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Raum für Zuversicht


In einer diversen Gesellschaft brauchen wir mehr denn je Räume, die uns jenseits alltäglicher Aktivitäten zusammenführen. Orte der Religion und Spiritualität, Orte der Trauer, Orte der Gemeinschaft für Jung und Alt. Es liegt nahe, dafür die Räume zu aktivieren oder zu ergänzen, die solche Orte in der Vergangenheit waren. Sie gilt es wieder zu entdecken, für das Heute neu zu aktivieren, unserer Zeit anzupassen. Drei Beispiele aus Canitz, München und Dresden
Kirche Canitz

Ansicht der neuen Giebelfassade vom östlichen Nachbargrundstück aus. (Bild: Till Schuster)

Kirche in Canitz

Nur noch die Älteren kennen die Kirche, die bis 1975 in Canitz, einem eingemeindeten Ortsteil von Riesa stand. Da war sie aber schon schwer baufällig und vernachlässigt, weshalb man sie bis auf die Höhe von etwa fünf Metern abtrug und nur die Mauern des Erdgeschosses als Ruine stehen ließ. Ursprünglich war sie Teil eines Ritterguts und eines Wasserschlosses gewesen, die beide 1945 abgerissen wurden.

2005 gründeten die Bewohnenden des Orts einen Verein, um die Kirche wieder aufzubauen. Dessen Engagement, dessen Bemühungen um Spenden waren erfolgreich, überzeugten die Landeskirche, die einen Wiederaufbau unterstützte. 2018 wurde das Kirchenschiff und Turmstumpf überdacht und die Ruine gesichert (Büro für Architektur und Bauforschung Angelika + Andreas Kern). Im gleichen Jahr wurde ein Gutachterverfahren mit vier Büros durchgeführt; das Büro von Peter Zirkel konnte am meisten überzeugen, die Planungen eines Gotteshauses auf den Grundmauern der Ruine begonnen werden.

Das Ergebnis ist eine wunderbar sensible, zurückhaltende wie heitere Atmosphäre eines Hauses, das nicht nur G-otteshaus, sondern auch Ort für weltliche Trauerfeiern und neue Mitte für andere Begegnungen geworden ist. Dafür wurde die Kirche nur über einem Teil der Grundmauern errichtet, der breitere Ostteil (der 2018 nicht überdacht worden war) wurde als ein der Kirche angelagerter Hof angelegt, der Raum für Veranstaltungen im Freien bietet. Die alte Raumkonfiguration bleibt erlebbar, die ursprünglichen Fensteröffnungen wurden geschlossen, aber so, dass sie als Relief ablesbar bleiben. Die an den Hof angrenzende Stirnwand der Kirche wurde über die ganze Gebäudehöhe verglast, so dass auch auf diesem Weg das Innen und das Außen in den Dialog miteinander treten können. Sie bekamen eine filternden Schicht aus Holzlamellen, die innen innerhalb der Pfosten-Riegel-Konstruktion leicht gedreht und hell, nach außen grau lasiert wurden. Neue Fenster wurden eingesetzt, teilweise unter Verwendung der ursprünglichen Wandungen. Die Glasflächen der Fenster sind, anders als die der alten Kirche, ungeteilt. Die Giebelwand im Westen ist mit grauer Lärche geschlossen.

Wenige Materialen bilden die Basis der atmosphärischen Wirkung. Sandsteinplatten, teilweise aus dem Bestand geborgen und wiederverwendet, verbinden Innen und Außen, die Wände sind mit einem hydraulischen Kalk mehrlaging verputzt worden, der offene Dachstuhl wurde als Holzkonstruktion aus der Sicherung von 2018 übernommen, eine Orgelempore eingerichtet. Die Mauern des Hofes wurden mit einem einlagigen Kalkputz in Kombination mit einem zweilagigen Kalk- Schlämmanstrich überzogen und mit einer Abdeckung aus schlesischem Sandstein gesichert. Entworfen hat das Büro von Peter Zirkel auch die Inneneinrichtung, auch sie hell lasiert, so dass sie sich nicht als Addition zum Raum, sondern als dessen Teil präsentiert.


Kirche Canitz, Schäfereistraße 2, 01591 Riesa OT Canitz
Bauherrin: Ev.-Luth.Kirchgemeide, Oschatzer Land, Oschatz
Architektur und Freianlagen: Peter Zirkel, Gesellschaft von Architekten mbH, Dresden
Projektteam: Hans Böttcher, Philipp Leder, Conrad Lohmann
Tragwerk: Engelbach+Partner, Dresden
Elektroplanung: ELIMO, Riesa
BGF: 190 qm
Planungs- und Bauzeit: 10/2019 – 06/2022
Gesamtkosten (KG 200-700): 485.000 €
Baukosten (KG 300-600): 380.000 €
Fotografie: Till Schuster, Dresden


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Blick auf das neue Gesamtensemble mit der Trauerhalle Hans Grässels und dem neuen Krematorium. (Bild: Stefan Müller-Naumann)

