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Gut Holz


Paul Schmitthenner ist eine bis heute umstrittene Person. Denn auch seine Leistungen als sehr guter Architekt lassen sich nicht davon trennen, dass er 1933 in die NSDAP eintrat und sich dem NS-Regime andiente. Doch Schmitthenner begann seine Karriere lange zuvor. Seine Bauten und Siedlungen insbesondere der 1920er Jahre verdienen es, genauer betrachtet zu werden.

„Die Forderung ist, die notwendigen Wohnungen gesundheitlich und technisch gut, dauerhaft, so billig und schnell wie möglich, mit dem geringsten Verbrauch von Kohle herzustellen. Dieser Forderung am nächsten kommt der Holz- und Lehmbau. Die Baustoffe – Holz und Lehm – sind im Lande zu beschaffen und altbewährt.“

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Architektur mit regional verfügbaren Materialien. Baustelle Haus Sander, Stuttgart. (Bild: Nachlass Paul Schmitthenner / TU München)

Die Aussage Paul Schmitthenners klingt, so aus dem Zusammenhang gerissen, erstaunlich aktuell. Sie stammt aus einem Aufsatz, der ursprünglich wohl für „Die Volkswohnung“, die von Walter Curt Behrendt herausgegebene Zeitschrift des Arbeitsrats für Kunst entstand, dann aber infolge von Schmitthenners Berufung nach Stuttgart im März 1920 in der kurzlebigen Daimler Werkzeitung erschien. Hier trägt der Aufsatz, laut Wolfgang Voigt „Schmitthenners wichtigste Äußerung aus dieser Zeit“, den Titel „Die deutsche Volkswohnung“. Das eingefügte „deutsch“, noch dazu in Verbindung mit „Volk“, mag aus heutiger Sicht irritieren. Zeigt sich hier etwa schon das „nazistische Vokabular“, das Stephan Trüby auch nach dem Zweiten Weltkrieg bei Schmitthenner bemerkt?

Man kann aber die historische Position eines Architekten nicht von heutigen Wertmaßstäben ausgehend ermessen – und auch nicht aufgrund einer Fehlentwicklung, die 20 bis 25 Jahre nach Beginn seiner beruflichen Tätigkeit zum Einritt in die NSDAP führte. Auf Holz und Lehm kam Schmitthenner nicht durch den Klimawandel, sondern in der Notsituation nach Ende des Ersten Weltkriegs. Es handelt sich um einen Knotenpunkt der Architekturgeschichte, an dem Schmitthenner eine besondere Rolle spielt. Nur von hier aus lässt sich seine Position richtig verstehen.

Gartenstädte

Schmitthenners Ausgangspunkt war die Gartenstadtbewegung. An der wichtigsten deutschen Gartenstadt, Dresden-Hellerau, hat er im Büro Richard Riemerschmids mitgearbeitet. Vor und im Ersten Weltkrieg hat er im Reichsamt des Inneren drei Gartenstädte geplant, die wichtigste davon Berlin-Staaken. „Staaken bei Spandau wird das Vorbild sein für Tausende neuer Siedlungen“, schreibt Franz Oppenheimer enthusiastisch im Vorwort zu Schmitthenners erster und lange Zeit einziger Buch-Publikation, eben zu dieser Siedlung. Oppenheimer ist nicht irgendwer. Er war bereits 1893 an der Gründung der Reformsiedlung Eden bei Oranienburg beteiligt, einem frühen Vorbild der Gartenstadtbewegung. Er gehörte zum Vorstand der Deutschen Gartenstadtgesellschaft und gründete auch in Palästina kurzlebige Siedlungen, Vorläufer der Kibbuzim. 1919 wurde er auf den ersten deutschen Soziologie-Lehrstuhl an der Universität Frankfurt berufen. Mit seinem Freund, dem Bodenreformer Adolf Damaschke, prägte er das Siedlungswesen der Weimarer Republik.

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Luftbild der Siedlung Staaken in Spandau, errichtet nach Plänen Schmitthenners 1914-17. (Bild: Nachlass Paul Schmitthenner / TU München)

Nach dem ersten Weltkrieg hat Schmitthenner drei weitere Gartenstädte geplant: Ooswinkel bei Baden-Baden, „Linker Hochrhein“ in Moers und die Werkssiedlung Schnödeneck für die Daimler-Arbeiter in Sindelfingen. Ooswinkel und Schnödeneck waren in verputzter Fachwerkbauweise ausgeführt: um Kohle zu sparen, die für den Brand von Mauerziegeln benötigt worden wäre, aber auch um die Baukosten niedrig zu halten. Kostenvorteile versuchte Schmitthenner auch, wie schon in Staaken, durch Typisierung zu erreichen. Er verwendete eine begrenzte Anzahl an Haustypen, die er jedoch so anordnete, dass sich ein abwechslungsreiches Bild ergab. Auch einzelne Bauteile wie Fenster oder Türgriffe folgten einem einheitlichen Typenprogramm.

