Die Aufgabe war nicht einfach. Die Brenzkirche in Stuttgart war 1933 errichtet, aber bereits 1939 umgebaut worden. Aus einer Kirche der modernen Sachlichkeit war eine biedere und unscheinbare geworden. Sie steht unter Denkmalschutz als Zeugnis für den Umgang des Nationalsozialismus mit moderner Architektur. Nun wurde ein Wettbewerb für den Umbau dieser Kirche ausgelobt. Kann das gut gehen? Ja, es kann.
Wettbewerb »Weiterbauen der Brenzkirche in Stuttgart-Nord«, ausgeschrieben von der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Stuttgart zusammen mit der Internationalen Bauausstellung IBA27 Stadtregion Stuttgart
Der Killesberg gehört zu den bevorzugten Wohnquartieren Stuttgarts. Neben der Akademie der Bildenden Künste gibt es hier die berühmte Weissenhofsiedlung von 1927 sowie eher traditionelle Wohnhäuser und Villen. Eine gediegene Klientel schätzt seit einigen Jahren die schicken Neubauten auf der Killesberghöhe. Stuttgart zeigt sich hier „auf dem Hügel“ – wie die Bewohner bescheiden sagen – von seiner schönsten Seite, mit grandiosen Ausblicken über die Stadt und ins Neckartal. Alles wunderbar, wenn es nicht das hässliche Entlein der Brenzkirche an zentraler Stelle gäbe. Ein langweiliger Kasten mit Steildach, kaum wirksamem Turm und aus dem eierschalenfarbigen Putz geschnittenen schmalen, hochrechteckigen Fenstern. Würde nicht eine Kreuzigungsgruppe den Eingang in eine Kirche markieren, dann könnte es sich auch um irgendeinen Profanbau handeln.
Die Brenzkirche 1933, 1939, 1947, 1953
1933 war die Kirche nach einem unprätentiösen Entwurf des Stuttgarter Architekten Alfred Daiber fertiggestellt worden. Der von Daiber gewonnene Wettbewerb war bereits 1930 entschieden worden, aber die Weltwirtschaftskrise verhinderte einen baldigen Beginn des Baus. Daiber musste seinen Entwurf mehrfach überarbeiten und immer weiter reduzieren, zuletzt blieb die der auf den Gemeindesälen im Erdgeschoss gesetzte Kirchensaal im Obergeschoss, statt in einem Turm wurden drei Glocken in einem Dachreiter mit Uhr aufgehängt. Der kubische Baukörper mit „runder Ecke“ neben dem Eingang, Flachdach und einem querhausähnlichen Anbau im Süden war sachlich und recht spannungslos. Nur die Schmalseite zur Hautstraße hin erregte Aufmerksamkeit durch die runde Ecke und ein großes Fenster, dessen Umriss der Treppe ins Obergeschoss folgte und durch die so gebildete Diagonale einen Akzent setzte. Ein schlichtes Kreuz über dem Eingang und der offene Glockenstuhl verwiesen auf die sakrale Bestimmung des Gebäudes, das der Volksmund „Seelensilo“ nannte. Da alle Fenster bündig mit den Wänden abschlossen, hatte der Bau eine flächig-kubische Wirkung, was ihn wie einen weiteren Baustein der Weißenhofsiedlung wirken ließ.
1933 aber waren solche modernen Konzepte nicht mehr gefragt. Unweit der Kirche wurde die Kochenhofsiedlung mit Einfamilienhäusern fertiggestellt: Holzhäuser mit traditioneller Bautechnik und – natürlich – mit Steildächern. 1939, als gegenüber der Kirche das Hauptportal der Reichsgartenschau in „völkischen“ Formen errichtet wurde und Stuttgarts Oberbürgermeister Karl Strölin einen „Feldzugsplan für die Verschönerung und Reinhaltung der Stadt“ in Gang gesetzt hatte, wurde die Kirche durch Aufsetzen neuer Dächer „arisiert“ und der Dachreiter zu einem veritablen Turm erhöht. Architekt war Rudolf Lempp, der die gerundete Ecke in einem rechtwinkligen Vorbau versteckte und die schräge Verglasung der Nordseite auf drei quadratische Fenster reduzierte. Das Ergebnis dieser „Entschandelungsmaßnahme“ war ein nun noch spannungsärmerer Bau, bei dem die noch immer modernen Fensterformate so gar nicht mit der neuen Steildach-Kubatur zusammenpassen wollten.
Acht Jahre und mehrere Bombardements später erhielt Lempp 1947 die Gelegenheit, diesen Kontrast zu glätten. Denn er wurde mit dem Wiederaufbau der Kirche beauftragt. Er sah überhaupt keinen Grund, den ursprünglichen Zustand der Kirche nach dem Entwurf von Daiber wiederherzustellen! Stattdessen bemühte sich Lempp, den sakralen Charakter des Gebäudes zu stärken. Im Kirchensaal gestaltete er den Altarraum mit einer Rundbogennische, die quadratischen Fenster des Saals ersetzte er durch hochrechteckige Lanzettfenster und öffnete hier jetzt auch die Ostseite mit ebenso schmalen Fenstern. 1953 platzierte er über dem Haupteingang die bereits erwähnte Kreuzigungsgruppe als Ersatz für das schlichte Kreuz. In diesem Zustand wurde die Kirche 1983, ein halbes Jahrhundert nach ihrer Einweihung, unter Denkmalschutz gestellt und zwar mit der Begründung, dass die Veränderungen gegenüber dem Bau von Daiber ein „anschauliches Zeugnis“ für den Umgang des Nationalsozialismus mit moderner Architektur seien. Aus „wissenschaftlichen Gründen“ gäbe es also ein „öffentliches Interesse“ an der Erhaltung des Baus wie er 1983 stand.
