Finale der IBA Heidelberg: Die Abschlusspräsentation der IBA vermittelt einen Eindruck davon, was in den vergangenen zehn Jahren in der Stadt in Bewegung geraten ist, angestoßen und bisweilen sogar gebaut wurde. Die Summe der 23 Einzelprojekte zeigt, dass die Zeiten der spektakulären Präsentation menschlicher Errungenschaften nun wirklich vorbei sind und sich Planungskultur verstärkt auf die Mühen anderer Ebenen verlegen muss. Alles keine neuen Erkenntnisse – nun aber mit Erfahrungen aus dem wahren Leben unterlegt.
Vorweg: Ja, die IBA Heidelberg und vor allem ihre Macher sind zu loben. Viele der Projekte wären ohne ihr Zutun nicht so schnell, bisweilen gar nicht oder nicht in der nötigen Qualität zustande gekommen – nicht ohne qualifizierten Rat und viel Tat, nicht ohne die nötige Energie, den Durchhaltewillen, beharrliches Dranbleiben, einen Fuß in der Tür so mancher sperrigen Struktur, viel Hintergrundwissen, Recherche und bisweilen auch Nerven für langwierige Moderation und selbst Mediation, nicht ohne forcierte Offenheit für neue Prozesse, Lust an tiefgehender Befunderhebung und viel Überzeugungskraft, nicht ohne Talent fürs Trommeln und Einwerben von Sympathie bis Geld.
Angesichts von geballter Fachkompetenz und so viel Verve wird am Ende des vielbeschworenen »Ausnahmezustands auf Zeit« Großes erwartet von einer IBA, für die sich eine mittelgroße Stadt im Zeitraum von zehn Jahren erkleckliche Summen vom Munde abspart – oder zumindest nicht anderweitig ausgibt. Eigentlich sollen nicht weniger als eine bauliche Revolution (wie einst auf dem Stuttgarter Weißenhof) oder zumindest das Neueste von Neuesten (wie auf der Interbau) oder etwa konkrete Ansätze zum Umgang mit massiven gesellschaftlichen Verwerfungen (wie etwa entlang der Emscher) zu bestaunen sein. Wer mit solchen Erwartungen an eine heutige IBA so hoch einsteigt, muss enttäuscht werden.
Nice to see
Die 23 Projekte, die durch Geburtshilfe der IBA »aufs Gleis gesetzt« wurden, wie es so schön heißt, sind auch (!) allesamt zu loben. Es gibt zwar welche, die bislang noch auf der Strecke blieben, wie die Erweiterung der Sammlung Prinzhorn: »Outsider Art« aus der Psychiatrie. Und vieles wird derzeit erst angegangen – wie das Zentrum für Sinti und Roma, eine Neckarbrücke und die neue Mannheimer Stadtbibliothek. Einiges kommt möglicherweise über das Stadium der Diskussion kaum hinaus – wie die Strategien für Bergheim. Es gibt aber auch fertige Neubauten zu sehen, die eine Besichtigung wert sind – so zum Beispiel das eben fertiggestellte »Haus der Jugend« des jungen Büros Murr Architekten, das neben einem Hang zu struktureller Aufgeräumtheit, zu angenehmen Materialien und einem hohen Anspruch an saubere Details auch einen sehr wohltuenden Sinn für Raumwirkung erkennen lässt. Verwiesen sei auch auf das schon länger bekannte Stadteilzentrum B3 im zauberhaften Ziegelgewand mit Schule, Sporthalle und Räumen für die Anwohner von Datscha Architekten, Stuttgart, die hochwertige Erweiterung der Elisabeth-von-Thadden-Schule von Kirstin Bartels mit ap88 oder das schicke »Imaging Center« des EMBL (European Molecular Biology Laboratory) von gerstner + hofmeister architekten mit Jürgen Usleber auf waldigter Höh‘. 1)
Hunger nach Leuchttürmen
Man merkt bei dieser Liste aber schon: So richtige Knaller sind nicht darunter. Zu solchen sollen sich in absehbarer Zeit noch der 55 Meter hohe Energiespeicher – eine Art klobiger Wasserturm mit Spaßfaktor von LAVA Laboratory for Visionary Architecture, Berlin – mausern und das von freudlosen Bürobauten verdeckte Kongresszentrum mit Beton-Schwüngen und viel rotem Sandstein von den Baseler Architekten Degelo. In den vorangegangenen Prozessen und in die Gestaltung flossen und fließen hier große Mühen. Doch ob all diese Projekte über die Region hinaus wahrgenommen oder gar als Großereignisse international gefeiert werden, darf man bezweifeln. Jedes für sich ist charmant und hat seine Qualitäten, als Aushängeschilder für ein Bauausstellung, die den Wert einer Fachmesse eigentlich doch weit übersteigen soll, empfehlen sie sich hingegen nur bedingt.
