Lebensräume in aller Welt sind bedroht, ob durch Klimawandel, Umweltzerstörung oder Kriege. Doch viele Menschen scheinen die Bedrohung nicht ernst zu nehmen. Auf der Triennale Kleinsplastik in Fellbach versuchen über 40 internationale Künstler:innen, die Probleme sichtbar zu machen – und der Hoffnung, dass sich Alternativen durchsetzen könnten, mit konkreten Alternativen Nahrung zu geben.
Ein letztes Haus steht noch auf einem steilen Hügel mitten in einer riesigen Baugrube in Istanbul: Das Foto ging 2014 um die Welt, ein Sinnbild der Gentrifizierung und der undurchsichtigen Immobiliengeschäfte in der Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Bewohnbar war das Haus im Stadtteil Fikirtepe zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Doch der türkische Konzeptkünstler Ahmet Öğüt hat den Bewohnern ein Denkmal gesetzt: mit einem Modell wie aus einem Baukasten.
Unter dem Titel „Habitat“, von habitare, lateinisch für wohnen, steht die diesjährige, die 16. Triennale Kleinplastik in Fellbach bei Stuttgart. Untertitel: „Über_Lebensräume“. Claudia Emmert, die Kuratorin, erläutert: „Klimawandel, Insektensterben, Kriege: Wir wissen, es geht so nicht weiter.“ Doch die Gesellschaft hält in der Polykrise am Alten fest. „Wir brechen das einfach mal runter in kleinere Einheiten“, so beschreibt Emmert das Konzept ihrer Triennale.
- Ahmet Ögüt: Pleasure Places Of All Kinds; Fikirtepe Quarter, 2014
- Angelika Loderers Maulwurfsgänge und Spechthöhlen
- Eine von Natalia Romiks „Architekturen des Überlebens“. (Alle Bilder: Jens Volle)
Eigentlich ist Habitat ein Begriff aus der Biologie und bezeichnet eine Untereinheit des Biotops: den Lebensraum einer oder mehrerer Tier- und Pflanzenarten. Dieser Aspekt wird auch in der Ausstellung – wie in den Vorjahren in der Alten Kelter in Fellbach – aufgegriffen: Angelika Loderer hat für ihre Arbeiten unter anderem Maulwurfsgänge und Spechthöhlen ausgegossen, um sie als plastische Formen im Raum sichtbar zu machen. Auf ähnliche Weise geht die polnische Architektin und Künstlerin Natalia Romik in ihrem Werkblock „Architekturen des Überlebens“ unterirdischen Lebensräumen nach, in denen sich jüdische Menschen während der NS-Zeit versteckten.
Stabschrecke und Gottesanbeterin im Club
Kunst lässt sich indes nicht klassifizieren wie die Arten in der Biologie, in ihr sind Grenzen nur dazu da, um überschritten zu werden. So dient das Modell eines unterirdischen Clubs dem Künstlerduo M+M aus München in seiner Arbeit „Club Bunker“ als Kulisse für einen 3D-Film, in dem eine Stabschrecke und eine Gottesanbeterin mit ihren langen, dürren Beinen einen seltsamen Tanz aufführen. Gleichwohl hat auch das Modell selbst, detailliert und liebevoll gestaltet bis hin zu den reichlich versifften Toiletten des Clubs, beachtliche Qualitäten.
Das Habitat, als Teil eines Biotops, ist definiert als Lebensraum. Es gibt allerdings auch Räume, in denen nichts mehr lebt. Für Emma Adler sind Schottergärten der Inbegriff spießbürgerlichen Ordnungswahns. Streng symmetrisch und geometrisch ist ihr Vorgarten des Grauens in ihrer Installation „O Mutter deine Blumen / Bleich wie du im Neonlicht“ aufgebaut. Die einzigen organischen Formen sind zwei bronzierte Hände, die ungefähr fünfeinhalb Finger haben, nachgebildete Details aus einer KI-generierten AfD-Kampagne, die die Fake News dieser Partei verkörpern sollen. Alle halbe Stunde fegt ein dröhnendes Blitzlichtgewitter über die Skulptur und die Ausstellung hinweg.
