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Thomas Florschuetz im Haus am Waldsee in Berlin: Architekturfotografie ist eine Einladung. Und sie ist zugleich mehr. Sie transportiert Gebäude durch Raum und Zeit. Sie ermöglicht es Betrachtern, durch den interpretierenden Blick des Fotografen selbst einen Blick auf Haus und Detail, auf Material und Raum zu werfen. Dabei ersetzt Architekturfotografie weder das eigene Sehen noch das eigene Erleben vor Ort. Unabhängig davon ist sie in ihrem Anspruch als Kunstform völlig autonom.


Das unterstreichen die Arbeiten des 1957 in Zwickau geborenen Thomas Florschuetz. Gemeinsam mit Anna Himmelsbach und Dagmar Schmengler hat er eine Ausstellung seiner Arbeit aus den letzten Jahren im Haus am Waldsee in Berlin kuratiert. Es ist die erste Schau unter der neuen Leitung von Anna Gritz, nach den Irritationen um den Abgang ihrer verdienstvollen Vorgängerin Katja Bloomberg.
Unter dem Titel „Überlagerungen“ werden zahlreiche großformatige Arbeiten von Florschuetz gezeigt. Der Begriff der Überlagerung ist dabei wörtlich zu nehmen. So verstellt eine Zwischenwand den sonst offenen Blick in den Wintergarten des Hauses. Stattdessen schauen die irritierten Besucher in die Tiefe des Stahlskeletts des Palastes der Republik in Berlin. Gewohnte Ausblicke werden durch tiefere Einblicke ersetzt. Das Foto ist Teil jener famosen Serie, die beim umstrittenen Abbruch des Hauses entstanden ist. Fast alle Fotografien von Florschuetz arbeiten mit räumlichen Schichtungen, mit Durchsichten, Ausblicken oder Spiegelungen. So bekommen sie etwas Überraschendes gelegentlich sogar Magisches.

Blick in die Ausstellung (Bild: Jürgen Tietz)

Blick in die Ausstellung (Bild: Jürgen Tietz)

Man braucht einen Moment, um sich in Bild und Raum zu orientieren. Besonders schön zeigt sich dieses Konzept in den Arbeiten im Gartensaal des Hauses am Waldsee. Dort sind großformatige Blicke in die Ethnologische Sammlung der Dahlemer Museen kurz vor ihrer Schließung zu sehen. Das schafft einen inhaltlichen Bezug zu jenem Unsinnsschloss in Berlins Mitte, das als Humboldtforum dem Palast der Republik folgte, und das nun die ehemaligen Dahlemer Bestände aufnimmt. Zugleich klingen mir die Fotografien wie ein wehmütiger Abgesang auf das Museum von Fritz Bornemann und Wils Ebert aus den 1960er-Jahren. Wie traurig die Zukunft des alten Museumsstandortes aussieht, den die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) nur noch als „Forschungscampus“ nutzen will. Wie schade! Einzig das vor sich hindümpelnde „Museum für europäische Kulturen“ (MEK) wird künftig in Dahlem weiter Ausstellungen zeigen. Die anderen Räume werden unter Wert zu Depots, Bibliothek und Restaurierungswerkstätten verwandelt. Es ist der mutlose Abgesang für einen Museumsstandort, der in Florschuetz Arbeiten noch einmal auflebt, ehe er wohl auf immer verschwindet.

Die Fensterscheiben des Hauses am Waldsee sind mit Licht- und Sicht dämpfenden Folien verklebt. Das schafft zwar interessante Effekte. Es verhindert aber – wie bei der Wand vor dem Wintergarten im Erdgeschoss —, dass in der Galerie jene Überlagerungen (und Ablenkungen) entstehen können, die Florschuetz in seinen Werken thematisiert. Damit arbeitet die Ausstellung gegen das Haus, indem sie die Konzentration auf die Fotografien sucht. Deren enorme autonome abstrakte Kraft, Farbintensität und hohe handwerkliche Qualität zeigen sich auch in den Fotografien der Betonstrukturen des von Affonso Eduardo Reidy entworfenen Museums für Moderne Kunst in Rio de Janeiro.
Wie sehr Florschuetz ein Poet des Moments ist, beweisen nicht nur seine eis- und regenfeuchten Fensterbilder und die Spiegelungen in seiner Serie von Gläsern. Es zeigt sich zudem in einem gleichermaßen klar wie offen komponierten Triptychon mit Blick auf eine Front von Fenstern und Fensterläden. Indem man den horizontalen und vertikalen Linien folgt, den Anschnitten, Durchblicken und – einmal mehr – den Überlagerungen, lässt es sich als abstrakte Komposition lesen und zugleich als eine Einladung, den Ort fortzudenken, dem Wind nachzuspüren, dem wandernden Licht des Tages. Von irgendwo scheint plötzlich der Klang der Stadt aufzukommen, ohne dass man ihn hören würde und ihren Duft, ohne ihn zu riechen. Voraussetzung dafür, dass diese sinnliche Welt in den Betrachtern erwächst, ist Florschuetz sehr präziser Blick, seine sehr klare Auswahl von Motiv und Ausschnitt. Je länger man durch die Ausstellung flaniert, um so meditativer wirken seine Arbeiten, um so tiefer wird der Zog, der von ihnen ausgeht. Begleitet wird die Ausstellung von einem Katalog, für den Eugen Blume einen klugen Text geschrieben hat, der den Zugang zu Florschuetz Fotografien vertieft.


Bis 28.08.2022 | https://hausamwaldsee.de/aktuell/