdinger des Bayrischen Rundfunks >>>
Brief David Chipperfields An The Architects‘ Journal >>>
Pressemitteilung Haus der Kunst zum aktuellen Sachstand >>>
Kommentar von Sonja Zekri in der Süddeutschen Zeitung >>>
Kommentar von Patrick Bahners in der FAZ >>>
zurück nach oben >>>

(1) Es lohnt sich, zu Tucholsky etwas weiter zu stöbern. Unglaublich, wie aktuell er ist: >>>