Weltweit sind wiele Habitate bedroht oder bereits vernichtet. Dies zeigt die Ausstellung mit Arbeiten, die Zerstörungen von der Antarktis bis in die tropischen Breiten thematisieren, von der Tiefsee bis hin zum Kalksteinabbau für den weltgrößten Betonhersteller in der Schweiz. Oder am Persischen Golf: Die kuwaitische Künstlerin Monira Al Qadiri breitet in ihrer Installation „Onus“ wie auf einem riesigen Leichentuch in schwarzes Erdöl getränkte Vögel aus. Als Kind hatte sie 1991 erlebt, wie die Vogelkadaver während des Zweiten Golfkriegs im Persischen Golf an Land gespült wurden.
Auch das Lokale ist ohne die globalen Beziehungen nicht zu denken. Die gesamte Erdoberfläche, also auch Fellbach, wird von Satellitenkameras erfasst. Die kanadische Künstlerin Sarah Friend zeigt mit ihrer Skulptur „Remote Viewing“ auf einer Fläche von einem Quadratmeter, wie genau dieser Teil der Erdoberfläche aus dem Weltall aussieht. Der Blick der Kamera durchdringt nicht das Dach der Alten Kelter, das stark gepixelt auf dem Satellitenbild erscheint.
Kunst lässt sich indes nicht klassifizieren wie die Arten in der Biologie, in ihr sind Grenzen nur dazu da, um überschritten zu werden. So dient das Modell eines unterirdischen Clubs dem Künstlerduo M+M aus München in seiner Arbeit „Club Bunker“ als Kulisse für einen 3D-Film, in dem eine Stabschrecke und eine Gottesanbeterin mit ihren langen, dürren Beinen einen seltsamen Tanz aufführen. Gleichwohl hat auch das Modell selbst, detailliert und liebevoll gestaltet bis hin zu den reichlich versifften Toiletten des Clubs, beachtliche Qualitäten.
Das Habitat, als Teil eines Biotops, ist definiert als Lebensraum. Es gibt allerdings auch Räume, in denen nichts mehr lebt. Für Emma Adler sind Schottergärten der Inbegriff spießbürgerlichen Ordnungswahns. Streng symmetrisch und geometrisch ist ihr Vorgarten des Grauens in ihrer Installation „O Mutter deine Blumen / Bleich wie du im Neonlicht“ aufgebaut. Die einzigen organischen Formen sind zwei bronzierte Hände, die ungefähr fünfeinhalb Finger haben, nachgebildete Details aus einer KI-generierten AfD-Kampagne, die die Fake News dieser Partei verkörpern sollen. Alle halbe Stunde fegt ein dröhnendes Blitzlichtgewitter über die Skulptur und die Ausstellung hinweg.
Viele Habitate weltweit sind bedroht oder bereits zerstört. Dies zeigt die Ausstellung mit Arbeiten, die Zerstörungen von der Antarktis bis in die tropischen Breiten thematisieren, von der Tiefsee bis hin zum Kalksteinabbau für den weltgrößten Betonhersteller in der Schweiz. Oder am Persischen Golf: Die kuwaitische Künstlerin Monira Al Qadiri breitet in ihrer Installation „Onus“ wie auf einem riesigen Leichentuch in schwarzes Erdöl getränkte Vögel aus. Als Kind hatte sie 1991 erlebt, wie die Vogelkadaver während des Zweiten Golfkriegs im Persischen Golf an Land gespült wurden.
Auch das Lokale ist ohne die globalen Beziehungen nicht zu denken. Die gesamte Erdoberfläche, also auch Fellbach, wird von Satellitenkameras erfasst. Die kanadische Künstlerin Sarah Friend zeigt mit ihrer Skulptur „Remote Viewing“ auf einer Fläche von einem Quadratmeter, wie genau dieser Teil der Erdoberfläche aus dem Weltall aussieht. Der Blick der Kamera durchdringt nicht das Dach der Alten Kelter, das stark gepixelt auf dem Satellitenbild erscheint.
