In Stuttgart und Frankfurt wurden jüngst wichtige und für das Selbstverständnis der jeweiligen Stadt wesentliche Kulturbauten fertiggestellt. Eine Ballettschule in der einen, eine Erweiterung des Jüdischen Museums in der anderen Stadt. Beide Häuser vereint nicht nur, dass sie weiterführen, was als besonderes Merkmal der Stadt gilt. Beide verleihen auch dem Anspruch Präsenz, das kulturelle Erbe zu pflegen und weiterzuentwickeln.
1998 wurde in Frankfurt eine Ausstellung eröffnet, die den Titel trug, der für diesen Beitrag entlehnt wurde: „Wer ein Haus baut, will bleiben. 50 Jahre Jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main.“ Verbunden wird dieses Zitat mit Salomon Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurts und Architekt des Jüdischen Gemeindezentrums, das 1986 eröffnet wurde. Zwei Jahre später eröffnete zwischen Main und Oper das Jüdische Museum im Rothschild-Palais. 1846 hatte sich die Familie Rothschild das 1820 errichtete Haus erworben. Zusammen mit dem danebenliegenden Haus hatte sie es als Bibliothek 1928 an die Stadt Frankfurt übergeben. Das Jüdische Museum der Stadt Frankfurt am Main ist das älteste eigenständige Jüdische Museum der Bundesrepublik Deutschland. Juden haben Frankfurt außerordentlich stark geprägt, im Finanzwesen, in Wissenschaft und Bildung, als Mäzene und Stifter. 2011 beschloss die Stadt, das Museum zu erweitern, mehr Raum für Ausstellungen und Veranstaltungen anzubieten, die Bibliothek präsenter zu machen. Den Wettbewerb, der auch den Umbau und die Sanierung des Bestands einschloss, entschieden nach Überarbeitung Staab Architekten für sich – am 21. Oktober ist das Museum nun eröffnet worden.
Die Architekten standen vor der Aufgabe, die bisherige Rückseite das Palais, das sich immer zum Main orientiert hatte, zur Eingangsseite zu machen. Die Fläche dafür war weniger die Herausforderung. Aber sie ist zwischen der Rückseite von Schauspiel und Oper an einer Straße gelegen, die als Nadelöhr zwischen Bahnhofsviertel, Cityring und Main stark frequentiert ist. Der Entwurf von Staab Architekten reagiert darauf mit einem kantigen Monolith, der zumindest von Außen wenige Öffnungen zu bieten scheint. Dank der polygonalen Form und asymmetrisch ansteigenden Traufkanten wird der Raum suggestiv geformt: Zur Straße hin wirkt er wie ein kleines, abschirmendes Bollwerk, das aber bereits auf den offenen Hof weist, der vor der Westseite angelegt ist.
In diesen Hof, den Bertha-Pappenheim-Platz, mündet eine schmal an der Oper vorbeigeführte Verlängerung des Grünraums der Wallanlagen, hier liegt der von der Straße abgewandte Eingang ins Museum. Vom Platz her gesehen zieht die Dachform das Gebäude in die Länge, streckt den Raum in die Tiefe, macht ihn großzügiger.
Staab Architekten war daran gelegen, sowohl das Rothschild-Palais als auch den Erweiterungsbau als eigenständige Solitäre lesbar zu lassen. Und dennoch führt er beide souverän zu einem Ensemble zusammen. Die horizontalen Linien, nach oben mit größeren Abständen gesetzt, nehmen dem Körper die Wucht, ohne ihn zu brechen. Zwischen Palais und Erweiterung liegt die Terrasse des Cafés, die nicht von außen zugänglich sein durfte. Ein kleiner Graben, mit einer Skulptur Ariel Schlesingers bestückt – sie symbolisiert die Ver- und Entwurzelung – stellt diesen Anspruch sicher, ohne dass dies als Sicherheitsmaßnahme sichtbar würde. Überhaupt wurde sehr darauf geachtet, dass die einladende Geste, die das neu gebildete Ensemble formuliert, nicht durch Sicherheitseinrichtungen gestört wird.