Krematorium am Ostfriedhof in München

Das ist eine Aufgabe, für die Fingerspitzengefühl erforderlich ist. Aber nicht nur. Ein Krematorium stellt zum einen die Anforderung, Menschen in Stunden des schweren Abschieds eine angemessene Umgebung anzubieten, die ihnen hilft, einen schweren Verlust zu bewältigen. Und es müssen technische Anlagen untergebracht und funktional geordnet werden. Im Münchener Ostfriedhof war von Hans Grässel eine Trauerhalle mit Krematorium 1927–29 errichtet worden, das in den 1970ern durch einen Neubau ergänzt wurde, in dem seither die Einäscherungen vorgenommen wurden. Nach einigen Abwägungen wurde entschieden, diesen späteren Bau durch einen Neubau zu ersetzen, der nicht nur der Einäscherung dient, sondern auch Räume zur Verabschiedung und Aufbahrung aufnehmen sollte. Mit Grässels Trauerhalle sollte der Neubau eine neue Einheit bilden. In einem Wettbewerbs-Verfahren konnte sich der Entwurf von Beer Bembé Dellinger durchsetzen. Sie nutzen in einem Gebäude über dreieckigem Grundriss das zur Verfügung stehende Baufeld nahezu vollständig aus. Der flache Bau mit der sandfarbenen , hell-warmen Ziegelfassade fügt sich dezent in die Parklandschaft des Friedhofs. Ein offener Hof sorgt dafür, dass Neu und Alt miteinander in Dialog treten können, ohne dass einer der Bauten seine Eigenständigkeit verliert. Dieser Hof wird an seiner Rückseite von der Verbindung zwischen Trauerhalle und Krematorium begrenzt, die an den Querflügel der Trauerhalle anschließt und die dahinter liegende Anlieferung abschirmt.

Dieser Meditationshof ist ein geschützter Aufenthaltsraum, ein Ort der Ruhe, von dem aus die öffentlichen Bereiche des Krematoriums zugänglich sind, die sich entlang der Außenwände um die technischen Räume legen: die Aufbahrungsräume, der Empfangsraum und der Raum, der es Trauernden möglich macht, die Einfahrt des Sargs in die Einäscherungsanlage zu verfolgen; eine Neuerung, die immer mehr nachgefragt wird. Diese öffentlichen Bereiche, die hinter einem Licht filternden und vor Blicken schützenden Gitter mit auf Abstand gesetzten Ziegeln liegen, sind gut zugänglich und dennoch von den technischen Bereichen getrennt. Holz und hellverputzte Wände entsprechen im Innern der würdigen und zurückhaltenden Atmosphäre, die schon das Äußere prägt. Im Untergeschoss sind zudem noch die Räume für Nachbereitung, Urnengravur und Übergabe untergebracht. Das Krematorium ist das einzige in München und seinem Umland, auch viele Menschen von außerhalb nehmen es in Anspruch. Aber es wurde mit dem Neubau nun auch möglich, die gesamte Abschiedszeremonie von der Trauerfeier bis zur Urnenbeisetzung an einem Tag durchzuführen.

Die Anlagen entsprechen dem fortgeschrittensten Stand der Emissionsminderungstechnik und reduzieren den Strom- und Gasbedarfs erheblich, er konnte gegenüber dem Vorgänger auf ein Viertel gesenkt werden. Die Abwärme wird genutzt, um Neubau und Bestand zu heizen; außerdem wird für die Kühlräume Wärme in Kälte umgewandelt. Und so ist mit dem Neubau beides aufs Beste gelungen: einen würdigen Rahmen für die Trauer zu geben und die Anforderungen an Technik und Abläufe zu erfüllen.

 


Krematorium am Ostfriedhof, St.-Martin-Str. 41, 81541 München
Baherrin: Landeshauptstadt München, Kommunalreferat, Gesundheitsreferat (SFM), Baureferat (Projektleitung)
Architektur: Beer Bembé Dellinger Architekten und Stadtplaner GmbH, München
für Georg Reisch GmbH & Co KG (GÜ), Bad Saulgau
Landschaftsarchitektur: BEM Landschaftsarchitekten Stadtplaner Partnerschaft mbB, München
Kremierungstechnik: Kraftanlagen Hamburg GmbH, Hamburg
Tragwerksplanung: Bauer + Partner Ingenieurbüro für das Bauwesen, Biberach/Riß
Bebaute Fläche: 1.920 qm
Brutto-Grundfläche: 3.500 qm
Nutzungsfläche: 2.050 qm
Fotografie: Stefan Müller-Naumann, München

 



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Die Trinitatigskirche in der Johannstadt Dresdens wird wieder genutzt – und gleichzeitig bleibt der Ruinencharakter, der an die Zerstörung im zweitenWeltkrieg erinnert, bestehen. (Bild: Albrecht Voss)