In der Inflationszeit kam der Siedlungsbau trotz Wohnungsnot beinahe zum Erliegen. Erst die 1924 eingeführte Hauszinssteuer brachte den Wohnungsbau in großem Umfang voran. Zu erwähnen ist hier an erster Stelle das „Neue Frankfurt“ von Ernst May: einmal weil May das Konzept der Gartenstadt zur größeren Trabantenstadt erweiterte; aber auch, weil hier die Geschichte der modernen, weiß verputzten Flachdachhäuser beginnt, noch vor der Weißenhofsiedlung und bevor am Bauhaus Architektur überhaupt gelehrt wurde. Aber die Hauszinssteuer war nicht an einen Baustil gebunden. Hamburg baute unter Baudirektor Fritz Schumacher in dunklen Klinkerziegeln. In Stuttgart gab es, parallel zur Weißenhofsiedlung, genossenschaftliche und städtische Siedlungen wie den Raitelsberg oder den Friedrich-Ebert-Wohnhof, die Elemente des Neuen Bauens mit traditionellen Formen verknüpften, ebenso andere, die dem alten Gartenstadtideal folgten.

Auch für Schmitthenner eröffnete sich nun, zur selben Zeit und nicht weit entfernt von der Weißenhofsiedlung, eine neue Chance: am Kochenhof. Beide Siedlungen sollten von der im Juni 1927 gegründeten Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen gefördert werden, neben Frankfurt-Praunheim von Ernst May und Dessau-Törten von Walter Gropius. Schmitthenner setzte auf Holz. 1922 hatte er eine Fabrikhalle für die Firma Werner & Pfleiderer im damals noch selbständigen Feuerbach in Holzbauweise erbaut, um durch den schnellen, kostengünstigen Bau dem raschen Preisverfall in der Inflation zuvorzukommen. An drei privaten Wohnhäusern, für Fritz Wertheimer, den Generalsekretär des Deutschen Auslands-Instituts, den Augenarzt Emil Sander und – als einziges erhalten – den Stadtbaurat Paul Färber erprobte er nun seine neue Methode des Fabrizierten Fachwerks (Fafa). Das Haus Sander konnte er, wie er in 1929 „Wasmuths Monatsheften“ publizierte, innerhalb von sechs Tagen aus vorgefertigten, standardisierten Fachwerkrahmen errichten.

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Das Haus Sander in Stuttgart wurde mit der Fafa-Methode mit vorgefertigten Bauteilen errichtet. Bild der Baustelle nach dem 3. Tag. (Bild: Nachlass Paul Schmitthenner / TU München)

Den Kostenvorteil, der sich damit erzielen ließ, konnte er zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht belegen, weil die Reichsforschungsanstalt allen vier Projekten die Gelder strich. Gropius, May und die Architekten der Weißenhofsiedlung hatten viel versprochen, aber nur wenig erreicht. Während sich aber die anderen drei Siedlungen bereits in Bau befanden und auch fertig gestellt werden konnten, kam Schmitthenner nicht mehr zum Zug. Vielleicht war es auch eine Intrige, denn in der Reichsforschungsgesellschaft dominierten die Architekten des Neuen Bauens. Schmitthenner war erbost. Hier liegt der Grund, dass er sich gegen die Moderne wandte, der konservativen Architektenvereinigung „Der Block“ um Paul Schultze-Naumburg anschloss und schließlich 1933 in die NSDAP eintrat. Von seinem Standpunkt überzeugt, glaubte er, als Architekt des neuen Regimes eine führende Rolle spielen zu können – ähnlich wie Ludwig Mies van der Rohe, der wie er auch einen Vorschlag zum Deutschen Pavillon der Weltausstellung in Brüssel 1934 einreichte. Bei Adolf Hitler, der sich die Pläne selbst vorlegen ließ, stieß keiner der Entwürfe auf Zustimmung. Zu einem deutschen Pavillon in Brüssel kam es nicht. Schmitthenners Bauten bezeichnete er einmal als „Heustadel“.

Hallschlag und das Fafa-System

Die Kochenhof-Pläne kamen zwar nicht gänzlich zum Erliegen. Allerdings verwandelte sich die geplante Mustersiedlung für kostengünstigen Wohnbau sukzessive in ein Werkbund-Projekt zur Förderung der Holzwirtschaft in der Weltwirtschaftskrise und schließlich, als Schmitthenner das Projekt mit Hilfe der Nationalsozialisten wieder an sich gezogen hatte, in ein Gegenmodell zum Weißenhof. Die Eigenheimsiedlung hatte nun allerdings mit Schmitthenners ursprünglichen Plänen nicht mehr viel zu tun.