Granathülsen als Blumenvasen

Unknown Fields: „Rare Earthenware“, 2015. Die Vasen sind aus Giftschlamm geformt, der beim Abbau der Metalle und Seltenen Erden entsteht. (Bild: Jens Volle)
Ganz anderen Beziehungen widmet sich Sammy Baloji aus der Demokratischen Republik Kongo. Für eine Installation hat er vierzig Granathülsen aus dem Ersten Weltkrieg mit Pflanzen aus seiner Heimatregion Katanga bepflanzt, die als Zimmerpflanzen längst auch in Europa verbreitet sind. Aus dem Bergbaugebiet im Osten der DR Kongo stammt auch das Kupfer, aus dem die Hülsen hergestellt sind. Von Soldaten in den Schützengräben Flanderns mit Gravierungen verziert, werden die rund fünfzig Zentimeter hohen Rohre gern als Vasen verwendet. Hinter der Schönheit des Arrangements verbirgt sich eine gewaltsame Geschichte, die Baloji auch als Sinnbild der Migration begreift.
Christ Mukenge stammt aus Kinshasa, der Hauptstadt der DR Kongo, Lydia Schellhammer aus Konstanz. Beide malen, leben abwechselnd mal hier, mal dort und interessieren sich auch für die Populärkultur in beiden Ländern. Dass die bekannten westlichen Marken in Kinshasa ein hohes Prestige genießen, greifen die beiden in einer neu für die Kleinplastik-Triennale entstanden Arbeit auf: Mit „Misu Na Misu“ haben die beiden ein kissenartiges Objekt aus Wachstuch geschaffen, auf dem „Chenal“ statt „Chanel“ steht. Ein kleiner Bildschirm zeigt eine Zoom-Bar, ausgestaltet mit der digitalen 3D-Malerei des Künstlerpaars.
Scheinbar saubere Bildschirm-Technologien benötigen seltene Erden, die zu 95 Prozent im Gebiet um Baotou in der Inneren Mongolei, China, abgebaut werden. Für seine Arbeit „Rare Earthware“ hat das internationale Kollektiv „Unknown Fields“ dort mit versteckter Kamera gefilmt. Stellvertretend für die gigantischen Umweltzerstörungen, die mit der Gewinnung der begehrten Mineralien verbunden sind. stehen im Ausstellungsraum drei Vasen, getöpfert aus (schwach) radioaktivem Abfallschlamm.
Protestieren, retten, Auswege suchen
Gegen die Zerstörung von Lebensräumen regt sich allenthalben Protest. Vom Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt hat die Fellbacher Ausstellung zahlreiche Modelle von Protestcamps übernommen: von Gorleben und der Startbahn West, Frankfurt, über Occupy Wall Street, New York, bis zum Tahrir-Platz in Kairo. An der Herstellung waren auch Studierende der Hochschule für Technik Stuttgart beteiligt. Der Karlsruher Künstler und Aktivist Rokas Wille hat für „Lützi bleibt!“ wiederum das Protestcamp von Lützerath nachgebildet. In Manheim, am anderen Ende des Braunkohleabbaugebiets, sammelt derweil Silke Schatz in einem Langzeitprojekt alles, was noch zu retten ist: Wild- und Kulturpflanzen, Bauschutt und Obst, konserviert in Einmachgläsern, stellt sie unter dem Titel „Never Walk Alone“ zu schönen, gleichwohl traurigen Installationen zusammen.
- Silke Schatz: „Never walk alone“, 2023
- Anna Dumitriu: KI-generierte „Fotos“ Londoner Cholera-Opfer
- OA Krimmel mit „Extinction To Go / The Football“, 2024. (Alle Bilder: Jens Volle)
Die britische Künstlerin Anna Dumitriu geht mithilfe von Künstlicher Intelligenz der Verbreitung von Infektionen nach, eine Frage, die seit der Corona-Pandemie an Aktualität gewonnen hat. Am Bildschirm zeigt sie ein Modell der Ausbreitung der Cholera-Epidemie 1854 in London. Eine Schaufensterpuppe ohne Kopf in einem viktorianischen „Cholera Dress“ macht das Thema greifbarer. Dass ihre „Fotos“ von Cholera-Opfern KI-generiert sind, zeigt sich an den durchweg attraktiven Frauenfiguren und den graubraunen Farben der schlammig-verregneten Umgebung, die das historische London illustrieren soll.
