• Über Marlowes
  • Kontakt
Region Stuttgart. Bild: Philipp Schwarz

IBA-Time in Baden-Württemberg: Die IBA Heidelberg feiert ihr Finale, die in Stuttgart hat Halbzeit. Was können wir von der IBA27 in fünf Jahren erwarten?

2027 werden wir auf eine hundertjährige Geschichte der Weißenhofsiedlung zurückblicken. Derzeit schaut die Region Stuttgart eher mit Sorgenfalten in die Zukunft und ihre Vertreter fragen sich, ob die Internationale Bauausstellung, die „IBA27 – Stadtregion Stuttgart“ diesem modernen Denkmal der Siedlungsgeschichte auf Augenhöhe begegnen kann.

„Ich warte immer noch darauf, dass jüngere und intelligente Politiker das Thema von Stadt, Landschaft und Ökologie als relevant und karriereförderlich aufgreifen werden.“ Thomas Sieverts (1)

Es war von Anfang an mutig. Ein Stück moderner Architekturgeschichte in Insellage, das bauliche Zeugnis einer Epoche, die quasi ein Dauerabo auf das Morgen hat, wurde als ein in der Zukunft liegendes Vorbild genommen. Daran wurde die Frage geknüpft, wie wir im 21. Jahrhundert in einer polyzentralen Stadtregion leben wollen. Das ist viel Zukunft auf einmal: Auch 2027 soll es um das gehen, was, nach 2027 kommen soll. Dass das Bauen und Planen aber nicht in der Gegenwart ankommt, hat ziemlich handfeste Gründe. Und sie sind es, die der IBA das Leben schwer machen.

Warum ist es so still?

Dabei sind die Rahmenbedingungen eigentlich günstig. Das IBA Memorandum ist mit vielen hehren Ansprüchen geradezu überfüllt: Baukultur einer „neuen Moderne“, integrierte Quartiere, neue Technologien für die lebenswerte Stadtregion und das Motto „Region ist Stadt und Stadt ist Region“. (2) Dazu das epochale Setting aus Bedrohung, Problemen und Hoffnungen, aus Klimawandel, sozialer Ungleichheit, lähmender Bürokratie, ökologischer und technischer Transformation in eine Warmzeit hinein und einer dringend anstehenden und Bau- und Verkehrswende. Für das IBA-Netz sind fast hundert Projekte gemeldet worden. Entscheidungen sind getroffen, Wettbewerbe laufen. (3)

2218_SL_schwarz_IBA1

Wohin verortet sich die IBA? Wie wirkt sie auf das regionale Gefüge? (Grafik: Hanisch/Schwarz)

Trotzdem wird befürchtet, dass die Exzellenz nicht erreicht wird. Die Stuttgarter Zeitung berichtet, dass die Rede des IBA-Intendanten Andreas Hofer zur seiner Halbzeitbilanz im März 2022 „etwas von einem Hilfeschrei oder zumindest von einem Weckruf“ hatte. Hofer holte „zum Rundumschlag gegen örtliche Behörden, Investoren und die geltende Rechtslage in Deutschland aus“. Es droht also, wenn die Einschätzungen Hofers stimmen, eine Geburtstagsfeier mit mittelmäßigen Geschenken und einem 100-jährigem Jubilar, der die Gratulanten alt aussehen lässt. (4)

2218_SL_StudioVlayStreeruwitz:CarlaLo_ES

An welche Typologien lässt sich anknüpfen wenn eine Region weiterentwickelt wird? Siegerentwurf zum Esslinger Tobias-Mayer-Quartier. (Bild: StudioVlayStreeruwitz/Carla Lo)