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Schmitthenners Hallschlag-Häuser kurz nach der Fertigstellung, ca. 1930. (Bild: Nachlass Paul Schmitthenner / TU München)


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Die Schmitthenner-Häuser im Hallschlag 2021, saniert und mit Balkonen ergänzt. (Bilder: Cordelia Marsch)

Die Vorzüge seines Fafa-Systems hatte er jedoch schon zuvor an einem anderen Projekt unter Beweis stellen können. Als Ersatz für das Kochenhofprojekt bot ihm nämlich die Stadt Stuttgart eine Mitwirkung an der Sozialsiedlung Hallschlag an, die sich seit 1926 in Bau befand. Es war allerdings kein aufsehenerregendes Vorzeigeprojekt, sondern eine Maßnahme zur Bekämpfung der Wohnungsnot, die möglichst wenig Kosten verursachen sollte. Schmitthenners Fafa-System kam da gerade recht. In einer Reihe dreigeschossiger Häuser sowie um vier halb offene Höfe auf der anderen Straßenseite baute er 207 Kleinwohnungen, davon 75 nach dem Fafa-System, der Rest konventionell gemauert. Die Fafa-Bauten waren um bis zu 24 Prozent billiger.

Leider hat sich die Debatte um Schmitthenner ganz auf seine ideologische Haltung in der NS-Zeit zugespitzt. Konservative Ästhetik wird dabei gleichgesetzt mit einer reaktionären politischen Gesinnung. Diese Diskussion ist keineswegs neu. Sie dreht Endlosschlaufen, seit Richard Döcker, der 1933 die Bauleitung der Kochenhofsiedlung an Schmitthenner abtreten musste, nach dem Krieg dessen Rückkehr auf seinen Lehrstuhl an der TH zu verhindern wusste. Auch Wolfgang Voigt hat in der Neuauflage der Monografie vor allem diesen Bereich überarbeitet. Er versucht etwa zu zeigen, dass Schmitthenner kein Antisemit war – wofür auch die mustergültige Studie der Universität zur „Verfolgung und Entrechtung an der Technischen Hochschule Stuttgart während der NS-Zeit“ eine Reihe von Belegen liefert.

Aber wenn es immer nur um die Nazi-Mitgliedschaft geht, gerät völlig aus dem Blick. was das Besondere an Schmitthenners Architektur ist, was ihn von anderen Architekten unterscheidet. Dies tritt, wie Voigt herausgearbeitet hat, insbesondere in der Gartenstadt Staaken, am ersten Kochenhof-Projekt und am Hallschlag hervor in der Verbindung von konservativen Formvorstellungen und handwerklicher Solidität mit neuen Verfahren der Standardisierung und Vorfertigung. Hier erzielte Schmitthenner seine größten Erfolge, die eigentlich eine Revision der Architekturgeschichte erfordern: Noch immer kursiert die Idee, mit Projekten wie der Weißenhofsiedlung seien wesentliche Errungenschaften des kostengünstigen sozialen Wohnungsbaus verbunden, wie dies die Propagandisten des Neuen Bauens behaupteten. Schmitthenner war da weiter. Dies zeigt der Hallschlag, der allerdings auch physisch aus dem Gedächtnis verschwindet: Der größere Teil der Bauten ist inzwischen abgerissen, der Rest wurde, so Voigt, „in einer Weise wärmegedämmt saniert, dass von der gerade im Detail aufscheinenden Qualität Schmitthenners kaum noch etwas übrig ist.“


2204_KF_PS_CoverWolfgang Voigt, Hartmut Frank: Paul Schmitthenner. Architekt der gebauten Form, Berlin 2021. (Überarbeitete Fassung des 2003 erschiennen Katalogs zur Ausstellung im DAM »Schönheit ruht in der Ordnung – Paul Schmitthenner 1884–1972«)

In der Stadtbibliothek Sindelfingen gibt es vom 24. Juni bis 7. August eine Ausstellung zum 100-jährigen Bestehen der Siedlung Schnödeneck. Der Autor dieses Beitrags ist am 13. Juli zu einem Vortrag eingeladen. Titel: „Zwischen allen Stühlen – Paul Schmitthenner“.

Norbert Becker, Katja Nagel: Verfolgung und Entrechtung an der Technischen Hochschule Stuttgart während der NS-Zeit, Stuttgart 2017.