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Lehre im digitalen Raum: Die Websites der Hochschulen werden wichtiger denn je

Am 23. März 2020 beschloss das Kabinett zwei von Bundesgesundheitsminister Spahn vorgelegten Formulierungshilfen für Gesetzentwürfe. Die Folgen des „COVID19-Krankenhausentlastungsgesetz“ und das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ haben gewaltige Auswirkungen auf die Gesellschaft. Wie handhaben verschiedene Disziplinen der Architektur die Krise mit all ihren Phänomen? Der dritte Teil der Serie widmet sich der Lehre.

Im Krisenmodus (1): Architektur ausstellen
Im Krisenmodus (2): Die Planung und die Stadt


Eines der Bilder, die man mit der Architekturausbildung verbindet, ist das gemeinsame „In die Knie gehen“ vor dem Modell: Lehrende und Studierende vereint in der Diskussion am Anschauungsobjekt des Entwurfs. Oder das gemeinsame Seminar, in dem – ob des Alters der Aufnahme – der Professor oder die Professorin, umringt von den Studierenden und mit ihnen ins Gespräch vertieft versucht, die Geheimnisse der Architektur zu ergründen. Wie aber sieht Architektur- und Städtebaulehre aus, wenn Hochschulen geschlossen bleiben, Präsentationen nicht in geschlossenen Räumen abgehalten werden können? Wie sieht ein Diskurs aus, wenn man sich dabei zwar ansatzweise über die Kamera seines Rechners in die Augen sehen kann, Gestik und Körperhaltung aber nicht mit ins Bild passen?


Der Kontakt fehlt


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Leere statt Lehre. Die Mensa der B-TU Cottbus Senftenberg in pandemischen Zeiten. Foto: Anke Hagemann

Jan Kampshoff etwa, der seit Oktober 2017 als Gastprofessor am Fachgebiet DE/CO – Entwerfen und Baukonstruktion der TU Berlin lehrt, sagt: „Wir haben das Glück, dass wir eine vorhandene Kursstruktur in einem Folgesemester betreuen. Wir kennen alle Studierenden aus dem Wintersemester, konnten sie da schon treffen und einen echten Kontakt zu ihnen aufbauen.“ Der große Unterschied sei das mangelnde physische Miteinander: „Das, was in persönlichen Treffen in puncto Zwischentöne passiert, haben wir nicht in virtuelle Formate übersetzen können – vielleicht kann man das auch gar nicht.“ Das direkte Interagieren – am Modell beispielsweise – fällt weg.

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Nina Gribat bei der digitalen Einführungsvorlesung zum Semesterstart, Foto: Anke Hagemann/B-TU

Auch Nina Gribat, die seit September 2019 die Professur „Stadtplanung“ der BTU Cottbus-Senftenberg inne hat, betont die gravierende Veränderung durch den Wegfall der zwischenmenschlichen Interaktion: „Der Unterschied ist riesig. Wir haben sonst einen eher intensiven und persönlichen Austausch mit Studierenden, vor allem in der Entwurfs- und Projektlehre.“ Wie an der TU Berlin sind auch an der BTU die Ateliers und Werkstätten, in denen die Studierenden normalerweise arbeiten und die auch für den Lehrbetrieb genutzt werden, geschlossen. „Die Studierenden und die Lehrenden bestreiten die Lehre von ihren Wohnungen aus, das heißt, es gibt keinen räumlichen Zusammenhang und keine Möglichkeiten für einen spontanen Austausch, weder zwischen den Lehrenden, noch zwischen den Studierenden und auch nicht zwischen Lehrenden und Studierenden“, führt Gribat aus.

Katja Knaus, die 2018 als Professorin an die Akademie der Bildenden Künste in München berufen wurde und dort den Lehrstuhl für Entwurf und Darstellung leitet, schlägt in die gleiche Kerbe, wenn sie konstatiert, der größte Unterschied zur Zeit vor dem Ausbruch der Pandemie liege im drastisch reduzierten persönlichen Kontakt zu Studierenden und Kolleg*innen. „Auch in den fehlenden zufälligen Begegnungen zwischen uns allen im Lehrbetrieb, der besonders angesichts so kleiner Klassen wie der der Akademie der Künste sehr wertvoll ist: Das sogenannte Flurgespräch fehlt!“ ergänzt sie.


