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Gretchen und Faust schlendern durch Marthe Schwerdtleins Garten, als das im Glauben erzogene Mädchen seinen reifen Verehrer fragt: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“ Die Religionszugehörigkeit gewinnt immer wieder unterschiedliche Relevanz, was der Bauaufgabe „Sakralbau“ ihren Reiz verleiht.


Wilfried Kühn sieht das ganz richtig, dass es nämlich kaum einen einfacheren Weg gibt, „jemanden zu verprellen, als ein Gespräch über Religion anzufangen“. Er ist neben Paul Böhm, Jost Haberland und Andreas Meck einer der Gesprächspartner von Ansgar und Benedikt Schulz, die anlässlich ihrer Ausstellung über den Bau ihrer Propsteikirche in Leipzig diese Kollegen zu einem öffentlichen Gespräch eingeladen hatten. Neben den Architekten assistierten fallweise die Redakteure Frank Kaltenbach oder Nils Ballhausen.

Religion und Stadt. Positionen zum zeitgenössischen Sakralbau in Deutschland. Hrsg. von Ansgar und Benedikt Schulz. Berlin 2018. ISBN 978-3-86859-546-8, 28 €

Religion und Stadt. Positionen zum zeitgenössischen Sakralbau in Deutschland. Hrsg. von Ansgar und Benedikt Schulz. 17 x 23,5 cm, 96 Seiten, zahlr. Abbildungen. Berlin, Jovis Verlag 2018. ISBN 978-3-86859-546-8, 28 €

Katholisch zu sein, bekennen die beiden Leipziger Kollegen, war für sie als Kinder selbstverständlich. Damit ist aber keine für einen Architekten unabdingbare Voraussetzung genannt, um eine Kirche zu entwerfen. Es bedarf dazu keiner religiösen Bindung, „definitiv nicht“, sagt Ansgar Schulz an anderer Stelle. Oder genau umgekehrt: Die Beschäftigung mit dem Kirchenbau kann Architekten „im Idealfall zu Erkenntnissen führen, die sich auf profane Aufgaben übertragen lassen“. Und was ist das Besondere bei dieser Bauaufgabe? Es sind die besonderen Raumqualitäten, der Übergang vom bauphysikalisch zu beschreibenden Licht zum Metaphysischen der Transzendenz. Andreas Meck und Benedikt Schulz verständigen sich darauf, dass es das Besondere eines sakralen Raumes sei, „die Menschen zu emotionalisieren“. Kirchenbauten dürften deshalb nicht unauffällig bleiben, „sondern im Material als auch in der Form und der Proportion“ einen gewissen Autonomieanspruch vertreten (Jost Haberland). Während man bei profanen Bauten „eine gewisse Unsichtbarkeit“ (Wilfried Kühn) zugunsten des städtischen Kontextes verfolgen wird, sollen Kirchen einen Bruch zeigen. Denn „Religion“, so Kühn weiter, ist ein prägendes Element der Menschheitsgeschichte.“ Das erinnert mich an eine Predigt von Gregor Gysi, die er im Lutherjahr in der Speyerer Gedächtniskirche gehalten hat. Er bekannte sich zwar als Agnostiker, betrachtete diese Überzeugung jedoch nicht als erstrebenswerte Lebenshilfe, weil er sich vor einer Welt fürchte, in der es keinen Glauben und kein Gottvertrauen mehr gebe.

1846_REZ_Kirche_2Aber die hier zusammengetroffenen Architekten dilettieren nicht in Theologie, sie sprechen über Architektur und finden zu hehren Worten wie „Geborgenheit, Erhabenheit und Offenheit“, deren Wirkung man aber nicht nachmessen kann. Paul Böhm sagt es kryptisch: „Der Raum muss so hoch sein, dass die Seele sich öffnen kann.“ Und kommt zu der für Architekten naheliegenden Frage, ob die Abwanderung der Menschen aus den Kirchen im Zusammenhang mit deren banalisierter Baugestaltung zu erklären sei. Architektur als Migrationshintergrund? So einfach ist es nicht. Aber die Realisierung eines Gebäudes mit einer kollegialen Auseinandersetzung zu begleiten und in Buchform festzuhalten, ist eine beispielhafte Initiative.

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