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Von Medina an die jordanische Grenze, 2003
© Ursula Schulz-Dornburg

Wenn das Extreme Normalität wird, Systeme sich selbst reproduzieren und der Blick in die Vergangenheit wirkt wie einer auf das, was gewesen sein wird. Eine Ausstellungs-Tour in Frankfurt.

Es ist ein Sommer der Extreme – nicht nur einer der extremen Temperaturen und der Trockenheit. „Krisen, Kriege, Extremismus und Populismus rütteln an unseren Werten, Normen und Organisationsformen“ heißt es in der Einleitung des Begleithefts zu Ray 2018, einem Festival der Fotografie in Rhein-Main. Ausstellungen in Darmstadt, Eschborn, Frankfurt widmen sich dem Extremen. Fotografie, die den Grenzfall zum Gegenstand der Wahrnehmung macht, so heißt es. Das Fotografie Forum Frankfurt in direkter Nachbarschaft zu Römer und Paulskirche richtet den Blick auf die Ein- und Übergriffe des Menschen auf Natur und Landschaft. Installationen über vom Aussterben bedrohte Vogelarten oder über das Bemühen, Pandabären zu retten und auszuwildern, verströmen etwas vom süßlich-bitteren Charme einer Greenpeace-Kampagne. Die kriminellen Machenschaften des Monsanto-Konzerns – unter anderem produzierte der Konzern das Gift Agent Orange – deckt Mathieu Asslin auf. Wirtschaftsinteressen, Verknüpfungen bis in höchste Regierungsebenen und kontaminierte Landschaften: Einmal mehr steht man fassungslos vor dem skrupellosen Umgang mit der Erde.

The reflection of some curtains inside a house in Toll Bar village near Doncaster shows how high floodwaters had risen in many houses, as high as the windows. This was one of the communities flooded when a freak storm unleashed a deluge of rain on parts of northern England in which more than four inches of rain fell in 24 hours. The devastation was caused by extreme and unpredictable weather and it is this kind of freak event, which climate scientists have been predicting, will become more frequent as a consequence of global warming.

Das Zuhause von John Jackson, Toll Bar Village near Doncaster, UK, Juni 2017, aus der Serie Floodlines. © Gideon Mendel

Die Folgen von Flutkatastrophen, zerstörte Heimat, verlorenes Hab und Gut zeigen die Arbeiten von Gideon Mendel in einer unsentimentalen Direktheit, die Melancholie, Anklage und Reportage virtuos kreuzt. Lois Hechenblaikner zeigt die absurden Bemühungen, den Alpentourismus, nicht selten als eine Art Ballermann für den Winter praktiziert, aller Klimaveränderungen zum Trotz aufrechtzuerhalten.

Hier stellt sich die Frage, ob der Begriff des Extremen nicht in die Irre führt. Ebenso gut und berechtigt könnte man gerade diese Arbeiten unter dem Begriff der Normalität fassen und damit sichtbar machen, dass das vermeintlich Normale eine Konstruktion ist, die Wirklichkeit ausblenden muss, um als Konstruktion zu funktionieren und nur deswegen als Normalität gilt, damit das unbequeme Übliche uns nicht beunruhigen muss und verdrängt werden kann. Das lässt sich noch direkter im Museum Angewandte Kunst nachvollziehen: Hier werden Arbeiten unter dem Titel „Extreme. Bodies“ gezeigt. Wie sehr unserer Vorstellung von Normalität in Bezug auf den Körper eine von der Wirklichkeit entfernte Idealkonstruktion ist, zeigen die Bilder, die auf diese Konstruktionen verzichten oder wie Jamie Brunskill einfach nur etwas weiter treiben. In dessen Filmen werden aus Körpern bewegte Skulpturen aus Fleisch und Extremitäten, aber ohne Köpfe, die die Illusion der individuellen Zuordnung noch erlaubt hätten. Boris Mikhailov zeigt die Gestrandeten der postsozialistischen Gesellschaft in Charkow, Martin Liebscher hat sich vervielfacht in bekannte und übliche Orte und Formen fotografischer Inszenierung montiert, so dass die Perspektive auf diese Orte radikal subjektiviert wird: ich, ich, ich. Nicht auch eine Form der Normalität?