Lehre neu denken


Alle drei Lehrenden haben mit ihren Lehrstuhl-Teams die Lehre komplett auf den digitalen Raum umgestellt – wie überall im Land. Jan Kampshoff erklärt: „Wir versuchen über das, was auf unserer Website, Instagram und über Zoom passiert, die Art von Transparenz und Öffentlichkeit herzustellen, die auch das Gebäude der TU Berlin ausmacht.“

Arbeiten von Studierenden an der TU Berlin, Fachgebiet DE/CO

Die Daten, Bilder und Texte, die die Studierenden als Abgaben auf die TU-eigene Cloud laden, werden nicht nur dort gespeichert, sondern sind auch von allen anderen Studierenden und Lehrenden einsehbar: „Wie die Pläne und Modelle, die sonst auf den Fluren des Hauses präsentiert werden,“ so Kampshoff. Sein Lehrstuhl hat dabei alle Inhalte auch auf die eigene Website geladen, die Arbeiten dazu in den sozialen Medien geteilt, auch wenn es strukturell wie inhaltlich ein Bruch mit dem eigentlichen Vorhaben für das Semester bedeutete: „Wir mussten das komplette Semesterprogramm über Bord werfen: Eigentlich wollten wir im Spreepark mit Zirkusartisten Body-Sculptures machen und daraus Tragwerke und Performance-Gebäude entwickeln. Aber genau das geht natürlich aktuell gar nicht.“ Gezwungenermaßen habe man sich also der Isolation angenommen und gehofft, eine bestimmte Sensibilität für das Thema nutzbar zu machen: „So sind Wohnsituationen und Kollektivität die Themen geworden, die dann in Aufgabenstellungen ausformuliert wurden.“ Der Fachbereich sei dadurch „auf den Kopf gestellt worden“, meint Kampshoff, fügt aber lachend an: „Ich finde das aber deswegen sympathisch, weil es vor Wiederholung schützt.“


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Digitale Mindmap aus einem Seminar der B-TU Cottbus Senftenberg, Abb.: B-TU

Auch an der BTU Cottbus-Senftenberg musste längst Geplantes verworfen werden: „Die Absage von Exkursionen im Rahmen der Entwurfs- und Projektlehre war und ist besonders schmerzlich.“ Gerade der Besuch vor Ort „und auch Termine mit lokalen Akteuren lassen sich online kaum ersetzen“, macht Nina Gribat deutlich und führt aus: „Räumliche Zusammenhänge und ein Gefühl für einen Ort sind digital nicht zugänglich und nicht vermittelbar.“ Teil dieser Vermittlung im Rahmen von Architektur- und Städtebaulehre war stets auch die Exkursion, in Zeiten einer Pandemie aber nicht mehr möglich, wie Katja Knaus enttäuscht bestätigt: „Eine lang geplante Exkursion des gesamten Studiengangs nach Israel musste abgesagt werden.“

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Ausschnitt eines Padlets, in das die Studierenden ihre Notizen zum Thema ungeplante Stadt eingetragan haben, Abb.: B-TU

Doch allenthalben werden auch Potenziale ausgemacht, die der aktuellen, längst nicht ausgestandenen Situation innewohnen. Knaus etwa folgert: „Spätestens jetzt dürfte dem Letzten überdeutlich klar sein, welche Macht und soziale Sprengkraft in Architektur stecken kann.“ Sie und ihr künstlerischer Mitarbeiter Georg Brennecke vermuten, dass sich das in den Aufgabenstellungen der Entwurfsthemen in den kommenden Semestern und den damit einhergehenden Fragen an die Disziplinen Architektur und Stadtplanung zeigen werde. Auch Nina Gribat prognostiziert, „dass es in der Folge der Pandemie zu einer größeren Debatte um den öffentlichen Raum kommt, der gerade zu Shutdown-Zeiten viel stärker genutzt wurde.“ Auch soziale Ungleichheit sei in der Pandemie immer stärker zu Tage getreten. „Wie Stadtplanung oder Städtebau sich dazu verhalten, könnte ein sehr spannendes Thema sein,“ so die Professorin aus Cottbus. Jan Kampshoff geht noch einen Schritt weiter: „Ich sehe, dass schon jetzt grundlegend anders über Architektur und Stadt nachgedacht wird. Die Studierenden sind da mitten drin. Die aktuelle Generation sieht, wie die Stadt zu einem Reallabor wird, in dem Pop-Up-Radwege entstehen oder andere Infrastrukturen einfach nicht mehr da sind – wenn wir etwa das Fliegen betrachten.“ Er hofft, „dass diese Generation mitnimmt, hinsichtlich möglicher Wandlungsprozesse radikaler zu denken.“