Dass die Fassade nur im Sockelbereich und in den Wandungen der Öffnungen mit Sichtbeton, darüberhinaus in einer cremefarbigen Putzhaut versehen wurde, ist dem Kostendruck geschuldet gewesen, schadet aber letztlich der Wirkung nur wenig.
Betritt man über den Eingang das Foyer, wird auch verständlich, warum dieser Erweiterungsbau „Lichtbau“ genannt wird. Die polygonale Form ist hier als ein um ein helles Atrium angeordnetes Raumkonzept lesbar – eine ideale Antwort auf die Frage, wie der Zugang zu Wechselausstellung, Bibliothek, Veranstaltungsräumen, Café und zur ständigen Sammlung im alten Palais übersichtlich und selbstverständlich organisiert werden kann. Dank leicht versetzter Ebenen ist hier ein beeindruckend vielfältiger Raum entstanden. Durch Oberlicht und große Fenster zum Hof ist der geschlossene Eindruck des Äußeren verschwunden. Man kann immer irgendwo nach draußen oder ins Atrum schauen, das macht es leicht, sich zu orientieren. Der Außenraum wird zum Teil des Inneren. Sichtbeton, ein dunkler Kupferton bei den Fensterrahmungen aus eloxiertem Aluminium und als Pulverbeschichtung beim Geländer, Holzflächen aus Esche überall dort, wo sich die öffentlichen Räume zum Atrium orientieren – der dezente Materialmix bewahrt den Eindruck, im Inneren des Monoliths zu sein, ohne das Gefühl von Enge oder Kälte entstehen zu lassen. Im Gegenteil wirkt diese Erweiterung innen sehr großzügig und geräumig.
600 Quadratmeter neuer Fläche für Sonderausstellungen liegen im Untergeschoss, die Bibliothek im Obergeschoss bietet ein großartiges Lesezimmer. Eine große Fensterfläche von etwa vier mal sechs Metern öffnet sich hier zur Stadt, bedauerlicherweise musste die Scheibe geteilt werden. Hier zeigt sich, wie sehr das Gebäude vom Inneren her konzipiert ist und man sich in der äußeren Erscheinung darauf konzentrierte, auf die Wirkung des Monolithischen zu achten: So sehr das Fenster von innen als Öffnung zur Stadt erlebt wird, so wenig kann es als öffnende Geste von außen gelesen werden, wo es eher fremdartig denn einladend wirkt. Die Idee von Architektur ist hier eine grundsätzlich andere als die auf Raster und Struktur im Innern wie im Außen beruhende John Cranko Schule in Stuttgart – siehe unten.
Am tiefsten Punkt des Foyers, wo ein Panoramafenster sich zum Hof und auf die Skulptur Schlesingers öffnet, liegt der Eingang zum Altbau, in den man über den etwas engen, aber fein und wirkungsvoll sanierten und in Licht getauchten Treppenturm gelangt. Im Altbau, in dem die ständige Ausstellung über das jüdische Leben in Frankfurt neu inszeniert wurde, sind die Räume behutsam saniert und auf der Basis der bestehenden Struktur als Rundgang angelegt worden. Die postmodernen Zutaten des Museums sind dabei weitgehend wieder verschwunden, im Verwaltungsgeschoss blieben wenige aus denkmalpflegerischen Gründen erhalten. Das Palais wird sonst von der bürgerlichen Atmosphäre des 19. Jahrhunderts dominiert.
Insgesamt wurde die Nutzfläche des Museums mit dem Lichtbau in etwa verdoppelt. Es kann nun viel mehr als Ort der Begegnung genutzt werden, wofür nun auch der Außenraum einbezogen werden kann: ein deutliches Signal, wie man Stadtgesellschaft als Miteinander verstehen will.
