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Kultur für alle

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Eingangsansicht von Norden.

Bauen auf dem Land ist keine einfache Sache. Angemessenheit und der Respekt vor dem Kontext werden nicht selten als eine Attrappe dessen missverstanden, was man romantisierend für ländlich hält. Reine Pragmatik bringt andererseits auch selten erbauliche Ergebnisse hervor: Meist ist es mit vermeintlichem Realitätssinn verbrämte Fantasielosigkeit. Wie es ohne falsches Pathos und ohne ernüchterndes Understatement gehen kann, zeigt eine neue Veranstaltungshalle im Süden von Rheinland-Pfalz.

Kulturhalle in Schaidt, Wörth am Rhein, AV1 Architekten, Kaiserslautern
Fotos: Michael Heinrich, München


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Ansichten von Osten. Totale (oben) und Anschluss Servicebereich – Halle an der dem Eingang abgewandten Seite.

Vor Kurzem hatte Wolfgang Bachmann hier zur Diskussion gestellt, dass Architektur auf dem Land allzuoft ein Fremdwort sei. Ob es in der Stadt soviel anders ist und nur nicht so sehr auffällt, weil die Dichte zu einer Ordnung zwingt, die mehr verzeiht als bei freistehenden Bauten, sei dahingestellt. Halten wir stattdessen das gute Beispiel hoch.
Eines davon steht in Schaidt, einem Stadtteil von Wörth am Rhein, und es ist gerade fertig geworden. Das Dorf Schaidt ist ein gutes Stück vom Rhein entfernt, nahe der französischen Grenze. Es ist gewiss nicht der Ort, der von der neuen Liebe zum Land profitiert, die teilweise auch von den horrenden Mieten in den prosperierenden Städten erzwungen wird. Aber vielleicht gewinnt der Ort gerade dadurch, dass er nicht zum Pendlerort geworden ist: Mit einer für die Region typischen Fachwerkbebauung und der gut erkennbaren Struktur des Straßendorfs kann man von einem auch äußerlich noch recht intakten Dorf sprechen. Im Süden schließt sich der Bienwald an, ein großes Landschaftsschutzgebiet mit einem reichhaltigen Mosaik verschiedener Biotoptypen, die Wildkatze ist hier beheimatet.

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Innenansichten der Halle mit Blick in Richtung Bühne (links) und Foyer.

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Das Foyer mit Blick in Richtung Garderobe.


Aus einem Guss


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Grundriss, Schnitte, Lageplan. In höherer Auflösung hier >>>

Langer Rede kurzer Sinn: Hier mit Holz zu bauen ist unabhängig von aktuellen Diskussionen über die Nachhaltigkeit und Qualität dieses faszinierenden Baustoffs naheliegend. 2016 hatte die Gemeinde ein Verhandlungsverfahren zum Neubau der Kulturhalle ausgelobt, die alte – 1960 errichtet und 1978 umgebaut – war zu klein und hatte bautechnische Probleme bereitet. Am Ortsrand, dort, wo der Bienwald beginnt, hatte man in Nachbarschaft zu den örtlichen Sportanlagen ein geeignetes Grundstück für den Neubau gefunden; er durfte nicht viel kosten, da der Ortsteil nicht auf nennenswerte Zuschüsse zurückgreifen konnte. AV1 Architekten setzten sich mit ihrem Vorschlag durch, den sie im Rahmen des Verhandlungsverfahrens in Form von Planungs- und Funktionsskizzen gemacht hatten – am 3. Oktober nun konnte die neue Halle nach zwei Jahren Bauzeit eröffnet werden. Sie dient den Vereinen des Orts als Veranstaltungs- und Aufführungsort und war lange schmerzlich vermisst worden. Darum, dass diese Halle intensiv genutzt wird, braucht man sich auf lange Sicht keine Sorgen machen.

Das Raumprogramm ist übersichtlich. Ein Veranstaltungssaal für etwa 350 Sitzplätze an Tischen, eine feste Bühne von etwa 65 Quadratmetern, eine Küche, Nebenräume, das war‘s. Dass man dem fertigen Bau die Pragmatik nicht ansieht und dass keine Architektur der falschen Pose entstand, ist eine reife Leistung. Zu schweigen davon, dass zum Glück kein ländliches Bauen in vermeintlicher Anpassung an ländliche Traditionen oder das, was man dafür hält, vorzufinden ist. Beschreibt man die Kubatur, könnte man von zwei aneinandergefügten Quadern sprechen, der große für Saal, Foyer und Bühne, der kleine, niedrigere, für die Küche, Sanitär, Lager, Technik. Das Foyer ist in der Längsseite dem Saal vorgelagert und ebenso hoch wie dieser. Glastüren und Festverglasungen sorgen dafür, dass man schon von außen in den Saal und durch ihn hindurch in den sich an die Halle angrenzenden Wald schauen kann.