Am ehesten möchte man das Fachpublikum zum Collegium Academicum schicken, das bundesweit erste Wohnheim, das von Studierenden selbst entwickelt und gebaut wurde und dessen Wohnraum über das Modell des Projektverbunds Mietshäuser Syndikat dauerhaft dem Immobilienmarkt entzogen bleibt. Dem Herzblut, mit dem sich die Initiatoren dem wirklich einmal nachhaltigen Projekt verschrieben und sich zu Baufachleuten herangebildet haben, sollte man nachspüren und sich en passant mit dem vielversprechenden System flexibler Raumkonfiguration und der von Stahlverbindungen freien Vollholzkonstruktion befassen – Architekten sind DGJ aus dem benachbarten Frankfurt am Main. Hier verbinden sich alle Ebenen aktueller Baufragen in einem Projekt, bei dem viel gewollt und erreicht wurde – mit Abstrichen an gestalterischen Details, aber eben ernsthaft aufs Wesentliche konzentriert, der Verantwortung für alle Folgen des Bauens wurde eben nicht ausgewichen.
Wie sag ich’s meinen Mitmenschen?
Von einer ganzen Reihe von IBA-Projekten gibt es allerdings nichts zu sehen. Sie leisten auf sozialer Ebene zwar einen wichtigen Beitrag, lassen sich bildlich aber nicht fassen und sind damit auf medialer Ebene als Vollausfälle zu werten: Für eine muslimische Akademie hat man nach fruchtbarer Anschubhilfe inzwischen immerhin einen Bauplatz gefunden. Die Strategien für Bergheim, den Stadtteil zwischen Altstadt und Bahnhof, sind eigentlich nur im Gespräch zu vermitteln; die erhältlichen Diagramme und komplizierten Plakate tun dazu nicht viel. Dabei hat man eigens ein spielerisches Planungsinstrument, die »Diskursmaschine«, entwickelt, mit dem sich soziale Fragen ebenso diskutieren lassen wie Möglichkeiten und Sinnhaftigkeit planerischer Eingriffe. Hier gibt es zwar viel von Diskursprozessen zu erzählen, aber nichts Konkretes vorzuzeigen. Ähnlich beim sogenannten Landwirtschaftspark, der direkt an die Bahnstadt anschließt und im Diskurs mit Anwohnern und Landwirten zum simultanen Agrar- und Freizeitraum entwickelt wird: Die riesigen Planzeichnungen mit Schraffuren und Pfeilen wird mangels Lesbarkeit und Aussagekraft keine Zeitung abdrucken wollen.
Selbst der ganze Stolz der IBA-Equipe, der »dynamische Masterplan« (KCAP, Zürich) für das Patrick-Henry-Village, eine ehemalige Wohnsiedlung der US-Armee, ist nur schwer zu vermitteln. Ohne Erläuterungen bleiben die Pläne gegenüber dem Laien weitgehend stumm, am eher ästhetisch als erhellend wirksamen Stadtmodell in der bis Ende Juni zu sehenden Ausstellung zur Abschlusspräsentation lässt sich nicht viel ablesen. Das riesige Gelände selbst ist derzeit nicht zugänglich. Dabei stecken wertvolle Erfahrungen in dem vielschichtigen Prozess, für den sich die Verwaltung agiles Arbeiten erlaubte und das Heranziehen von Fachleuten ganz unterschiedlicher Disziplinen. Vom Umgang mit Liegenschaften des Bundes, die in städtischen Besitz übergehen sollen, ließe sich so einiges Beispielgebendes erzählen. Die ganze Herangehensweise ist experimentell und mündete in einen Plan, der vorerst nur wenige abschließende Festlegungen enthält und für Unvorhergesehenes offen bleibt. Genau dieses aber verständlich zu vermitteln oder zumindest sprachlich so zu greifen, dass eine Vorstellung vom Wert des Projekts entsteht, schafft noch nicht einmal das IBA LOGbuch No3, welches als Resümee der IBA ansonsten viel Wissenswertes und Erhellendes enthält.
Details sind einfach langweilig
Die IBA Heidelberg steht mit diesem Vermittlungsproblem aber nicht allein da. Selbst gut vernetzte und informierte Kulturschaffende müssen auf Nachfrage mitunter bekennen, vom Format IBA noch nie etwas gehört zu haben. Die Baseler Freiraumaufwertungen und mikroskopischen Sanierungsprojekte haben es ebensowenig ins allgemeine Bewusstsein geschafft wie auch nur eines der für die IBA’27 avisierten, über fünf Landkreise verstreuten Bauvorhaben rund um Stuttgart. In der Landeshauptstadt liest man denn auch eher von der himmelschreienden Unterfinanzierung als vom Wert der einzelnen Projekte. Dabei hat man es dort mit der Wirtschaftsförderung im Rücken noch gut. Heidelberg musste, finanziell vom Land im Stich gelassen, die IBA und die Öffentlichkeitsarbeit allein stemmen.