Potenziale und Grenzen


Für die eigenen Lehraufträge im Rahmen der Professuren sind sich alle einig: Der erzwungene Status Quo ist nicht wünschenswert, aber richtig. Dauerhaft gelte es aber Lösungen zu finden, wie universitäres Leben vor diesem Hintergrund wieder möglich gemacht werden kann. Dabei geht es nicht darum, zu einem bestimmten Punkt in der Geschichte zurückzugehen, sondern die positiven Erfahrungen, die gesammelt wurden und noch gemacht werden, mit einzubeziehen für das, was Jan Kampshoff einen „hybriden Ansatz von Architekturlehre“ nennt. Er sagt: „Wir bekommen von den Studierenden das klare Feedback, dass das, was im Moment passiert, keine Uni ist. Es wird erkannt, dass man tolle Erfahrungen machen kann, dass das, was wir machen und anbieten, auch gut ist, dass es mit einem universitären Betrieb und dem, was ihn im Kern ausmacht, als Ort, als Milieu, wo man zusammen arbeitet, eigentlich nichts zu tun hat. So sehr ich davon überzeugt bin, dass wir momentan einen guten Job machen, langfristig muss ich den Studierenden recht geben.“ Trotzdem hätten er und sein Team viel gelernt. Die erzwungene Digitalisierung sei für die Universität eine Chance, die genutzt werde: „Einige digitale Tools, von denen wir vorher dachten, dass wir sie nicht brauchen, erkennen wir jetzt als praktische Hilfen in unserer internen Organisation. Auch die Tatsache, dass man mit Video-Calls Gäste von außerhalb einladen kann und nicht mehr über Reisekosten nachdenken muss, lässt sich weiterdenken.“ Nina Gribat sieht das ähnlich. Auch sie sieht die Chance, „durch die Pandemie Externe besser durch Videokonferenzen einzubinden.“ Der wohl größte Nutzen sei aber vielleicht, so Gribat, „dass einige Dienstreisen in Zukunft entfallen könnten, weil digitale Treffen auch im Rahmen von Forschungsprojekten nun besser eingeübt wurden.“

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Aufgabe an der Akademie der Künste München bei Katja Knaus war es nicht nur, Räume für Musik zu entwerfen, sondern sich auch mit den digitalen Möglichkeiten zur Vermittlung und Präsentation eigener Ideen und Entwürfe beschäftigen.
Auf dem vorgegebenen Planungsgrundstück galt es mit einem bestehenden Pavillon umzugehen. Ziel der Lehrenden war es auch, eine Aufgabe zu stellen, die die Studierenden gedanklich inspirierend aus der erzwungenen Enge der eigenen vier Wände holt. Abb.: Lena Frotscher

Katja Knaus bestätigt das: „Wie vermutlich in so manchen anderen Bereichen, war auch bei uns festzustellen, dass die Diskussionen und Gespräche zumindest innerhalb kleinerer Gruppen bis etwa 20 Personen teilweise durchaus viel konzentrierter und intensiver funktionieren konnten als im Normalbetrieb, der viel mehr Ablenkung bietet.“

Abschließend unterstreicht Nina Gribat jedoch noch einmal: „Ich halte die Relevanz von zwischenmenschlicher Interaktion in der Lehre für unersetzlich und wünsche mir sehr, dass wir dazu bald wieder sicher übergehen können.“ Dabei kann sie sich durchaus vorstellen, dass einige der Formate, die in kürzester Zeit mühsam ins Digitale übertragen wurden – verschiedene Grundlagenvorlesungen etwa – auch in Zukunft in dieser Form genutzt werden und so der Austausch mit den Studierenden stärker auf vertiefende Diskussionen und Übungen verwandt werden könne und weniger auf die Vermittlung von Informationen. „Um richtig tolle Online-Vorlesungen zu erstellen, fehlt uns noch ein gehöriges Stück Erfahrung, technisches Know-How und auch Zeit. Wir haben in diesem Sommersemester mit viel Energie experimentiert, die Schlüsse daraus müssen wir noch ziehen…“

Auch Katja Knaus betont mit Blick auf kommende Semester: „Dauerhaft kann und sollte aber gerade in der Architektur auf das reale Erleben gebauter Räume nicht verzichtet werden müssen – sei es in der Betrachtung von Modellen oder von tatsächlich gebauten Räumen. Das ist nicht zu ersetzen.“ Jan Kampshoff stimmt seinen beiden Kolleginnen zu und ergänzt: „Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, zunächst in den Studios Situationen zu schaffen, in denen eine Betreuung der Entwürfe stattfinden kann.“ Das Arbeiten in der großen Gruppe im Studio ist in seinen Augen jedoch erst einmal unrealistisch. Stattdessen hofft er auf den schon benannten hybriden Ansatz, „der im Lehrbetrieb das Beste aus beiden Welten“ kombinieren könne. Er verbindet das mit einer Forderung an die gesamte Zunft: „Für die Studierenden ist es aktuell eine wahnsinnige Einschränkung. Langfristig müssen wir es wieder hinbekommen, sie hier vor Ort zu betreuen. Wir schaffen es ja auch, einkaufen zu gehen.“