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Europäisches Zentrum für Bodenproben 
Orléans, 2014. 
Architekten: Design & Architecture (Bruno Marielle, Milena Stefanova); NAMA Architecture (Arnaud Misse, Jean-Marie Le Tiec, Sébastien Freitas) 
Foto: Paul Kozlowski / photoarchiecture.com; Jérémie Basset, amáco


Energieaufwändig, Ressourcen ausbeutend, klimaschädigend: So wie wir heute bauen, verbauen wir nachfolgenden Generationen die Zukunft. Lehm ist ein Baustoff, der das Potenzial hat, den Weg aus der Sackgasse zu weisen. Eine Ausstellung in Stuttgart zeigt, was mit Lehm möglich ist.

Die Zeit ist reif, den traditionellen Baustoff Lehm wiederzuentdecken – so Iris Lenz, die Leiterin der Stuttgarter ifa-Galerie. Und sie verweist auf den ausgehenden Rohstoff Sand, der die Verwendung des bislang alternativlos erscheinenden Betons begrenzt. Beton sei eben kein nachhaltiges Material. Und die Kuratorin Dominique Gauzin-Müller ergänzt, dass die Zementproduktion weltweit etwa für 7 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich ist – Beton sollte deswegen gezielt nur dort eingesetzt werden, wo er nicht durch andere Materialien ersetzt werden kann.

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Schäferhäuser
 aus Stampflehm in Pilbara, Westaustralien, 2014. Architekt: Luigi Rosselli
. (Preisträger) Foto: Edward Birch

Lehm hingegen, einer der ältesten Baustoffe der Menschheit, ist wiederverwendbar, weitgehend CO2-neutral, sorgt für ein ausgeglichenes Raumklima und ist fast überall auf der Erde verfügbar. Ein Drittel der Weltbevölkerung lebt heute in Lehmbauten; bereits im 19. Jahrhundert wurden fünfstöckige Häuser in Deutschland und Frankreich errichtet, so etwa hundert allein in Lyon; und sie stehen noch heute.

Die Ausstellung „Lehmarchitektur heute“, die seit dem 19. Oktober in der ifa-Galerie Stuttgart zu sehen ist, zeigt die acht Preisträger des Terra Award, der 2015 zum ersten Mal ausgelobt worden war, und 32 weitere Bauten. 357 Projekte waren eingereicht worden, aus denen eine erste Jury die 40 Projekte ausgesucht hat, die nun in der Ausstellung und im Katalog zu sehen sind, bevor die zweite Jury unter Vorsitz von Wan Shu die Preisträger ermittelte. Weitere 20 hielt man außerdem für eine Erwähnung wert, auch sie werden vorgestellt, wenngleich deutlich weniger ausführlich.

Für alle Bautypen

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Öffentliches Bad und Backhaus
 in Marugame, Japan, 2013
. Architekten: Tadashi Saito, Atelier NAVE

Foto: Toshihiro Misaki

Zu sehen sind Wohnhäuser, Schulen, Kultur- und Gewerbebauten aus allen Erdteilen; das älteste ist die mit einem Preis gewürdigte  große Skulptur des deutschen Künstlers Hannsjörg Voth, die er 2003 in der marokkanischen Marha-Ebene errichtete: „Himmelstreppe und Stadt des Orion“. Das größte Projekt ist der über 25000 Quadratmeter messende Zentralmarkt in Koudougou (Burkina Faso) von den Architekten Laurane Séchaud und Pierre Jéquier. Und das (vermutlich) bekannteste ist das Ricola Kräuterzentrum in Laufen in der Schweiz, das Herzog & de Meuron entwarfen. Sie haben dabei mit dem umtriebigen Martin Rauch zusammengearbeitet , jenem Unternehmer, dessen Energie und Engagement für die Renaissance des Lehmbaus mit verantwortlich ist, hat er doch mit seinen Experimenten und Innovationen in Produktion und Konstruktion dafür gesorgt, dass Lehmarchitektur nicht mehr der Touch alternativen Aussteigerästhetik anhängt, der ihr fast schon zum Fluch geworden war. In Laufen hat er für die freitragende Stampflehmwand eigens eine Produktionshalle neben der Baustelle errichtet, in der die Wandelemete vorgefertigt und getrocknet wurden, bevor sie verbaut wurden.

Stampflehm ist eine der Techniken, nach denen die in der Ausstellung vertretenen Projekte kategorisiert wurden – zudem sind Lehmziegel, gepresste Lehmsteine, Strohlehm und Wellerbau als Verarbeitungs- und Konstruktionsmethoden durch Projekten repräsentiert. Was diese Methoden im einzelnen ausmacht, wie der Lehm be- und verarbeitet wird, zeigen leicht verständlich Tafeln mit comicartigen Zeichnungen von Paulin Semon; von Studierenden erstellte Arbeitsproben machen anschaulich, welche unterschiedliche ästhetischen Qualitäten Lehm haben kann.