Und so stellen sich unversehens viele Fragen: nach dem Sinn des Formats IBA überhaupt, nach dessen Sichtbarkeit, dessen völlig in die Irre führenden Namen, der Diskrepanz zwischen den Erwartungen und dem letztlich Erreichbaren.
Am liebsten möchten sich die Initiatoren und Geldgeber im Erfolg und im Glanze weithin strahlender Bauprojekte sonnen. Gerade noch hinnehmbar sind gute planerische und bauliche Lösungen für die spezifischen Problemstellungen vor Ort, sofern sie sich fürs Stadtmarketing ausschlachten lassen. Die Hoffnung, dass eine IBA Leuchtturmprojekte hervorbringt, die gleichzeitig allen vordringlichen Aspekten heutiger Anforderungen an gebaute Umwelt gerecht werden und dann noch als Wahrzeichen medial verwertbar sind, muss man aber leider fahren lassen. Die Materie ist zu komplex geworden. Eine IBA oder gar ein einzelnes Objekt kann den aktuellen Stand von Technik und Planungsinstrumenten so wenig umfassend präsentieren wie eine Architekturbiennale. Die Ausdifferenzierung aller Lebensaspekte ist so weit vorangeschritten, dass wir Innovationen, die sich bisweilen im Mikroskopischen abspielen und sich ohnehin nur dem Fachmann erschließen, nicht mehr einfach so auf einer »Welt«-Ausstellung vorführen können.
Es bleibt also nur, sich den großen Linien zu widmen und sich eine davon auszusuchen.
Wissen gegen Stadt
Heidelberg versuchte es unter dem wolkigen Motto »Wissen | schafft | Stadt« mit der Konzentration auf sein maximal traditionsbehaftetes, wenn auch nicht allzu einzigartiges Alleinstellungsmerkmal, in der Hoffnung, man könne die Universität samt den diversen ansässigen Forschungseinrichtungen in den Dialog mit der Stadtgesellschaft bringen und dabei sowohl die Wissensstandorte als auch andere neuralgische Punkte gemeinsam entwickeln. Kaum mit »banalen« Mitbewerberprojekten wie Kindergärten oder Jugendwerkstätten konfrontiert, war diese empfindliche Klientel aber bereits verprellt. Deren elitären Geist und den Mangel an Gemeinsinn hatte man schlicht unterschätzt.
Stefan Rettich leitet im LOGbuch No3 diese Befindlichkeit aus dem Umstand ab, dass Wissenschaft und speziell die Universitäten Getriebene eines hochökonomisierten, kompetitiven Systems sind, dem sie sich beugen müssen, um im Spiel zu bleiben. Folglich fordern sie Blasen mit idealen Bedingungen für ihre Forschung ein. Die Stadt drum herum spielt kaum eine Rolle, zumal die Verweildauer des Personals den Turnus von fünf Jahren selten übersteigt. Dazu tritt noch die Haltung, aus intellektueller Überlegenheit, Fachkompetenz und Bedeutung im wissenschaftlichen Umfeld erwachse der Anspruch auf die Führungsrolle auf allen Ebenen.2)
Das immerhin steht nun klar vor Augen – und ließ sich wohl schon zu Anfang erahnen. So war Engelbert Lütke Daldrup als Verfasser des Memorandums mit niedrigen Erwartungen gestartet und hatte bescheiden mit »gemeinsamen Lernprozessen« als Ziel der IBA argumentiert.3) Heute ist er zuversichtlich – obwohl die Uni nie mit ins Boot gestiegen ist –, dass die letztlich doch in Gang gekommene Vernetzung von Wissenschaft und Verwaltung samt einem gewissen Qualitätsbewusstsein erhalten bleibt. Eine zufriedenstellende Antwort darauf, wie Wissen Stadt schafft, bleibt hingegen im Dunkeln und lässt sich schon gleich dreimal auf keine knackige Formel bringen.
Systemisches Knausern
Laut Agnes Förster kann eine IBA nur dann Wirkkraft entfalten, wenn sie über Grundstücke verfügt und auch das Mandat und die Mittel bekommt, diese zu entwickeln. Eine große Fehlstelle in Heidelberg. Auch dauerte es eine Weile, bis sich das IBA-Team um Michael Braum das nötige Vertrauen von Verwaltung und Gemeinderat erarbeitet hatte, um außergewöhnliche Planungsaufgaben in neuen Formaten angehen zu dürfen. Ein Vertrauensvorschuss wäre nicht ganz unangebracht gewesen.
