Andrej Holm 2011. Bild: Heinrich-Böll-Stiftung
Stilkritik (25) – Es war von Anfang an eine mutige Entscheidung. Ein demonstratives Statement. Als Katrin Lompscher, seit Dezember Berliner Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, bekannt gab, dass Andrej Holm Staatssekretär in ihrem Ressort werden solle, war die Resonanz entsprechend groß, größer als sonst bei der Besetzung von Staatssekretärsposten. So groß, dass man sich fragen muss, ob Lompscher wusste, was sie tat.
Das publizistische Interesse war enorm. Der seit Kurzem wieder entlassene Sozialwissenschaftler Holm stand aber nicht in seinem Zentrum, weil er keine Erfahrung mit einer Tätigkeit dieser Art hatte, weder politisch noch was die Verwaltungskenntnis angeht. Sondern weil Holm sich oft genug politisch geäußert hatte. Und das in der Regel deutlich. Man nennt ihn inzwischen in der Art der medial üblich ungerechten Zuspitzung den Gentrifizierungskritiker, ein Label, das er sich selbst wohl nie angesteckt hätte, denn als Wissenschaftler weiß er, dass die Beobachtung der Gentrifizierung und ihrer bedenklichen Folgen nicht sein Privileg waren. Sein Verdienst ist es, die Entwicklungen in Berlin genau verfolgt zu haben, sie belegen zu können und sie in Bezug auf die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu setzen, also ganz konkret das wissenschaftliche Rüstzeug auf den realen Ort und auf die Menschen zu beziehen. Das macht er schon lange. Er hat sich auch seit Langem mit Sympathie über den Protest gegen spekulative Stadtentwicklung geäußert, er hatte die Meinung vertreten, dass ohne eine entschiedene politische Steuerung sich die Schieflagen auf dem Wohnungsmarkt kaum wieder werden ausbalancieren lassen. Und er kann diese Schieflagen sehr genau belegen. Das war so lange ungefährlich, solange er es als Wissenschaftler tat. Es ist ja bereits seit einigen Jahren auch für Publikationen wie Spiegel, Zeit, FAZ und Süddeutsche schick, darauf hinzuweisen, dass sich nun auch Polizisten und Krankenschwestern das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten können. Die politischen Konsequenzen werden nur zögerlich gezogen, das beste an der Mietpreisbremse sei noch der Name, so wurde beispielsweise gespottet. Mit dem fantasielosen Neubau und der Verdichtungsparole allein kommt man auch nicht weiter: Im einen Fall seien die ziemlich dichten Städte Paris und London als Gegenbeispiel angeführt, im anderen darauf verwiesen, dass die preiswerten Wohnungen nur mit sehr hoher Förderung im Neubau zu finden sind und die Theorie, dass mit dem Neubau Wohnungen im Bestand für die finanziell Schwachen frei würden, ist schon zu lange umstritten und empirisch in Frage gestellt. Von einer Politik, die die zynische Spekulation mit der Not macht, sind wir weit entfernt. An die übliche Praxis haben wir uns schon so sehr gewähnt, dass man nicht mehr auf den Gedanken kommt, sie ideologisch zu nennen.
Spielball beider Seiten
Im Fall Holm wurde diese Keule umso leichtfertiger geschwungen. Kein Wunder. Die Ernennung von Holm signalisierte: Nun soll es ernst, nun soll es anders werden in Berlin. Und es begann das politische Spiel, das nichts mehr mit dem Wissenschaftsbetrieb zu tun hat, nichts mehr mit Frage nach Verlässlichkeit der Faktenlage, nach der Angemessenheit oder Wirksamkeit der politischen Steuerung, nichts mehr mit einem Nachdenken darüber, welche Stadt wir wollen und wer sie sich leisten können darf. Die Wissenschaftler, die sich mit Holm solidarisierten, spürten das, sie verteidigten Holm, denn sie sahen, dass wissenschaftliche Expertise nicht mehr der Maßstab war, an dem Holm gemessen wird – die Auseinandersetzung um Holm traf sie ins Mark, traf die Frage nach der Relevanz ihrer Tätigkeit. Die stand nicht zur Diskussion. Es ging um Deutungshoheit, also um Macht und um Wirtschaftsinteressen. Und um die Symbolkraft öffentlicher Äußerungen. Auch die Nominierung von Holm war genau auf eine solche Symbolkraft hin kalkuliert. Entsprechend schnell hatte sich der politische Gegner auf ihn eingeschossen, sich in einem Reflex Holms Biografie zunutze gemacht. Ein ehemaliger Hausbesetzer, einer der für die Stasi gearbeitet hat. Wie alt er damals war, wie lange er das tat, wie sehr und wie glaubhaft er sich davon auch später distanzierte, war unwichtig. Da war es wichtiger, dass er, wie man nun auch weiß, bei der Einstellung 2005 der Humboldt-Universität falsche Angaben gemacht hat – doch auch in diesem Fall ist nun gleichgültig, wie relevant das war, ob Holm sonst die Stelle überhaupt bekommen hätte, ob man ihn die Fragen, die dort gestellt wurden, überhaupt hätte stellen dürfen und ob das lässlich Sünden sind oder nicht. Es wurde darauf geachtet, welche symbolische Wirkung von öffentlich gemachten Haltungen ausgeht, so dass sich auch schon bald SPD Landtagsabgeordnete gegen Holm wandten und einer mal eben einen Tweet absetzte, er habe gerade mit Menschen gesprochen, die in Hohenschönhausen gesessen haben, was immer das nun konkret mit Andrej Holm zu tun gehabt soll. Malu Dreyer sah schon mal das bundesweite Rot-Rot-Grün-Projekt in Gefahr, bevor es überhaupt real wird.
Holm wurde nicht nur zum Spielball der Gegner, auch für die Befürworter war das Festhalten an ihm nun als Symbol, eines das demonstriert, dass man sich dem politischen Druck der Gegner nicht beugen wollte. Am Ende war dem Regierenden Bürgermeister Müller die Angelegenheit aber doch zu weit ausgeufert und außer Kontrolle geraten, so dass er Holm nicht mehr stützen konnte. Holm selbst hat dabei – hier fehlte dann doch die politische Erfahrung – unglücklich agiert. Seine (zu) späte Entschuldigung war nicht mehr glaubhaft. Einen Monat nach der Einstellung hat er seinen Rücktritt erklärt. Die Frage, wem bei all diesem Empörungstheater geholfen ist, stellte sich da schon lange nicht mehr. Um die Bewohner von Berlin, die Probleme auf dem Wohnungsmarkt haben, ging es nie. Und der sachlichen Diskussion, die sich ernsthaft mit der unbequemen Frage auseinandersetzt, wie man den Wohnungsmarkt wirkungsvoll normalisieren kann, diente dies alles schon gar nicht.
Mag sein, dass Politik eben auf diese Weise funktioniert. Dann aber war Lompscher entweder politisch naiv: Holm hatte sich schon 2007 zu seiner Biografie offen geäußert, der Vorwurf, etwas vertuschen zu wollen, sticht nicht. Oder Holm war ihr Testballon, um Grenzen auszuloten. Lompscher hat sich demnach verzockt. Wäre es ihr um die Inhalte, die Holm vertritt gegangen, hätte sie ihn nicht in die Schusslinie stellen dürfen. Die Chance, seine Qualitäten nun nutzen zu können, ist bis auf Weiteres vertan.
Unter den vielen Beiträgen, die zu diesem Thema erschienen sind, empfehlen wir den von Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk, der auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurde >>>