Schon im Titel – vollständig „Habitate. Über_Lebensräume“ – weist die Triennale darauf hin: Es geht ums Überleben angesichts des Klimawandels, anderer ökologischer Katastrophen, aber auch um Krieg. Der Stuttgarter Künstler OA Krimmel, bekannt als Covergestalter der Fantastischen Vier, nimmt für seine Arbeit „Extinction To Go / The Football“ den schlimmsten Fall in den Blick: „Nuclear Football“ nennen die Amerikaner einen schwarzen Lederkoffer, dessen Inhalt ihren Präsidenten befähigen soll, einen Atomkrieg zu steuern. Was passiert, wenn Trump nicht mehr weiß, was er tut?, fragt sich Krimmel besorgt.

Raumlaborberlin zeigt mit einem Modellbausatz, wie Flugzeugteile wieder verwendet werden könnten. (Bild: Jens Volle)
Kunst kann und will Teil der Lösung sein
Raumlaborberlin hat auch die Ausstellungsarchitektur entwickelt: ausschließlich aus wieder verwendetem Material. Ein verbindendes Element sind Jalousien, die an einer langen, geschwungenen Schiene überall im Raum hängen. „Kohabitation“, steht darauf, „Terraforming“, „Perspektivwechsel“ und „Mut zur Zukunft“. Es sind keine Handlungsanweisungen, sondern Stichworte, die zum Denken anregen sollen, wie die Kunstwerke in der Halle der Alten Kelter.
- Die Ausstellungsarchitektur von Raumlaborberlin ist aus wiederverwendetem Material.
- Skulptur aus Meeresalgen von Julia Lohmann, Finnland
- Habitat für die Zukunft? „Pink Element No. 4 /Penthouse“ der Gruppe Superflex, 2019. (Alle Bilder: Jens Volle)
Anregungen für Lösungen gibt es mehrere: Die in Helsinki lehrende Designerin Julia Lohmann entwickelt für „Corpus Maris II“ leichte, lampenschirmartige Skulpturen aus Meeresalgen, die sie über ein Rattangewebe zieht. Die dänische Gruppe Superflex hat mit einer Biologin hautfarbene, durchlöcherte Ziegelsteine entwickelt, in die bei steigendem Meeresspiegel Fische oder Korallen einziehen können – Titel der Arbeit: „Pink Element No. 4 /Penthouse“. Das Kollektiv Blockadia Tiefsee wiederum zeigt auf mehreren Erdbetten das gemeinsam mit Regenwürmern und Mikroben angefertigte Werk „Wurmcohabitate-Bedrock Intelligence“. Die Kunst ist der Hingucker, um Aufmerksamkeit auf die Leistungen der nichtmenschlichen Akteure zu lenken.
Aus dem Bereich der Blockchain-Technologie, der Kryptowährungen und der Non-Fungible Tokens (NFT), der fälschungssicheren digitalen Kunstwerke, die vor einigen Jahren einen kurzzeitigen Hype erlebten, stammt der Begriff der dezentralen autonomen Organisation (DAO). Im Fall des Projekts BeeDAO wird mit einem NFT allerdings kein Kunstwerk erworben, sondern die Mitgliedschaft an der DAO, die dem Wohl der Bienen gewidmet ist. Sensoren liefern Daten zu Bienenstöcken in aller Welt. Bei Handlungsbedarf entscheiden die Mitglieder, zumeist Imker:innen, gemeinsam, wie Gestalter und BeeDAO-Mitglied Lars Neckel berichtet. Die Strukturen sind dezentral und nicht hierarchisch. Ein kleines Beispiel, das als Vorbild für große Lösungen dienen könnte.