Thomas Kiwitt, leitender Technischer Direktor des Regionalverbandes, wundert das nicht. „Wenn alle mutig wären, dann bräuchte man die IBA nicht.“ Die IBA sei nötig, so Kiwitt, weil man niemanden mehr erklären könne, warum Planungsverfahren bis zu 10 Jahre dauern: „Wir kriegen nichts mehr hin!“ Der Regionalrat Christoph Ozasek befürchtet, dass die IBA eine große Marketingaktion für Bauträger wird. Auch der überwiegend auf den Neubau gesetzte Fokus passt aus seiner Sicht nicht. „Wenn die Zukunft des Bauens nicht im Bestand stattfindet, dann fehlt der IBA ein wesentlicher Aspekt der Bauwende“, so Ozasek. Kiwitt ergänzt: „Jeder sollte sich fragen, wie eigentlich die Klimaschutzziele erreicht werden sollen.“ Die IBA sei da nur ein Brennglas gesellschaftlicher Verhältnisse. Deswegen warnt er davor, die IBA mit Erwartungen zu überfrachten. Man müsse sich aber generell fragen, wie Qualität für die Zukunft gesichert werden kann und wie gerade kleinere Kommunen Planungskompetenz erhalten. „Die konkreten Aufgaben dürfen nicht den Blick auf die strukturellen Defizite verstellen“, so Kiwitt. Philipp Dechow von der Stuttgart Hochschule für Technik vermisst zudem eine Debatte über das Selbstverständnis der Region: „Da, wo der eine noch Dorf sieht, ist häufig schon längst Stadt.“ Das Selbstbild der Region hat Einfluss auf die bauliche Typologie. Im Rahmen der IBA sei zu diskutieren, wie die Regionalplanungen einen besseren Beitrag zu Begrenzung der ausufernden Siedlungsentwicklung leisten kann.

Bei solchen kritischen Stimmen müsste eigentlich lebendig darüber spekuliert und gestritten werden, warum die Exzellenz auf der Kippe steht. Aber es ist so still. Niemand wundert sich, kaum einer wehrt sich dagegen, dass nach fünf Jahren die Zukunft noch in Routinen verheddert ist.

Appelle und Abstimmungen


2218_SL_schwarz_IBA3

Wie lässt sich aus dem komplexen Themenbündel der Planung eine fruchtbare Diskussion entwickeln? (Grafik: Hanisch/Schwarz)

Das IBA Memorandum beschreibt recht präzise die Risiken, Defizite, Hoffnungen und Ziele der Region. Die IBA als Institution kann die Ziele des Memorandums aber nicht alleine umsetzen. Wichtige stadtregionale Institutionen und Organe beobachten bisher nur das Geschehen. Vielleicht ist das der Grund, warum es die IBA so zur Architektur drückt oder zieht: „Manchmal würde ich lieber mehr über die IBA als Architekturausstellung sprechen und nicht über Mobilität und teuren Boden“, so Andreas Hofer in einem Interview mit Kontext. (5)

In seiner Zwischenbilanz hat Hofer den aus seiner Sicht wesentlichen Malus benannt, der sich in den einfachen Appell umformulieren ließe: Traut euch! Dass die Gestaltungspotenziale in der Region in einer Diskussion zwischen Ökonomie und Ökologie drohen zerrieben zu werden, zeigt der Appell vom Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann an die Bürger Weilheims, im Bürgerentscheid für den Bau einer Brennstoffzellenfabrik zu stimmen, ansonsten drohe der regionale und internationale Abstieg. Der Appell hatte in diesem Fall Erfolg, die Fabrik kann gebaut werden. (6)

Anders ging es in Donsdorf aus, der dort geplante High-Tech Park im Lautertal scheiterte im Bürgerentscheid. (7) Kein Einzelfall: Die Bürger Dettingens stimmen gegen das Gewerbegebiet auf dem Hungerberg. „Region Stuttgart muss neuen Hochtechnologie-Standort suchen“, titelt SWR aktuell. (8)

Dabei sind das genau die Projekte, die man in der Regionalverwaltung vor Augen hatte, als man die Idee mit der IBA platzierte: Projekte, die existenziell für die Transformation sind, aber vom derzeitigem Planungssystem ausgebremst werden. Thomas Kiwitt bezweifelt zu Recht, dass die politische Teilhabe am Wohnort ausreicht – die regionale Perspektive, der regionale Alltag bleibt außen vor. „Was ist mit den Pendlern?“ Es bleibt der Eindruck, dass man sich daran gewöhnt hat, Bürgerwiderstand als fast alleinige zukunftsformende Kompetenz zu akzeptieren. An ihr arbeiten sich nicht nur Hofer und Kretschmann, sondern auch Thomas Kiwitt und sein Kollege, Walter Rogg von Geschäftsführung der Wirtschaftsförderung, ab. Sie tingeln durch die Region und versuchen, Bürger:innen zu überzeugen.