Jüdisches Museum Frankfurt – Umbau und Erweiterung. Bertha-Pappenheim-Platz 1, 60311 Frankfurt am Main
Bauherr: museumbausteine GmbH im Auftrag der Stadt Frankfurt am Main
Architektur: Staab Architekten, Berlin
Per Pedersen, Anke Hafner (Projektleitung)
Bauleitung: schneider+schumacher Bau- und Projektmanagement GmbH, Frankfurt am Main
Ausstellungsarchitektur: Space4, Stuttgart
Lichtplanung: Licht Kunst Licht
Wettbewerbsentscheidung: 29. April 2013
Bauzeit: Dezember 2015 – Oktober 2020
Bruttogeschossflächen: Altbau 3.649 qm, Neubau 4.211 qm
Nettoflächen: Altbau 2.287 qm, Neubau 2.380 qm
John Cranko Schule, Stuttgart
Stuttgarts Bühnen sind bekannt für ihre Ballettsparte. Begründet hat diesen Ruhm der Choreograf John Cranko; um sein Erbe zu bewahren, gründete er 1971 die Stuttgarter Ballettschule, die heute seinen Namen trägt. Zwei von drei Mitgliedern der Stuttgarter Kompanie werden hier ausgebildet. Die Räume waren freilich im internationalen Kontext schon lange nicht mehr wettbewerbsfähig. Stadt und Land entschieden sich daher für einen Neubau – in direkter Nachbarschaft zur bestehenden Schule, aber mit einem deutlich umfangreicheren Raumprogramm, mit einem Internat für bis zu 80 Schülerinnen und Schüler, mit vier kleinen und drei großen Proberäumen und einer Bühne, die Aufführungen vor 200 Gästen erlaubt, wenn die aktuellen Einschränkungen nicht mehr bestehen.
Den Wettbewerb für diese Schule gewann vor neun Jahren das Münchener Büro Burger Rudacs Architekten. Ihr Entwurf reagiert auf die besondere Lage, die dem Haus mehrere Ansichten beschert. Das Grundstück über einem historischen Wasserspeicher, an einem Hang direkt hinter der Staatsgalerie, mit Blick auf den Hauptbahnhof gelegen, war lange frei geblieben. Oben und unten von Straßen flankiert, galt es, die Straßenansichten ebenso wie die Ansicht vom Bahnhofsturm oder der gegenüberliegenden Hangseite einzubinden, von der Straße aus zu denken wie die Hanglage in das Konzept einzubinden.
Erstaunlicherweise waren unter den mit einem Preis ausgezeichneten Büros Burger Rudacs die einzigen, der eine abgetreppte Skulptur vorschlugen und aus der Hanglage eine terrassierte, durch Einschnitte klug segmentierte Struktur ableiteten. Zur das Grundstück oben flankierenden Werastraße wurde als viergeschossiger Riegel das Internat ausgerichtet, so dass sich von hier aus die städtebauliche Struktur der großen Stadtvillen fortsetzt, nach unten, zur Urbanstraße hin prägt eine mächtige Sichtbetonwand markant die Straße – vielleicht dem ein oder anderen ein wenig zu abweisend, denn hier liegt auch der Eingang zur Veranstaltungsbühne – die nicht nur öffentlichen Aufführungen dienen soll, sondern des Stuttgarter Opernhauses auch so genau gleicht, dass der Wechsel zum Aufführungsort, der gerade mal hundert Meter entfernt ist, reibungslos funktioniert.
Topografie und innere Organisation greifen perfekt ineinander. Die einzelnen Segemente der Anlage sind in sich so durch Höhenunterschiede und Einschnitte für kleine Höhe an der Nordseite gegliedert, dass die Wucht der großen Baumasse – 13.000 Quadratmeter Raumprogramm – mehrfach gebrochen werden kann. Aufgebaut ist der Entwurf dabei auf einem Raster von 3 Metern – 90 mal 36 Meter misst das Bauwerk, 9 mal 9 Meter und 12. mal 12 Meter messen die Proberäume.