Nicht zu viel, nicht zu wenig


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Detailschnitt der Fassade. Zum Schnitt mit Legende, Ansicht und Horizontalschnitten hier >>>

Es ist keine Überraschung, dass die Kosten bei diesem Projekt für einen kleinen Ort eine wesentliche Rolle spielen mussten. Aber das ist für das Bauen auf dem Land nichts Neues. Daraus hat sich entwickelt, was die Moderne erst wieder entdecken musste: den Zusammenhang aus repräsentierenden und ontologischen Aspekten der Konstruktion – mit Kenneth Frampton gesprochen. Etwas banaler ausgedrückt heißt das, dass aus der Funktion und der Konstruktion Form und Gestalt entwickelt werden. Jede Scheune folgt diesem Prinzip. Diese Halle ist zwar keine Scheune. Aber sie ist so gedacht wie eine Scheune: als eine pragmatische Lösung, die den Bezug zu dem, wofür sie gebaut ist, sichtbar macht. Und weil hier keine Hänger und Maschinen abgestellt, kein Stroh und keine Rüben gelagert werden, sieht die Kulturhalle eben auch nicht wie eine Scheune aus. Diese Halle ist der Ort für die besonderen Momente im Dorf- und Vereinsleben.

Die Konstruktion aus Fichtenleimholz mit Holzstützen und -trägern ist im Innern sichtbar, die Felder dazwischen sind mit Holzpaneelen geschlossen, die Oberflächen so gestaltet, dass die Halle akustisch funktioniert. Die Details sind so sorgfältig geplant, dass sie sich nicht aufdrängen und die Wirkung des Raums unterstreichen – beispielhaft hierfür die in die Träger integrierte Beleuchtung. Außen schafft eine vorgelagerte großzügige Loggia einen überdachten Vorbereich. Diese Konstruktion ist so vor den niedrigen Anbau gezogen, dass dieser nicht wie eine angeklebte Kiste in Erscheinung tritt. Aus der Höhe der Eingänge und Verglasungen und den verschiedenen Geschosshöhen wurde eine Dreiteilung der Fassade abgeleitet. Sie ist aus lasierter Lärche und rhythmisiert die Fassade in ausgewogenen Proportionen, geben ihr durch das Schattenspiel Struktur und Lebendigkeit. Eine abstrakte Attika umschließt das Gebäude und fasst es zusammen. Aus Kostengründen wurden die Servicebereiche als Massivbau in Mauerwerk ausgeführt, 20 Zentimeter Wärmedämmung und eine Wärmepumpe sorgen dafür, dass die Energiebilanz stimmt.

Es tut einfach gut: Nichts an diesem Bau wirkt gekünstelt oder gewollt, sentimental oder aufgedonnert. Er ist weder zu bescheiden, noch übertreibt er mit repräsentativen Gesten. Er stellt seine Nachbarschaft nicht bloß und hebt sich doch wohltuend von ihr ab. Die Kulturhalle ist nicht nur eine für die Kultur des Ortes. Sie ist Kultur.

 


Kultur Halle Schaidt / Wörth am Rhein

Bauherr: Stadt Wörth am Rhein
Vertreter: Frau Giese, Herr Gröger
Nutzer: Gemeinde Schaidt
Beauftragung: Zuschlag nach VgV-Verfahren mit Planungsvorschlag
Architekur, Lichtplanung, Bauleitung: AV1 Architekten GmbH
Projektleitung: Prof. Michael Schanné
Projektteam: Prof. Michael Schanné, Maryse Trautsch, Philipp Wendel, Gabriele Völker-Schanné
Tragwerk: SLP Ingenieurbüro für Tragwerksplanung GbR, Weinbrennerstr. 18, 76135 Karlsruhe, Herr Linsin
HLS: Ingenieurbüro für Haustechnik Klenert, Kanzlerstr. 8, 76227 Karlsruhe, Herr Klenert
Elektro: IBEAS GmbH, Am Hasenbiel 18a, 76297 Stutensee, Herr Konanz
BGF: 1230 Quadratmeter
Kosten (KG 300+400): 3,8 Mio Euro (brutto)