Eine solche appellative Praxis ist letztlich aber nur das Symptom für tiefsitzende strukturelle Probleme. Der Regionalplan sei ein zu restriktives Instrument, so Kiwitt. Ursprünglich konzipiert, um den Siedlungsdruck in der Region zu steuern, verhindert es heute aufgrund seiner strengen Vorgaben genau dies. Thomas Kiwitt beschreibt seine neue Rolle so: „Früher habe ich den Kommunen sagen müssen, dass sie nicht in die Restriktionsflächen bauen können, heute muss ich sie dazu auffordern.“ Der ehemalige Regionalpräsident Dr. Bernd Steinacher sprach gerne vom „atmenden“ Regionalplan und meinte damit eine kultivierte Form des Miteinanders von Kommunen und Region. Das war wohl eine andere Zeit. Heute scheint der Regionalplan eher zu röcheln. Zwischen regionalen Zwecken und kommunalem Vorgehen ist ein Vakuum entstanden.

6.2

Siegerentwurf im Wettbewerb »Wohnen am Fluss in Untertürkheim« (Bild: NL Architects)

Wie aber kann darauf eine IBA eingehen? Versuche, auf die morphologische Realität der Stadtregion und deren zwischenstädtischen Elemente mit Strategien einer formalem Urbanisierung zu reagieren, sind meistens gescheitert. Bei der IBA27 scheint man gelernt zu haben, dass die Stadtlandschaft sich nicht zähmen lässt, indem man ihr ein urbanes Korsett verpasst oder an ihr urbanes Ego appelliert: „Ihr seid eine Stadt!“ oder „Jetzt ist fertig Zwischenstadt“ (9). Das IBA-Team versucht daher, mit verdichteten Inseln, mit Surrogaten der europäischen Stadt als Leitbild zu arbeiten, Exportgut aus der Stadt in den regionalen Raum zu projektieren. Urbanität, Dichte, kurze Wege, Mischung sind die Leitmotive der zeitgenössischen Stadtplanung, die im Rahmen der IBA variiert werden. Das ist die logische Konsequenz und eine geschmeidige Strategie, sich dem Zwang eines schwer zu kontrollierenden stadtregionalem Kontextes zu entziehen, ein Extrakt der Konzepte, mit denen bereits die Zwischenstadt zivilisieren werden sollte. Eine Strategie, die letztlich überall Stadt sieht. Aber ist wirklich alles Stadt in einer Region, in der zwei Drittel der 179 Kommunen, weniger als 10.000 Einwohner haben?

Das IBA-Netz als regionales Labor

Wo Appelle verhallen und formale Versatzstücke eines urbanen Vokabulars zum konzeptionellen Minimalkonsens in der Stadtregion werden, ist man in bester Gesellschaft. Das kann es aber nicht gewesen sein: Daher ist die IBA-Halbzeit der Moment, danach zu fragen, wie sich die Entwicklungshemmnisse der IBA, die eben auch die der Region sind, lösen und der Blick von den Inseln auf die ganze Stadtregion gelenkt werden. Wie lässt sich das Vakuum füllen?

Gemeinsam mit den Menschen entwickelt die IBA'27 Ideen für eine lebenswerte, zukunftsfähige Stadtregion Stuttgart. Bild: IBA'27 / Franziska Kraufmann

Den Diskussionsprozess zu intensivieren kann nicht allein an die IBA delegiert werden.  (Bild: IBA’27 / Franziska Kraufmann)

2218_SL_IBANETZ

Fast 150 Projekte: Das IBA Netz. (Bild: IBA27)