Ausbau der Trinitatiskirchruine zum Jugendzentrum Jugendkirche in Dresden

Die Trinitatiskirche in Dresden, ein Bau der Gründerzeit, war eines der vielen Opfer der Bomben vom 13. und 14. Februar 1945. Sie brannte völlig aus, Dachstuhl und Innenausstattung gingen vollständig verloren, lediglich der Turm und die Außenmauern blieben. In der Gründerzeit war sie von Karl Barth in Anlehnung an die italienische Renaissance errichtet worden, sie hatte der wachsenden Stadt und der neuen Johannvorstadt Rechnung getragen, 1894 war sie eingeweiht worden. Als Ruine blieb sie trotz zwischenzeitlicher Pläne, sie ganz abzureißen, die Gemeinde hielt an ihr fest, entwickelte ein Projekt für einen Gottedienstraum und ein Tagungshaus, feierte in der enttrümmerten Kirche unter freiem Himmel Gottesdienste. Als Wahrzeichen des Stadtteils, als Ort, der Gemeinschaft stiftet und an den Krieg gemahnt, blieb die Ruine erhalten. 1996 gründete sich ein Förderverein, der die Jugendarbeit zu unterstützen, die Ruine zu erhalten und ein kulturelles Zentrum zu schaffen sich zum Ziel gemacht hatte. Es dauerte mehr als 20 Jahre bis ein Wettbewerb für eine Jugendkirche ausgeschrieben hatte, bis dahin hatte man die Kirche mit wenigen hergerichteten Räumen bereits genutzt, aber der richtige Rahmen, gute Räume hätten weiterhin gefehlt. Code Unique hatten den Wettbewerb gewonnen, 2020 begann der Bau, 2022 wurde die Jugendkriche eröffnet. Sie ist nun Dresdens Jugendkirche – ein Raum für kirchliche Veranstaltungen mit Jugendlichen, aber auch solchem die wenig mit der Kirche zu tun haben und für die Jugendliche sonst keinen Raum finden.

Den Wettbewerb hatte das Büro Code Unique aus Dresden mit einem ebenso einfachen wie radikalen Konzept gewonnen. Sie haben sich vom Bestand und dessen Kubatur leiten lassen, ihn mit einem Einbau ergänzt, der sich in den Bestand fügt, der Ruine nach außen weiterhin die Bühne überlässt und recht dezent Hinweise auf die neue Nutzung und die architektonische Intervention gibt. Vormals vermauerte Fensteröffnungen wurden geöffnet und neu verglast. Die radikale Einfachheit der neuen Räume wird durch den Kontrast der Materialien betont: Dem Ziegel der Ruine werden dunkle Metallelemente der Fassade, Glas und Sichtbeton gegenübergestellt. Der Beton wird dabei als neue Decke auf der Höhe der ehemaligen Emporen und tragende Struktur eingesetzt. Ein großer zentraler Raum wird von einem hohen gläsernen Kubus gekrönt, der für eine großzügige Belichtung sorgt und den Charakter des Raums unter freiem Himmel noch nachklingen lässt. Die Seitenschiffe lassen sich nach Bedarf abtrennen oder dem Zentralraum zuschalten. Im Westteil wurde ein dreigeschossiges Volumen eingefügt, der mit seiner dunklen Aluminiumfassade von außen kaum in Erscheinung tritt und die Büros für die Geschäftsstelle und ergänzende Funktionsräume der Jungendarbeit aufnimmt. In der Außenansicht  wird vor allem der gläserne Kubus dessen Stahltragwerk mit dunklem Stahl verblendet wurde, als moderne und behutsame Ergänzung sichtbar, der sich bei abendlichen Veranstaltungen als Leuchtkörper zeigt. Code Unique gelang das Kunststück, dem Bestand der Ruine nicht die Ausdruckskraft zu nehmen und dennoch neue Räume eigenen Charakters zu schaffen. Chapeau!


Ausbau der Trinitatiskirchruine zum Jugendzentrum Jugendkirche, Trinitatisplatz 1, 01307 Dresden
Bauherrschaft: Ev.-Luth. Kirchenbezirk Dresden Mitte, An der Kreuzkirche 6, Dresden
Bauherrenvertretung: Ev.-Luth. Kirchenbezirk Dresden Mitte, An der Kreuzkirche 6, Dresden
Architektur: Code Unique Architekten, Dresden,
Wettbewerb: Volker Giezek, Martin Boden-Peroche, Dominic Geppert, Patrik Wenske
Planung: Paula Koppisch, Lutz Schneider, Manuel Kuck, Pauline Dubus
Bauleitung: Alexander Krause
Projektleitung: Paula Koppisch
TGA: Ing.-Büro Dr. Scheffler & Partner GmbH, Dresden (Fr. Tittel)
Elektroplanung: Elektroplanung Künzel, Chemnitz (Hr. Tempel)
Tragwerksplanung: Ing.-Büro Baustatik Bautechnik, Dresden (Hr. Zobel)
Außenanlagen: Prugger Landschaftsarchitekten, Pirna (Fr. Prugger)
Wettbewerb: 2018
Bauzeit: Februar 2020 – März 2022
Bruttogeschossfläche: 2640 qm
Hauptnutzfläche: 908 qm
Nutzfläche gesamt: 1454 qm
Fotografie: Albrecht Voss, Leipzig