Architektur von heute für die Welt von morgen

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Gemeindebibliothek in 
Ambepussa, Sri Lanka, 2015. 
Architekten: Robust Architecture Workshop (Milinda Pathiraja, Ganga Ratnayake)

Foto: Kolitha Perera

Im Mittelpunkt aber steht die Architektur, die als dezidiert zeitgemäße präsentiert wird – gezielt soll der Eindruck vermieden werden, mit Lehm zu bauen müsse sich durch eine Erscheinungsform auszeichnen, die in Opposition zu gängigen Vorlieben tritt. Scharfkantige klare Formen in bester Komposition aus Kuben und Flächen zeigt das europäische Zentrum für Bodenproben in Orléans (Design & Architecture mit NAMA Architecture), ein Meditationszentrum in Palo Alto, Klaifornien (Aidlin Darling) oder ein städtisches Hallenbad im spanischen Toro (Antonio Raya, Cristóbal Crespo, Santiago Sánchez, Enrique Antelo). Gezeigt werden auch eine luxuriöse Wohnanlage in Kolumbien oder ein Hotelkomplex in Australien, Architektur, in der der Lehm den Weg in die Gesellschaft der Gutverdiener gefunden hat, für die er Teil ihres Lifestyle-Codes werden könnte. Daneben finden sich aber auch die Projekte,  in denen Lehm Teil einer ganzheitlichen Strategie ist, die dzu beiträgt, die Lebensumstände von Menschen zu verbessern – eine Schule in Burma (Line Ramstad unt Verein Gyaw Gyaw), ein Ausbildungszentrum für Elektriker in Bangladesch (Anna Heringer) oder ein Dorf, das nach einem Erdbeben wiederaufgebaut wurde und das sich auch deswegen an traditionelle Techniken anlehnt, weil die sich als widerstandsfähig gegen Erdbeben erwiesen haben.


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Wiederaufbau eines Dorfes nach einem Erdbeben 
Ma’anqiao, China, 2008. 
Architekten: Mu Jun, Edward Ng, Zhou Tiegang, Wan Li, Ma Jie. 
Foto: Wu Zhi Qiuo / Bridge to China Charitable Foundation

Der Bau einer Gemeindebibliothek in Sri Lanka diente so unter anderem dazu, Soldaten, die im Bürgerkrieg gekämpft hatten, handwerklich auszubilden, um ihnen den Weg zurück in die Gesellschaft zu ebnen und dadurch dazu beizutragen, dass die Wunden, die der Bürgerkrieg gerissen hat, zu heilen (Robust Architecture Workshop). Die Ausstellung hält so die Waage aus Arbeiten engagierter Architekten und Bauherren, Projekten, die im Bewusstsein von Verantwortung für Mensch und Umwelt errichtet wurden und solchen, die die Vorstellung beflügeln, Lehm könnte viel mehr als bislang Teil einer gebauten Normalität werden. So wurde auch ein einfaches ländliches Wohnhaus im nördlichen Spanien ausgezeichnet, das zeigt, wie sich Architektur in den Kontext eines Dorfes fügen kann (Angels Castellarnau Visus). Hier sorgt ein traditioneller Kalkputz dafür, dass der Lehm ausreichend gegen Witterungseinflüsse geschützt ist.


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Ländliches Wohnhaus für das 21. Jahrhundert in 
Ayerbe, Spanien, 2014
. Architektin: Angels Castellarnau Visus

Foto: Angels Castellarnau Visus

Die Ausstellung, die bereits über 50 Mal weltweit gezeigt wurde, ist nun zum ersten Mal in Deutschland zu sehen – und hoffentlich nicht das einzige Mal. Ein charmantes und so schlicht wie selbstverständliches Einfamilienhaus aus Darmstadt von Schauer und Volhard hat es als einziger deutschen Beitrag unter die 40 ausgewählten Projekte geschafft – anders als die Schweiz, Österreich, Frankreich, Spanien, die jeweils mit mindestens zwei Projekten vertreten sind. Möglicherweise wird die gerade fertig gestellte Alnatura-Zentral in Darmstadt, die die Stuttgarter Architekten Haas Cook Zemmrich mit Martin Rauch projektierten, etwas mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als es Lehmbauten bislang taten. Hier wurde Lehm aus dem Aushub für Stuttgart 21 verwendet – ein Hinweis darauf, dass Lehm bei uns in der Regel auf der Erddeponie landet, wo man ihn doch soviel besser einsetzen könnte.

A propos Marin Rauch. Er ist als einer der Pioniere neben fünf anderen Persönlichkeiten, die sich für zeitgemäße Architektur aus Lehm eingesetzt haben und einsetzen, mit einem Sonderpreis für das Gesamtwerk gewürdigt. So sehr man den Pionieren Respekt als Wegbereiter zollt – man tut das auch in der Hoffnung, dass bald die Phase der Pioniere zu Ende geht. Die Zeit ist reif.


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