Im Innern wird die Topographie quasi gespiegelt. Eine lange Treppenanlage verbindet die obere Eingangsebene mit den darunter liegenden Geschossen, zur einen Seite befinden sich jeweils ein großer und ein kleiner Probesaal, Musik- und Unterrichtszimmer sowie ein Fitnessstudio. Ein Gang quer zur Hangrichtung gibt von durch eine raumhohe Verglasung den Blick in den jeweils darunter liegenden großen Probensaal frei. Zur anderen Seite der Treppe befinden sich Räume für die Lehrer, Verwaltung, ein Leseraum und dort, wo die Treppe auf dem Geschoss endet, je eine kleine Loggia. Gerade aus, zum Tal hin, sind in Verlängerung der Flure Terrassen zugänglich, von denen der Blick über die Innenstadt schweifen kann.
Zwei Ausnahmen gibt es von dieser stringenten Ordnung, mit deren Hilfe klug vermieden wird, bessere und schlechtere Probenräume zu schaffen. Von vorneherein geplant war es, das der obere große Probenraum ohne Tageslicht auskommen muss, da er unter den Hof der Mensa geschoben wurde, damit dieser ebenerdig erreicht werden kann.
Dass die Treppenanlage nicht von oben bis unten durch das gesamte Gebäude führt, war nicht von Anfang an geplant. Sie endet, bevor sie den unteren Saal erreicht – auf Wunsch der Leitung des Hauses, damit keine Verbindung zwischen Aufführungssaal und Schule besteht. Dieser untere Saal ist mit einem kleine Foyer ausgestattet, hat außen einen Balkon zur Stadt auf der ersten Geschossebene. Leider entspricht diese spätere innere Änderung auch einer äußeren: Im Wettbewerb war auf dem Grundstück noch parallel zur Schule ein öffentlicher Weg vorgesehen – ihn gibt es zwar, doch er wird nicht öffentlich sein dürfen. Zu groß war die Angst der Schule, die großen Fenster könnten Voyeure anlocken. Doch noch hat man sich nicht endgültig geeinigt – immerhin hatten Stadt und Land den öffentlichen Weg 2015 vertraglich vereinbart.
Der Qualität der Architektur tut dies aber keinen Abbruch. Mit einer bewundernswerten Konsequenz gelingt es den Architekten, die Klarheit der Struktur auch in der Konstruktion abzubilden. Bauweise und Gestalt, Material und Atomsphäre werden als Einheit verstanden und inszeniert. Die sorgfältige geplante und ausgeführte Betonkonstruktion, zweischalig an den Außenwänden und einschalig im Innenbereich, nimmt die Technik auf, die so nicht als ein Zusatz erscheint oder verkleidet werden musste: Elektroinstallation, Sprinkleranlagen, Betontemperierung und Entwässerung. Die Materialien sind so wenig wie möglich verfremdet oder gestrichen. Das ist gleichzeitig Aussage wie Prinzip: Architektur erhält ihre Qualität aus den Bedingungen heraus, aus denen sie produziert ist und nicht durch eine ergänzte und verändernde Schicht, die ersetzt werden könnte. Der Sichtbeton wird durch Elemente ergänzt, die durch ihre Eigenqualität wirken: Lackiertes Holz innen und eloxiertes Aluminium außen für die Glasrahmen, teilweise mikroperforierte Holzverkleidungen, PUR-beschichtete Fußböden. Verglasungen und Durchgänge sind geschosshoch, Rahmen werden flächenbündig eingesetzt.
Gut 60 Millionen hat dieses überzeugende Bekenntnis für eine Ausbildung auf höchstem Niveau gekostet. Es ist darüber ein nicht unerheblicher architektonischer Gewinn für die Stadt. Wenn die Schule nicht nur zum dauerhaft hohen Niveau des Balletts führen würde, sondern das Haus auch als Verpflichtung zur architektonischen Qualität wäre – was mehr könnte man sich wünschen?