Das Neue, das das Alte integriert
Diese Ausgangslage machte es für alle am Wettbewerb Beteiligten schwierig: Durch denkmalgerechtes Weiterbauen soll die Kirche ihre Aufgabe als Zukunftsraum für die Menschen neu erfüllen können. Eine Rückführung auf das ursprüngliche Erscheinungsbild des Baus von 1933 war ausgeschlossen. Jeder Eingriff und jede Ergänzung müssen in Einklang mit dem Denkmal stehen. Eigentlich wäre unter diesen Bedingungen gar nichts möglich außer einer behutsamen Sanierung. Die Wettbewerbsbeiträge, insbesondere die von der Jury unter Vorsitz von Wolfgang Riehle prämierten Arbeiten aber zeigen, dass es doch mehr möglich ist und dass dabei das Haus sich zwar weiterhin treu bleiben kann und dennoch etwas Neues entsteht, in dem das Alte mit all seinen Zeitschichten von 1933 bis 1953 integriert ist. Die Bausubstanz des Denkmals besteht ja zum großen Teilen aus dem Bau von Daiber, dem das Satteldach nur aufgesetzt worden war. Die Veränderungen Lempps von 1939, 1947 und 1953 betreffen die Fensterformate, die Gestaltung des Altarraums und die Ausstattung, die Konstruktion ist noch immer die von Daiber.
Auch die drei platzierten Wettbewerbsbeiträge berühren die Konstruktion von 1933 nicht und gehen respektvoll mit dem Bestand um. Die Fenster des Kirchensaals werden wieder auf die quadratische Form zurückgeführt; die gerundete Ecke vom Erst- und Zweitplatzierten wieder freigelegt. Alle Prämierten nutzen das große Potenzial des Gemeindesaals, der jeweils nach Westen und Osten geöffnet werden kann. (Die Kirche ist nicht geostet, der Chor liegt im Süden.) Beim Erstplatzierten bildet ein kleiner Hain ein wunderbares Vordach! Das wiedergewonnene Flachdach wird in die Nutzungskonzepte als Dachgarten und weiterer Versammlungsort eingebunden (natürlich auch mit ökologischem Nutzen; Stichwort Schwammstadt).
Die drei Preisträger verbindet auch das formale Motiv einer gewissen Unschärfe: Beim ersten Preis sind es gewebeartige Strukturen, die zwischen Bestand und Neubau vermitteln, im Kirchensaal soll eine transluzente Keramikschale vor die Fenster der Ostseite gestellt werden. Beim zweiten Preis soll das Satteldach verkleinert als PV-Dach wieder entstehen, während der dritte Preis hier eine leicht-luftige Pergola vorsieht. Diese Ergänzungen und Ersatze entziehen sich bewusst einer Eindeutigkeit, wollen statt dessen Ambiguität erzeugen, vieldeutig lesbar sein und Angebote machen, die dann irgendwie stimmig zum Ganzen werden.
Die Jury hat dem ersten Preis von Wandel Lorch Götze Wach (WLGW), Frankfurt am Main, mit einer Empfehlung hervorgehoben. Insbesondere auch Hans Georg Keitel, Gebietsreferent Bau- und Kunstdenkmalpflege des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg und Mitglied der Jury, war von diesem Entwurf angetan, da die Kirche eine Kirche bleibe und somit Funktionskontinuität hergestellt werde, was einem Denkmal in der Regel guttut. Zudem würden drei Zeitschichten mit Denkmalwert berücksichtigt und erhalten (Daiber 1933, Lempp 1939 und 1947). Alle Maßnahmen würden im Dialog mit dem Bestand durchgeführt, was auch auf die anderen Platzierten und auch auf die Anerkennungen zuträfe, jedoch von WLGW auf besonders feinfühlige und sensible Weise entwickelt wäre.
Ziel aller Akteure rund um die Brenzkirche ist die Eröffnung des Neubaus nach dem Entwurf von WLGW im Jahr 2027 anlässlich der IBA ’27 Stadtregion Stuttgart und dem Jubiläum 100 Jahre Weißenhofsiedlung. Tatsächlich würde es der Landeshauptstadt Stuttgart gut anstehen, wenn das jetzige hässliche Entlein bis dahin zu einem schönen Schwan würde. Bislang ist das Verfahren um die Brenzkirche ein Beleg dafür, dass ein zunächst für unrealistisch angesehenes Vorhaben Wirklichkeit werden kann. Das wird Auswirkungen haben auf den Umgang mit den sogenannten Ersatzhäusern in der Weissenhofsiedlung, die mit vergleichbarer Begründung wie bei der Brenzkirche unter Denkmalschutz stehen. Auch hier bräuchte es die Offenheit aller Akteure, gemeinsam zu verträglichen Lösungen zu kommen, mit denen alle Parteien irgendwie leben können. Wenn dabei dann auch noch gute Architektur entsteht, kann es niemanden geben, der diesen Weg nicht gehen will.