Zur Erinnerung: Der Prozess, aus dem sich die IBA entwickelte, der das Memorandum entstehen ließ, war fruchtbar. Hieran sollte wieder angeknüpft werden. Dafür ließe sich das IBA-Netz nutzen – es »bringt bauliche und nichtbauliche Vorhaben zusammen, die sich ehrgeizig mit der Zukunft des Bauens, Wohnens und Arbeitens in der Region Stuttgart auseinandersetzen. Es entsteht ein Netz des Wissens mit relevanten Zukunftsideen für die Region. Es wird geforscht, zusammengearbeitet, diskutiert – und nicht zuletzt gebaut.« (10) Das Netz soll also mehr sein als ein Archiv guter Ideen. Dann sollte sich daraus auch ein Funken sprühender Dialog entwickeln lassen. Man muss dann allerdings, wie es Philipp Dechow fordert, „die konfliktfreie Flughöhe verlassen.“ Und die kritischen Fragen eben doch stellen: Wo sind die Flächen für die Kreislaufwirtschaft? Wann gibt es regionale Wohnungsbauziele? Der Regionalrat Christoph Ozasek ist begeistert vom Memorandum. „Da steht doch alles drin. Es ist ein gutes Programm.“ Für ihn gehört zur IBA selbstverständlich die Boden-, Bau- und Energiewende.

2218_SL_schwarz_IBA4

Wo liegt die Zukunft der Region. (Grafik: Hanisch/Schwarz)

Wie kann der lineare Zyklus von Reden, Planen, dann Bauen in einen Kreislauf geschickt werden, wie können neue Ideen eingefangen werden? Wie kann der große Schreibtisch der Region, von der IBA zur Verfügung gestellt und von allen genutzt werden? Von den Vertreter:innen aus Regionalplanung, Wirtschaftsförderung, Kommunal- und Regionalpolitik, von Bürgerinnen und Bürgern? Während sich die Stadtplanung verändert hat, ist der Regionalplan zu lange unverändert geblieben. Das wird in im Ballungsraum nun zu einem Hindernis. Wie kann also das IBA-Netz zu einem Bild der Stadtlandschaft werden, das ihre Potenziale und Konflikte zeigt, und wie kann daraus ein produktiver Weg entwickelt werden, in dem die Vernetzungen in der Region Eingang finden, wie Prozesse formalisiert werden und nicht kommunale Befindlichkeiten gegen überregionale Bedarfe ausgespielt werden? Auf welcher Ebene müssen welche Instrumente greifen, um auf der Höhe der Probleme handlungsfähig zu werden? Gelingt es nicht, Antworten auf diese Fragen zu finden, droht Stillstand. Es wäre zu einfach, die stadtregionalen Fragen in die interkommunale Zusammenarbeit auszulagern. Mit dem Landschaftspark hat die Region gezeigt, dass es alternative Formate gibt. Geht das nicht auch für Landschaft und Stadt?

Die Stadt ist kein geschlossenes und deterministisches System. Sie braucht permanente Debatte. Sie braucht aber auch eine Handlungsmacht und einen räumlichen Bezugsrahmen, der ihren Herausforderungen und dem Alltag der Menschen angemessen ist. Kurz bevor die Region Stuttgart 1994 gegründet wurde, schreibt Otl Aicher als Nachwort zu „die welt als entwurf“, dass „in kritischen Situationen (…) deutlich werden kann, wie wenig unser wissen und unser handeln noch aufeinander bezogen sind“, und weiter: „verantwortung ist nur noch antwort. reden und tun sind auseinandergebrochen.“ (11) Im IBA-Jahr 2027, 33 Jahre nach der Gründung der Region Stuttgart sollte sichtbar werden, wie diese Lücke wieder geschlossen werden kann.


(1) Stefan Kurath: jetzt: die Architektur. Zürich 2022, S. 240
(2) Siehe >>>
(3) Siehe >>>
(4) Siehe >>>
(5) Siehe >>>
(6) Siehe >>>
(7) Siehe >>>
(8) Siehe >>>
(9) Axel Simon: Mehr Stadt an der Glatt : sie nennen sich das Krokodil : eine Gruppe junger BSA-Architekten macht das Glattal zur Grossstadt : ein Plan zur Verdichtung.
In: Hochparterre : Zeitschrift für Architektur und Design (2011), S. 24
Siehe >>>
(10) Siehe >>>
(11) Otl Aicher: die welt als entwurf. Berlin 1991, S. 198