Ray 2018. In Frankfurt, Darmstadt und Eschborn. Bis zum 9. September. Weitere Information >>>

 

Selbstbefragung eines Grafikers

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Michael Riedel, Vortragssituation Städelschule, 1998. © Michael Riedel

Es ist möglicherweise ein Zufall der kuratorischen Praxis, dass im gleichen Museum auch eine Schau des Grafikers und Künstlers Michael Riedel gezeigt wird. Auch er zeigt ein Extrem – das einer radikalen Befragung des Kunstmarktes. Riedel wendet die grafische Sprache, die Mittel der Kommunikation konsequent als eine Form systemimmanenter Logik im Luhmannschen Sinne auf das System des Kunst- und Grafikmarktes an. Kataloge werden in Vitrinen gestapelt, Grafiken aus Einladungskarten und Katalogen kombiniert und miteinander überlagert, Druckbögen als autonome Arbeiten inszeniert oder die Signatur zum wesentlichen Wert der Arbeit stilisiert. Noch die HTML-Codes von Berichten über Riedel im Netz werden zu einem grafischen Mittel, das Kommunikation als autonomen grafischen Wert inszeniert – der Bezug auf Riedel ist dabei kaum mehr von einer Bedeutung, die wieder auf ihn als Person zurückverweisen könnte, er war nur noch Ausgangspunkt einer sich verselbständigenden Recherche. Daraus entstehen beeindruckende, raumgreifende Installationen von großer Kraft,  aber auch hermetischer Geschlossenheit, die den Betrachter ratlos machen können, solange er sich dem Versuch unterzieht, Bedeutungen zuordnen zu wollen. Vor allem aber stellt die systematische Art der Untersuchungen zum Selbstwert des grafischen Materials die Frage nach dem Autor: umso systematischer und fremder die Ergebnisse von Riedels Arbeit werden, desto mehr wird Notwendigkeit einer entscheidenden Persönlichkeit zweifelhat. Eine solche Persönlichkeit beginnt hinter der ausufernden Ausbreitung als Instanz zu verschwinden und nur noch zum Ausführenden eines Konzepts zu werden, ein Konzept das – zumal in Zeiten von künstlicher Intelligenz – nicht mehr auf einen Autor verweisen muss.



Michael Riedel – Grafik als Ereignis. Bis zum 14. Oktober. Weitere Information >>>

 

Blick zurück nach vorn

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Kronstadt (aus der Serie: Kronstadt), 2002. © Ursula Schulz-Dornburg

Fast schon ein wenig versöhnlich scheint danach – allerdings nur auf den ersten Blick – die Ausstellung, die wenige Häuser weiter im Städel zu sehen ist: Die Retrospektive der 1938 geborenen Fotografin Ursula Schulze-Dornburg. Über 200 Arbeiten aus mehr asl dreißig Jahren werden gezeigt. Transitorte, Grenzregionen, Landschaften, die vom Menschen verlassen sind oder so wirken, als werden sie es bald sein. In ihrer Ruhe und Melancholie wirken die kargen, hellen Landschaften der Schwarzweiß-Bilder wie Reminiszenzen an archäologische Expeditionen vergangener Zeiten. Sie erzählen vom Verlust von Kulturen, wie dem der Lehm- und Schilfbauten im Irak, zeigen Relikte eines vergangenen Systems wie in Kronstadt oder die Grenzregion der georgisch-aserbaidschanischen Grenze, der Region der Todesmärsche, die Teil des Genozids an den Armeniern waren. So entrückt und meditativ die Bilder auf den ersten Blick wirken – die präzisen und ausgewogene Kompositionen sind in ihren Sujets voller komplexer Verweise auf die Gegenwart. Bushaltestellen im postsowjetischen Armenien stellen die Frage, worauf zu warten sich noch lohnen könnte in diesen ausgeräumten, kargen Landschaften.
Eine Fotoserie der fotografischen Beobachtung des wandernden Sonnenlichts in alten Kapellen wird so zu einem Nachdenken über Vergänglichkeit. Eine direkt benachbarte Serie zeigt den Ort Opytnoe Pole und das, was in der Grenzregion zwischen Russland, Kasachstan, China und der Mongolei geblieben ist, wo das Regime der Sowjetunion in den heißen Zeiten des Kalten Krieges Atomtests durchgeführt hat. Dieser Ort biete, so die Künstlerin so etwas wie „ein Bild davon, wie die Erde sein könnte, wenn man auf sie zurückblickt“. Die Landschaften, die wir in dieser Ausstellung sehen, sind vielfach vom Menschen verlassen, nachdem er sie unbewohbar gemacht hat. Keine beruhigende Perspektive.



Ursula Schulze-Dormburg: The Land In-Between. Bis zum 9. September. Weitere Information >>>

 


 

Ab dem 9. September sind Bilder von Ursula Schulze-Dormburg auch auf der Raktenstation Hombroich bei Neuss zu sehen. Weitere Information >>>