Als hätte es das Land Baden-Württemberg als Träger der Unis geahnt, dass hier wenig Anlass zum öffentlichen gegenseitigen Schulterklopfen herauskommt, hat es seine Unterstützung schon gleich zu Beginn verweigert. Überhaupt muss man fragen, warum dieses Bundesland so gar kein ernsthaftes Interesse an Baukultur hat. Seine bestehenden Liegenschaften schleppt es mit wie lästigen Schmutz am Hosenbein, Wettbewerbsergebnisse spart es unter dem Vorwand der Treuhänderschaft für die Allgemeinheit zu Belanglosigkeiten herab, statt sie als Ausweis der Exzellenz der Landesverwaltung zu inszenieren, Denkmäler werden lieber bis zur Abrissreife vernachlässigt als gepflegt, Bauprojekte selbst noch im Kleinen innerhalb lächerlich langer Laufzeiten zwischen persönlichen Partikularinteressen in immer wieder neuen Gutachten zu diesem oder jenem aufgerieben.
Woran liegt’s? Ist es die inzwischen erreichte Regelungstiefe, bei der die Optimierung der Themen innerhalb einzelner Fachgebiete die jeweiligen Nachbardisziplinen ausbremst? Sind es durch steten Tropfen abgeschliffene Kanten und demotivierte Mitarbeiter innerhalb verkrusteter Strukturen? Die Befindlichkeiten der alle Wahlperiode wechselnden Entscheider und der nicht minder dem System der Macht ausgesetzten höheren Chargen? Oder einfach nur deren Angst, für eine Entscheidung gerade stehen zu müssen? Vermutlich all das zusammen. Und dies bringt uns zurück zur IBA und zur Heidelberger Stadtverwaltung. Natürlich sitzen auch dort Personen, die keine Überstunden scheuen, um dem Guten einen Weg zu bahnen, während andere, brillante Köpfe hin oder her, aus welchen Gründen auch immer kein Interesse am Fortkommen bestimmter Planungsschritte an den Tag legen. Die Verstricktheit der Menschen in allerlei Beziehungs- und Interessengeflechten lässt sich strukturell kaum aushebeln. Wer ein Mittel weiß, möge die Hand heben.
IBA für alle!
Es lässt sich nicht verkennen: Das Prinzip IBA als Bau-Ausstellung, als Leistungsschau, als Marketinginstrument hat ausgedient. Selbst als Bauherr zu agieren, ist für IBAs nicht drin. Die Mäzene, wie es sie zu allen Zeiten brauchte, um das Großartige entstehen zu lassen, sind rar gesät und ohnehin sich selbst am nächsten. Und ein gemeinsamer Wille zum Großartigen lässt sich in unserer ausdifferenzierten Gesellschaft kaum mehr herstellen.
So ergab sich schon für vorangegangene IBAs die Tendenz zur Beschränkung auf Prozessgestaltung und Einwirken auf die lokale Planungskultur. In dieser Wirkung nach innen liegt immerhin ihre Stärke, nämlich Perspektiven zu erweitern, Projekte und vor allem Prozesse fachlich zu begleiten, zu stärken gegebenenfalls zu initiieren – und dabei, kaum zu unterschätzen, die Bedeutung der »Planungsphase 0« auch auf städtebaulicher Ebene ins allgemeine Bewusstsein zu rücken.
Allenthalben geht es darum, die Kooperationsbereitschaft zu stärken – es ist ja traurig genug, wenn man das explizit einfordern muss. Aber vielen Beteiligten ist nicht klar, dass Bauen Verantwortung für jedes Detail und alles drum herum bedeutet. Volker Hassemer ließ verlauten: »Wir recyceln jede Blechdose. Aber wir recyceln nicht Erkenntnisse, Verständnis, Überzeugungen hin zu einer besseren Zukunft – das ist eine Schwäche unserer Gesellschaft.«4)
Im Grunde braucht jede Stadt eine IBA. Und die IBA dringend einen anderen Namen. In Heidelberg wird überlegt, die IBA-Mitarbeiter in die Verwaltung zu übernehmen. Klug, denn deren in zehn Jahren angesammelte Expertise wird gebraucht, zur Weiterführung der begonnenen Projekte und erst recht für neue. Bleibt also zu überlegen, wie auch andere Stadtverwaltungen zu einer solchen »Task-Force« kommen, die von Qualitätssicherung bis Durchhaltevermögen alles bieten und einfordern kann – und muss. Würden das Gesetzeslage und Budget hergeben?
1) Eine Übersicht zu allen Projekten finden Sie hier: https://iba.heidelberg.de/de/projekte
2) Stefan Rettich: Der Euphemismus »Knowledge Pearl«. In: LOGbuch No 3, Basel 2022, Seite 22-29
3) Engelbert Lütke Daldrup: Plädoyer für eine Internationale Bauausstellung in Heidelberg. 2010
4) Volker Hassemer, in: IBA Heidelberg (Hrsg): IBA magazin No 5